Aktuelle Diskussion um die „richtige Ermittlung“ nach dem BGH-Urteil vom 26.10.2017 (BGH v. 26.10.2017 – VII ZR 16/17) – Bestandsdarstellung und Hinweisgebung aus baubetrieblicher Sicht

Baubetriebliche Berechnung eines Entschädigungsanspruches nach § 642 BGB

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Das BGH-Urteil vom 26.10.2017 hat in den letzten knapp zwei Jahren für einen enormen Wirbel sowohl in der baurechtlichen als auch in der baubetrieblichen Denkwelt gesorgt. Nahezu im Monatstakt werden seither neue Ermittlungsmethoden für den Anspruch selbst sowie Spezialanwendungen für nicht erfasste Mehrkosten vorgestellt und kontrovers diskutiert. Geradezu fatalistisch werden derzeit auch zukünftige Tagungs-Oberthemen wie "BGH-Urteil zu § 642 BGB: Sind Bauzeitnachträge zwecklos?" formuliert.² Nachfolgender Beitrag unternimmt den Versuch einer Ordnung der derzeitigen Diskussion, zeigt die nicht abschließend geklärten Problemfelder auf und gibt Empfehlungen zur Darstellung des Entschädigungsanspruches aus baubetrieblicher Sicht für die Praxis zum jetzigen Zeitpunkt.

Reister und Werner führen in ihrer Neuauflage des Standardwerkes "Nachträge beim Bauvertrag" erneut aus, dass die Ermittlung der Vergütung nach § 642 BGB derzeit noch baubetriebliches Neuland sei.³ Unberechtigt erscheint diese Ausführung nicht, da sich insbesondere seit der Einführung des § 642 BGB in den § 6 Abs. 6 VOB/B in Satz 2 (VOB 2006)4 eine Vielzahl von Rechtsprechungen und baujuristisches wie baubetriebliches Schriftentum mit Fragestellungen zur Art und Höhenermittlung des Entschädigungsanspruches auseinandersetzt.5 Vor dem Hintergrund des Verzeichnens eines Anstieges von massiv gestörten Bauabläufen in der hochkonjunkturellen Phase gewinnt diese Diskussion erhöhte Brisanz, insbesondere deshalb, da die Anspruchsgrundlage § 642 BGB aufgrund der Abstellung auf die Auftragskalkulation als deutlich einfacher zu ermitteln gilt6 als eine Schadensersatzermittlung nach § 6 Abs. 6 VOB/B. Mit dem neuen BGH-Urteil gilt zum einen: "Der BGH hat am 26.10.2017 dem vielerorts propagiertem nahezu grenzenlosen Anwendungsbereich des § 642 BGB einen klaren Rahmen entgegengesetzt. Dabei hat er zugleich einige Diskussion in Rechtsprechung und Literatur beendet [ . . .]"7 zum anderen ist die Berechnungssystematik erneut in der Literatur in Frage gestellt worden.8

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Anwendungsbereich des § 642 BGB

Der § 642 BGB wurde im Satz 2 des § 6 Abs. 6 VOB/B ergänzt und regelt einen Anspruch auf angemessene Entschädigung für all jene Fälle in denen der Auftraggeber in Annahmeverzug gerät, indem er seinen Mitwirkungsverpflichtungen nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt.9 Kapellmann et al. differenzieren hierbei zutreffend wie folgt: "Der Auftragnehmer kann sich aussuchen, ob er seinen Anspruch auf § 6 Abs. 6 Satz 2 VOB/B, § 642 BGB oder auf § 6 Abs. 6 Satz 1 VOB/B stützt, vorausgesetzt, dass der Auftraggeber eine erforderliche Mitwirkung unterlassen hat [keine Mitwirkungshandlung erbringt, sie nicht rechtzeitig erbringt oder mangelhaft erbringt], nicht dagegen, wenn er aktiv stört."10 Dabei ist die Anwendung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die nachfolgend aufgelistet werden:

  1. "Der AG hat vertragliche Mitwirkungsverpflichtungen.
  2. Der AN ist leistungsbereit und bietet seine Leistungserbringung an.
  3. Der AG beziehungsweise sein Vorunternehmer hat eine erforderliche und ihm obliegende Handlung, zum Beispiel die rechtzeitige Bereitstellung einer Vorleistungspflicht, nicht erfüllt, nicht rechtzeitig erfüllt oder nicht ordnungsgemäß beziehungsweise mangelhaft erfüllt, so dass der AG die Leistungen des AN nicht ausführen lassen kann, d. h., der AG ist in Annahmeverzug geraten. Dies setzt kein AG-seitiges Verschulden (z. B. mangelnde Koordinierung) voraus.
  4. Es ist nachweisbar zu einer tatsächlichen Behinderung in der Bauausführung des AN gekommen (kausaler Nachweis [Basis § 286 ZPO]).
  5. Der Auftragnehmer hat die entsprechende Behinderung dem Auftraggeber in einer qualifizierten Behinderungsanmeldung zeitnah angezeigt und hat ihn auf die Auswirkungen der Behinderung hingewiesen oder die Behinderung und deren Auswirkung waren offenkundig (Anzeigepflicht).
  6. Die Behinderungen in der Bauausführung und die damit verbundenen Mehrkosten sind ursächlich mit der angezeigten Behinderung verbunden (Ursächlichkeit [Basis § 287 ZPO])."¹¹

Insbesondere der Punkt 6 hat in dem neuen Urteil vom 26.10.2017 eine deutliche Konkretisierung erfahren - sie bildet die Basis für die nachfolgenden Ausführungen.

Kernaussagen des BGH-Urteil vom 26.10.2017- VII ZR 16/17

Zu dem BGH-Urteil vom 26.10.2017 werden folgende vier Leitsätze zu § 642 BGB aufgeführt:

"1. § 642 BGB gewährt dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür, dass er während der Dauer des Annahmeverzugs des Bestellers infolge Unterlassens einer diesem obliegenden Mitwirkungshandlung Personal, Geräte und Kapital, also die Produktionsmittel zur Herstellung der Werkleistung, bereithält.*)

2. Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers, aber erst nach dessen Beendigung anfallen, nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung, sind vom Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB nicht erfasst.*)

3. Bei dem Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB handelt es sich um einen verschuldensunabhängigen Anspruch eigener Art, auf den die Vorschriften zur Berechnung des Schadensersatzes (§§ 249 ff. BGB) nicht anwendbar sind.

4. Die Höhe eines Entschädigungsanspruch aus § 642 Abs. 2 BGB bestimmt sich nach der Höhe der vereinbarten Vergütung und umfasst auch die in dieser Vergütung enthaltenen Anteile für Wagnis, Gewinn und Allgemeine Geschäftskosten."¹²

Für die Anwendung des Entschädigungsanspruches nach § 642 BGB ergeben sich hieraus folgende neue Konsequenzen:

  1. Es erfolgt eine Beschränkung der Entschädigungshöhe auf den Annahmeverzug¹³ (Primärstörung), das heißt, dass die Entschädigung nur noch auf den Störungszeitraum berechnet werden darf und nicht mehr wie häufig zuvor auf den Bauzeitverlängerungszeitraum. Damit kommt der produktionsorientierten Detailterminplanung eine noch höhere Bedeutung zu, da dieser Zeitraum nur hieraus exakt ableitbar ist.
  2. Verbunden damit dürfen Mehrkosten, die erst nach dem Störungszeitraum auftreten, aber kausal auf die Störung zurückzuführen sind wie beispielsweise gestiegene Lohnkosten, nicht mehr unter dieser Anspruchsgrundlage subsumiert werden.14 Das bedeutet, dass nur noch die primären Störungskosten entschädigt werden, hingegen nicht mehr die sekundären Störungskosten (weitergehende Produktivitätsverluste, Lohn- und Materialpreissteigerungen, verlängerte Bürgschaftskosten etc.)
  3. Der Entschädigungsanspruch ist ein "Anspruch eigener Art", der sich nach der Höhe der vereinbarten Vergütung bestimmt und damit kalkulationsgebunden sein muss, aber sich nicht äquivalent einem Anspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B bestimmen lassen dürfte.15
  4. Die Mehrkosten dürfen nun auch den Wagnis und Gewinnanteil beinhalten.16

Die Punkte 3 und 4 bilden den derzeitigen baubetrieblichen Diskurs, obwohl nach Auffassung des Verfassers dem Punkt 1 eine stärkere Praxisrelevanz zukommen dürfte. Zudem könnte dies speziell von einer "Gerechtigkeitsdiskussion" angetrieben werden.

