BOKU-Studie zu Hitzeinseln und Starkregen in Metropolen

Grüne Bauweisen können Klimawandel in Städten kompensieren

Dachbegrünung
Mit genug Grün hat der Klimawandel in den Städten Mitteleuropas keine Chance. Das haben Wiener Wissenschaftler herausgefunden. Foto: Gryffindor, CC BY-SA 3.0

Der städtische Klimawandel ließe sich bis 2080 kompensieren, wenn die Beschaffenheit urbaner Oberflächen verändert wird. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Durch Begrünung und Entsiegelung kann der prognostizierte Anstieg der mittleren Strahlungstemperatur in Städten deutlich reduziert, in näherer Umgebung der Begrünung sogar überkompensiert werden.

Im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekts "GrünStadtKlima" hat ein dreizehnköpfiges, interdisziplinär zusammengesetztes Wissenschaftlerteam der BOKU und benachbarter Forschungseinrichtungen um Dr. Ulrike Pitha, Vera Enzi und Bernhard Scharf vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau (IBLB) mit Feldversuchen und Computersimulationen untersucht, wie trotz steigender ökologischer Herausforderungen die Lebensqualität und die Gesundheit von Stadtbewohnern positiv beeinflusst werden kann. Auftraggeber war der Österreichische Verband für Bauwerksbegrünung.

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Dachbegrünung
Ein Team um (v.l.n.r.) Bernhard Scharf, Dr. Ulrike Pitha und Vera Enzi von der Universität für Bodenkultur Wien hat untersucht, wie Lebensqualität und Gesundheit von Stadtbewohnern verbessert werden kann. Fotos (3): BOKU Wien

Dreijähriges Forschungsprojekt

Während sich Klimaforscher bisher vor allem mit dem Nutzen neuer Bebauungsstrukturen, des Wärmeschutzes an der Gebäudehülle, großer und kleiner Grünflächen, Grünzügen, Kaltluftschneisen, Straßenbegleitgrün, einzelnen Kühlpunkten und der Farbgebung von Dächern beschäftigten, nahmen sich die Wiener Wissenschaftler jetzt systematisch die Wirkungen von Dach- und Fassadenbegrünungen sowie versickerungsfähiger Oberflächenbefestigungen auf das Stadtklima vor.

Eine Grünfassade ersetzt 75 Klimageräte

Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Pflanzen, stellten die BOKU-Forscher fest, kühlen dann am stärksten, wenn die Städter es am dringendsten brauchen, nämlich in Hitzeperioden. Eine Grünfassade in Wien mit rund 850 m² Fläche erbringt an einem heißen Sommertag in etwa die Kühlleistung von 75 Klimageräten mit 3.000 W Leistung und acht Stunden Betriebsdauer. Bereits eine 4 m² große begrünte Wand trägt deutlich zur Erhöhung der Luftfeuchte bei und die Umgebungstemperatur sinkt deutlich. Egal ob als bodengebundene oder als wandgebundene Begrünung ausgeführt, tragen Pflanzen in der Vertikalen mit einer Verdunstungsleistung zwischen 20 und 40 Prozent markant zur Verbesserung des städtischen Mikroklimas bei. Städte besitzen etwa zwei- bis dreimal so viele Fassadenflächen wie bebaute Grundfläche. So stellen Fassaden, gerade in dicht bebauten Stadtquartieren, ein enormes, bisher nur gering genutztes, Potenzial als Freiflächen für Pflanzen dar.

Gründächer wirken wie Hitzeschilder

Wie ein Hitzeschild nach oben wirken Gründächer. Wärmedurchflussmessungen ergaben, dass begrünte Dachabdeckungen anders als Blech-, Bitumenfolien- oder Kiesdächer von der Sonne eingetragene Energie nicht oder nur stark vermindert an den Baukörper weiterleiteten. Dachbegrünungen wirken somit puffernd. An einem heißen Tag reduziert sich die Innenraumtemperatur unter einem Gründach um bis zu 4°C. Ein nicht zu überschätzender Vorteil für die Bewohner von Häusern, die über keine Klimaanlage verfügen, besonders, wenn sie älter und durch Krankheiten immobil sind.

Kühlend in der überhitzten Stadt wirken auch versickerungsfähige, atmungsaktive Oberflächenbefestigungen anstelle von Asphalt und Beton auf Wegen, Parkplätzen, Rettungszufahrten oder Hofflächen. Sie können mit geeigneten Gräsern und Kräutern begrünt werden, erhöhen damit ihr Wasserretentionsvermögen und die Transpiration, bilden zugleich einen Lebensraum für andere Pflanzen.

