Begrünte Oberflächenverdunster verbessern Luftfeuchtigkeit von Innenräumen

von: ,
Raumklima Bauwerksbegrünung
Abb. 1: Versuchsaufbau im Gewächshaus: Begrünungssysteme auf Waagen zur Erfassung der Wasserabgabe. Foto: Annette Bucher

Lässt sich die relative Luftfeuchtigkeit in Räumen durch eine vertikale Begrünung in den behaglichen Bereich anheben? Dieser Frage wurde in einem von der Forschungsinitiative Zukunft Bau von 2013 bis 2015 finanziell geförderten Projekt auf den Grund gegangen. Neben der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) waren als Projektpartner das Bayerische Zentrum für angewandte Energieforschung e. V. (ZAE Bayern) und die Fa. Häring Radtke Partner (HRP) beteiligt.

Ausgangspunkt des Projektes war das Problem, dass in energetisch hocheffizienten Gebäuden, besonders bei Büronutzung, zu niedrige relative Luftfeuchten im Raum auftreten können. Vor allem im Winter werden Werte um 20 Prozent relative Luftfeuchte gemessen. Diese Werte werden als unbehaglich trocken empfunden und können zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Angestrebt werden bei üblichen Raumtemperaturen von 20-22 °C relative Luftfeuchten zwischen 35 und 65 Prozent.

Aus vorangegangenen Untersuchungen, die an der ehemaligen Forschungsanstalt für Gartenbau Weihenstephan durchgeführt wurden, ist bekannt, dass durch Topfpflanzen im Raum, selbst unter besten Wachstumsbedingungen, die relative Luftfeuchte nur um maximal 4 bis 5 Prozent erhöht werden kann (Köhler et al. 2004). Somit ist bei einer Ausgangsfeuchte von 20 Prozent mit Zimmerpflanzen eine Erhöhung auf 35 Prozent nicht zu erreichen. Zusätzlich schützen sich Pflanzen bei niedriger Luftfeuchte selbst vor zu starker Austrocknung, indem sie die Stomata schließen. So reduzieren sie die Transpiration, leisten aber gerade bei niedrigen Luftfeuchten keinen großen Beitrag zur Verbesserung der Luftfeuchtebedingungen.

Die für die Luftfeuchteerhöhung notwendige Verdunstungsleistung könnte aber über eine möglichst große Substratoberfläche realisiert werden. Diese Überlegungen führten zur Untersuchung von vertikalen Begrünungssystemen mit einem flächigen Substrat, die quasi als begrünte Oberflächenverdunster wirken. Bei diesen Systemen wachsen die Pflanzen auf einem mineralischen Substrat, das aus einem Wasservorrat mit einer Pumpe über Tropfschläuche regelmäßig mit Nährlösung versorgt wird. Die Verdunstungsleistung wird durch Umweltfaktoren wie Temperatur, Licht, Luftfeuchte und Luftbewegung beeinflusst.

Vorgehensweise

In einem Klimakammer-Screening wurden unterschiedliche Substrate, die für vertikale Begrünungen verwendet werden, hinsichtlich ihrer Wasserabgabe untersucht. Außer einer hohen Verdunstungsleistung waren weitere Kriterien eine chemische und physikalische Stabilität des Substrates. Außerdem wurde Wert darauf gelegt, dass die Verdunstung passiv ohne Gebläse stattfindet, um ein Mitreißen von Keimen aus dem Substrat in die Raumluft zu vermeiden. Die ausgewählten Begrünungssysteme wurden anschließend unter kontrollierten Bedingungen im Gewächshaus zuerst ohne Pflanzenbewuchs untersucht. Im nächsten Versuchsschritt erfolgte die Ermittlung der Wasserabgabe mit Begrünung (Philodendron hederaceum). Während der Versuchszeit wurden die Klimabedingungen im Raum (Temperatur, Luftbewegung) variiert. Eine große Herausforderung stellte die optimale Bewässerung der Pflanzen dar. Diese theoretische Stellschraube zur Erhöhung der Verdunstung wird stark durch die Anforderungen der Pflanze an eine optimale Bewässerung eingeschränkt. Parallel zu diesen Untersuchungen wurde ein geeignetes, energetisch hocheffizientes Bürogebäude für die Überprüfung der Verdunstungsleistung unter Bürobedingungen ermittelt.

