Die Verbindung von Unternehmen und Familie im Familienunternehmen

von:

Wer zugleich Mitglied einer Unternehmerfamilie und ihres Betriebes ist, erlebt oft hautnah die Kraft der unterschiedlichen und einander ausschließenden Verhaltenserwartungen an sich selbst. Kommunikation in einer Familie ist anders als die in einem Unternehmen. Die Paradoxie ist nicht lösbar, sonst wären es nur ein einfacher Konflikt. Der Versuch, sie durch Entscheidungen schnell zu lösen, vertieft die Problematiken oft langfristig.


1. Familienunternehmen als „doppelgesichtige Systeme“


Nachdem Familienunternehmen zuvor lange als überholt, ja als „Auslaufmodell“ galten (Wimmer et al., 2005), wird ihr Beitrag zur deutschen Volkswirtschaft gegenwärtig eher wieder betont (z. B. Stiftung Familienunternehmen, 2011). Zum Unterschied zwischen Familienunternehmen und anderen Unternehmensformen beziehungsweise zu anderen Familien ist schon vieles geschrieben worden, es soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden (zusammenfassend etwa Wimmer et al., 2005). Fest scheint zu stehen, dass der Besitz eines Unternehmens für eine Familie (und umgekehrt) einen erheblichen Unterschied im Vergleich zu dem Erleben und den Dynamiken in anderen Familien beziehungsweise Unternehmenausmacht. Zugleich haben wir es dabei keineswegs mit vernachlässigbaren Sonderfällen zu tun: die Zahlen differieren stark je nach Definition, doch kann man davon ausgehen, dass um die 90 Prozent aller Unternehmen sich im Eigentum einer Familie befinden. Bei einer geschätzten Anzahl von rund 2,8 Millionen Unternehmen in Deutschland (Stiftung Familienunternehmen, 2011) ergibt sich hieraus eine beachtliche Größenordnung.


Die Verbindung der beiden sozialen Systeme „Familie“ und „Unternehmen“ bedeutet dabei nicht, dass Familienunternehmen automatisch als Erfolgsmodell zu betrachten sind. Sie kann zwar auf der einen Seite besondere Vorteile mit sich bringen: als „distinctive familiness“ (Habbershon et al., 2003) wird das Bündel an spezifischen familienbezogenen Ressourcen bezeichnet, das anderen Unternehmen nicht zur Verfügung steht. Zum anderen können jedoch, im Fall von „constrictive familiness“, Probleme aus der Familie ungeschützt in das Unternehmen hineinspielen und dieses heftig belasten, etwa durch das Festhalten an ehemaligen Erfolgsstrategien bei sich verändernden Marktbedingungen, durch Fehleinschätzung der Qualifikation familieninterner Führungskräfte, durch Probleme im Zusammenhang mit Nachfolge, Gesellschafterkonflikte etc.


Auch sind Ressourcen nicht statisch zu sehen, sie können sich im Zeitverlauf zum Negativen hin wandeln (etwa wenn eine lange genutzte private Immobilie zu klein wird, die Lage aber einen Verkauf und damit einennotwendigen Vergrößerungsschritt erschwert o. Ä.). All dies zeigt die „Doppelgesichtigkeit“ von Familienunternehmen (Wimmer et al., 2005). Damit ist ein Aspekt angesprochen, der sich als zentraler Gedanke durch diesen Text zieht: das diesem Unternehmenstyp zugrunde liegende Konstruktionsprinzip der eng aufeinander bezogenen gemeinsamen Entwicklung von Unternehmen und (Eigentümer-) Familie erzeugt ein spezifisches Spannungsfeld, das mit einem erhöhten Chancenund Risikopotential einhergeht. Eine besondere Aufmerksamkeit für das Zusammenwirken von Unternehmen und Familie kann daher als Hauptaufgabe für das Management eines Familienunternehmens betrachtet werden (von Schlippe et al., 2011).


