Der Kommentar

Halb voll oder halb leer

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Als Sachverständiger erlebt man es selten, dass beide Parteien zufrieden mit dem Gutachten sind. In der Regel ist eine Partei der Verlierer. Ganz anders ist das bei Wahlen. Dort gibt es nur Gewinner, auch wenn Ziele nicht erreicht wurden oder es herbe Verluste gegeben hat. Manch ein Verlierer will sogar Kanzler werden.

Auch bei Tarifverhandlungen loben sich beide Parteien selber für die gute Arbeit. Gleichzeitig wird aber auch darauf hingewiesen, so wie im aktuellen Abschluss durch den BGL, dass die Belastungen für die Betriebe eine "finanzielle Bürde" sind. Die Gewerkschaft spricht von guten Nachrichten, wenn für zwei Jahre eine Lohnerhöhung von 5,7 Prozent vereinbart werden konnte und nun ein gleicher Lohn in Ost und West gilt. Unter Berücksichtigung der aktuellen Inflationsrate aus August 2021 von 3,9 Prozent, der Annahme, dass diese über die nächsten zwei Jahre stabil bleibt, bekommen die Beschäftigten nicht einmal die Teuerung ausgeglichen, haben also faktisch weniger in der Lohntüte. Selbst im Tarifgebiet Ost wird es bei einer Steigerung von 6,7 Prozent für 24 Monate eng. Sollte der Bundesbank-Präsident, Jens Weidmann, recht behalten, wird sich die Inflation in diesem Jahr sogar in Richtung 5 Prozent bewegen. Ein Mindestlohn von 12 Euro, mit dem nach der Wahl zu rechnen ist und nach Angaben der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung etwa 8 Millionen Beschäftigte betreffen wird, wird auch zur Teuerung beitragen.

Ein Tarifvertrag stellt die Lohn-Untergrenze dar, genaugenommen auch nur, wenn beide Parteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, organisiert sind. Was aber blanke Theorie ist, denn kaum ein Betrieb kann es sich leisten, nur die Gewerkschaftsmitglieder besser zu bezahlen. Im Kampf um Mitarbeiter sind andere Branchen der größte Wettbewerbsteilnehmer, insbesondere das Bauhauptgewerbe. Hier laufen gerade die Tarifverhandlungen. Aktuell stehen dem Landschaftsgärtner, Ecklohn 17,93 Euro für Tariflohn und Jahressonderzahlung, der Spezialfacharbeiter (Stand September 2020) 21,06 Euro für Tariflohn und Bauzuschlag gegenüber. Ob die aktuellen Tariflöhne also den akuten Mangel an Mitarbeitern auf den Baustellen lösen können, muss bezweifelt werden.

Auf der anderen Seite haben wir Regionen, wo die aktuellen Erhöhungen wirklich eine Bürde darstellen. Wie alle anderen Dienstleistungen sind die Löhne im Landschaftsbau wesentlich für die Preisbildung. Werden diese für die Kunden zu teuer, sinkt die Nachfrage. Sinkt das eigene Einkommen durch die hohe Inflation zusätzlich, sinkt die Nachfrage weiter.

Am Ende stellt sich die Frage, ob niedrige Löhne überhaupt die Bauleistungen wirklich immer günstiger machen. Tatsächlich wird schon jetzt in sehr vielen Betrieben, gerade in den Ballungszentren, deutlich über Tarif gezahlt, mit steigender Tendenz. Das macht die Betriebe aber nicht weniger erfolgreich. Ganz im Gegenteil, viele sogar sehr erfolgreich. Ganz nach dem Zitat, welches Robert Bosch zugeschrieben wird: "Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle".

Ihr Martin Thieme-Hack

NL-Stellenmarkt

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Prof. Dipl.-Ing. (FH) Martin Thieme-Hack
Autor

Hochschule Osnabrück, Fakultät A&L

Hochschule Osnabrück University of Applied Sciences

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