NL-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
eine*n Landschaftsarchitekt*in/-planer*in, Schwerte  ansehen
Projektleiter*in (m/w/d) gesucht!, Gronau-Epe  ansehen
Fachkraft für Baumkontrolle (m/w/d), Stuttgart  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen
Raumklima Bauwerksbegrünung
Abb. 2: Tägliche Wasserabgabe der vertikalen Begrünungssysteme mit Pflanzen bei optimierter Bewässerung (helle Säulenteile 8-20 Uhr, dunkle Säulenteile 20-8 Uhr). Fotos & Grafik: Annette Bucher
Raumklima Bauwerksbegrünung
Abb. 3: Erscheinungsbild der Begrünungssysteme nach sechs Monaten Standzeit mit Bepflanzung im Gewächshaus. Fotos/Grafik.: Annette Bucher

Material und Methoden

Für die Untersuchungen wurden folgende Systeme ausgewählt: System 1 - Moving Wall (Sempergreen Vertical Systems, NL); System 2 - Vertiko (Vertiko GmbH, D); System 3 - Wonderwall (Copijn Utrecht, NL); System 4 - Wallflore Flex (Wallflore Systems, NL); System 5 - Vertical Green (Ruof Grün Raum Konzepte, D) und System 6 - Grüne Wand (H&W Bewässerung GmbH, D). Die Pflanzen wurden mit einer schwach konzentrierten Nährlösung, deren pH-Wert und Leitfähigkeit fortlaufend kontrolliert und korrigiert wurden, versorgt.

Die Erfassung der Verdunstungsleistung dieser sechs Systeme erfolgte unter kontrollierten Bedingungen im Gewächshaus. Die im Raum herrschenden Klimaverhältnisse (Temperatur, relative Luftfeuchte, Einstrahlung) wurden kontinuierlich erfasst und zu den verdunsteten Wassermengen (Evapotranspiration), die alle zehn Minuten über den Gewichtsverlust (Waage) ermittelt wurden, in Beziehung gesetzt. In der Folge wurde die Anpassungsfähigkeit der Verdunstungsleistung durch die Begrünungssysteme an sich verändernde Klimabedingungen geprüft.

In einem energetisch hocheffizienten Bürogebäude wurde das System 6 in zwei Büroräume à 17 m² und einen à 33 m² integriert, um die Untersuchungen unter Praxisbedingungen fortzuführen. Basierend auf einer Auslegungsberechnung wurden die Begrünungsflächen an die Raumgrößen und -charakteristika angepasst. Die Wirkung auf den Raumkomfort wurde im Vergleich zu zwei Referenzräumen (17 und 33 m²²) ohne Begrünung untersucht. Die Erfassung der Verdunstungsleistung (Wasserabgabe) erfolgte wieder über den Masseverlust der Begrünungssysteme. Zusätzlich wurden die Klimaparameter im Raum (Temperatur, relative Luftfeuchte, CO, Einstrahlung) an mehreren Messpunkten erfasst. Präsenz von Personen im Raum, Tür- und Fensteröffnung und das Außenklima wurden ebenfalls aufgezeichnet.

Raumklima Bauwerksbegrünung
Abb. 4: Versuchsaufbau im großen Büro (33 m²): System mit 1,4 m² Begrünungsfläche auf Waage, Raumklima-Fühler an der Baustütze und Zusatzbelichtung über dem System. Foto: Annette Bucher

Ergebnisse und Diskussion

1. Gewächshaus

Im ersten Versuchsteil unter Gewächshausbedingungen wurden die Wasserabgaben der Begrünungssysteme sowohl ohne als auch mit Bewuchs ermittelt und mit der Evapotranspiration gleichgesetzt. In Abbildung 2 sind die täglichen Wasserabgaben der begrünten Systeme bei optimierter Bewässerung dargestellt. Die Wasserabgaben erstreckten sich von knapp 600 g m-² d-¹ bei System 4 über 700 g m-² d-¹ bei System 2 und 800 g m-² d-¹ bei System 3 bis zu rund 1200 g m-² d-¹ bei System 1, 5 und 6. Etwa ein Drittel bis die Hälfte der täglichen Wasserabgabe erfolgte in der Nachtperiode. Die hohen Wasserabgaben bei System 1 und 3 sind durch eine im Vergleich zur Herstellerangabe extrem erhöhten Bewässerung erreicht worden. Da trotz Optimierung pflanzenbauliche Probleme auftraten, wurden diese Systeme nicht weiter berücksichtigt. Die höchste Wasserabgabe (50 g m-² h-¹) in Verbindung mit gutem Pflanzenwachstum wurde mit den Systemen 5 und 6 erzielt. Dieser Wert ist etwa dreimal so hoch wie der Eintrag, der durch Topfpflanzen zu erzielen wäre (Pisthol, 2009).

