Nachbarschaft des Westbahnhofs wird an einem Hitzetag um bis zu 1,5°C abgekühlt

Ein vertikaler Park für Wien

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Klimaanpassung Bauwerksbegrünung
1a. Bis 2021 entsteht ein siebengeschossiges Einrichtungshaus und Hostel ... Foto: Ikea Austria
Klimaanpassung Bauwerksbegrünung
1b. ... mit insgesamt 160 Bäumen, begrünten Fassaden sowie öffentlich zugänglicher und begrünter Dachterrasse. Foto: Ikea Austria

Ikea eröffnet 2021 in Wien das innovativste Einrichtungshaus, das es aktuell in der Ikea Welt gibt. Es wird einen positiven Beitrag zur Klimawandelanpassung leisten, autofrei sein und ein Ort, an dem sich Menschen gerne treffen. Dabei stand am Anfang des Ideenwettbewerbs-Prozesses die Frage, was sich die Menschen rund um den Standort wünschen würden, wenn sie denn die Wahl hätten? „Die Antwort war klar – einen innerstädtischen Park!“, so Jakob Dunkl von querkraft architektur.

Gemeinsam mit seinem Team und in der Gewissheit, dass man bei Ikea die Themen Nachhaltigkeit, Biodiversität und Nachbarschaft sehr ernst nimmt, entwickelte querkraft das visionäre Projekt eines vertikalen Parks, in dem gleichzeitig ein Möbelhaus und ein Hostel steckt. Dieser verantwortungsvolle Umgang mit urbanem Raum und seinen vielfältigen Wirkungen und Interaktionen auf unterschiedlichsten Ebenen wird gerade mit Hilfe von state-of-the-art Architektur, Landschaftsarchitektur und IT-basierten Tools umgesetzt.

Wachsende Relevanz urbaner Freiräume

Neben der COV19-Krise verzeichnet das Jahr 2020 in Österreich und weltweit auch bei den Klima- und Wetteraufzeichnungen einen besorgniserregenden Rekord nach dem Anderen. Die Notwendigkeit und enorme Bedeutung von Architektur und Freiräumen für die Stadtbewohner*innen, die durch den gezielten Einsatz von Grüner und Blauer Infrastruktur Erholung, Naturerlebnis, thermischen Komfort und Lebensqualität bieten, wurde gerade durch die Krise unterstrichen und war noch nie so offensichtlich. Gleichzeitig sind Grüne Infrastrukturen der Schlüssel zur erfolgreichen Anpassung des urbanen Raums an den Klimawandel. Hier müssen große Anstrengungen unternommen werden, damit die Transformation von gebauten Betonburgen zu klimaresilienten und lebenswerten Städten gelingt. Das Projekt in Wien zeigt, dass dies auch unter schwierigen Rahmenbedingungen gelingen kann.

Bäume und Sträucher an allen Fassaden

Direkt angrenzend an den Wiener Westbahnhof entsteht inmitten einer dichten gründerzeitlichen Bebauung auf ca. 4000 m2 Footprint bis zum Jahr 2021 ein siebengeschossiges Einrichtungshaus und Hostel mit insgesamt 160 Bäumen, begrünten Fassaden sowie öffentlich zugänglicher und begrünter Dachterrasse. Das vom Wiener Architekturbüro querkraft architekten entworfene Gebäude ist voll und ganz auf Fußgänger, Radfahrer und Benutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln ausgelegt. Der erste innerstädtische Ikea Store in Wien besticht mit einem zeitgemäßen und höchst innovativen Mobilitätskonzept – wo es keine Pkw-Stellplätze, dafür erstmals viele Pflanzen gibt.

„Wir sind einen weiten Weg gegangen von ‚blauen Boxen‘ auf der grünen Wiese hin zu einem Innenstadt Einrichtungshaus, das seinesgleichen sucht. Wir wagen dieses Experiment, weil sich unser Leben, das Kundenverhalten und auch die Mobilitätsgewohnheiten rasant ändern. Um dem zu begegnen, braucht es neue Wege“, so Maimuna Mosser, Business Development Managerin von Ikea Austria. Die vielen Bäume und Sträucher an allen Fassaden prägen das Bild des Möbelhauses markant. Dabei wachsen sie aus überdimensionalen Pflanztöpfen und werden sensorgesteuert mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Zur Dimensionierung der Verankerung und Sicherung der Gehölze wurden Windsimulationen durchgeführt, um die auftretenden Windkräfte richtig berücksichtigen zu können.

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In Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimaresilienz setzt das Projekt auf die Stateof-the-Art-Technologien in diesem Bereich: neben Breeam Excellent wurde dem Projekt weltweit erstmals das Greenpass Platinum Zertifikat verliehen. Die Wirkungen des Gebäudes sowie dessen Außenanlagen auf das Mikro- und Stadtklima erhielten von Beginn an einen sehr hohen Stellenwert. So wurde bereits in der Ideenwettbewerbsphase 2017 frühzeitig eine Greenpass Pre-Certification angewendet, um die Auswirkungen der verschiedenen Planungsentwürfe und die Wirkungsleistung der Begrünung aufzuzeigen und zu argumentieren.

Höchste Klimaresilienz und Nutzerqualität offiziell bestätigt

Die intensive Begrünung des Gebäudes wurde von Kräftner Landschaftsarchitektur mit Unterstützung der Begrünungsexperten von Green4Cities entwickelt. Mit Hilfe von Greenpass konnten die Grünen Infrastrukturen in der Entwurfs- und Detailplanung optimal eingesetzt werden. Das Ziel: eine hohe Wirkungsleistung und thermischen Komfort für die zukünftigen Nutzer und die Nachbarschaft sicherzustellen und dies mit dem ersten internationalen Zertifizierungsstandard für Klimaresilienz auch offiziell zu bestätigen.

Insgesamt wurden dabei sechs urbane Themenfelder mit Fokus auf den Freiraum analysiert, optimiert und bewertet: Klima, Wasser, Luft, Biodiversität, Energie und auch Kosten. Mit einer Gesamtpunkteanzahl von 328 Punkten und damit einem Gesamterfüllungsrgrad von 91 Prozent erhält das hochqualitative Projekt das weltweit erste Greenpass Platinum Zertifikat. Der wissenschaftlich entwickelte Qualitätsnachweis von Greenpass wurde in weiterer Folge auch beim Breeam Bewertungssystem für relevante Indikatoren (Mikroklima und Biodiversität) adäquat angerechnet beziehungsweise gutgeschrieben.

Früher war alles besser, oder?

In diesem, wie in vielen anderen Belangen auch, kann man diese Frage mit einem klaren Nein beantworten – so viel vorweg. Denn das Neubauprojekt wurde zusätzlich mit dem früheren Gebäudebestand genau verglichen. Den Bewertungsrahmen für eine Greenpass Zertifizierung bilden dabei standardisierte und unterschiedlich begrünte Referenz szenarien, von total versiegelt bis zu voll durchgrünt (Worst Case – Moderate Case – Best Case).

Und das Ergebnis? Das markante grüne Design des Möbelhauses schneidet dabei in fünf von fünf Key Performance Scores besser ab, als der frühere Gebäudebestand: Thermischer Abluftstrom, Thermischer Komfort, Thermische Speicherfähigkeit, Abflussbeiwert und CO2 Speicherung. Das Projekt erreicht in den wichtigen Themenfeldern Klima, Luft, Energie sowie Kosten den maximalen Erfüllungsgrad von 100 Prozent, für die Leistung in Bezug auf Biodiversität sind es 75 Prozent, bei Wasser immer noch 47 Prozent (s. Abb. 6). Das grüne Möbelhaus trägt daher maßgeblich zur Verbesserung der Situation vor Ort, gegenüber dem früheren Bestand, bei.

Wieviel besser ist grün? Fakten und Wirkungsleistung

Die Ergebnisse der Greenpass Certification zeigen, basierend auf den Expertensimulationen mittels ENVI-met, dass das Projekt die Lufttemperatur vor Ort an einem typischen Hitzetag um bis zu 1.5 °C abkühlt (s. Abb. 11). Über den Tagesverlauf weist es zusätzlich einen niedrigeren durchschnittlichen thermischen Abluftstrom auf und gibt somit kühlere Luft an die Umgebung weiter, als vorher. Der grüne Baukörper reduziert damit den Urban Heat Island Effekt deutlich.

Dieser Umstand ist umso beeindruckender, als das Projektgebiet mit seinen rund 4000 m2 doch überschaubar ist. Aber nicht nur die Nachbarn profitieren direkt, sondern auch die künftigen Besucher*innen des Gebäudes. Die gefühlte Temperatur (PET) auf der Dachterrasse wird an einem Hitzetag um mehr als 12° kühler wahrgenommen (s.Abb. 11), der thermische Komfort verbessert sich gesamt um ca. zehn Punkte von 54.81 TCS auf 64.69 TCS und bietet auf Boden- als auch Dachniveau den ganzen Tag über (9.00 bis 18.00 Uhr) großflächige Bereiche mit hoher Aufenthaltsqualität (s. Abb. 7). Abbildung 8 zeigt die Wirkungsleistung der grünen Planung im Vergleich zum früheren Bestand (Status Quo) hinsichtlich Lufttemperatur auf Boden- und Dachniveau sowie PET auf Dachniveau.