NL-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Bauleitung (a) im Bereich Grünplanung, Freiburg  ansehen
eine*n Landschaftsarchitekt*in/-planer*in, Schwerte  ansehen
Fachkraft für Baumkontrolle (m/w/d), Stuttgart  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen

2. Familien und Unternehmen
„passen einfach nicht zusammen“


Auf den ersten Blick liegt besonders die Verbindung von Familie und Unternehmen nahe. Hier koppeln sich – wie die Bezeichnung schon verdeutlicht – zwei soziale Systeme miteinander, aus deren Verbindung sich zahlreiche Konfliktmöglichkeiten ergeben können. Denn sie sind von ihren Logiken her so unterschiedlich, dass man provozierend fragen könnte, ob sie überhaupt zueinander passen (von Schlippe, 2014, S. 23f). Das eigentlich Erstaunliche ist, wie es kommt, dass so viele Unternehmensfamilien sowohl ein friedliches Familienleben führen als auch eine gute Verbindung zwischen Familie und Unternehmen pflegen. Angesichts der Komplexität, mit der diese Organisationsform zu tun hat, ist das alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie hat, wie gesagt, mit den vielfach einander widersprechenden Logiken von Familie und Unternehmen zu tun. In der Literatur wird neben diesen beiden auch der Gesellschafterkreis, das System der Eigentümer als weiteres bedeutsames Sozialsystem mit ebenfalls eigener Logik genannt. Diese Logiken sollen an dieser Stelle kurz beschrieben werden (ausführlich z. B. von Schlippe & Frank, 2013; von Schlippe, 2014):

  • In Familien steht jeweils die einzelne Person mit ihren Stärken und Schwächen im Mittelpunkt des Interesses. Ihr Wert ergibt sich aus der Zugehörigkeit zur Familie. Gerechtigkeit wird dabei vor allem als Gleichheit von Ansprüchen, Rechten, Pflichten und Erwartungen verstanden. Die Zugehörigkeit zur Familie muss dabei auch nicht weiter begründet werden, sie ist gegeben. Geben und Nehmen sind häufig asymmetrisch verteilt (Eltern-Kinder), für die erbrachte Leistung wird keine unmittelbare Entlohnung erwartet. Aus den persönlichen Beziehungen wird kein (oder nur wenig) materieller Nutzen gezogen, die „Währung“ ist eher emotionaler bzw. ideeller Natur: man versichert sich gegenseitig der Zugehörigkeit und Verbundenheit (oder streitet darum). Für diese Art von Kommunikation, die zudem mündlich und wenig formalisiert abläuft, haben wir den Begriff „Bindungskommunikation“ vorgeschlagen.
  • Unternehmen hingegen sind durch „Entscheidungskommunikation“ gekennzeichnet. Es geht primär um Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Produkten oder Dienstleistungen. Der jeweilige Mensch ist nicht persönlich, sondern vor allem hinsichtlich der sachlichen Funktion, die er erbringt, bedeutsam. Als Rollenträger muss er prinzipiell austauschbar (kündbar) sein. Sein Wert ergibt sich aus der erbrachten Leistung, die unmittelbar und materiell durch Lohn oder Gehalt abgegolten wird. Gerechtigkeit wird eher über Ungleichheit hergestellt: wer am meisten leistet und am besten qualifiziert ist, bekommt das beste Gehalt. Die Kommunikation ist formalisiert, zu einem großen Anteil sogar schriftlich fixiert, etwa in Protokollen, Aktennotizen und Anweisungen.
  • Eigentümerschaft kreist um andere Themen, etwa die Frage der Verwendung von Unternehmensgewinnen und Ausschüttungen. In diesem System, das meist aus einer Subgruppe des Familiensystems besteht, steht weder die Person, noch die Aufgabe im Mittelpunkt, sondern die Frage, welcher Schritt optimal für die eingesetzten Mittel ist. Die Kommunikation und Interaktion orientiert sich daher an Fragen der Ausschüttung und Gewinnthesaurierung, Anteils-Mehrheiten, Vertragstexten, Rechtsprechung und so weiter.

