Potenziale und Hemmnisse für eine klimaangepasste Stadtentwicklung

Das Schwammstadtprinzip

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Schwammstadt Stadtklima
Abb. 1: Verortung Wiesbadens in Deutschland und der Metropolregion Frankfurt/ RheinMain. Abbildung: Rebecca Gohlke

Im Zuge von Klimaanpassungsbestrebungen suchen Städte Konzepte, die zur Kühlung wärmebelasteter und vulnerabler Gebiete sowie zur Minderung der Gefahr durch Extremwetterereignisse beitragen. Das chinesische Schwammstadtprinzip stellt den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser und die Steigerung der Lebensqualität in urbanen Räumen im Kontext des Klimawandels in den Fokus.

Wie in vielen anderen Großstädten spüren die Bürgerinnen und Bürger der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden die Folgen des Klimawandels. Das Jahr 2018 war mit 12,7 °C Jahresmitteltemperatur das wärmste Jahr der Region seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (HLNUG 2019). Besonders in den hochverdichteten und versiegelten Stadtgebieten ist durch den Wärmeinseleffekt eine steigende Anzahl an Sommertagen, heißen Tagen, und Tropennächten zu beobachten. Eine weitere Verschärfung der Wärmebelastung ist für Wiesbaden auf Grundlage von Stadtklimamodellierungen zu erwarten (Noppel 2017). Für vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie Säuglinge, Kleinkinder, kranke und ältere Menschen, kann extreme Hitze gesundheitsgefährdend sein und zu Todesfällen führen (UBA 2015). In den Jahren 2002 bis 2017 konnten elf kurze und intensive Starkregenereignisse über Wiesbaden gemessen werden, was einen durchschnittlichen Schaden von 5485 Euro bei 116,5 von 1000 Gebäuden zur Folge hatte, da die Kanalisation die großen Wassermassen zeitweise nicht mehr aufnehmen konnte (GDV 2019). Aufgrund der hohen Konzentration von Gebäuden und Infrastrukturen ist vor allem in urbanen Räumen ein großes Schadenspotential durch Extremwetterereignisse festzustellen. Sowohl die zunehmende Hitzeentwicklung als auch die Überflutungsgefahr durch Starkregen begründen einen dringenden Handlungsbedarf Wiesbadens zur Anpassung der bestehenden Stadtstruktur an die Folgen des Klimawandels. Die hessische Landeshauptstadt benötigt ein Konzept, das Maßnahmen zur Kühlung stark erhitzter und vulnerabler Stadtgebiete vorsieht sowie zum Überflutungsschutz in Gefährdungsgebieten beiträgt.

Weltweit sind in den letzten Jahrzehnten verschiedene Konzepte zur naturnahen Regenwasserbewirtschaftung entwickelt worden, die den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser und die Steigerung der Lebensqualität in urbanen Räumen im Kontext des Klimawandels in den Fokus stellen. Hierzu zählen unter anderem das "Watersensitive Urban Design" aus Australien, das "Low Impact Development" (LID) und die "Green Infrastructure" aus den USA und auch das chinesische Schwammstadtprinzip (Fletcher et al. 2015). Letzteres hat das Ziel, den negativen Einfluss der Urbanisierung auf den natürlichen Wasserkreislauf zu minimieren und Städte resilienter gegenüber Extremwetterereignissen zu gestalten. Doch was beinhaltet das Schwammstadtprinzip und welche Maßnahmen eignen sich besonders zur Anpassung von Bestandsgebieten an die Folgen des Klimawandels? Diese und weitere Forschungsfragen galt es im Rahmen der Masterarbeit "Erarbeitung eines Maßnahmenkatalogs anhand des Schwammstadtprinzips zur klimawandelangepassten Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Wiesbaden" an der Hochschule Geisenheim University zu klären. Betreut wurde die Arbeit 2020 im Studienbereich Landschaftsarchitektur von Prof. Dr. Alexander von Birgelen und Prof. Dr. Jan Dieterle.

