Coole Städte planen - Mit der "Greenpass-Methode"

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Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 1: Rendering des Siegerprojekts des städtebaulichen Wettbewerbs. Grafik: Superblock, 2016

Heiß, heißer, noch heißer und noch nie so heiß... die sommerlichen Wetterberichte sind voll von diesen Termini. Gleichzeitig schwitzen in den immer dichter werdenden Städten auch immer mehr Menschen. Dies hat zusammen betrachtet erhebliche Folgen für Lebensqualität oder Gesundheit. Mit der neuen "Greenpass-Methode" können nun urbane Räume kosteneffizient und klimaresilient geplant werden.

In Europas Städten wird es immer heißer. Selbst wenn die Weltgemeinschaft das in Paris definierte Klimaziel von maximal 2°C globaler durchschnittlicher Temperaturanstieg einhält, so steigen urbane Temperaturen deutlich stärker. Beispielsweise wird für Wien ein Temperaturanstieg von bis über 4 °C erwartet. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung rasant an; pro Jahr ziehen über 20000 Personen neu zu. In den kommenden zehn Jahren wird Wien daher die Grenze von zwei Millionen Einwohnern überschreiten.

Welche Lebensbedingungen erwartet die WienerInnen? Das lässt sich bereits heute erleben, indem man eine Reise in Richtung Süden antritt: In wenigen Jahren wird Wien in etwa das Klima von Udine, das durchschnittlich 1,24 °C wärmer ist erreichen. Weiter führt uns diese Reise der voranschreitenden Klimaveränderung nach Mailand mit 2,02 °C gefolgt von Florenz mit 3,53 °C höherer Jahresdurchschnittstemperatur. Die nächste Station der gedanklichen Reise wäre beispielsweise Neapel mit 4,87 °C höherer Jahresdurchschnittstemperatur. Dieser Wert liegt in der Schwankungsbreite der Modelle für das Jahr 2100 in Wien und scheint nicht unrealistisch, da einerseits die Klimaziele möglicherweise nicht erreicht werden und das städtische Wachstum für zusätzliche Erwärmung sorgt.

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Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 2: Simulationsmodelle der Wettbewerbsbeiträge und thermischer Komfort bei Tag und Nacht. Grafik: Bernhard Scharf
Klimaresilienz Stadtklima
Grafik: Bernhard Scharf
Klimaresilienz Stadtklima
Grafik: Bernhard Scharf

Das Beispiel Wien ist auf die meisten Europäischen Städte übertragbar. In jedem Fall kommt es zu einer massiven Veränderung des Stadtklimas in vergleichsweise kurzer Zeit, bedenkt man, dass die bautechnische Qualität in Europa sehr hoch ist und demzufolge die Standzeit von heute errichteten Gebäuden häufig das Jahr 2100 erreichen wird. Es besteht also unmittelbarer Handlungsbedarf!

Städte unter Naturschutz

Einen wesentlichen Beitrag zur Adaptierung urbaner Räume an künftige Klimabedingungen können grüne und blaue Infrastrukturen leisten. Wer im Sommer gerne unter einem schönen Baum sitzt, kennt die positive Wirkung von grünen Infrastrukturen bereits. Dass vor allem Pflanzen auf Grund ihrer im Vergleich zu Wasserflächen einfachen Anwendung und Erhaltung eine Schlüsselrolle zukommt, wurde in zahlreichen Forschungsprojekten und Publikationen gezeigt und steht in der Fachwelt außer Streit. Die grünen Infrastrukturen, bestehend aus Dachbegrünungen, Fassadenbegrünungen und bewachsenen sowie versickerungsfähigen Freiräumen, müssen dichter und möglichst effizient zu einem Netz verwoben werden, um lokale und stadtweite Wirkungen zu erzielen. In Architektur Journalen und sozialen Medien werden immer häufiger Visionen von intensiv durchgrünten Städten gezeigt, wie beispielsweise von Stararchitekt Stefano Boeri und seiner Stadt im Wald. Allerdings ist auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die meisten grünen Stadtvisionen ökonomisch und bautechnisch kaum umsetzbar sind. In mehrjähriger Forschungsarbeit wurde nun eine Methode entwickelt, die Wirkungen und Kosten unterschiedlicher grüner Infrastrukturen auf ihren urbanen Kontext berechenbar und vor allem auch optimierbar macht. Dadurch wird ein wirkungsvoller und kosteneffizienter Einsatz von grünen Infrastrukturen möglich.

Baum oder nicht Baum, das ist hier die Frage

Basierend auf dem Befund, dass in Fachkreisen, der Europäischen Union und lokalen Verwaltungen Übereinstimmung darin herrscht, dass grüne Infrastrukturen in Städten integriert werden sollen, jedoch sehr große Unsicherheiten in Bezug auf deren Wirkungen und damit verbundene Kosten wurde das Forschungsprojekt "Green4cities" von einem internationalen Konsortium als ERA-SME-Projekt ins Leben gerufen. Das aus zwölf Partnern bestehende Konsortium setzte sich aus Unternehmen der grünen Branche, der Nachhaltigkeitsforschung, Architektur und Stadtplanung sowie Universitäten in Wien, Bonn, Mainz, Kassel und Graz zusammen. Ziel des dreijährigen Projekts war es, ein international anwendbares Planungstool zu entwickeln, welches die Wirkungen von grünen Infrastrukturen durch Mikroklimasimulation (ENVI-met) bewertbar macht und sie mit Ressourcenindikatoren sowie Kosten koppelt: Das "Greenpass-Planungs- und Zertifizierungstool". Als Case Study Städte konnten London, Wien, Hongkong, Kairo und Santiago de Chile gewonnen werden. Das "Greenpass-Tool" fokussiert auf den urbanen Freiraum, die Eigenschaften der städtischen Oberflächen und ihre Wirkungen auf das Mikroklima und in Folge Stadtklima. Es schließt an bauphysikalische Modelle beziehungsweise Gebäudezertifizierungen an und kann wertvolle Input-Daten für diese liefern. In einem nächsten Schritt wurde eine Software als Schnittstelle zwischen PlanerInnen und hoch komplexen Simulationstools entwickelt und das "Greenpass-Tool" an die Planungsprozesse in drei maßgeschneiderte Pakete unterteilt:

Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 3: Numerische Bewertung der Wettbewerbsbeiträge im Vergleich. Grafik: Bernhard Scharf
Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 4: Visualisierung zukünftigen Biotop City rot umrandet. Grafik: schreinerkastler, 2017
Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 5: Planung der Biotop City (links) und daraus abgeleitete Standardszenarien. Grafik: Bernhard Scharf

Object assessment

Dieses Tool wurde für die Vorentwurfsphase von Architekturprojekten entwickelt. Mit Hilfe einer multifaktoriellen Datenbankabfrage werden Projekte analysiert und eine erste Abschätzung ihrer Klimaresilienz im Vergleich zu Standard Gebäudetypen generiert. Dadurch können die Qualitäten von Projekten hervorgehoben, oder auch ein Vergleich von mehreren Vorentwürfen erstellt werden.

Object und City pre-certification

Die sogenannte pre-certification führt eine Mikroklimasimulation mit eingeschränkten Parameterumfang (Anzahl der Oberflächenmaterialien) sowohl für architektonische als auch städtebauliche Projekte bis zu 40 ha Größe durch. Für Projekte eines einstufigen Wettbewerbs oder Entwürfe wird so die Performanz bildlich, textlich und numerisch für thermischen Komfort bei Tag und Nacht, das Windfeld und die Temperatur des (ins Nachbarquartier) ausströmenden Luftkörpers sehr effizient und nachvollziehbar bewertet.

Object und City certification

Die Zertifzierung mittels "Greenpass-Technologie" zielt darauf ab in der Phase der Detailplanung Projekte in einem iterativen Prozess in Bezug auf Klimaresilienz und erforderlichen Ressourcenbedarf individuell zu optimieren. Die Zertifizierung umfasst über 30 Indikatoren, die für die Optimierung herangezogen werden können. Diese sind in der Struktur vergleichbar mit beispielsweise DGNB und in die Themenfelder Klimaresilienz, Wasser, Kosten und Ökologie gegliedert. Jedes Projekt erhält schlussendlich ein Planungszertifikat das eine detaillierte Beschreibung und Analyse aller Ergebnisse beinhaltet.

Beispielhafte Anwendungsfälle

Die Anfang 2017 fertig entwickelte "Greenpass-Methode" wurde bereits in verschiedenen Forschungsprojekten aber auch privatwirtschaftlichen Projekten erfolgreich angewendet. Nachstehend werden je ein Beispiel für eine pre-certification und eine certification beschrieben.

Eurogate II

Im Süden des dritten Wiener Gemeindebezirks wird derzeit ein neuer Stadtteil in Größe von rund elf Hektar in mehreren Stufen entwickelt (Abb. 1). Die größte und finale Entwicklung betrifft das als Eurogate II betitelte Areal, das einmal rund 4.500 Menschen ein Zuhause bieten wird. Von den Projektentwicklern wurde ein internationaler einstufiger städtebaulicher Wettbewerb ausgerufen. Im Auftrag der Wiener Umweltanwaltschaft und in Abstimmung mit den Projektentwicklern wurden die acht eingereichten Projekte mit Hilfe der "Greenpass-Methode" analysiert und bewertet (siehe Abb. 2 und 3).

Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 6: Thermischer Komfort des worst case Szenario bildlich und numerisch. Grafik: Bernhard Scharf
Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 7: Thermischer Komfort des moderaten Szenarios bildlich und numerisch. Grafik: Bernhard Scharf
Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 8: Thermischer Komfort des maximum Szenarios bildlich und numerisch. Grafik: Bernhard Scharf
Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 9: Thermischer Komfort der Planung bildlich und numerisch. Grafik: Bernhard Scharf

Die Ergebnisse der pre-certification zeigen deutliche Unterschiede der Klimaresilienz der verschiedenen Entwürfe. Diese sind in erster Linie auf die Bebauungsstruktur und daraus resultierende Luftdurchlässigkeit und Schattenwurf der Gebäude zurück zu führen. Die Wettbewerbsjury hat die Ergebnisse der pre-certification in ihre Gesamtbeurteilung des Städtebaus eingebunden und letztlich den Beitrag E01 zum Sieger gewählt.

Biotop City | Coca Cola Areal

Ein weiteres spannendes Stadtentwicklungsgebiet von 5,5 ha Größe befindet sich im 10. Wiener Gemeindebezirk an der Triesterstraße (siehe Abb. 4).

Am ehemaligen Gelände der Firma Coca-Cola wird die erste Biotop City Europas errichtet. Die Bezeichnung wurde von Helga Fassbinder kreiert und steht für ein neues Verständnis im Städtebau, welche diese als Natur versteht. Urbane Freiräume sollen als Naturräume verstanden und dementsprechend intensiv durchgrünt sein, damit ein wertvoller Lebensraum für Mensch, Tier und Pflanze entstehen kann. Daher wurde von Beginn an sehr hoher Wert auf die Qualitäten der Freiräume sowie Dach- und Fassadenflächen gelegt. Die genaue Anordnung und Wirkung der grünen Infrastrukturen wurde mit Hilfe der "Greenpass-Methode" optimiert, beispielsweise wurden Bäume gezielt versetzt oder verdichtet und das Windfeld durch Hecken etc. moderiert. Ähnlich wie bei Gebäudezertifizierungen, arbeitet auch die "Greenpass-Methode" mit sogenannten Erfüllungsgraden, das heißt, dass für ein Projekt festgestellt wird wieviel Prozent eines bestmöglichen Ergebnisses in Bezug auf einen Indikator wird erreicht. Da die Bewertung von Freiräumen sehr komplex ist und jedes Projekt in einem ganz spezifischen Konnex zu seiner umgebenden Atmosphäre steht, wurde eine dynamische Skala entwickelt, die eine transparente und standardisierte Bewertung von individuellen Projekten weltweit ermöglicht. Die vorliegende Planung dient als Grundlage für die dynamische Skala. Aus dieser werden Standardszenarien nach genauen Vorgaben produziert: worst case, moderate und maximum scenario (s. Abb. 5).

Das maximum Szenario dient zur Bestimmung des bestmöglichen Ergebnisses in Bezug auf Klimaresilienz, Wasser- und CO2-Speicherung. Das moderate Szenario wiederum gibt die Bestwerte für ökonomische Betrachtungen vor, wie beispielsweise Invest pro Verbesserung thermischer Komfort. Alle Szenarien und die Planung werden zunächst mikroklimatisch simuliert und dann in Postprozessen Ressourcenbedarf und Leistungen je Indikator berechnet. Die Auswertungen beinhalten bildliche, numerische und textliche Teile (Abb. 6, 7, 8, 9).

Die Simulationsergebnisse zeigen deutliche Unterschiede des thermischen Komforts zwischen den Standardszenarien. Die Flächenanteile mit unterschiedlicher thermophysiologischer Belastung nehmen mit der Intensität der Begrünung erwartungsgemäß ab. Die daraus kalkulierte Bewertung ergibt für das worst case Szenario 27,44 Punkte und das maximum Szenario 43,46 Punkte. Die Planung erreicht 36,87 Punkte und liegt somit im Bereich des moderaten Szenarios, welches 38,1 Punkte erzielt. Berücksichtigt man, dass die Planung im Gegensatz zu den Standardszenarien notwendige Durchwegungen, Sport- und Spielplätze, Feuerwehrzufahrten etc. berücksichtigt, so kann das als sehr gutes Ergebnis gewertet werden.

Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 10: Veränderung der Lufttemperatur der Biotop City Planung. Grafik: Bernhard Scharf
Klimaresilienz Stadtklima
Abb. 11: Vergleich der Wirksamkeit der Planung (SQ) in Relation zum moderaten Szenario in Bezug auf die Verbesserung des durchschnittlichen thermischen Komforts (PET). Grafik: Bernhard Scharf

Betrachtet man die Änderung der Lufttemperatur des von Südosten einströmenden Luftkörpers, so zeigt sich, dass die Biotop City auf Grund ihrer städtebaulichen Struktur und intensiven Durchgrünung als "Stadtklimaanlage" funktioniert (s. Abb. 10). Der Luftkörper wird auf einer Höhe von 1,8m über Grund um bis über 3,0 °C abgekühlt! (Abb. 10)

Auf einer Strecke von gut 500 m kann also die Klimaerwärmung kommender Jahrzehnte egalisiert werden, wenn in der Planung bereits auf die Klimaresilienz geachtet wird. Wie die ökonomischen Auswertungen der Biotop City zeigen, handelt es sich außerdem um eine kostengünstige "Klimaanlage". Die Errichtungskosten für grüne Infrastrukturen an Dächern und Fassaden sowie in Freiräumen liegen mit etwa 2,5 Prozent der Nettobaukosten nicht wesentlich über jenen von nicht optimierten in ihrer Größe vergleichbaren Projekten. Die grundsätzlich sehr positiven Ergebnisse werden von der Analyse der Effizienz der Planung bestätigt (Abb. 11).

Die Auswertungen zeigen, dass die Planung in Bezug auf den thermischen Komfort 96 Prozent des Wertes des moderaten Standardszenarios erreicht allerdings dabei lediglich 66 Prozent der Kosten verursacht. Die Effizienz der für grüne Infrastruktur eingesetzten Geldmittel liegt mit 146 Prozent weit über dem Ergebnis für das moderate Standardszenario. In absoluten Zahlen bedeutet dies für die Biotop City eine Einsparung von über drei Millionen Euro bei annähernd gleicher Wirksamkeit im Vergleich zum moderaten Standardszenario.

Geld wächst nicht auf Bäumen, aber es lässt Bäume wachsen

Die gezeigten Beispiele sollen verdeutlichen, dass es möglich ist in unterschiedlichen Phasen urbaner Planungsprozesse einzugreifen und so klimaresiliente Projekte zu erzeugen, die in ihrem unmittelbaren Umfeld einen hohen thermischen Komfort bewirken und sich insgesamt positiv auf die Klimaresilienz ganzer Städte auswirken. Die Ergebnisse basieren auf der "Greenpass-Methode", die auch ökonomische Analysen und Optimierungen erlaubt. Das ist vor dem Hintergrund limitierter Geldmittel sowohl im öffentlichen als auch privaten Bereich von großer Bedeutung. Die vorhandenen Mittel können so bestmöglich eingesetzt werden und maximale Wirkung entfalten.

Grüne Aussichten

Die internationalen Entwicklungen und Anstrengungen Städte an den Klimawandel anzupassen stimmen positiv, dass dieser Aspekt in Zukunft verstärkt in Planungsprozessen berücksichtigt wird. Die Verbindung der "Greenpass-Methode" und ihre Pakete erlauben die Steuerung von Planungsprozessen. Derzeit wird die Methode um die Fähigkeit ganze Städte dreidimensional zu simulieren erweitert. Die rechtlichen Grundlagen für die Anwendung der Methode durch Partner weltweit werden vorbereitet und sollte ab Mitte des kommenden Jahres möglich sein. Schon jetzt sind alle, die klimaresiliente Stadtentwicklung betreiben und befördern möchten herzlich eingeladen mit dem Green4cities-Team Kontakt aufzunehmen. Wir halten Sie über die Entwicklungen gerne auf dem Laufenden.

Denn nur gemeinsam kann es gelingen, dass wir unseren Lebensraum Nummer 1, die Stadt, für uns und künftige Generationen lebenswert erhalten.

Dipl.-Ing. Dr. Bernhard Scharf
Autor

Senior Scientist

Universität für Bodenkultur Wien

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