Die Wasserabgaberaten pro Zeit ergaben, dass vor allem die Systeme 5 und 6 die Fähigkeit zur Selbstregulation aufwiesen. Bei hoher Luftfeuchte im Raum ging die Wasserabgabe deutlich zurück, bei niedriger Raumluftfeuchte verstärkte sie sich. Die Fähigkeit zur Selbstregulation wird auch durch die gute Korrelation zwischen relativer Luftfeuchte und Wasserabgabe belegt. Diese Korrelation war für System 6 mit R² = 0,75 und System 5 mit R² = 0,86 sehr gut. Ein Einfluss der Temperatur auf die Wasserabgabe bestand weder bei System 5 noch bei System 6. Die Systeme 5 und 6 boten den Pflanzen die beste Wasserversorgung. Das resultierte in einem sehr guten Erscheinungsbild der Pflanzen über den gesamten Versuchszeitraum (Abb. 3). Dagegen zeigten die Systeme 1 und 3 Kümmerwuchs bis hin zu Pflanzenausfällen, die auch durch stark erhöhte Wasserabgaben nicht zu vermeiden waren. Mitverursacht wurde die unzureichende Wasserversorgung durch einen Kapillarbruch zwischen Vermehrungs- und Wandsubstrat.

Es wurde entschieden, für die Versuche im Bürogebäude System 6 weiterzuverwenden, da dieses eine hohe Wasserabgabe, keine technischen Probleme sowie ein gutes Wachstum aufwies. System 5 hatte vergleichbar gute Eigenschaften, lag aber zu diesem Zeitpunkt nur als Prototyp vor.

2. Büro

Im Anschluss erfolgte die Validierung der Verdunstungsleistung unter Praxisbedingungen im energetisch hocheffizienten Gebäude in dem mehrere Büros begrünt wurden. In den beiden kleinen Büros (17 m²) mit einer Begrünungsfläche von 0,72 m² wurden Wasserabgaben zwischen 25 g pro Modul (bei hoher rel. Luftfeuchte) und ca. 54 g pro Modul (bei niedriger rel. Luftfeuchte) pro Stunde ermittelt. Im großen Büro (1,44 m² Begrünungsfläche) lagen die stündlichen Abgaben zwischen 58 und 75 g pro Modul. Im Mittel über alle begrünten Büros und den gesamten Versuchszeitraum (Sommer + Winter) lag die Wasserabgabe mit 50 g m-² h-¹ in gleicher Größenordnung wie im Gewächshaus.

Raumklima Bauwerksbegrünung
Abb. 5: Verlauf der Wasserabgabe, relativen Luftfeuchte und Temperatur in dem großen Büro mit Begrünung. Grafik: Annette Bucher

Auch im Büroraum zeigte sich die Fähigkeit zur Selbstregulation des Begrünungssystems. Abbildung 5 gibt die Gegenläufigkeit von relativer Luftfeuchte im Raum und Wasserabgabe des Systems über einen längeren Zeitraum wieder. Der linke Teil der Abbildung 6 zeigt die Situation bei niedriger Ausgangsluftfeuchte - mit 30 Prozent gerade noch im behaglichen Bereich. Hier ergaben sich deutliche Unterschiede in der entstandenen Luftfeuchte um 10-14-Prozent-Punkte zwischen dem unbegrünten (rote Kurve, Tür meist geöffnet) und dem begrünten Büro mit meist geschlossener Tür (hellgrüne Linie). Das begrünte Büro mit meist geöffneter Tür (dunkelgrüne Linie) nahm eine Mittelstellung ein, da aufgrund des Luftaustausches mit dem Flur ein Verdünnungseffekt der entstehenden Luftfeuchte auftrat.