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Abb. 2: Die Risikogebiete Wiesbadens. Abbildung: Rebecca Gohlke
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Abb. 3: Vergleich der urbanen Regenwasserbewirtschaftung nach dem konventionellen Schema und dem Schwammstadt-Schema (in Anlehnung an Wang et al. 2018). Abbildung: Rebecca Gohlke

Problemanalyse - Die Wiesbadener Risikogebiete

Da die stadtklimatische, städtebauliche und sozialräumliche Situation innerhalb des Wiesbadener Stadtgebiets stark variiert, wurden zu Beginn der Arbeit die Risikogebiete Wiesbadens mit hohem Handlungsbedarf zur Klimafolgenanpassung ermittelt. Innerhalb der Problemanalyse fand die Eingrenzung der Risikogebiete über die drei Analyseebenen Wärmebelastung, Vulnerabilität der Bevölkerung und Überflutungsgefahr durch Starkregen im Bestand statt. In der Analyseebene Wärmebelastung wurden zwei Stadtklimaanalysen miteinander verglichen und die Stadtgebiete mit der höchsten Wärmebelastung als urbane Wärmeinseln definiert.

In der anschließenden Vulnerabilitätsanalyse wurde die Verletzlichkeit der Wiesbadener Bevölkerung gegenüber einer hohen Wärmebelastung auf Ebene der 26 Ortsbezirke untersucht. Als Basisindikatoren dienten die Dichte der Ü80-Jährigen, die Dichte der U6-Jährigen und sogenannte "Hot Spots", wie Kindertagesstätten oder Pflegeheime. Die dritte Analyseebene Überflutungsgefahr durch Starkregen wurde anhand einer Literaturrecherche ausführlich behandelt, da eine Starkregengefährdungskarte für Wiesbaden zum Zeitpunkt der Erstellung der Masterarbeit noch nicht vorlag. Allgemeingültige Aussagen zu überflutungsgefährdeten Strukturen wurden auf das Wiesbadener Stadtgebiet übertragen. Aus den Ergebnissen der drei Analyseebenen wurden die Risikogebiete für das Wiesbadener Stadtgebiet eingegrenzt: Die Wiesbadener Innenstadt, Teile der am Rhein gelegenen Ortsbezirke Schierstein, Biebrich und Mainz-Kostheim sowie der Ortskern Dotzheims (Abb. 2). Für die genannten Risikogebiete galt es im Anschluss Maßnahmen nach dem Schwammstadtprinzip zu finden, die zum Überflutungsschutz und zur Reduzierung der Wärmebelastung beitragen können.

Theoretische Grundlage - Das Schwammstadtprinzip

Beim Schwammstadtprinzip handelt es sich um eine umfassende Stadtentwicklungsstrategie. Ausgangspunkt der Entwicklung des Prinzips war die Feststellung verschiedener wasserwirtschaftlicher Probleme chinesischer Städte zur Jahrhundertwende. Dazu gehörten u. a. extremer Wassermangel, urbane Überflutungen und starke Gewässerverschmutzungen (Li et al. 2016). Seit den 1980er Jahren erlebt China eine immense urbane Expansion. Der Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung ist von circa 36 Prozent im Jahr 2000 auf circa 55 Prozent im Jahr 2014 gestiegen (Li et al. 2017).

Dementsprechend wuchsen die Städte in einem rasanten Tempo, große Flächen wurden versiegelt und natürliche Schwämme, wie zum Beispiel Feuchtgebiete, zerstört (Mi und Luo 2018). Die Regenwasserbewirtschaftung chinesischer Städte konzentrierte sich, wie in Deutschland auch, auf das schnelle Ableiten von Oberflächenabflüssen über ein Netz aus Rohrleitungen und Wasserpumpen aus der Stadt. Dies führte zu einem starken Eingriff in den natürlichen Wasserkreislauf und zu ökologischen Schäden innerhalb der urbanen Räume (Xiang et al. 2019). Infolgedessen reagierte die chinesische Regierung und förderte die Forschungsbereiche zur urbanen Hydrologie, um einen alternativen Regenwasserbewirtschaftungsansatz zu entwickeln. Nach jahrelanger Forschung und dem Vergleich der Konzepte anderer Länder entstand die Idee der Schwammstadt. 2013 wurde das Schwammstadtprinzip erstmalig vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping vorgestellt. Im darauffolgenden Jahr startete das Schwammstadtprogramm der Zentralregierung zur finanziellen Unterstützung chinesischer Pilotstädte (Li et al. 2016).

Die Umsetzung des Schwammstadtprinzips soll sowohl in Neubaugebieten als auch in alten Stadtkernen und angrenzenden Bebauungsstrukturen erfolgen. Es gilt die Fähigkeit einer Stadt wiederherzustellen, Regenwasser aufzunehmen, zu verdunsten, zu versickern, zu speichern, zu reinigen, wiederzuverwenden und abzuleiten (Abb. 3). Auf eine Annäherung des urbanen Wasserkreislaufs an den natürlichen Wasserkreislauf soll hingearbeitet werden (Zevenbergen et al. 2018b). Die Vision der Schwammstadt dient als roter Leitfaden und steht als Entwicklungsziel am Ende des Prozesses. Eine Schwammstadt zeichnet sich durch eine gesicherte Wasserversorgung und Regenwassernutzung, die Reduzierung der Überflutungsgefahr bei Extremwetterereignissen und eine gesunde, natürliche Umwelt aus (Li et al. 2016). Eine Schwammstadt kann sowohl ein "zu viel" an Wasser als auch ein "zu wenig" an Wasser ertragen und bewirtschaften. Die zwei Hauptträger des Schwammstadtprinzips bilden die grünen und blauen Flächen einer Stadt, d. h. natürliche oder naturnahe Grünflächen und Gewässer (Mi und Luo 2018). Durch die Verknüpfung dieser Flächen ergeben sich nicht nur wasserwirtschaftliche Vorteile, sondern auch weitere Vorteile für die Umwelt, die Wirtschaft und die menschliche Gesundheit. Hinzu kommt die Verbesserung des Stadtklimas und der urbanen Lebensqualität durch die Eindämmung des urbanen Wärmeinseleffekts (Wang et al. 2018).

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Abb. 4: Das Konstruktionssystem der Schwammstadt (in Anlehnung an Zhang et al. 2018). Abbildung: Rebecca Gohlke

Inhaltlich basiert die Konstruktion einer Schwammstadt nach Li et al. 2016 auf drei aufeinanderfolgenden Leitlinien:

  1. Schutz von ökologischen Systemen und ihrer Funktionen (u. a. Flüsse, Seen, Feuchtgebiete, Teiche, Wälder und Grasland)
  2. Restauration von zerstörten oder beeinträchtigten ökologischen Systemen
  3. Maßnahmen nach dem LID-Konzept

Das Besondere am Schwammstadtprinzip ist die starke Rückbesinnung zur Natur und den Naturgesetzen als Grundlage der Planung. Die Bewahrung und Restauration ökologischer Systeme als natürliche Schwämme erhalten die höchste Priorität. Der Landschaftsarchitekt Kongjian Yu gilt als Vordenker der Schwammstadt und setzte mit seinem Büro Turenscape bereits einige international bekannte Schwammstadtprojekte um. Zu nennen sind hier unter anderem der Sanlihe Greenway in Qian'an, der Forest Park in Qinhuangdao, der Qunli Stormwater Park in Harbin und der Qiaoyuan Wetland Park in Tianjin (Saunders 2012). Das LID-Konzept zielt darauf ab, bei Niederschlägen den Abfluss und die Verschmutzung durch dezentralisierte und kleinräumige Maßnahmen direkt an der Quelle der Abflussentstehung kontrollieren zu können (Zhang et al. 2018). Zu den gängigsten LID-Maßnahmen gehören versickerungsfähige Beläge, Dachbegrünungen, Regengärten, Grasmulden und Regentonnen.

LID-Maßnahmen eigenen sich vor allem zur Abflusssteuerung von weniger intensiven und häufiger vorkommenden Regenereignissen (Fu et al. 2018). Zur Reduzierung der Abflussspitze bei stärkeren und seltenen Regenereignissen sind große Speicherkapazitäten wichtig, die während des Starkregens einen Großteil des Abflussvolumens aufnehmen können und ihn kontrolliert nach dem Regenereignis wieder abgeben (Goh et al. 2018). Dementsprechend setzt das Schwammstadtprinzip zum Überflutungsschutz neben LID-Maßnahmen auch auf die traditionelle graue Infrastruktur und große Stauräume. Diese sollen nicht getrennt voneinander agieren, sondern zusammen als sogenannte "Schwamminfrastruktur" arbeiten (Wang et al. 2018 und Abb. 4).

Xiang et al. 2019 beziehen sich auf 24 technische Maßnahmen, die im Rahmen des Schwammstadtprinzips beworben und gefördert werden. Diese lassen sich den sechs Funktionskategorien Versickern, Rückhalten, Speichern, Reinigen, Nutzen und Ableiten zuordnen. Größtenteils sind die Maßnahmen in Deutschland bereits bekannt. Nach Zevenbergen et al. 2018b liegen die Entwicklungsschwerpunkte für Bestandsgebiete auf dem Akzeptieren, Anpassen und Nachrüsten. Die Arbeit konzentrierte sich daher auf die Möglichkeiten des "Retrofittings". Entsprechend der Eingrenzung wurden elf technische Maßnahmen in Steckbriefen detailliert beschrieben und anschließend hinsichtlich ihres Freiflächenbedarfs und ihrer Wirkung verglichen (Tabelle 1). Dabei zeigte sich, dass jede Maßnahme eigene technische Eigenschaften, spezifische Einbaubeschränkungen und unterschiedliche Effektivitätsgrade aufweist. So hat bspw. die Maßnahme "Künstliches Feuchtgebiet" den vergleichsweise höchsten Freiflächenbedarf, besitzt aber auch die höchste Wirksamkeit zur Kühlung durch Verdunstung und zur Reduzierung der Abflussspitze.

Theoretische Anwendung - Der Maßnahmenkatalog

Innerhalb der theoretischen Anwendung wurde geprüft, welche Schwammstadtmaßnahmen sich auf die unterschiedlichen Stadtstrukturtypen in den Wiesbadener Risikogebieten anwenden lassen und worin die determinierenden Faktoren oder Interessenskonflikte bestehen. Ziel war die Erstellung eines konzeptionellen Maßnahmenkatalogs und die Ableitung von Handlungsempfehlungen für die Stadt. Finanzielle Rahmenbedingungen, wie Investitionskosten und Kosten für Wartung und Instandhaltung, wurden hingegen nicht betrachtet.

1. Schutz und Restauration ökologischer Systeme

Im ersten Abschnitt wurde der Schutz und die Restauration ökologischer Systeme behandelt. Geografisch grenzt Wiesbaden im Süden an die Flüsse Rhein und Main und im Norden an das Mittelgebirge Taunus an. Zwar gilt Wiesbaden mit circa 57,2 Prozent Vegetationsfläche als eine grüne Stadt inmitten der Wachstumsregion Rhein-Main. Doch besteht der Grünanteil zu einem Großteil aus den angrenzenden Wald- und Landwirtschaftsflächen und nicht aus innerstädtischen Grünflächen. Trotz der Lage an Rhein und Main weist das Wiesbadener Stadtgebiet einen geringen Anteil an Wasserflächen (2,6 %) auf (Landeshauptstadt Wiesbaden 2019). Ein Mangel an blau-grünen Flächen im Siedlungsgebiet ist daher festzustellen.

Im Taunus entspringen zahlreiche Quellen, deren Wasser in Bächen zusammenfließt und ein Netz an oberirdischen Fließgewässern bildet. In den urbanen Gebieten und insbesondere der Innenstadt verlaufen Abschnitte der Taunusbäche in einer Mischkanalisation zusammen mit dem städtischen Abwasser oder in betonierten Bachbetten. Durch die Begradigung des Rheins sowie weiterer Wasserbaumaßnahmen in der Vergangenheit wurde die natürliche Stromlandschaft mit Auwäldern, Feuchtgebieten und ausgeprägten Uferlandschaften weitestgehend zerstört (Streitz 2012).

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Tab. 1: Vergleich der technischen Maßnahmen Quelle: eigene Darstellung
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Abb. 5: Extensive und intensive Dachbegrünung. Foto: BuGG

Auf die Wiesbadener Risikogebiete bezogen stand die Renaturierung der Taunusbäche im Fokus der Arbeit. Als natürliche Schwämme können Fließgewässer Regenwasser aufnehmen, ableiten und über eine hohe Verdunstungsleistung die Umgebung kühlen. Zwar handelt es sich bei den Taunusbächen nicht um große Fließgewässer, doch können sie zum Transport von Kalt- und Frischluft in die verdichteten Risikogebiete beitragen. Mit dem städtischen Projekt "Bäche ans Licht" begann Wiesbaden 2014, den Wellritzbach und den Kesselbach entlang ihrer ursprünglichen Bachverläufe oberirdisch durch die Stadt zu führen. Die dichte Bebauungsstruktur der Innenstadt lässt jedoch kaum Platz für Renaturierungsmaßnahmen.

Nur punktuelle Offenlegungen der Bäche auf Plätzen und Grünflächen und eine natürliche Ausgestaltung mit intensiver Bepflanzung sind möglich. Der Belzbach im Dotzheimer Ortskern und der Mosbach in Biebrich verlaufen beide bereits in weiten Teilen oberirdisch in Betonbetten durch das Siedlungsgebiet. Aufgrund fehlender Freiflächen ist eine Renaturierung der Bachläufe ebenfalls nicht möglich. Zur Verbesserung der klimatischen und ökologischen Verhältnisse kann eine stärkere Bepflanzung und die Gestaltung einer natürlichen Bachsohle vorgesehen werden. Der oberirdisch fließende Lindenbach im Ortsbezirk Schierstein grenzt zum Teil an öffentliche, halböffentliche und private Grünflächen. Eine Renaturierung in Abschnitten ist grundsätzlich möglich, erfordert aber die Bereitstellung der Freiflächen von privater und kommunaler Seite. Insgesamt fällt die Bilanz der Maßnahme "Renaturierung von Fließgewässern mit Vegetationspufferzone" in den Risikogebieten ernüchternd aus. Die dichte Bebauung entlang oder oberhalb der Bachläufe und die Kleinteiligkeit der Eigentumsverhältnisse schränken die Möglichkeiten zur Renaturierung größtenteils ein. Eine weitere bauliche Verdichtung entlang der Taunusbäche sollte dringend vermieden und öffentliche Freiflächen zur Offenlegung und naturnahen Gestaltung genutzt werden. In Bezug auf den Überflutungsschutz sollten Eigentümer:innen von angrenzenden Gebäuden auf den individuellen technischen Objektschutz setzen.

2. Retrofitting-Maßnahmen für die Stadtstrukturtypen

Im zweiten Teil des Maßnahmenkatalogs wurden Retrofitting-Maßnahmen für die Stadtstrukturtypen der Risikogebiete in den Bereichen Siedlung, Verkehr und Grünfläche erstellt. Im Bereich Siedlung wurden zehn Stadtstrukturtypen betrachtet, deren Verhältnis zwischen bebauter und unbebauter Fläche (Freifläche) stark variiert. Je höher die Freiflächenverfügbarkeit, desto höher ist das Anpassungspotential, da größere und wirksamere Schwammstadtmaßnahmen umgesetzt werden können. Die zehn Stadtstrukturtypen wurden daher entsprechend ihres Freiflächenanteils in drei Kategorien eingeteilt (gering, mittel, hoch).

Beispielhaft wird im Folgenden der erstellte Maßnahmenkatalog für die Stadtstrukturtypen mit einem geringen Freiflächenanteil aufgezeigt. Zu dieser Kategorie gehört die Altstadt, die moderne Innenstadt und die geschlossene Blockbebauung (Abb. 6). Der Versiegelungsanteil dieser Stadtstrukturtypen liegt bei 95 bis 100 Prozent. Sie weisen eine sehr dichte Bebauungsstruktur auf. Bestehende Innenhöfe sind größtenteils vegetationslos ausgestaltet, da sie als Stellplätze genutzt werden. Die genannten Stadtstrukturtypen erreichen daher die höchste Wärmebelastung in der Stadt. Die Umsetzung von hitzereduzierenden Maßnahmen ist im Sinne des Gesundheitsschutzes besonders wichtig. Ein Großteil der Flächen ist zudem abflusswirksam, sodass anfallendes Regenwasser fast vollständig der Kanalisation zugeführt wird. Für eine wassersensible Entwicklung ist auf eine Reduktion der abflusswirksamen Flächen und eine Erhöhung versickerungsfähiger Flächen hinzuarbeiten. Dementsprechend stehen die Entsiegelung und Begrünung der Innenhöfe im Vordergrund (Abb. 7). Die Verwendung versickerungsfähiger und begrünbarer Oberflächenbeläge wird empfohlen. Die Pflanzung von Bäumen ist im Sinne der Maßnahme "Aufforstung" zu fördern, um im Sommer neben einer höheren Verdunstungskühlung auch mehr Beschattung zu erreichen. Zur Versickerung des Oberflächenabflusses in den engen Innenhöfen können Baum-Rigolen und Regengärten als Mulden-Rigolen-Systeme eingeplant werden.

Letztere tragen auch in ästhetischer Hinsicht zu einer Aufwertung des Innenhofs bei. Um die Wasserverfügbarkeit der Pflanzen und somit ihre kühlende Wirkung auch in Trockenperioden sicherzustellen, ist eine Bewässerung notwendig. In Regentonnen kann Regenwasser der Dachflächen gespeichert und anschließend zur Bewässerung der Bepflanzung genutzt werden. Für langanhaltende Hitzewellen werden jedoch weitere nachhaltige Wasserquellen, wie zum Beispiel Grauwasser, zur Bewässerung benötigt. Die Maßnahme Dachbegrünung hat keinen Freiflächenbedarf und ist daher wichtig für hochverdichtete Stadtstrukturtypen. Die historische Bausubstanz lässt aufgrund des Denkmalschutzes, fehlender statischer Voraussetzungen oder ungeeigneter Dachflächen kaum eine Begrünung zu. Verschiedene nachträgliche Anbauten, wie beispielsweise Garagen oder Hinterhäuser, können jedoch für eine extensive Begrünung in Frage kommen. Auf Parkhäusern bietet sich das obere Parkdeck aufgrund der guten statischen Bedingungen sogar für eine intensive Begrünung an. Voraussetzung für die genannten Maßnahmen ist, die Stellplatz- beziehungsweise Parkplatznutzung auszulagern.

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Abb. 6: Stadtstrukturtypen mit geringem Freiflächenanteil. Moderne Innenstadt und Geschlossene Blockbebauung im Ortsbezirk Mitte. Abbildung: Rebecca Gohlke
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Abb. 7: Retrofitting-Maßnahmen für Stadtstrukturtypen mit geringem Freiflächenanteil Abbildung: Rebecca Gohlke

Für alle Strukturtypen im Bereich Siedlung kann festgehalten werden, dass sich Maßnahmen mit einem geringen Freiflächenbedarf aufgrund der dichten Bebauung innerhalb der Risikogebiete quantitativ häufiger umsetzen lassen als Maßnahmen mit einem großen Freiflächenbedarf. Determinierende Faktoren sind zudem der Denkmalschutz und die alte Bausubstanz, die Nutzungskonkurrenz mit vorhandenen Stell- und Parkplatzflächen und die Kleinteiligkeit der Eigentumsverhältnisse beziehungsweise Größe der einzelnen Grundstücke. Ohne die Mitwirkung der Eigentümer:innen ist die Realisierung von Schwammstadtmaßnahmen im Siedlungsbestand nicht umsetzbar. Zur finanziellen Unterstützung und als Anreiz wurde daher die Aufstellung eines städtischen Förderprogramms für die Risikogebiete empfohlen. Zudem ist eine intensive Öffentlichkeits- und Beratungsarbeit notwendig, um über die möglichen Maßnahmen und ihre positiven Wirkungen zu informieren.

Aufgrund des hohen Anteils von Verkehrsflächen im Stadtgebiet (11,3 %) besteht in der Realisierung von klimaangepassten Straßenräumen und Parkplätzen ein hohes Potential der Stadt zur Anpassung an den Klimawandel. Da diese hauptsächlich in kommunaler Hand liegen, können die Maßnahmen im Rahmen von anstehenden Umbau- und Reparationsvorhaben mitgedacht werden. Die Reduzierung von Flächen für den motorisierten Individualverkehr zugunsten alternativer Mobilitätsformen und Grünflächen sowie Investitionen von Seiten der Stadt sind hier notwendig. Die innerstädtischen Parkanlagen bilden aufgrund ihrer intensiven Begrünung und Integration von künstlichen Teichen oder Wasserbecken bereits einen positiven Einfluss auf das Mikroklima in der Stadt. Es gilt die kühlende Wirkung der Parkanlagen zu erhalten und die Flächen auch für eine nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung zu nutzen.

Fazit

Der konzeptionelle Maßnahmenkatalog zeigt Möglichkeiten auf, wie das Schwammstadtprinzip zur Anpassung der Wiesbadener Risikogebiete an die Folgen des Klimawandels beitragen kann. Das Besondere am Schwammstadtprinzip ist die starke Rückbesinnung zur Natur und die Relevanz ökologischer Systeme. Es wurden unterschiedliche Maßnahmen identifiziert, die effektiv und naturnah zu einer Minderung der Wärmebelastung und Reduzierung von Abflussspitzen beitragen können. Gleichzeitig wurden für die Umsetzung der Maßnahmen in Bestandsgebieten verschiedene determinierende Faktoren erkannt. Insbesondere die geringe Freiflächenverfügbarkeit in den Gebieten mit hohem Handlungsbedarf verhindert die Umsetzung großflächiger und wirksamer Schwammstadtmaßnahmen. Der Interessenskonflikt mit dem Denkmalschutz, die Nutzungskonkurrenz mit Stell- und Parkplatzflächen und die Kleinteiligkeit der Eigentumsverhältnisse stellen weitere Hemmnisse dar. Das Schwammstadtprinzip allein bildet daher nicht die Lösung für alle urbanen Herausforderungen durch den Klimawandel. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen dieser Arbeit können jedoch zur Erstellung einer zukünftigen kommunalen Klimaanpassungsstrategie für die Bestandsstruktur Wiesbadens hinzugezogen werden. Finanzielle Rahmenbedingungen, wie Investitionskosten und Kosten für Wartung und Instandhaltung, sind für eine umfangreiche Maßnahmenplanung zu ergänzen. Der Konflikt Gesundheitsschutz versus Denkmalschutz bei der Klimaanpassung und das Potenzial klimaangepasster Straßenräume im Kontext der Mobilitätswende werfen zum Schluss interessante Fragestellungen für zukünftige Arbeiten auf.

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M.Sc. Rebecca Gohlke
Autorin

Landschaftsarchitektin, Referentin für Projektarbeit beim Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG)

Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG)

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