Jedes dieser drei Systeme funktioniert nach anderen Regeln, der jeweiligen Systemlogik
entsprechend. Bindungs- und Entscheidungskommunikationen können sehr widersprüchlich sein: so kann die Entscheidung, den Junior nicht ins Unternehmen aufzunehmen, in der Entscheidungslogik des Unternehmens die „einzig richtige Lösung“ sein, in der Bindungslogik der Familie wird sie als Kränkung oder Verrat erlebt. Ein Unternehmer berichtet in einem Interview, dass er sich seit langer Zeit mit familienstrategischen Fragen befasse. Unter anderem habe er eine Familienverfassung ausgearbeitet: „Vier Jahre hat das gedauert! Da waren so viele alte Verletzungen aufzuarbeiten, aber schließlich ist es uns gelungen!“

Es ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die jeweiligen Mitglieder aus den verschiedenen
Logiken der Systeme, zugleich auch zahlreiche Möglichkeiten für Irritation und Verwirrung. Die Erwartungen, wie man sich im Sinn des einen und des anderen Systems angemessen zu verhalten habe, sind zum einen oft widersprüchlich, zum anderen aber immer auch gleichzeitig wirksam. „Familie“ und „Unternehmen“ sind nicht klar so getrennt, wie es in der Gesellschaft mit der Trennung von Berufs- und Privatleben gehandhabt wird. Es kommt zu Erfahrungen, die sich mit dem Begriff der „pragmatischen Paradoxie“ begrifflich fassen lassen.


3. Exkurs: Logische und
pragmatische Paradoxien


Seit dem Altertum, spätestens seit Epimenides von Kreta, der behauptete, dass „alle Kreter“ (also auch er selbst) lügen würden, befassen sich Menschen mit Paradoxien (Hagenbüchle, 2002). Während das Denken der Antike, vor allem die griechische Philosophie, noch die Wirklichkeit selbst für die Paradoxien verantwortlich machte (Geyer, 2002; Simon, 2002), sehen wir heute Paradoxien eher als erkenntnistheoretisches Problem. Ihr Reiz liegt in der Spannung zwischen der Realität und der Beschreibung von Realität. Das gewohnte (abendländische) Denken geht von den Fundamentalkategorien „Identität“ und „Differenz“ aus: etwas ist oder es ist nicht, – eine dritte Möglichkeit gibt es nicht (Hagenbüchle, 2002, S. 28). Doch sind diese Kategorien des Denkens, sie haben damit zu tun, wie wir Wirklichkeit wahrnehmen und beschreiben, sie sind nicht „Wirklichkeit“ selbst. Besonders prägnant zeigt dies die surrealistische Malerei: Nur durch die Transformation eines dreidimensionalen Raumes auf eine zweidimensionale Ebene (also von Realität auf Beschreibung) können die Bilder etwa eines M.C. Escher ihre verwirrende Wirkung entfalten, etwa den Bach, der in sich selbst hineinfließt oder die Figuren, die zugleich treppauf und treppab gehen. Die offenkundig unmögliche Form, in der die Wirklichkeit dargestellt wird, erzeugt einen Zustand von Verwirrung, Irritation. Die logische Paradoxie definiert sich durch die Gleichzeitigkeit einander ausschließender Beschreibungen: die Treppe geht aufwärts oder abwärts, aber nicht beides. Kant hat bereits sehr eindrücklich gezeigt, wie die Kategorien unserer Beschreibungen uns in Antinomien führen, die nicht auflösbar sind: so können wir uns etwa weder vorstellen, dass die Welt einen Anfang in der Zeit hat, noch dass sie keinen hat, ähnliches gilt für den Raum (Hagenbüchle 2002, S. 29). Paradoxien sind also an die Gesetze gebunden, wie Menschen wahrnehmen und denken. Sie liegen in der Verführung der Sprache, die Welt sei so, wie wir sie beschreiben: „nur wer (zweiwertig) logisch denkt, kann verrückt werden“ (Simon 2002, S. 82) und verweisen darauf, dass unsere Sprache Wirklichkeit nicht einfach abbildet, sondern sie mit erzeugt – und wie fragil dieser Erzeugungsprozess ist, dass er sozusagen „Bruchkanten“ aufweist, weil nicht immer klar ist, ob die Sprache sich auf Sachverhalte bezieht oder auf sich selbst. Eine besondere Form von Paradoxien sind dabei die sog. „pragmatischen Paradoxien“. Sie entstehen, wenn eine paradoxe Handlungsaufforderung gegeben wird. Die Form: „Tu’ es und tu’ es nicht!“ scheint zunächst im Alltag nicht vorzukommen. Tatsächlich finden sich jedoch in der Alltagswelt zahlreiche Beispiele. Sie konstituieren die berühmten „Beziehungsfallen“, den Widerspruch zwischen dem, was die Kommunikation verlangt und der Tatsache, dass sie es verlangt.

