Experimente mit Substraterhöhungen auf Flachdächern

Artenvielfalt und Biodiversität bei Minimalbegrünungen

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Ansaatmischungen Substrate
Überblick auf die Versuchsanlage in München: Dies sind zwei der vier Versuchsflächen. Im Vordergrund die Fläche 2, im Hintergrund stark blühend die Fläche 1. Foto: Reinhard Witt

Der Klimawandel steht nicht vor der Haustür, er hat die Tür eingetreten und steht schon im Wohnzimmer. Ebenso geht es mit dem Artensterben oder dem generellen Biodiversitätsschwund. Alle bisherigen Maßnahmen waren entweder unzureichend oder wirkungslos. Wir müssen also noch einmal neu nachdenken. Ins Auge fallen dabei die sogenannten Gründächer, die von vielen Kommunen bei Neubauten inzwischen sogar vorgeschrieben werden. Allerdings reicht das Vorschreiben überhaupt nicht aus, wenn nicht definiert wird, was da oben drauf soll.

Es geht dabei nicht nur um die Substrathöhe, sondern auch um die Substratqualität und letztlich am meisten um die Art der Bepflanzung beziehungsweise die Ansaatenmischung. Die hier vorgestellten Versuche zeigen, dass wir mit einer neuen Art der Dachbegrünung, mit neuen Konzepten bezüglich der Substrate und Ansaaten genau diese Themen bearbeiten können. Die hier vorgestellten Untersuchungen belegen Folgendes. Die aufgezeigte, neue Form des Biodiversitätsdaches ist:

  • wirksam gegen das Artensterben;
  • hilft gegen den Biodiversitätsschwund;
  • kommt mit den Extremen des Klimawandels besser zurecht.

Heutige Extensiv-Substrate

Dieser Zwischenbericht soll den gegenwärtigen Stand der Forschung auf einem Objekt in München zeigen. Er berichtet über den Zeitraum ab 2018 bis 2021, überschaut also fünf Jahre. Zunächst erfolgt ein Überblick über heutige Extensiv-Substrate, danach wird die experimentelle Situation auf dem Dach gezeigt.

Bei vielen Flachdachbegrünungen der Vergangenheit mit Billigsubstraten wurden sehr dünne und qualitativ minderwertige Ziegelsplitt-Substrate verwendet. Sie sind meist 6 bis 10 cm dick und können für Extremsituationen nur wenig Wasser speichern. In der Praxis stellen wir folgendes fest:

  • je trockener es wird, umso mehr leidet die Vegetation;
  • es werden oft zu artenarme Mischungen verwendet;
  • heiße Jahre reduzieren auch bei artenreicheren Mischungen das Artenspektrum.

Neben dem chronischen Wassermangel bekommen viele Arten auf Billigsubstraten Nährstoffprobleme. Deshalb finden sich ziemlich oft nur noch oder überhaupt nahezu reine Sedumbegrünungen. Diese Artenarmut ist nicht mehr hinzunehmen. Im Zeichen von Klimakrise und Artensterben benötigen wir auch tierökologisch wertvollere Dachbegrünungen.

Das Gewerbedach in München

Genau eine solche Situation lag auf dem Gewerbekomplex im Norden Münchens vor. Es handelt sich um ein klassisches Extensivdach mit einer Minimalbegrünung auf rund 3350 m². Das Leistungsverzeichnis vom 22. Oktober 2013 definiert das vorhandene Dachsubstrat so:

  • 2.01.0160. Extensivsubstrat, d = circa 8 cm;
  • Extensives einschichtiges Vegetationssubstrat;
  • mineralisches Schüttstoffgemisch mit geringen Anteilen organischer Substanz für einschichtige Extensivbegrünungen nach FLL-Richtlinie (oder gleichwertig) einbauen;
  • Höhe: circa 8 cm;
  • Verdichtungsfaktor für Transport und Einbau: circa 15 Prozent;
  • Einbaugenauigkeit: ± 1,5 cm;
  • Vol.-Gew. trocken: circa 800-850 kg/m³;
  • wassergesättigt: circa 1100-1150 kg/m³.

Das Substrat ist stark mineralisch, enthält rwenig Wasserspeichervolumen und ist wenig geeignet für Extremwetterereignisse, wie wir sie immer stärker bekommen haben und werden. Auch die Ansaatmischung auf dem Dach ist nicht zukunftsfähig. Der Ausschreibungstext sah folgendes vor:

  • 02.01.0170. Extensivbegrünung durch Ansaat;
  • Samenmischung Kraut-Sedum für naturnahe Trockenstandorte;
  • Säfertige Mischung inklusive Samenhaftkleber und organischer Basisnahrung liefern, fachgerecht ausbringen und anfeuchten zur Aktivierung des Klebeeffekts;
  • Vegetationscharakter: wilde Wiese;
  • Verbrauch: 100 g/m².

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Versuchsanordnung in München

Im Grunde können wir an drei Stellschrauben für eine hochwertigere Dachbegrünung drehen: besseres Substrat, mehr Substrat und mehr Pflanzenarten setzen/säen. Um eine zukunftsfähigere Lösung auch im Sinne einer höheren Biodiversität zu bekommen, wurden 2018 auf dem Dach des Einkaufszentrums verschiedene Versuchsflächen geschaffen. Das waren die vier Versuchsanordnungen:

  • Versuchsfläche 1: Erhöhung um 7 cm Intensivsubstrat + 2 cm Kompost + artenreiche Ansaat;
  • Versuchsfläche 2: Erhöhung um 2 cm Kompost + artenreiche Ansaat;
  • Versuchsfläche 3: kein Kompost + artenreiche Ansaat;
  • Versuchsfläche 4: kein Kompost + gar keine Ansaat.

Verwendet wurde ein eigens gefertigtes Intensivsubstrat mit höher Wasserspeicherkapazität. Das neu aufgebrachte Substrat wurde dabei so modelliert, dass unterschiedliche Höhen entstanden. Die verwendeten Mischungen und Einzelarten sowie die ausgepflanzten Wildblumenzwiebeln waren ansonsten auf allen Versuchsflächen gleich. So wurde es möglich, die Auswirkung einer höheren Substratschicht festzustellen. Zusätzlich zum neuen Substrat/Ansaaten erhielten die Versuchsflächen 1 und 2 zur Strukturierung und Optimierung für mehr Biodiversität auf circa 10 Prozent der jeweiligen Fläche:

  • 10 m² mit Sand: An 4 bis 5 Stellen wird nicht das neue Substrat, sondern 15 cm hoch, reiner Grubensand 0/4 mm als Brutplatz für Wildbienen und Grabwespen angelegt;
  • Dito mit 10 m² reine Kiesflächen an 4 bis 5 Stellen mit Kies 0/16 mm;
  • Aufbau mehrerer Steinhaufen mit 0,5 m³ Gesamtgewicht aus Schroppen 10 bis 30 cm pro Versuchsfläche;
  • Außerdem Einbau von vier bis sechs Baumstämmen pro Versuchsfläche.

Neuartige Intensiv-Substrate

Angesagt sind folglich statt billiger Extensiv-Substrate qualitativ hochwertige Intensiv-Substrate mit Substrathöhen zwischen 15 und 25 cm. Ins Rezept der Zukunft von Gründächern gehören folgende Zutaten:

  • wasserspeichernde Intensivsubstrate mit Lava, Bims, Blähschiefer oder Blähton statt üblicher Billigmischungen und Minimalbegrünungen von Extensiv-Substraten;
  • Substrathöhe von mindestens 15 cm im Schnitt;
  • eine modellierte Dachlandschaft mit kleinklimatischen Unterschieden;
  • der Einbau von Strukturen wie Sand, Totholz und Steinen;
  • Artenreichtum mit heimischen Wildpflanzen der Trockenstandorte.

Ansaatmischungen für die Versuchsflächen

Alle Versuchsflächen 1 bis 3 mit je 225 m² Fläche erhielten identische Ansaaten. Sie 0bestanden aus einer sehr speziellen Basismischung aus über 50 Wildblumenarten. Dazu kam Einzelsaatgut von 31 vorwiegend heimischen Arten der Trockenstandorte. Außerdem ergänzten Zwiebeln aus 37 Arten/Sorten die Artenanreicherung. Die Ansaaten fanden am 19.07.18 statt. Es wurde nicht gewässert. Die Ansaaten keimten trotzdem gut und hielten sich bis Ende 2019 unbeschadet, trotz vieler heißer Tage. Versuchsfläche 4 wurde so gelassen wie sie war.

Und nun die ersten vorläufigen Tendenzen. Erste Ergebnisse nach vier Jahren.

Versuchsfläche 1

Erhöhung um 7 cm Intensivsubstar + 2 cm Kompost + artenreiche Ansaat

Die Substraterhöhung wirkte sich positiv auf die Ansaaten aus. Bereits nach drei Monaten ergab sich ein sehr ansprechendes Bild durch rosa Nelkenleimkraut. Auch andere Einjährige wie Wegerich-Natternkopf oder Bittere Schleifenblume keimten gut. Die dauerhaften Arten keimten im Schatten der Einjährigen viel langsamer, aber sie kamen. Die Keimlingsgröße und Dichte war auf diesem Dach am höchsten. Eine durch und durch positive Entwicklung, die sich auch der 2. Saison durchzog. Auch die Zwiebeln hatten einen guten Start. Zusammenbrüche in den folgenden Jahren konnten aus eigener Kraft kompensiert werden.

Versuchsfläche 2

Erhöhung um 2 cm Kompost + artenreiche Ansaat

Die Anreicherung mit 2 cm Kompost wirkte sich nicht stark auf die Ansaat aus. Am meisten profitierte der Weiße Mauerpfeffer aus dem Altbestand, der sich explosionsartig ausbreitete. Von Nelkenleimkraut, Wegerich-Natternkopf oder Bitterer Schleifenblume war auf dieser Fläche nicht viel zu sehen. Die dauerhaften Arten keimten sehr verhalten, ihre Keimlinge waren klein und spärlich. Diese zögerliche Entwicklung setzte sich die kommenden Jahre fort. Zwiebeln zeigten sich aber lange nicht so stark wie auf der um 7 cm erhöhten Fläche.

Versuchsfläche 3

Alles bleibt, wie es ist + artenreiche Ansaat

Hier passierte nahezu nichts. Die artenreiche Ansaat hatte keinen Effekt und war zumindest in den ersten zwei Jahren nahezu nicht zu finden. Allenfalls Einzelexemplare bestimmter Arten traten auf. Nun wenige, verhältnismäßig kleinwüchsige Zwiebeln waren zu sehen. Das trostlose Bild dieser Fläche blieb erhalten.

Versuchsfläche 4

Kein Kompost + keine artenreiche Ansaat

Hier passiert im Grunde fast gar nichts: Alles bleibt so wie es war.


Fazit

Diese ersten Versuche haben gezeigt, dass wir mit Substraterhöhungen aus Minimalbegrünungen artenreiche Biodiversitätsdächer machen können. Sie sind selbsterhaltend, weisen eine sehr viel höhere Artenzahl von Pflanzen und Tieren auf und trotzen dem Klimawandel. Diese Versuche werden fortgesetzt. Dies ist nur ein Zwischenbericht.

Dr. Reinhard Witt
Autor

Freiberuflicher Biologe, Journalist und naturnaher Grünplaner

Reinhard Witt - Fachbetrieb für naturnahe Grünplanung

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