Die Analyse und Bewertung zeigen, dass die eingesetzte Vegetation inklusive Substratkörper mit mehr als 6 kg CO2, pro Hitzetag dabei dreimal mehr CO2 speichert, als der Bestand zuvor. Aber damit sind wir noch lange nicht am Ende der positiven Wirkungen durch Grün. Die thermische Speicherfähigkeit, ein Maß für die Überhitzung eines Stadtteils, wird ebenso verbessert wie die erforderlichen Kühlgradstunden und der durchschnittliche Abflussbeiwert (von 0.9 auf 0.79). Durch das Projekt werden rund 2700 m2 Grünfläche und 160 Bäume neu gewonnen, die sich zusammen auf eine Blattfläche von über 2 ha summieren werden. Darüber hinaus gewinnt das Projekt 15 (von 20) Bonuspunkte in den qualitativ bewerteten Bonusfeldern Biodiversität, Ressourcen und Soziales.

Dabei liegt der Fokus des Projekts vor Allem auch auf der Förderung der Biodiversität durch Artenvielfalt in der Pflanzenauswahl, unterschiedlicher Vegetationsstrukturen, artenreicher Krautschicht, Habitatstrukturen, Bienen- und Vogelweiden sowie Nist- und Brutplätze. Die Verwendung von recyklierten Baustoffen im Landschaftsbau sowie der Einsatz von smarten Beleuchtungs- und Bewässerungssystemen im Bonusfeld Ressourcen ergänzen die Liste. Zuletzt trägt das Projekt mit der Bereitstellung von privatem Freiraum, Gemeinschaftsbereichen sowie der Barrierefreiheit des Außenraums beziehungsweise Gebäudes auch zum Bonusfeld Soziales positiv bei und komplementiert die hochwertigen Projektqualitäten für die zukünftigen Nutzer und Anrainer. Abbildung 9 präsentiert die wichtigsten Wirkungsleistungen des Ikea Westbahnhof Wien im Überblick.

Durch den frühzeitigen integralen und interdisziplinären Planungsansatz sowie der Berücksichtigung von innovativen, softwarebasierten Planungstools konnte das Projekt hinsichtlich Klimaresilienz und der Wirkungsleistung von Grüner Infrastruktur bestmöglich optimiert werden. „In den kommenden Monaten wird das Haus in die Höhe gezogen, etwa alle sieben Wochen kommt ein Stockwerk dazu. Jedes Mal werden ca. 590 m2 Beton verarbeitet bis dann 2021 ein siebengeschossiges, innovatives, einladendes Einrichtungshaus mit begrünten Fassaden und viel Raum für die Menschen steht“, beschreibt Ikea Construction Project Manager Robert Charuza die aktuellen Arbeiten.

Die gesamtheitliche Greenpass Zertifizierung bietet dabei einen fakten- und zahlenbasierten Qualitätsnachweis für das Gebäude und Außenraum und ist die ideale Ergänzung zu nachhaltigen Gebäudezertifizierungen, die für die Nutzer und die Allgemeinheit eine Vielzahl an zusätzlichen und wertvollen Qualitäten sicherstellt.

Das Projekt leistet in Zukunft einen ganz wichtigen Beitrag für die direkte Nachbarschaft und die Nutzer als auch zur erfolgreichen Anpassung des städtischen Raums an den Klimawandel sowie zur positiven Förderung der Biodiversität und unseres Lebensraums Stadt. Es zeigt vor, wie es geht Klimaschutz und Stadt inklusive höchst intensiver Nutzung zu verbinden und dank der vielen Synergien dadurch direkt zu profitieren. „Der grüne Ikea inmitten Wiens wird hoffentlich vielen Mut machen und Skeptiker überzeugen, diesen Weg der Transformation urbaner Räume hin zu Lebensqualität und Klimaresilienz gemeinsam mitzugehen und -zugestalten“, so Florian Kraus, der Geschäftsführer des Wiener StartUps Greenpass.

Kurzgefasst:
  • Projekthomepage:
    www.ikea.com/at/de/stores/wien-westbahnhof/
  • E-Mail: ikea.austria@ikea.com
    (Stichwort Westbahnhof)
  • Baufortschritt Instagram:
    www.instagram.com/ikeaamwestbahnhof/
  • Projektleitung Ikea:
    Sandra Sindler-Larsson
  • Realisierungsverantwortlicher Ikea:
    Robert Charuza
  • Architektur: querkraft architekten
  • Landschaftsarchitektur:
    Kräftner Landschaftsarchitektur
  • Vegetationstechnik: Green4Cities
  • Klimaresilienz & Zertifizierung:
    Greenpass
Dipl. Ing. Florian Kraus
Autor

CEO

GREENPASS GmbH
Dipl.-Ing. Dr. Bernhard Scharf
Autor

Senior Scientist

Universität für Bodenkultur Wien
 Nami Vali
Autor

GREENPASS GmbH

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