Die derzeitige baubetriebliche Diskussion: Berechnung der Entschädigungshöhe "von unten" oder "von oben"

Nach derzeitigem Wissensstand bestimmt sich die Höhe der Entschädigung einerseits nach der Dauer des Verzuges und der Höhe der vereinbarten Vergütung (Auftragskalkulation17), anderseits nach den ersparten Aufwendungen und/oder durch die anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft.18 Dazu ist Folgendes im Vorfeld festzuhalten: die Berechnungsmethode ist obergerichtlich derzeit noch ungeklärt, ebenfalls in der Literatur.19 Folgende derzeitigen Berechnungsmodelle - beziehungsweise -methodiken (besser Bezeichnungen) existieren derzeit in der baubetrieblichen Literatur:20

  1. Schadensersatzangeleitet:
    • Schadensersatzanspruch eigener Art (Kniffka-Pause unter Bejahung analoger Anwendung von § 254 BGB)²¹
    • Schadensersatzähnlicher Anspruch
    • Verschuldensunabhängiger Entschädigungsanspruch
  2. Vergütungsabgeleitet in Anlehnung an § 2 Abs. 5 VOB/B
    • Vergütungsähnlicher Anspruch (so bei Kapellmann et al.²²; Roquette et al.)
    • Anspruch mit vergütungsgleichem Charakter (der Bezeichnung nach Keldungs in Ingenstau/Korbion)
    • Berechnung von "unten" (KG Berlin, IBR 2019, 122; Reister/Werner)
  3. Abgeleitet aus dem Begriff "angemessene Preise"
    • Richterliche Schätzung (Bötzkes "Mindestschaden")
    • Berechnung von "oben" (Althaus/Bartsch; Bolz; Drittler; Hitzel; der Berechnung nach Keldungs in Ingenstau/Korbion; Krebs; LG Mosbach, IBR 2018, 1036; Würfele/Gralla/Sundermeier)
    • Anspruch eigener Art (Lang/Rasch)

Allerdings werden gewisse Ansätze nach dem jüngsten BGH-Urteil vom 26.10.2017²³ im Kontext des § 642 BGB stärker in der baubetrieblichen Diskussion nach vorne gestellt. Vorrangig sind hierbei die Aufsätze von Zacharias und Hitzel von Ende 2017 in der Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Lang zu nennen, sowie die von ihnen hieraus veröffentlichten Aufsätze auf IBR-Online. Dabei werden zwei Berechnungsmodelle aufgegriffen:

"Beim Berechnungsmodell 'von unten' werden die Kosten für die Ressourcen, die infolge der Unterbrechung [. . . ] entstehen, ermittelt. Diese werden dann mit AGK und Wagnis und Gewinn bezuschlagt. Dabei werden die ersparten Aufwendungen und der anderweitige Erwerb dadurch berücksichtigt, dass sie nicht mehr in Ansatz gebracht werden.

Das Berechnungsmodell 'von oben' ermittelt die Kosten [Vergütung], die vom Auftragnehmer erwirtschaftet worden wären, wenn die Störung nicht entstanden wäre und zieht hiervon die ersparten Kosten und den anderweitigen Erwerb ab. Dabei sind die tatsächlichen Ersparnisse abzuziehen [§ 287 ZPO - Anhaltspunkte hierzu kann Auftragskalkulation sein]."24

Oder "baubetrieblicher" ausgedrückt:

"Beim Berechnungsmodell 'von oben' wird die im Annahmeverzugszeitraum nicht mögliche Bauleistung ermittelt, mit den Vertragspreisen bewertet und die ersparten Aufwendungen subtrahiert (reduzierte Vergütung).

Beim Berechnungsmodell 'von unten' werden dagegen diejenigen Vergütungsbestandteile addiert, die infolge der Unterbrechung oder der Verzögerung vom Unternehmer für die Herstellung der Werkleistung innerhalb des Annahmeverzugszeitraums vergeblich bereitgehalten werden (Bereitstellungsvergütung)."25

Demzufolge werden bei dem Berechnungsmodell "von oben" grundsätzlich alle Kosten als Entschädigungskosten angesetzt, die sich nicht ersparen ließen oder anderweitig erwirtschaftet werden konnten. Nur mit diesem Modell ließen sich die Ansprüche des Auftragnehmers zutreffend ermitteln (Grund: Leistungsbereitschaft während der Störung).26 Hitzel präferiert ausdrücklich das Modell "von oben", insbesondere für die Störungsart der Unterbrechung (= wie Störungsart "Verschiebung"). Somit ergibt sich:

Entschädigungsanspruch = Vergütung für Annahmeverzugszeitraum [EKT Lohn, Material, Gerät, Nachunternehmer, Sonstiges + BGK + AGK + WuG] - ersparter tatsächlicher Kosten aus der Vergütungsermittlung [z. B. EKT Material, Nachunternehmer, ersparte BGKs] - anderweitigem Erwerb [z. B. EKT Lohn, AGK]

Beide "Abzugspositionen" bei dem Modell "von oben" stellen nun die entscheidende Größe bei der Ermittlung des Entschädigungsanspruches dar. Grundsätzlich sind auch hier die Auffassungen in der Literatur divergent. Der Verfasser vertritt hierzu folgende Auffassung:

  • Ersparte Kosten: Kosten, die der AN nicht aufwenden musste (kurzfristig abbaubare Kosten).Basis ist die tatsächliche Kostenentwicklung im Auftrag unter Berücksichtigung von Vergabegewinnen und -verlusten - kann jedoch bei keinen greifbaren Anhaltspunkten aus der Urkalkulation (EKT-Ebene) abgeleitet werden ("Opfergrenze").
  • Anderweitiger Erwerb: Erlös des AN durch anderweitige Verwendung seiner Ressourcen (nicht kurzfristig abbaubare Kosten).Ersatzauftrag, der kurzfristig unter zumutbaren Konditionen annehmbar wäre - muss von dem gleichen AG ausdrücklich als Ersatzauftrag erklärt werden. Dabei gilt, dass die Verteilung von Arbeitskräften auf andere Bestandsbaustellen keine echten Ersatzaufträge seien, sondern nur sog. Füllaufträge.27 Der Sonderumstand des § 642 BGB rechtfertigt es jedoch, "das im Einzelfall auch dann anderweitiger Erwerb gegenzurechnen ist, wenn kein gesonderter Füllauftrag hereingeholt wird."28 (Kompensation durch Bestandsaufträge - allerdings müsse es sich um den Werklohn aus Verträgen handeln, die ohne den Annahmeverzug nicht hätten abgeschlossen werden können).29 Jedoch können als Kompensation auch Nachträge in Betracht kommen30 (Vorlage eines Ursachenzusammenhanges aus gleichem Auftrag). Tomic führt dies zutreffend formelhaft aus: "Ausgleich durch anderweitigen Erwerb nur bei voller oder nahezu voller Betriebsauslastung."³¹

Bei dem Berechnungsmodell "von unten" wird hingegen bei der Berechnung des Entschädigungsanspruches wie folgt vorgegangen:

Entschädigungsanspruch = Bereitgestellte Ressourcen für Annahmeverzugszeitraum [EKT Lohn, Gerät, Nachunternehmer + BGK + AGK + WuG]

Ferner ist der Entschädigungsanspruch mit dem aktuellen Mehrwertsteuersatz zu beaufschlagen.³²

Erkannte Problemfelder

Betrachtet man die beiden beleuchteten Berechnungsmodelle lassen sich unzweifelhaft einige problembehaftete Feststellungen aufzeigen, wobei sich das Hauptproblem im Vorfeld klar benennen lässt: Beide Modelle führen zu ungleichen Ergebnissen. Dies dürfte bereits in sich zu einer "Gerechtigkeitsdebatte" bei der Forderung von Entschädigungsansprüchen führen. Weiterhin lassen sich die Problemfelder wie folgt differenzieren:

  1. Der fortgeschriebene (= aktuelle) Bauzeitenplan muss zur Berechnung nach den Modellen zwangsläufig aus der Auftragskalkulation hergeleitet werden.³³ Dabei muss er für das Modell "von unten" die kalkulierten Ressourcen je Vorgang enthalten, für das Modell "von oben" die vereinbarte Vergütung je Vorgang. Dies ist grundsätzlich möglich - in der Baurealität jedoch kaum anzutreffen.
  2. Bei dem Modell "von oben" dürfte sich speziell zu den ersparten Aufwendungen immer wieder eine große Diskussion um die BGKs einstellen; dies insbesondere vor dem Hintergrund der geläufigen Praxis im GalaBau einen Großteil der Gerätekosten in die BGKs zu verlagern.
  3. Bei dem Modell "von unten" ist es in der Literatur weiterhin unklar, ob die AGKs über das Zuschlagsverfahren oder über das Unterdeckungsverfahren ermittelt werden müssen.34
  4. Bei dem Modell "von oben" führen "kostenunscharfe Kalkulationen" zu einem Vorteil35, da eine Trennung zwischen Vergütung und ersparten Aufwendungen schwierig werden dürfte. Dieser Umstand dürfte die reine "Preisschreiberei" in der Praxis wieder befeuern.
  5. Das Modell "von oben" lässt sachlogisch keine Betrachtung von Sonderkosten wie Rechtsanwaltsgebühren zu, da sie nicht Bestandteil der Vergütung im Annahmeverzugszeitraum sind; die fehlende Erstattungsfähigkeit müsste klar geregelt werden.36
  6. Die Erstattung von "leistungsbezogenem W+G" einerseits (Modell "von oben") und die Bezuschlagung mit "leistungsbezogenen W+G" (Modell "von unten") führt zu ungleicher Behandlung des W+G-Zuschlages.

Damit kann konstatiert werden: Die im Bauwesen angewendete Opitz' sche Zuschlagskalkulation - im GaLaBau regelmäßig in dem Kalkulationsverfahren "Kalkulation mit vorbestimmten Zuschlagssätzen" umgesetzt - ist kaum geeignet, Kostenansätze in der gebotenen Trennschärfe darzustellen. Dies gilt vor allem für die Darlegung sämtlicher Gemeinkosten (Aufgliederung der Gemeinkostenzuordnung, Klassifizierung in Zeit- und Zeitunabhängigkeit usw.).

Empfehlungen zum Status quo

Für den derzeitigen Umgang in der Praxis lassen sich folgende Empfehlung für die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen aus Bauablaufstörungen zunächst unabhängig von der Wahl des Berechnungsmodells angeben:

  1. Die Vorlage einer kostenkausalen Kalkulation ist unabdingbar. Eine sogenannte "Langkalkulation" (ressourcenabbildende Kalkulation) begünstigt zudem den Nachweis der Entschädigungsforderung immens.
  2. Die Terminplanung ist auf der Basis der Ausgangswerte der Auftragskalkulation zu bilden; bei der Wahl zum Berechnungsmodell "von oben" ist zudem die vorgangsbezogene Vergütung zu ermitteln.
  3. Es ist die volle Dokumentationsverpflichtung gemäß den Maßgaben des BGH i. S. von § 286 ZPO zu erbringen37
  4. Weiterhin gilt: Ist die Bauzeit durch eine Anordnung des Auftraggebers geändert worden gilt § 2 Abs. 5 VOB/B, wenn die VOB/B vereinbart ist.

Zur Wahl des Berechnungsmodells kann derzeit festgehalten werden, dass das Modell "von unten" wesentlich eingänglicher für die Auftraggeberseite ist, da die bereitgehaltenen Ressourcen Ausgangspunkt der Betrachtung sind und nicht die zu erwartende Vergütung, wie bei dem Modell "von oben". Damit erscheint das Modell "von unten" den gängigen Wertvorstellungen der Auftraggeberseite eher zu entsprechen - ein Umstand der bei der Durchsetzung maßgeblich helfen dürfte.

Qellenangaben

1 BGH v. 26.10.2017 – VII ZR 16/17.
2 IBB, 2019.
3 Vgl. Reister/Werner, 2019, S. 611; Vorauflage identisch Reister, 2014, S. 598.
4 Vgl. zu den umfangreichen Ausführung z.B. Döring in Ingenstau/Korbion, 2017, S. 1412; Kapellmann et al, 2017, S. 803; Zanner in Franke et al., 2016, S. 1348.
5 Vgl. zum ersten Stand nach der Einführung in die VOB/B GPA-Mitt.-Bau 1/2007, S. 10 f; erste Diss. Freiboth, 2006.
6 Zacharias, 2018, S. 1 bezeichnet den § 642 BGB bis zu dem Zeitpunkt des neuen BGH-Urteils auch als „eine wahre ‚Wunderwaffe‘ zur Befriedigung der auftragnehmerseitigen Ansprüche aus Bauablaufstörungen.“
7 Oldigs/Hornschuh, 2018, S. 407.
8 Vgl. im Fortgang.
9 Vgl. Zanner in Franke et al., 2016, S. 1333.
10 Kapellmann et al., 2017, S. 803.
11 Reister/Werner, 2019, S. 610.
12 IBRRS 2017, 3751.
13 Dieser aus dem Gesetz abgeleitete Begriff ist gleichzusetzten mit der Dauer der Behinderung (=Behinderungsdauer), für die voller Beweis i. S. des § 286 ZPO zu erbringen ist. Vgl. hier noch zur gegenteilige Auffassung zur Beschränkung auf diesen Zeitraum Kapellmann et al., 2017, S. 805 mit umfangreichem Belegapparat in Fn. 1892.
14 Schneider, 2018, S. 411 ff. schlägt hierfür als Regelungsgrundlage § 304 BGB vor.
15 Entgegen Reister/Werner, 2019, S. 620, die keine wesentlichen Änderungen sehen.
16 Vgl. zu der vorherigen Diskussion insbesondere Tomic, 2014, S. 396 f.
17 Vgl. hierzu u. a. Kapellmann et al, 2017, S. 805 mit umfangreichem aktuellen Belegapparat in Fn. 1891.
18 Vgl. § 642 Abs. 2 BGB.
19 Vgl. Drittler, 2017, Rdn. 4:133 und weiter zur Literatur 4:137; ähnlich Lang/Rasch, 2015, S. 796, Zacharias, 2018, S. 1.
20 Vgl. Lang/Rasch in Vygen et al., 2015, S. 796.
21 Vgl. Roquette et al., 2016, S. 240.
22 Sogar als „gleich“ bezeichnet, vgl. Kapellmann et al., 2017, S. 688.
23 BGH-Urteil v. 26.10.2017 – VII ZR 16/17.
24 Zacharias in Rasch/Zacharias, 2017, S. 50 f.
25 Mechnig, 2019, S. 5.
26 Vgl. Zacharias, 2018 (IBR 1010 nur online), S. 8; ähnlich auch Hitzel in Rasch/Zacharias, 2017, S. 333.
27 Vgl. Tomic, 2014, S. 581.
28 Vygen/Joussen in Vygen et al., 2015, S. 474, andere Auffassung wird durch Keldungs in Ingenstau/Korbion, 2017, S. 1414 f. vertreten; ebenfalls Roquette et al., 2016, S. 295.
29 Vgl. Lang/Rasch in Vygen et al., 2015, S. 817.
30 Vgl. Vygen/Joussen in Vygen et al., 2015, S. 481; gleiche Argumentation ebenfalls bei Roquette et al., 2016, S. 296.
31 Tomic, 2014, S. 581 unter Bezugnahme auf Drittler, 2008, S. 1217 und Roquette, 2010, S. 1468.
32 Vgl. Kapellmann et al., 2017, S. 807 nach BGH, 2008, 318.
33 Ein Datenbruch zwischen Auftragskalkulation und Terminplanung wäre hier „tödlich“. Allerdings sollte die Terminplanung aufgrund der Realitätsnähe besser an die Arbeitskalkulation geknüpft werden. Im Ergebnis müssten dann bei einer gravierenden Abweichung mit zwei Terminplänen gearbeitet werden. Dieser Umstand ist den Bauschaffenden nicht mehr im Ansatz vermittelbar!
34 Vgl. zu den beiden Verfahren mit Beispielen bei Roquette et al., 2016, S. 297.
35 Vgl. Mechnig, 2019, S. 29.
36 Vgl. zur Bejahung der Erstattungsfähigkeit von Sonderkosten bei einem Entschädigungsanspruch bei dem Modell „von unten“ Kapellmann et al., 2017, S. 806.
37 Vgl. hierzu Möhring, 2012, Tiesler, 2019.

Literatur

1. BGH VII ZR 16/17 v. 26.10.2017, IBRRS, 2017, 3751: IBR-online.
2. Drittler, 2017: Nachträge und Nachtragsprüfung beim Bau- und Anlagenbauvertrag. Lösungen zum Erkennen, Sichern, Begründen, Nachweisen, Prüfen von Ansprüchen aus Auftragnehmer- und Auftraggeberinteresse. 3. Aufl. [Neuwied]: Werner.
3. Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen/Mertens, 2016: VOB-Kommentar, 6. Aufl., Köln: Werner.
4. Freiboth, 2006: Ermittlung der Entschädigung bei Bauablaufstörungen, Diss, Heft 43 der Schriftenreihe IBB, Braunschweig: IBB.
5. GPA, 2007: Entschädigungsansprüche des Bauunternehmers nach § 642 BGB bei VOB/B-Verträgen, GPA-Mitteilung Bau 1/2007, AZ 600.535, Baden Württemberg: Kommunale Prüfung und Beratung.
6. IBB, 2019: Kooperative Vertragsmodelle und baubetriebliche Lösungsansätze - Ist Deutschland reif für Alternativen. IBB Tagungsunterlage 2019, Braunschweig: IBB.
7. Ingenstau/Korbion/Leupertz/Wietersheim (Hrsg.), 2017: VOB-Kommentar Teil A und B, Köln: Werner.
8. Kapellmann/Schiffers/Markus, 2017: Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag. Rechtliche und baubetriebliche Darstellung der geschuldeten Leistung und Vergütung sowie der Ansprüche des Auftragnehmers aus unklarer Ausschreibung, Mengenänderung, geänderter oder zusätzlicher Leistung und aus Behinderung gemäß VOB/B. Bd. 1, 7., Aufl. Köln: Werner.
9. Mechnig, 2019: Die baubetriebliche Problematik des Entschädigungsanspruchs aus § 642 BGB: Praxisfälle und Kalkulationsmöglichkeiten, 7. IBR-Expertenform. Foliensatz, Mannheim: id.
10. Möhring, 2012: Ablaufbezogenes Dokumentationsverfahren zum Nachweis der adäquaten Kausalität bei Bauablaufstörungen mit Schwerpunkt Haftungsgrund im Leistungsbereich Landschaftsbau. Diss, Kassel: university press.
11. Rasch/Zacharias, 2017: Festschrift für Prof. Dr.-Ing. Andreas Lang zum 60. Geburtstag - Neus zu Zeit und Geld Antworten auf aktuelle Fragen der Nachweisführung bei Bauablaufstörungen, Mannheim: id.
12. Reister, 2014: Nachträge beim Bauvertrag, 3. Aufl. Köln: Werner.
13. Reister/Werner, 2019: Nachträge beim Bauvertrag, 4. Aufl. Köln: Werner.
14. Roquette/Viering/Leupertz, 2016: Handbuch Bauzeit. 3. Aufl. Köln: Werner.
15. Oldigs/Hornschuh, 2018: Der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB: Wie gewonnen - so zerronnen? BauR 3/2018 S. 407-411. Köln: Werner.
16. Schneider, 2018: Die neue Rechtsprechung des BGH zu § 642 BGB - Ein Sieg der Dogmatik über das Rechtsempfinden? BauR 3/2018 S. 411-422. Köln: Werner.
17. Tiesler, 2019: Entwicklung eines substantiierten Kausalitätsnachweises von Ursache und Wirkung für Bauablaufstörungen auf Basis der deutschen Rechtsprechung, Diss, Kassel: university press.
18. Tomic, 2014: Bauzeit und zeitabhängige Kosten. Köln: Bundesanzeiger.
19. Vygen/Joussen/Lang/Rasch, 2015: Bauverzögerung und Leistungsänderung. Rechtliche und baubetriebliche Probleme und ihre Lösungen. 7., neubearb. u. erw. Aufl. Köln: Werner.
20. Zacharias, 2018: Bauablaufstörungen - die finanziellen Ansprüche aus § 642 BGB, Aufsatz - IBR 2018, 1010 (nur online).

Prof. Dr.-Ing. Felix Möhring
Autor

Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe

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