Die bekannteste Form ist die sogenannte „Sei- Spontan“-Paradoxie, die, um befolgt zu werden, nicht befolgt werden kann/darf. Sie findet sich in vorwurfsvollen Forderungen spontanen Verhaltens wie: „Sag mir doch einmal, dass du mich liebst“ oder: „Nie bringst Du mir Blumen mit!“ – und am nächsten Tag: „Was soll ich damit, die hast du ja jetzt nur mitgebracht, weil ich es gesagt habe!“ In weniger massiver Form findet sie sich in der Aufforderung des Fotografen, sich „ganz natürlich“ zu verhalten, der man nicht wirklich nachkommen kann. In dieser Form der paradoxen Aufforderung werden eigentlich zwei Aufforderungen gleichzeitig übermittelt, die einander widersprechen: „Tue das, was ich dir sage!“ und „Tue es freiwillig, von dir aus!“ Das ist der Kern der pragmatischen Paradoxie: zwei Handlungsaufforderungen, die gleichzeitig an eine Person gerichtet sind, die sich dabei jedoch widersprechen. Eine zentrale Erfahrung, die im Kontext pragmatischer Paradoxie daher immer wieder berichtet wird, ist die, etwas „falsch“ zu machen, was immer man auch tue.


4. Pragmatische Paradoxien
in Familienunternehmen


In Familienunternehmen stellt die Mitgliedschaft in den verschiedenen Systemen (Familie, Unternehmen, Eigentum) unausgesprochen und vor allem gleichzeitig sehr unterschiedliche Verhaltenserwartungen an die Betroffenen. Im Kontext des jeweiligen Systems ist eine „Person“ jeweils Adressat von spezifischer Kommunikation: an die Person „Vater“ als „Kommunikationsadresse“ werden ganz andere Kommunikationen gerichtet als an die Person „Geschäftsführer“ (von Schlippe et al., 2011). Verkörpert werden die verschiedenen Personen aber jeweils von ein und demselben Menschen. Sie erleben die Gleichzeitigkeit der nicht zu vereinbarenden Erwartungen oft als Irritiation oder Schwierigkeit, ohne die dahinter liegende Paradoxie zuerkennen.
Zwei Formen der pragmatischen Paradoxie sind dabei m.E. für Familienunternehmen zentral. Wenn man sie als Handlungsaufforderungen formuliert, könnten sie etwa so lauten:
1. „Sei gleichzeitig Familienmitglied und Unternehmer!“
2. „Sei gleichzeitig gerecht in beiden Systemen!“


4.1 „Sei gleichzeitig Familienmitglied
und Unternehmer!“


Eine solche Aufforderung mag trivial klingen, doch genau genommen ist sie komplexer, als auf den ersten Blick erscheinet. Denn wer zugleich Mitglied in der Familie und im Unternehmen ist, erlebt oft hautnah die Kraft der unterschiedlichen und einander ausschließenden Verhaltenserwartungen an sich: Als Mitglied der Familie kommuniziert und verhält man sich gemäß einer anderen Logik als im Unternehmen. Doch wie kann man herausbekommen, nach welcher Logik man gerade angesprochen wird, und nach welcher man antworten soll? Für gewöhnlich wissen wir, in welchem Sozialsystem wir uns gerade befinden, ein Lehrer ist in der Schule eine andere Person als zu Hause (was nur gelegentlich, wenn ein Schüler ihn daheim besucht, zu leichten Verhaltensunsicherheiten führen kann). Der jeweilige Kontext bestimmt, welche Bedeutung einer Kommunikation zukommt, man spricht in dem Zusammenhang auch von Kontextmarkierung: Ein Satz wie ‚Jetzt mache ich dich fertig!’ wird durch den Kontext eines Schachspiels vor flackerndem Kaminfeuer völlig anders erfahren, als wenn der Sender der Botschaft in einer dunklen Gasse mit dem Messer vor einem steht.