Bei einer hohen Ausgangsluftfeuchte von etwa 60 Prozent traten dagegen keine Unterschiede zwischen der Kontrolle und den begrünten Büros auf (rechter Teil Abb. 6). Aufgrund der Selbstregulationsfähigkeit des Systems wurde die Wasserabgabe bei hoher Luftfeuchte reduziert und führte somit nicht zu einer weiteren Erhöhung der Luftfeuchte, die in diesem Bereich auch unerwünscht wäre. Unterschiede im Nutzerverhalten (Türöffnung) waren bei hoher Ausgangsluftfeuchte ebenfalls nicht feststellbar.

Raumklima Bauwerksbegrünung
Abb. 6: Einfluss der Begrünung (0,7 m²) und des Nutzerverhaltens auf den Verlauf der relativen Luftfeuchte im kleinen Büro (17 m²) bei niedriger und hoher Ausgangsluftfeuchte. Grafiken: Annette Bucher

Bezogen auf den gesamten Untersuchungszeitraum resultierten die verdunsteten Wassermengen in dem kleinen Büro, dessen Tür und Fenster überwiegend geschlossen waren, maximal in einer Erhöhung der normierten, relativen Luftfeuchte um knapp 20 Prozent-Punkte gegenüber dem unbegrünten Referenzraum. Durch häufiges Offenstehen der Tür reduzierte sich die maximale Erhöhung der relativen, normierten Luftfeuchte auf etwa 14 Prozent-Punkte in dem anderen kleinen Büro bzw. auf etwa 8 Prozent-Punkte in dem großen Büro.

Der Einsatz einer funktionalen Begrünung erfordert einen engmaschigen Betreuungsaufwand der Systeme. Neben verstopften Zuleitungen und Tropfern traten vor allem Probleme mit Ausfällen der Pumpen auf. Besonders bei Systemen mit Substraten, die wenig Wasser speichern können, führte dies sehr schnell zu Pflanzenausfällen. Im Büroraum fühlten sich die Nutzer teilweise durch die Geräusche der Pumpen und durch die Zusatzbelichtung beeinträchtigt. Jedoch erfordern die meisten Standorte den Einsatz einer Zusatzbelichtung, um ein ausreichendes Wachstum der Pflanzen zu gewährleisten. Bei der Auswahl eines Begrünungssystems sollte die pflanzenbauliche Eignung in gleichem Maß beachtet werden wie die Transpirationsleistung. Die Auslegung der Begrünungsfläche hinsichtlich der notwendigen Transpirationsmenge sollte unter Berücksichtigung von Raumgröße und -charakteristika, Klimafaktoren und Nutzereinfluss vorgenommen werden.

Fazit

Mit den Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass funktionale vertikale Begrünungssysteme sich hinsichtlich ihrer Wasserabgabe, Nutzerfreundlichkeit und der technischen Zuverlässigkeit unterscheiden. Die Wasserabgabe lag im Mittel mit 50 g m-² d-¹ im Gewächshaus und Büroraum in gleicher Größenordnung. Mit den Begrünungssystemen 5 und 6 wurden höhere Wasserabgaben als durch Topfpflanzen erreicht. Dies konnte im Büro unter Praxisbedingungen belegt werden. Zwischen 8 und knapp 20 Prozent-Punkten lag der Anstieg der relativen Luftfeuchte durch die Begrünungssysteme im Vergleich zum unbegrünten Büro. Sowohl im Gewächshaus als auch im Büroraum wurde ein Selbstregulationseffekt der Begrünungssysteme beobachtet.


Literatur:

Der Abschlussbericht des Projektes steht unter folgendem Link zum Download bereit:

www.baufachinformation.de/forschungsbericht/245020

Köhler, L., F. Kohlrausch und R. Röber, Pflanzen als effiziente Luftbefeuchter, DeGa 58 (29), S. 40-42, 2004.

W. Pistohl, Handbuch der Gebäudetechnik: Heizung, Lüftung, Beleuchtung, Energiesparen, 7. neu bearbeitete und erweiterte Auflage Hrsg., Bd. 2, Werner Verlag, Köln, 2009.

Dr. rer. hort. Annette Bucher
Autorin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gartenbau, HSWT

Dipl. Ing. (FH) Franziska Kohlrausch
Autorin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gartenbau, HSWT

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle GaLaBau Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen