Trittsteinbiotop, Lebensraum und Artenschutz

Das Biodiversitätsgründach

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Artenvielfalt Bauwerksbegrünung
Stadtquartier in München mit artenreich begrünten Flachdächern. Biodiversitätsgründächer sind im Kommen. Foto: BuGG

Dachbegrünungen sind wichtige Anpassungsmaßnahmen beim Klimawandel. Dabei stehen zuerst die Punkte Überflutungs- und Überhitzungsvorsorge im Vordergrund, doch auch Artenschutz und Biodiversität spielen eine große Rolle. Es wird zwar viel über Artenvielfalt und Biodiversitätsgründächer gesprochen, die Umsetzungsrate ist allerdings noch viel zu gering.

Immerhin ist anzumerken, dass die Umsetzung in den letzten Jahren, aufgrund von kommunale Vorgaben, auffällig zugenommen hat. In der Anfang 2020 jetzt erstmals veröffentlichten BuGG-Fachinformation "Biodiversitätsgründach" sind die wichtigsten Begriffe, Grundlagen, Handlungshinweise, Pflanzenlisten und einige Praxisbeispiele zu diesem Thema zusammengestellt worden. Die Fachinformation wird derzeit überarbeitet, die wichtigsten Grundlage, und ein paar der Neuerungen werden in diesem Beitrag vorgestellt.

Grundlegendes

Strukturvielfalt gleich Artenvielfalt

Dachbegrünungen vereinen eine Vielzahl an positiven Wirkungen. Eine der vielleicht wichtigsten und verständlichsten Argumente pro Gründach ist die Funktion als ökologischer Ausgleich beziehungsweise Minderungsmaßnahme. Zur Biotopvernetzung und als Erhalt der Artenvielfalt, insbesondere in der Stadt, können begrünte Dächer je nach Ausbildung Funktionen als Ersatzlebensraum, Trittsteinbiotop und teilweise als Ausgleichsfläche übernehmen. Arten- und strukturreiche Biodiversitätsgründächer können als Minderungsmaßnahme für den Eingriff in die Natur anerkannt werden.

Gründach ist nicht gleich Gründach, je nach Aufbauhöhe und Vegetation unterscheidet man grundsätzlich zwischen den beiden Begrünungsarten Extensiv- und Intensivbegrünung. Die Übergangsform wird als "Einfach Intensivbegrünung" bezeichnet. Die Höhe des Schichtaufbaus (Dränage und Substrat) und die damit verbundene Wasserspeicherfähigkeit gibt vor, welche Vegetationsformen sich daraus bilden. Diese nehmen unter anderem auch Einfluss auf die Lebensraumqualität für Tiere. In Abhängigkeit von Begrünungsart und Vegetationsformen sind folgende Charakteristika hinsichtlich Tierwelt zu beobachten: von der "Moos-Sedum-Begrünung" (extensiv) bis zur "Hohe Stauden und Sträucher-Begrünung" (intensiv) ist ein kontinuierlicher Anstieg der Bodentierarten (Asseln, Schnecken, Regenwürmer, Hundert- und Tausendfüßer) zu verzeichnen.

Das Extrembiotop "Extensivdach" wird oftmals nur temporär von sehr mobilen Tierarten (Spinnen, Heuschrecken, Wildbienen und weiteren "Fluginsekten") besiedelt und unterliegt einer hohen Besiedlungsdynamik und fortlaufenden Zu- und Abwanderungsprozessen. Die meisten Tierpopulationen bei Extensivbegrünungen sterben aufgrund des winterlichen Durchfrierens des Substrates beziehungsweise aufgrund der sommerlichen Trockenheit aus und müssen im Folgejahr das Dach neu besiedeln. Dagegen finden alle Tiere, also auch die großen Bodentiere, auf Intensivbegrünungen bessere Lebensbedingungen hinsichtlich Nahrung und Habitaten. Temperatur- und Feuchteverhältnisse sind relativ ausgeglichen und durch die hohen Substratschichten sind auch im Winter frostfreie Rückzugsmöglichkeiten gegeben. Auch für Vögel kann das Gründach ein idealer, da vor Fressfeinden wie beispielsweise Katzen, Hunden, Füchsen geschützter Rückzugsraum für Nahrungsaufnahme und Brutpflege sein.

Extensivbegrünungen mit Anhügelungen und Einfache Intensivbegrünungen mit einer Wildstauden-Gehölze-Vegetation weisen aufgrund ihrer hohen Struktur- und Habitatvielfalt die höchste Zahl an Tierarten auf, sowohl bei der Bodenfauna als auch bei Laufkäfern und Wildbienen. Je artenreicher die Vegetationsform, desto höher ist die Artenvielfalt. Die Artenzahlen der verschiedenen Bodentiergruppen sind bei bestimmten Dachbegrünungen durchaus mit den Werten anderer Stadtbiotope vergleichbar. Wie wichtig Rückzugsbereiche für frost- und trockenheitsempfindliche Bodentiere sind, zeigen die Untersuchungsresultate der mit Anhügelungen aufgewerteten Extensivbegrünungen: der Anteil der Dächer mit Bodentieren steigt im Vergleich zu dünnschichtigen Extensivbegrünungen deutlich an. Mit höher werdendem Substrataufbau und der damit verbundenen steigenden Vegetationsausprägung und Pflanzenhöhe steigt auch die Wahrscheinlichkeit, Bodentiere zu finden. Analog mit der Wahrscheinlichkeit, überhaupt Bodentiergruppen zu finden, steigt auch die Anzahl der gefundenen Arten. Durch das dauerhafte Vorkommen größerer Bodentierpopulationen erhöht sich das Ressourcenspektrum einer Dachbegrünung um mögliche Beutetiere für andere Tiere in der Nahrungspyramide.

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Artenvielfalt Bauwerksbegrünung
Artenzahlen von Bodentieren in Abhängigkeit der Dachbegrünungsform. Abbildung: BuGG
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Artenzahlen von Laufkäfern und Wildbienen in Abhängigkeit der Dachbegrünungsform. Abbildung: BuGG
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Artenreiche Dachbegrünung mit vielfältigen Blühaspekten als Maßnahme zum Erhalt der Artenvielfalt. Foto: BuGG

Definition "Biodiversitätsgründach"

  • Höherwertige Extensivbegrünung
  • Einfache Intensivbegrünung

Unter einem Biodiversitätsgründach ist eine Dachbegrünung mit hoher Struktur- und Artenvielfalt zu verstehen, die Tieren weitere Lebensräume bieten. Durch eine erhöhte Struktur- und Pflanzenvielfalt auf dem Dach wird die Artenvielfalt der Fauna nachhaltig gefördert. Vereinfacht dargestellt gibt es zwei Varianten, ausgeprägt als:

In der Regel geht man bei einem Biodiversitätsgründach von einer extensiven Dachbegrünung aus, die durch verschiedene Maßnahmen aufgewertet ist.

Es können auch Intensivbegrünungen eine hohe Artenvielfalt aufweisen, wenn sie zielgerichtet mehr auf die Tiere und weniger auf den Menschen ausgerichtet sind - was durch Pflanzenauswahl und Nutzungsart erreicht wird.

Fazit: Artenreiche Dachbegrünung plus Biodiversitätsbausteine gleich Biodiversitätsgründach.

Vegetationstechnik (Gründachschichtaufbau)

Der Basis-Aufbau eines kostengünstigen Biodiversitätsgründaches in Form einer mehrschichtigen Extensivbegrünung mit einer Gesamtaufbauhöhe von 10 bis 15 cm sieht wie folgt aus:

  • circa 2 bis 4 cm Dränschicht (Kunststoff- oder Schüttgüterdränage)
  • Filtervlies
  • circa 6 bis 12 cm Vegetationstragschicht
  • Sedum-Gras-Kraut-Vegetation

Der Basis-Aufbau von 10 bis 15 cm wiegt im wassergesättigten Zustand etwa 120 bis 180 kg/m² und kann sowohl auf Dächern mit und ohne Gefälle eingesetzt werden. Schon allein dieser Aufbau bietet (gegenüber einer einfacheren Sedum-Begrünung) neben den vielen positiven Wirkungen (Regenwasserrückhalt, Kühleffekte, Hitze- und Kälteschutz, Lärmminderung) ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis und lässt zudem viele Gestaltungsmöglichkeiten und eine große Artenvielfalt zu. Sind die statischen Möglichkeiten gegeben, sind höhere Gründachaufbauten zu befürworten. Um die ökologische Wertigkeit noch zu erhöhen, sind weitere Maßnahmen in Form von Biodiversitätsbausteinen zu ergänzen. Werden dabei Substratanhügelungen verwendet, sind folgende zusätzliche Lasten zu berücksichtigen: pro Zentimeter Substrat fallen je Quadratmeter etwa 12 bis 14 kg an. Andere Biodiversitätsbausteine (bspw. Steinhaufen) sind als zusätzliche Punktlasten statisch zu berücksichtigen.

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Schematische Darstellung eines Biodiversitätsgründaches. Foto: BuGG
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Biodiversitätsgründach in der Bauphase. Gut zu sehen die Substratmodellierungen und Sandlinsen. Foto: BuGG

Biodiversitätsbausteine

Nachfolgend sind verschiedene Maßnahmen aufgeführt, die zu einer höheren Struktur- und damit auch zu einer höheren Artenvielfalt der Fauna führen. Die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und muss fortlaufend den Praxiserfahrungen angepasst werden.

  • Substratmodellierungen mit Bereichen höherer Substratauflage (Substrathöhen von ca. 10 bis 20 cm) für ein breiteres Pflanzenspektrum
  • Partielle Substratanhügelung von einer Aufbauhöhe von etwa 30 bis 40 cm und Pflanzung von anspruchslosen Gehölzen (z. B. Zwergkiefer, Felsenbirne, Ginster) und Stauden als Rückzugsmöglichkeiten für frost- und trockenheitsempfindliche Bodentiere
  • Pflanzenauswahl mit Blühzeitraum von April bis Oktober
  • Gezielte Pflanzenauswahl (bspw. spezielle Futterpflanzen für Insekten und Vögel)
  • Sandflächen als weiteres Mikrohabitat
  • Totholz als Haufen oder Einzelstrukturen als Lebensraum, Verstecke oder Nisthilfen
  • Industriell gefertigte Nisthilfen für Insekten und Vögel
  • Steine als Haufen oder Einzelstrukturen als Versteck oder Nisthilfe
  • Wasserflächen. Ausprägung von kleinen Pfützen bis hin zu Teichen. Meist temporär ausgebildet, das heißt, sie füllen sich durch Niederschlagswasser. Diese können auch mit einem dauerhaften Wasserstand über automatische Wasserzufuhr (Regen- bzw.
  • inkwasser) angelegt werden

Pflanzenverwendung

Bei der Pflanzenverwendung sollte auf bewährte Pflanzenarten heimischer Herkunft geachtet werden, die als Saatgutmischung in Verbindung mit Sedumsprossen oder als Flachballenstauden ausgebracht werden. Oftmals bieten Dachbegrünungssystemanbieter geeignete Saatgutmischungen an. Diese Artenzusammenstellungen haben sich auf dem Extremstandort Dach bewährt und sind aufgrund Erfahrungen vieler Jahrzehnte entstanden.

Durch wissenschaftliche Untersuchungen untermauert und besserer Verfügbarkeit auch umsetzbarer, bietet der Einsatz gebietseigener Wildpflanzen (aus zertifiziertem Regiosaatgut, samenhaltigen Mahdgut oder Rechgut aus regionaltypischen Magerrasen) weitere Möglichkeiten naturnaher Dachbegrünungen. Regionale Saatgutmischungen werden auch immer häufiger von kommunaler Seite aus vorgeschrieben. Zu bedenken ist, dass diese Mischungen zwar auch auf den vorgenannten klassischen Gründachaufbauten mit Substraten nach den FLL-Dachbegrünungsrichtlinien und den üblichen Aufbauhöhen aufgebracht werden können, sich jedoch ein anderes Vegetationsbild im ersten Jahr und den Folgejahren zeigen wird als wir es bisher (aus eigener Erfahrung oder Fachliteratur und Werbebroschüren) gewohnt sind. Wir haben einerseits eine andere Zusammensetzung aus ein- und mehrjährigen Arten und andererseits oftmals keine Langzeiterfahrungen, wie sich die Vegetation auf dem Dach bei relativ geringer Vegetationstragschichten (gegenüber dem gewachsenen Boden) entwickeln wird.

Das heißt auch, dass wir uns mit neuen Pflegekonzepten beschäftigen müssen, was in diesem Beitrag nicht vertieft wird.