Solche eindeutigen Kontextmarkierungen fehlen im Familienunternehmen durch die starke Durchdringung der Systeme: wann ist man „Familie“, wann ist man „Unternehmen“? So kann schnell Verwirrung entstehen, in der Regel nicht bewusst und daher nicht thematisierbar: ‚Wer bin ich eigentlich, als wer spreche ich, als wer werde ich angesprochen?’ Wohl jeder, der einer Unternehmerfamilie entstammt, kann davon berichten, wie wichtige Entscheidungen am Wohnzimmertisch, auf dem Sonntagsspaziergang oder beim Abendessen besprochen oder gar gefällt wurden, – und die Anekdote einer Unternehmensnachfolgerin, deren Vater in einer Aufsichtsratssitzung ihr die Brille mit den Worten reichte: „Mach mal eben sauber!“, zeigt, dass auch umgekehrt der Kontext „Unternehmen“ keine eindeutige Kontextmarkierung garantiert. Auch in die Räume der Firma kannFamilienkommunikation schnell „einbrechen“ und es bleibt unklar, als wer man gerade angesprochen wird: als Tochter oder Mitglied des Gremiums.
Ein prägnantes Fallbeispiel (von Schlippe, 2014, S. 61ff): Die Konflikte in Familie M. werden als „unerträglich“ beschrieben, der Bestand des Unternehmens sei gefährdet, wenn es so weitergehe. Frau M. (62) hatte es vor vielen Jahren gegründet, ihr Mann (64), hatte ihr hilfreich zur Seite gestanden, doch immer, wie beide sagen, „an zweiter Stelle“. Seit vielen Jahren ist Stefan M. (36) (der ältere von zwei Söhnen) im Unternehmen tätig, er hat sich früh auf die Nachfolge eingerichtet und trägt einen Doktortitel, der zu dem Geschäftsfeld passt. Bereits das erste Gespräch zeigt eine Familie in einem hochgradig eskalierten Konfliktstadium. Schon über scheinbar einfache Fragen gibt es kein Einvernehmen.
So antwortet Stefan M. auf die Frage, wer denn der Geschäftsführer des Unternehmens sei, dass er diese Funktion innehabe, worauf das Elternpaar mit heftigem Missfallen reagiert. Es ist schwer, herauszubekommen, wie es denn nun tatsächlich ist. Frau M. sagt auf entsprechende Nachfrage, die Position ihres Sohnes sei ja nur „Pro Forma!“ Geschäftsführer – und die Tatsache, dass er dies leugne, ein Beweis seiner Gestörtheit. Dieser betont seinerseits, dass seine Mutter „formal“ wohl noch zeichnungsberechtigt sei, aber eigentlich führe er das Unternehmen. Die Frage nach der Anteilseignerschaft führt in ähnliche Diffusität: der Sohn benennt sich als Eigentümer, Vater und Mutter bestreiten das heftig und beschreiben dann die Realitäten als nur „pro forma!“ Klare Aufteilungen von Eigner- und Führungsfunktionen sind offenbar nie vorgenommen worden. Von Kooperation ist auf der Führungsebene keine Rede, – dass die übrigen Mitarbeiter stark irritiert sind, versteht sich bei einer derartigen Konstellation von selbst. Die vielen Vorwürfe verdichten sich schließlich in dem von beiden Seiten völlig widersprüchlich dargestellten Sachverhalt der Übergabe der Anteile und der sich daraus ableitenden Rechte. Erst langsam klärt sich das Bild: die „Person Mutter“ hatte im Gefühl der „völligen Übereinstimmung“ zwischen ihr selbst und ihrem Sohn vor mehreren ihrem Sohn die Anteile übereignet und ihn in die Geschäftsführung geholt. Sie sei sich sicher gewesen, dass die gute Beziehung zu ihrem geliebten Sohn stärker sein werde als alle Bedenken. Es sei ja alles nur „pro forma“ gewesen, sie habe die bereits bestehende jahrelange gute Zusammenarbeit mit dem Sohn bestätigen wollen und war davon ausgegangen, dass sie als Unternehmerin die Schlüsselfigur bleibe. Innerlich, so wird im Gespräch klar, handelte sie als Mutter und unterstrich mit ihrer Handlung die Beziehung zu ihrem Sohn. Für diesen war diese Sicht völlig neu. Er hatte die Übergabesituation als Schritt in Erinnerung, der ihn ganz klar in die unternehmerische Verantwortung eingeführt habe – er hatte dieses Ereignis als „Person Nachfolger“ vor der Logik des Unternehmens erfahren, nicht zuletzt sei das für ihn der Ansporn gewesen, sich geradezu selbstausbeuterisch für das Unternehmen einzusetzen. Das Dilemma wurde so unmittelbar deutlich: Mutter und Sohn saßen sozusagen „auf zwei Stühlen“, jeder richtete seine Kommunikation an eine „leere Kommunikationsadresse“, denn der Platz des Sohnes, an den sich die Mutter richtete, war leer, genauso wie der Platz der Unternehmerin, mit der der Nachfolger meinte zu sprechen, nicht besetzt war. Die jeweils nicht erfolgte „passende“ Antwort wurde entsprechend als Infragestellung der eigenen Person verstanden – mit entsprechend tiefen Kränkungsgefühlen. Dabei war keiner von beiden „falsch“ oder gar „psychisch krank“, sondern jeder kommunizierte in der Logik eines anderen Bezugssystems, die Mutter in der Logik der Familie, der Sohn in der des Unternehmens (von Schlippe, 2014, S. 61ff).

