Biologische Vielfalt: Die Rolle des öffentlichen Grüns

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Die Honigbiene hat sich in den letzten Jahren zum Stadttier entwickelt. Vielfach ist die Imkerei in der Stadt erträglicher und erfolgreicher als auf dem Land. Diese Tatsache zeigt, dass besiedelte Gebiete, Dörfer, Städte und Gemeinden, zunehmend einen wichtigen Ersatzlebensraum darstellen, der genutzt werden muss. Aus diesem Grund gründete sich im Jahr 2010 in Tübingen die „Initiative Bunte Wiese“. Diese Initiative greift Ideen der weltweiten Artenschutzbemühungen auf und versucht, sie im innerstädtischen Raum umzusetzen.

Dabei strebt die Initiative eine naturschutzfachliche Optimierung der Grünflächenpflege unter dem Gesichtspunkt der Erhöhung der Biodiversität auch im Siedlungsbereich an. Oft spielen die Art der bisherigen Nutzung, Kostengründe und ein ästhetischer Minimalkonsens die Hauptrolle für das Anlegen und Pflegen von Rasenflächen und gemulchten Wiesen innerhalb der Stadt. Das Ziel der Initiative „Bunte Wiese“ ist es daher, möglichst viele, wenig genutzte innerstädtische Flächen auf ein zweischüriges Mahdregime umzustellen, um so artenreiche Wiesen zu etablieren und zu erhalten.

Um die Ziele der Initiative wissenschaftlich zu begleiten, wurden im Rahmen des Projekts studentische Abschlussarbeiten angefertigt. In diesen Arbeiten wurde der Wert extensiv gepflegter Wiesen gegenüber intensiv gepflegter Rasen im Hinblick auf die Insektenvielfalt verglichen. Die Untersuchten Insektenordungen waren Käfer, Wildbienen, Schmetterlinge, Wanzen und Heuschrecken. Alle Ergebnisse zeigen deutlich quantitative Unterschiede der Fänge zwischen den Flächenpaaren (Rasen versus Wiese). Betrachtet man die Rasenflächen, so sind hier nur sehr geringe Fangzahlen zu verzeichnen. Diese Befunde belegen, dass häufiges Mähen zu einem starken Rückgang der Insekten auf den Flächen führt.

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Die Zahl seltener Arten ist auf den untersuchten Wiesenflächen der Stadt Tübingen höher als auf den Rasenflächen. Rote-Liste-Arten traten ausschließlich auf Wiesenflächen auf. Dieses Ergebnis zeigt, dass sich der eigentliche Wert unserer Arbeit erst mittel- und langfristig einstellen wird. Dazu ist eine dauerhafte Etablierung des extensiven Mahdregimes auf den innerstädtischen Grünflächen nötig.

Die weitere Optimierung der naturschutzfachlichen Grünlandpflege konnte in einer umfangreichen entomoökologischen Freilandstudie untermauert werden. Insektenschutz ist eine Herausforderung auf verschiedenen Ebenen. Ein weitgehend unbearbeitetes Feld ist die Qualität von ungestörten Wiesenflächen als Überwinterungslebensräume für Insekten. Daher wurden Wiesen untersucht, die im Herbst nicht gemäht wurden und den Winter als Altwiesenbestände überdauerten. In standardisierten Versuchen wurden 13 511 Insekten gesammelt, die den Ordnungen Heteroptera (Wanzen), Hymenoptera (Hautflügler, hier: Bienen und Wespen), Coleoptera (Käfer) und Diptera (Fliegen) zugeordnet werden konnten. Dabei konnten 120 Familien, 140 taxonomische Arten und 324 Morphotypen unterschieden werden, die in den Monaten Februar bis Juni in zunehmender Masse schlüpften. Die Daten unterstreichen den Wert von Winterbrachen für die Insektenüberwinterung, da die Schlupfrate auf ungemähten Beständen höher ist. Ungemähte Wiesen bieten zusätzliche Pflanzenstrukturen (Blütenköpfe, Stängel), die auf gemähten Wiesen fehlen. Diese erhöhte
Strukturdiversität führt zu höheren Arten-, Morphotypen- und Individuenzahlen während des Frühlings. Die Ergebnisse dieser Freilandstudie beweisen, dass ungemähte Strukturen von Wiesen für das Überleben von Insekten jeglicher Entwicklungsstufen notwendig sind. Sie empfehlen zumindest eine Mosaikmahd auf Wiesen, Wegrändern, Flussufern und anderer grüner Infrastruktur. Abbildung 3: Die Kombination dieser Ergebnisse zeigt, dass ein neues Verständnis der Grünflächenpflege etabliert werden muss. Dieses „neue Verständnis“ ist eigentlich nicht neu. Es erfordert die Rücknahme menschlichen Handelns mit dem Ziel des Stehenlassens und der Akzeptanz von Brachen und ungepflegten Säumen, Rändern und Rainen. Die klassischen Überwinterungshabitate waren nie auf den großen Wiesen zu finden, sondern in den vielen ungemähten Rainen, Rändern, Böschungen, Hinterhöfen und Ufern. In diesen Bereichen konnten Insekten ungestört auf die nächste Vegetationsperiode warten. Moderne Pflegemaschinen, die „Lust am Mähen“, die Hochtechnisierung der Gesellschaft führten zu einem übersteigerten Ordnungs- und Fleißbewusstsein. Ein Sinneswandel tut Not, der die Natur wieder in all Ihren Erscheinungsformen akzeptiert werden lässt.