Artenvielfalt Bauwerksbegrünung
Biodiversitätsgründach 15 Monate nach Fertigstellung. Mustergültig struktur- und artenreich. Foto: BuGG
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Bestehende Extensivbegrünung aufgewertet zum Biodiversitätsgründach durch Substratauflage und artenreiche Einsaat. Foto: BuGG
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Biodiversitätsbausteine: Substratmodellierung, Nisthilfen und Totholz. Foto: BuGG
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Je nach Pflanzenauswahl finden verschiedene Wildbienenarten Nahrung auf begrünten Dächern. Foto: BuGG

Ökologische Aufwertung bestehender (extensiver) Dachbegrünungen

Grundsätzlich lassen sich auch schon bestehende extensive Dachbegrünungen ökologisch aufwerten - sofern eine ausreichende zusätzliche Flächenlastreserve vorhanden ist. Das könnte auch bereichsweise über Stützwänden oder Trägern der Fall sein. Ist eine ausreichende Statik vorhanden, gibt es zwei Möglichkeiten, die Artenvielfalt der Vegetation zu erhöhen:

  • Flächige Erhöhung der Substratschicht um etwa 5 bis10 cm und Neueinsaat. Das wäre ein zusätzliches Gewicht von etwa 70 bis 140 kg/m².
  • Partielle Erhöhung durch Substratanhügelungen (um weitere 20 bis 40 cm) und Pflanzung von Stauden und Gehölzen. Hier beträgt das zusätzliche Gewicht etwa 280 bis 560 kg/m².

Zusätzlich kommt partiell noch die Aufbringung von Totholz und Einbau von Sandlinsen dazu.

Selbstredend können auch schon vorhandene Intensivbegrünungen ökologisch aufgewertet werden. Hier spielt die Statik meist keine Rolle. Hier wären Nisthilfen und Wasserflächen zu ergänzen und ggf. Pflanzen auszutauschen.

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Beispielhaft, altbewährt und als Ausgleich für den Natureingriff: Biodiversitätsgründach auf einem Industriegebäude in der Schweiz. Foto: BuGG
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Nachträgliche ökologische Aufwertung einer bestehenden Extensivbegrünung mit Substratanhügelung. Foto: BuGG
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Pflanzung von Stauden und Gehölzen. Schaffung von Rückzugsflächen für Bodentiere. Foto: BuGG
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Nachträgliche Begrünung eines bisher unbegrünten Flachdaches – dort wo es die Statik erlaubt hat. Foto: BuGG

Zusammenfassung

Fast jedes Gründach kann mit relativ geringem Mehraufwand artenreicher ausgebildet werden, auch wenn es nicht zwingend gleich als Biodiversitätsgründach gelten muss. Auch wenn es dazu keine klare Definition gibt, so ist damit eine Dachbegrünung mit auffällig hoher Struktur- und Artenvielfalt und besonderen Ausstattungselementen (beispielsweise Substratanhügelungen, Nisthilfen, Wasserflächen) gemeint. Je struktur- und pflanzenartenreicher ein Dach ist, desto artenreicher ist seine Tierwelt.

Die BuGG-Fachinformation "Biodiversitätsgründach" mit Grundlageninformationen ist zu finden unter: www.gebaeudegruen.info/service/downloads/bugg-fachinformation. Im dritten Quartal des Jahres erscheint die Neufassung mit vielen Praxisbeispielen.

Quellenhinweise

  • BuGG (2020): BuGG-Fachinformation Biodiversitätsgründach. - Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG), Eigenverlag, Berlin
  • FLL (2020): Fachbericht Bienenweide. - Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL), Eigenverlag, Bonn
  • Mann G. (1998): Vorkommen und Bedeutung von Bodentieren (Makrofauna) auf begrünten Dächern in Abhängigkeit von der -Vegetationsform. - Dissertation Univ. Tübingen
  • Schröder, R., Jeschke, D., Kiehl, K.: Wie extensive Dachbegrünung regionaltypische Biodiversität fördern kann. - Gebäude-Grün 4-2020, Patzer Verlag, Berlin
  • Witt, R., Kaltofen, K. (2020). Klimawandel: Fluch oder Chance? - Naturgarten Verlag
Dr. Gunter Mann
Autor

Präsident des Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG)

Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG)

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