Die Heftigkeit der Gefühle, die im Konfliktfall oft in Unternehmensfamilien zu beobachten ist, ist ein Indikator für das Vorliegen einer paradoxen Situation. Sie hängt damit zusammen, dass die Paradoxie zwar gefühlt, aber in der Regel nicht als solche erkannt wird. Zugleich spitzt die hohe Affektivität, die mit den Konflikten innerhalb der jeweiligen Systeme einhergeht, die Lage zu, denn es geht um viel: In der Familie geht es um emotionale Bindungen, um Wertschätzung und Anerkennung, im Unternehmen geht es um das Lebenswerk, umgeschaffene Werte und um die Existenz der Mitarbeiter. Im Eigentümersystem schließlich geht es um die Höhe der Ausschüttungen, um Einfluss und Kontrolle. All dies sind Bedingungen, die das einfache Verlassen des Feldes erschweren. Man kann nicht einfach gehen. In einer solchen Situation kann die Familie durchaus mit einem „Popcorntopf“ verglichen werden, in dem es hoch hergeht, laut knallt, ohne dass es einen Ausweg gibt.


4.2 „Sei gleichzeitig gerecht in beiden Systemen!“


Gerechtigkeit und Gleichheitsanforderungen in den Systemen „Familie, Unternehmen und Eigentümer“ sind die zweite zentrale Paradoxie, mit denen Familienunternehmensfamilien zu tun haben: Was als gerecht in einer Familie gilt, ist, wie oben beschrieben, nicht mit Gerechtigkeit im Unternehmen vergleichbar.
Unternehmen als aufgabenorientierte Systeme stellen die Funktionalität von Entscheidungen ins Zentrum. Als gerecht gilt hier, dass derjenige den meisten Einfluss und die beste Bezahlung erhält, der am höchsten qualifiziert ist, am meisten leistet und die überlebensfähigsten Entscheidungen trifft. Familien als bindungsorientierte Systeme orientieren sich an einem völlig anderen Gerechtigkeitsprinzip und zwar einem, das an die Loyalität zu jedem einzelnen geknüpft ist. Hieraus ergeben sich Verpflichtungen, die als zwingend erlebt werden (Stierlin 2005, S. 18f). Auch wenn das Ideal, dass jeder genau das gleiche bekommt, nicht dauerhaft zu realisieren ist, ist doch die Erwartung von Gleichbehandlung in der Familie jederzeit thematisierbar. Um das Gerechtigkeitsparadox kommt wohl kein Familienunternehmen herum, das sich mit der Frage nach familieninterner Nachfolge, sei sie operativ oder vermögensrechtlich, auseinandersetzt, zumindest im Fall, dass es zugleich mehrere mögliche Kandidaten gibt.
An Regelungen, die hier getroffen werden,können Familien und mit ihnen Unternehmen zerbrechen. Dies hat vermutlich damit zu tun, dass sich an der Frage nach Gerechtigkeit in den Familien existenzielle Fragen anknüpfen: was ist mein Platz in der Familie, werde ich geliebt, passen meine Bilder davon, wie ich gesehen werde, zu denen der anderen und so weiter? Die Stärke der Bindungen in der Familie drückt sich in „unsichtbarer Treue“ aus, verbunden mit einer starken Erwartung, dass die langfristig geführten „unsichtbaren Verrechnungen“ auf den „Beziehungskonten“ von Geben und Nehmen einmal ausgeglichen werden. Dankbarkeit, Wertschätzung, aber durchaus auch handfeste Formen von Ausgleich werden erwartet.
Wenn diese Erwartungen enttäuscht werden – etwa indem sich im Erbfall zeigt, dass der Erblasser ganz anders entschieden hat, als man selbst „selbstverständlich“ erwartete, können sich Gefühle, verraten und betrogen zu sein, einstellen (Stierlin 2005, S. 20). Sie gehören zu den tiefsten Verletzungen, die Menschen empfinden können. Entsprechend heftig und nicht selten destruktiv sind die Formen, wie man sich hier zur Wehr setzt und zurückschlägt, wenn man Grundwerte als verletzt ansieht, die man verinnerlicht hat. Diese Gerechtigkeitsprämissen werden von Menschen sehr unterschiedlich definiert und erlebt – und nur selten werden sie im Vorhinein besprochen, definiert oder gar abgestimmt.


Unternehmensführung
Finden Sie den kleinen Unterschied, den der Zeichner eingefügt hat?

5. Paradoxien Balancieren


Paradoxien sind nicht lösbar, sonst wären es einfache Konflikte. Der Versuch, sie durch Entscheidungen schnell zu lösen (durch „Basta“-Entscheidungen), vertieft die Problematiken oft langfristig. Das Beispiel des Vaters, der seinen Sohn per Einschreiben und in „Sie“-Form auffordert, sich von seiner Freundin zu trennen, wenn er nicht enterbt werden wolle, zeigt, wie der Versuch, die Paradoxie der Gleichzeitigkeit von Unternehmens- und Familienkommunikation durch „Löschung“ eines Bereiches zu lösen („Ich bin nur noch Unternehmer“), das
Problem eher verschärft: natürlich trennte der Sohn sich nicht, er verließ das Unternehmen, die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist bis heute massiv beeinträchtigt. Schlüssel für einen „paradoxiefreundlichen“ Umgang mit Komplexität ist daher das Herstellen von Bewusstheit, „Consciousness Raising“ nennen es Harvey und Evans (1994). Es geht dabei um die Entwicklung der Fähigkeit, sein eigener Beobachter zu werden, also
der Versuchung zu widerstehen, die Paradoxie durch einfache Formen der Komplexitätsreduktion zu lösen, wie: „Es ist alles deine Schuld“, „Du kannst ja nur nicht loslassen!“ und so weiter. Dieses „Prinzip der Selbstreferenz“
gilt für Personen wie für Organisationen: Es braucht einen bewussten Umgang mit den Fallen, in die eine Paradoxie die Beteiligten manövrieren kann (ausführlich hierzu von Schlippe et al., 2011). Wer sich bewusst wird, dass er in einer Paradoxie steckt, ist bereits nicht mehr ganz ihr Gefangener. Denn dann kann er nicht mehr einfach den anderen als den Auslöser für die eigenen negativen Gefühle sehen. Wenn ihm/ihr bewusst wird, dass beide Parteien in einer paradoxen Falle stecken, ist die Ausgangssituation schon anders. Bewusstheit jedoch verlangt vor allem, eine Spannungssituation auszuhalten und sie nicht vorschnell durch Lösungen zu beenden. Auch Strategien, Methoden, wie sie von Ratgebern nahegelegt werden, können genauso wenig wie ausgeklügelte Vertragsklauseln darüber hinwegtäuschen, „dass unser soziales Leben nicht
‚planbar’ ist und nicht alle Unwägbarkeiten, die sich in familiären Konflikten ergeben, schnell und elegant ‚balanciert’ werden können. Familie ist und bleibt ein kompliziertes und oft genug fragiles Gebilde – und dies gilt jenseits aller Steuerungsversuche auch – und vielleicht noch mehr – für das Familienunternehmen.“ (von Schlippe u. Klein, 2010, S.19).