Aus diesen Überlegungen heraus lässt sich das folgende Mahdkonzept ableiten.

Das neue Mahdkonzept

Mit diesem Mahdkonzept, basierend auf vorausgegangenen Ergebnissen, wurde eine optimierte Grünflächenpflege entwickelt (Unterwegwe et al. 2018). Es gilt dabei der Grundsatz der Asynchronität und Kleinräumigkeit sowie der Reduzierung des Motorgeräteeinsatzes. Möglich wäre eine Einteilung der Flächen in die unterschiedlichen Schnittmuster wäre zum Beispiel: 80 Prozent zu 10 Prozent zu 10 Prozent, aber auch gleichwertige Flächengrößen (je 1/3) sind sehr nützlich. Das Erstellen des Pflegekonzeptes beinhaltete Überlegungen aus botanischer und zoologischer Sicht. Die botanische Optimierung (A) beinhaltet eine zweimalige Mahd mit einem Langrasschneider und anschließendem Abräumen des Schnittgutes zur Förderung der Pflanzenvielfalt.

Neben diesem zweischürigen Konzept (A) wurden auch Flächen angelegt beziehungsweise in der Pflegeart umgestellt, welche zum einen durch einen einmaligen Schnitt im Frühjahr (B) Überwinterungshabitat bieten sollen, beziehungsweise durch einen einmaligen Schnitt im Herbst (C) die Imaginalentwicklung von Spätsommerinsekten schützen (zoologische Optimierung) sollen. Dieses dreigliedrige Mahdkonzept (A,B,C) führt mittelfristig zu artenreichen und multifunktionalen Wildblumenwiesen.

Die Akzeptanz

Urbaner Naturschutz birgt Konfliktpotenzial im Hinblick auf das Erscheinungsbild naturnaher Flächen im öffentlichen Grün und erfordert eine naturästhetische Betrachtung, die in der öffentlichkeitswirksamen Vermittlung von Naturschutzprojekten eine wichtige Rolle spielt.

Um eine erfolgreiche und langanhaltende Etablierung derartiger Projekte im direkten Wohn- und Arbeitsumfeld der Bevölkerung zu erreichen, reichen ökologische Daten nicht aus. Sozialwissenschaftliche Ansätze müssen zur Steigerung der Wirkung und der langfristigen Etablierung herangezogen werden. So wurde in einem ersten Schritt der gesamte Schriftverkehr (elektronische Post, Pressenachrichten, Protokolle) der Initiative Bunte Wiese aus den Jahren 2010 bis 2016 hinsichtlich des Konfliktpotenzials analysiert.

Diese Analyse konnte die folgenden Problemfelder abgrenzen:

  1. allgemeine Fragen zur Durchführung und Methoden
  2. Überaktivität des Menschen
  3. Sorgen und Bedenken im Kontext „Natur“
  4. Abwertung von Engagement
  5. gestalterisches Natur- und Weltbild
  6. monetäre Fragen und Planung

Zudem wurde in einem umfangreichen Foto-Fragebogen die Einstellung der Bevölkerung gegenüber artenreichen Blumenwiesen untersucht und mit sozialwissenschaftlichen Methoden ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigten den positiven Effekt von Umweltbildungsmaßnahmen. So konnten
Wiesen und Rasen hinsichtlich der Faktoren „Attraktivität“, „Gepflegtheit“ und „Bereicherung für das Stadtbild“ bewertet werden. Die Einstellung der Bevölkerung zu diesem Thema ist abhängig von demographischen Daten und persönlichen Grundeinstellungen hinsichtlich des Naturerlebens. Insgesamt finden Wiesen eine breite Unterstützung in der Gruppe der Befragten, was für eine Ausweitung der natürlichen Pflege im Stadtgebietspricht.

Die Arbeiten zeigten, dass es einer stetigen Aufklärung und Umweltbildung bedarf, um Naturschutzmaßnahmen in der Stadt mit Erfolg zu krönen. Diese aufklärenden Maßnahmen müssen das Ziel eines Biodiversitätsmainstreamings (d. h. der verallgemeinerbaren Verinnerlichung) haben, so dass der Schutz der biologischen Vielfalt in enger Anlehnung an Konzepte zur Einsparung von Energie, Wasser und Mülltrennung zu einem festen Bestandteil des alltäglichen, menschlichen Handelns wird. In der folgenden Grafik werden die Ergebnisse unserer Akzeptanzforschung dargestellt:

Herangehensweise und praktische Umsetzung

Da die Umwandlung von Grünflächen in der Stadt durch Neuansaat aus dem laufenden Etat heraus meist nicht zu bewältigen ist, ist die Umstellung der Flächenpflege hin zu einem extensiven Mahdkonzept das beste Mittel, um die Insektendiversität zu steigern. Neben dem Kostenargument sprechen noch weitere Gründe gegen die großflächige Ansaat von Blühflächen. Die Nutzung von autochthonem Saatgut ist bei der Neugestaltung nach Baumaßnahmen ein wichtiges Instrument. Allerdings ist es nicht ausreichend, auf autochthone „Blühmischungen“, „Blühinseln“ oder „Bienenweiden“ zu setzen, denn dabei werden viele Funktionen eines Wiesenökosystems nicht beachtet. In der Fläche muss das Motto gelten: Sinneswandel
statt Samenhandel.

A-B-C-Methode

Mithilfe der neu entwickelten A-B-C-Methode, die für städtische Grünflächen entwickelt wurde, aber auch in der offenen Landschaft anwendbar ist, können alle Flächen charakterisiert werden:

A – sind kurz gehaltene Rasenflächen die wir aus nutzungsbedingten Gründen brauchen. Sichtwinkel, Spielplätze, Liegewiesen, Zufahrten

B – sind Abschnitte, deren Mulchen niemand begründen kann. Abschnitte, die aus Personalgründen oder Kostenbeschränkung regelmäßig gemulcht werden, weil es so schwer ist, im Alltagsgeschäft noch neue Ideen umzusetzen, Alternativen zu wagen und sich dem Gewohnten entgegenzustellen.

C – sind perfekte Wiesen voller Funktionalität. Grünflächen, die so aussehen, wie artenreiche Wiesen und Säume eben aussehen, wenn man sie nach klassischen Methoden pflegt.

Die Initiative „Bunte Wiese“ wollte sich in ihrer Arbeit zunächst auf städtische B-Flächen konzentrieren und aufzeigen, dass eine Alternative benötigt wird für die flächendeckend gemulchten Flächen. Ein neues Modell für die Fläche. Ein kostengünstiges und sinnvolles Modell für den Grünraum, der derzeit vernachlässigt wird.

Aktionsplan

  • Überprüfung der Flächenkategorisierung (A-B-C): Etwa 80 Prozent der Flächen fallen unter die Kategorie B und müssen optimiert werden
  • Umwandlung der gemulchten Flächen in extensive Mähwiesen mit Abräumen des Schnittguts
  • Integration von Überwinterungssäumen und überjähriger Mahd

Die Rampe des Aufwands

Kostengründe und andere Ressourceneinschränkungen lassen es nicht zu, dass alle Flächen mühevoll angesät und nach gärtnerischen Gesichtspunkten neu angelegt werden. Dies ist auch gar nicht nötig, denn das schlummernde Potential der Flächen kann geweckt werden. Dennoch ist es wichtig, dass man sich allen Möglichkeiten der Neuanlage bewusst ist und diese auch anwendet. Als Beispiele können folgende Methoden genannt werden:

  • Neuanlage nach Baumaßnahmen oder beim Entstehen neuer Grünflächen
  • Umwandlung bestehender Flächen durch Naturnahe Staudenmischpflanzung
  • Anlage eines Insektenhotspot mit Bodenaustausch
  • Anreicherung bestehender Flächen durch die Burri-Methode
  • Initialstaudenpflanzungen in den Bestand
  • Bereicherung durch Geophyten (Zwiebeln)
  • Klappertopfmethode und Zusatzsaat
  • Förderung des bestehenden Bestands durch Beobachtung

Sinneswandel statt Samenhandel

Naturschutz auf wenig beeinflussten Flächen (verbunden mit der Förderung biologischer Vielfalt) kann dann besser gelingen, wenn die kommunikativen und wertbezogenen Fragen in systematischer Weise genauso bearbeitet werden wie die naturwissenschaftlichen und planerischen. Es ergaben sich folgende Anknüpfungspunkte für die praktische Umsetzung:

  • Naturschutz erfordert praktische und ideelle Maßnahmen, um möglichen Ängsten und Vorbehalten in der Umsetzung durch Vorbilder und Ideen zu begegnen.
  • Natur braucht Raum und Zeit zur Entfaltung. Überaktivität und der Wunsch nach Bearbeitung stehen dem gegenüber. Genuss und Beobachtung sollten eingeübt werden, um allzu aktive Manipulationen zu reduzieren.
  • Der Wert und die Schönheit von Natur, der oft nur durch vordergründige Aufgabe von menschlichen Werten (Fleiß, gärtnerisches Engagement) erzielt werden kann, muss so vermittelt werden, dass Sorgen und Bedenken bezüglich der scheinbar geschmälerten eigenen Rolle in Gesellschaft und Natur gemindert werden.
  • Das Beobachten von Pflanzen und Tieren und der Schutz von Lebensräumen muss gesellschaftlich aufgewertet werden, so dass es für einen größeren Teil der Bevölkerung als attraktiv angesehen und geachtet wird.
  • Natur- und Artenschutz sind Aktivitäten für eine nachhaltige Entwicklung. Ähnlich wie das Einsparen von Energie und Wasser ist auch das (methodisch und kommunikativ) abgesicherte Wiederansiedeln oder Erhalten von Pflanzen- und Tierpopulationen als privates Ziel zu fördern.
  • Natur ist wertvoll. Die Wertschöpfung der Umwelt sollte auf verschiedenen Ebenen (monetär, gesundheitlich, funktionell, aber eben auch jenseits allen direkten Nutzens) vermittelt werden.
  • Durch verschiedene angepasste Maßnahmen kann die Akzeptanz und Etablierung von mehr „wilder“ Natur in der Stadt gelingen. Ein Modell zur flächigen Einführung von natürlichen Wiesen ist oft kein Problem der praktischen Umsetzung, sondern eine Frage der menschlichen Einstellung und des Willens zu einem Miteinander von Kultur und Natur beziehungsweise von Naturerhaltung als einer kulturellen Praxis.
  • Naturschutz wird häufig an die staatliche Naturschutzverwaltung sowie Naturschutzverbände delegiert. Dem gegenüber sollte die Idee eines gemeinschaftlichen Naturschutzes stärker entwickelt werden. Dieser könnte vor allem im urbanen Bereich darin bestehen, dass Bürgerinnen und Bürger in Kooperation mit städtischen Verwaltungsstellen öffentliche wie private Grünflächen aus den üblicherweise praktizierten intensiven Mähregimen (klassische Rasenpflege) herausnehmen und durch aufwachsende, naturnahe Wiesen (mit nur maximal zweimal jährlicher Mahd) ersetzen. Hierdurch würde die Identifikation der Stadtbevölkerung mit ihrer Natur gestärkt und die Motivation zur Durchführung von Naturschutzmaßnahmen im eigenen Umfeld gefördert.

Fazit

Die Initiative „Bunte Wiese – für Artenvielfalt in öffentlichem Grün“ strebt an, Nachahmer und Partner auch an anderen Standorten und Städten zu finden und gibt ihre Erfahrungen durch unser Beratungsangebot gerne an Interessierte weiter. Zudem empfehlen wir die Einbindung von extensiver Grünflächenpflege in die Aktionspläne zur Verringerung des Biodiversitätsverlusts.

Dr. Philipp Unterweger
Autor

Biodiversitätsplaner

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