Dachbegrünung
Versickerungsfähige Oberflächenbefestigungen entlasten das Kanalnetz bei Starkregen und senken die Temperatur durch Verdunstung. Foto: BOKU Wien
Dachbegrünung
Eine Grünfassade mit rund 850 m² Fläche erbringt an einem heißen Sommertag in etwa die Kühlleistung von 75 Klimageräten mit 3000 W Leistung und acht Stunden Betriebsdauer. Foto: BOKU Wien

Simulation in ausgewählten Stadtquartieren

Für ausgewählte Stadtquartiere in Wien simulierten die BOKU-Wissenschaftler den thermischen Komfort der Ist-Situation und den einer mit grünen Bauweisen ausgestatteten Variante. Für den Vergleich wurde ein Klimaszenario 2050 bis 2080 ausgewählt, um zu zeigen, wie effektiv einzelne Maßnahmen (Dach-, Fassadenbegrünung, versickerungsfähige Wege) der zu erwartenden Überhitzung entgegenwirken können. Als Kenngröße für den thermischen Komfort wurde der PMV-Wert (Predicted Mean Vote) herangezogen. In diesen Wert fließen alle klimatischen Größen ein, die für das menschliche Temperaturempfinden relevant sind (wie Lufttemperatur, Oberflächentemperatur, etc.). Ein Wert von 4 wird als sehr heiß empfunden, ein Wert von 2 bedeutet ein merkbares Wärmeempfinden. Negative Werte beschreiben bereits als kalt empfundene Bereiche.

Gründächer zeigten auf Dachniveau eine deutliche Abkühlung. Es wurde eine Reduktion des PMV-Werts von 3 ("heiß") auf 1 ("leicht warm") festgestellt. Auf den thermischen Komfort in Bodennähe haben sie allerdings nur geringe Wirkung. Grünfassaden wirken direkt auf ihre unmittelbare Umgebung. Besonders an sonnenexponierten Fassaden ist das erkennbar. Dort konnte eine Reduktion des PMV-Werts von über 4,5 ("sehr heiß") auf 3 ("heiß") simuliert werden. Für versickerungsfähige Oberflächenbefestigungen konnte eine Reduktion des PMV-Werts von über 4,5 auf 4 in den besonnten und von 2,5 auf 2 in den beschatteten Flächen registriert werden.

Entlastung des Kanalnetzes bei Starkregen

Werden alle grünen Bauweisen zugleich angewendet, also Gründächer, Grünfassaden sowie versickerungsfähige Oberflächenbefestigungen gebaut, verstärkt sich die Gesamtwirkung. Dabei wird nahe besonnter Fassaden eine Reduktion des PMV-Werts von über 4,5 auf 2 möglich und eine Kühlung der Verkehrsflächen von 2,5 auf 1,5 erreicht. Entsprechend äußerten sich über 80 Prozent der Bewohner begrünter Anlagen in einer Umfrage sehr zufrieden mit dem Mikroklima ihres Wohnumfeldes.

Beeindruckend sind auch die Ergebnisse des Forschungsprojekts zum Nutzen grüner Bauweisen bei Starkregenereignissen, die im mitteleuropäischen Klimawandel verstärkt auftreten werden. Nach gegenwärtigem Stand würde die städtische Kanalisation davon stark belastet werden. Versiegelte Fläche erreichten bei Messberegnungen bereits nach wenigen Minuten einen Oberflächenabfluss von über 40 l. Versickerungsfähige Flächen haben dagegen keinen Oberflächenwasserabfluss. Das heißt, auftreffende Niederschläge können von versickerungsfähigen Oberflächen aufgenommen, gespeichert und verzögert abgegeben werden. Eine Abführung von Niederschlägen ist das nicht notwendig. Das Kanalnetz würde nicht belastet. Bei begrünten Dächern zeigten die Untersuchungen ein Wasserspeichervermögen von bis zu 137 l pro m². Das entspricht der Füllung einer Badewanne. Über die große Substratoberfläche und mit Hilfe des Pflanzenbewuchses kann das Niederschlagswasser ebenfalls verzögert an die Umgebung abgegeben werden.

Sickerwässer von Schadstoffen gereinigt

Sehr zufriedenstellend sind auch die Ergebnisse grünen Bauens bei der Reinigung von Straßenabwässern. Die Wiener Forscher können belegen, dass über 95 Prozent der Schadstoffe bei der Versickerung eliminiert werden. Probleme gibt es nur bei den Schwermetallen Chrom, Nickel und Zink sowie bei Nitratsalzen. Sickerwässer aus versickerungsfähigen Oberflächenbefestigungen sind daher weniger stark belastet als Oberflächenwasser von geschlossenen Decken, beispielsweise Asphaltdecken.

Die BOKU-Forscher plädieren dafür, grüne Bauweisen nun rechtlich festzulegen. In die klimarelevanten Planungsgrundlagen des Raumordnungsrechts gehöre vor allem das "prozessbezogene Climate Proofing", ein Prüfverfahren zur Sicherung resilienter Raumstrukturen gegenüber künftigen Klimafolgen. Auf Landes- und Gemeindeebene wären Maßnahmen wie Begrünungs- oder Entsiegelungsgebote sinnvoll. In Bebauungsplänen sollten Mindest- und Maximalwerte von Grünflächenanteilen oder versiegelten Flächen, die zu verwendenden Materialien und Technologien, eine klimaangepasste Ausrichtung der Baukörper sowie Begrünungsgebote festgeschrieben werden. cm

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