L i t e r a t u r

Geyer, P., (2002). Das Paradox: historisch-systematische Grundlegung. In: R. Hagenbüchle, P. Geyer (Hg.), pp. 11–24.

Gimeno, A., G. Baulenas & J. Coma-Cros, (2010). Familienunternehmen führen – Komplexität managen:
Neue Denkmodelle und praktische Lösungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Habbershon, T. G., M. L. Williams & I. C. MacMillian, (2003). A unified systems perspective of family firm performance. Journal of Business Venturing, 18, 451–465.

Hagenbüchle, R., (2002). Was heißt ‚paradox’? EineStandortbestimmung. In: R. Hagenbüchle, P. Geyer
(Hg.), pp. 27–43.

Hagenbüchle, R., P. Geyer (Hg.), (2002). Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Harvey, M., R. E. Evans, (1994). Family business and multiple levels of conflict. Family Business Review,
7(4), 331–348.

Kellermanns, F., von Schlippe, A. (2010). Konflikte in Familie und Unternehmen erkennen, managen und vermeiden. In: A. Koeberle-Schmid, H.-J. Fahrion, & P.Witt. (Hg.), Family Business Governance. Erfolgreiche Führung von Familienunternehmen. Berlin: Erich Schmidt, 309–320.

Klein, S. B., (2010). Familienunternehmen: Theoretische und empirische Grundlagen. Lohmar: Eul.

Kormann, H., (2011). Zusammenhalt der Unternehmerfamilie. Berlin/Heidelberg: Springer.

Rüsen, T., (2009). Krisen und Krisenmanagement inFamilienunternehmen. Wiesbaden: Gabler.

von Schlippe, A., (2014). Das kommt in den bestenFamilien vor. Systemische Konfliktberatung in Familien und Familienunternehmen. Stuttgart: Concadora.

von Schlippe, A., H. & Frank, (2013). The theory of social systems as a framework for understanding family businesses. Family Relations, 62, 384–398.

von Schlippe, A., T. Groth, M. Plate, (2011). Entscheidungsfähigkeit sicherstellen: Familienstrategie in Familienunternehmen. In: M. Plate, T. Groth, Ackermann, V., von Schlippe, A., Große deutsche Familienunternehmen. Göttingen: Vandenhoeck & Rup recht, S. 522–562.

von Schlippe, A., S. Klein, (2010). Familienunternehmen – blinder Fleck der Familientherapie? In:
Familiendynamik 35(1), S. 10–21.

Simon, F. B., (2002). Paradoxien in der Psychologie. In: R. Hagenbüchle, P. Geyer, (Hg.), pp. 71–88

Sirmon, D.G. & M. A. Hitt, (2003): Managing resources:Linking unique resources, management, and wealth creation in family firms. EntrepreneurshipTheory and Practice, 27, 339–358.

Stierlin, H., (2005). Gerechtigkeit in nahen Beziehungen.Heidelberg: Carl Auer Systeme. Stiftung Familienunternehmen, (2011). Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen. München, Germany.

Wimmer, R., E. Domayer, M. Oswald, G. Vater, (2005). Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp? Wiesbaden: Gabler, 2. überarb. Aufl.

Prof. Dr. Arist von Schlippe
Autor

Private Universität Witten/Herdecke gGmbH

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle GaLaBau Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen