IT-gesteuerte Natur in der dichten Stadt

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Klimaresilienz Dachbegrünung
Abb. 1: aspern Seestadt – Quartier Seeterrassen. Grafik: 3420 aspern development AG
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Abb. 2: Einbindung in den städtebaulichen Wettbewerb Grafik: GREENPASS GmbH und 3420 aspern development AG
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Abb. 3: aspern Seestadt Seeterrassen, Vorprüfung, 2. Wettbewerbsstufe – Heatmap. Gefühlte Temperatur (PET)um 15 Uhr an einem heißen Tag, Wettbewerbsbeiträge 4401–4406 Grafik: GREENPASS GmbH powered by ENVImet

Die Medien sind dieser Tage voll mit Berichten, Kolumnen und Statements über das Weltklima - und das in der kalten Jahreszeit! Auch Fernsehkanäle gestalten Beiträge in unterschiedlichen Formaten, wie Diskussionsrunden oder Dokus zum Klimawandel und dessen Folgen. Kaum ein Tag ohne eine Geschichte, die die Dringlichkeit der Thematik vermittelt.

Das Thema ist mittlerweile endgültig bei den Menschen angekommen, unter anderem auch durch Initiativen und Bewegungen wie FridaysForFuture. Für Wissenschaftler und Forscher, die sich seit Jahrzehnten mit dem Klimawandel und seinen Folgen beschäftigen, eine sicherlich erfreuliche aber teilweise auch verblüffende oder sogar verwirrende Entwicklung. Denn in der Öffentlichkeit wird selten faktenbasiert diskutiert oder argumentiert. Die einen rufen den Klimanotstand aus, die nächsten fordern Verzicht auf dies oder jenes und Dritte wiederum tun alles als Panikmache ab.

So wichtig es ist über die wahrscheinlich größte Herausforderung der Menschheit zu sprechen und dabei auch zu emotionalisieren, so entscheidend ist es aber auch, die Ratio nicht ganz über Bord zu werfen. Denn genau genommen gibt es keinen Klimanotstand, sondern vielmehr eine ausgewachsene Bedrohung unserer Gesellschaft und der Chancen für die nächsten Generationen. Die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und sauberer Luft steht auf dem Spiel sowie damit die Stabilität und Sicherheit von Gesellschaften weltweit. Also genau genommen hat das Klima keinen Notstand - wir Menschen haben ihn! Daher liegt es auch an uns, zu handeln und vom Reden endlich ins Tun zu kommen.

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Abb. 4: Gesamt-Ranking – Vorprüfung städtebaulicher Wettbewerb, 2. Stufe. Grafik: GREENPASS GmbH
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Abb. 5a: Key Performance Score Ranking – Vorprüfung städtebaulicher Wettbewerb, 2. Stufe. Grafik: GREENPASS GmbH
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Abb. 5b: Key Performance Score Ranking – Vorprüfung städtebaulicher Wettbewerb, 2. Stufe. Grafik: GREENPASS GmbH
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Abb. 5c: Key Performance Score Ranking – Vorprüfung städtebaulicher Wettbewerb, 2. Stufe. Grafik: GREENPASS GmbH

Einfach tun

Unsere Städte sind wesentlich für den weltweiten Ressourcenverbrauch und CO2 Emissionen verantwortlich und wachsen gleichzeitig stark. Daher ist es besonders wichtig, in diesem Sektor Maßnahmen zu ergreifen, die den Ressourcen- und Energieverbrauch senken und unsere Städte klimafit und resilient machen. Dank entsprechender Forschung und Regulative ist im Bereich der Gebäude der Stand der Technik mittlerweile sehr weit fortgeschritten. Null- und Niedrigenergiegebäude etwa sind längst zum Standard geworden. Weiterhin problematisch bleibt jedoch die Herausforderung, die Überhitzung städtischer Räume zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Denn mit zunehmender Hitze in der Stadt sinkt die Lebensqualität, gleichzeitig steigt wiederum der Energiebedarf für Klimatisierung. Energie, die nach wie vor auch aus nicht nachhaltigen Quellen wie Kohle, Gas und Atomkraft stammt. Die Bereitschaft und das Bewusstsein der Immobilienentwickler und Planer*innen, ihre Projekte klimafit und damit auch zukunftstauglich zu gestalten, ist durchaus vorhanden und steigt. Denn die Branche ist es gewohnt, in langen Zeithorizonten zu denken und sich daher auch der Tatsache bewusst, dass die Gebäude von heute in einem Stadtklima stehen werden, das in Zukunft im Jahresdurchschnitt um 4 bis 6°C heißer sein wird.

Für Städte wie Berlin oder Wien werden sommerliche Hitzerekorde von 45°C und mehr bereits für die Mitte des Jahrhunderts prognostiziert (Bastian et al., 2019). Es braucht also dringend Planungstools, die Planer*innen, Immobilienentwickler und Kommunen darin unterstützen, ihre Projekte sowie ihre Stadteile und Städte klimaresilient zu gestalten. In den vergangenen neun Jahren konnte in internationalen Forschungsprojekten unter Mitwirkung von deutschen und österreichischen Universitäten eine einfach anwendbare Planungshilfe entwickelt werden, die endlich wissenschaftlich fundierte Grundlagen für Planungsentscheidungen für klimaresiliente und lebenswerte Städte bietet. Dieses Tool heißt Greenpass und wird von dem gleichnamigen StartUp und dessen Partnern in mittlerweile acht europäischen Ländern - darunter natürlich auch Deutschland - angeboten. Greenpass unterscheidet zwischen drei Services, die sich in ihrem Umfang an den Möglichkeiten der Projektentwicklungsphasen Vorentwurf, Entwurf und Detailplanung orientieren. Projekte werden anhand von Key Performance Scores (KPS), Key Performance Indicators (KPI) und Urban Performance Indicators (UPI) bewertet. Die Grundlage für diese Bewertungen stellen komplexe Simulationsmodelle (ENVI-met für Mikroklima und Rheologic CFD für Wind) dar. Die Partner und Anwender müssen jedoch sorglos lediglich die einfach anwendbare und kostenlose Greenpass Software für ihre Projekte verwenden.

Die Erfahrungen aus über 50 Projekten haben gezeigt: Es ist ratsam, die Planungshilfe bei Projektentwicklungen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt anzuwenden, um diese bestmöglich zu optimieren. Denn solange noch nicht alle Gebäude und Freiräume genau fixiert sind, ist das Optimierungspotenzial am Größten. Ein Hauptanwendungsfall für Greenpass ist daher die Entwurfsphase mit der dafür maßgeschneiderten Pre-Certification. Diese kommt entweder zur Bewertung von einzelnen Wettbewerbsbeiträgen im Auftrag von Architekt*innen zum Einsatz, oder zur Unterstützung der Jury mit einem Vergleich aller Wettbewerbsbeiträge. Es eignen sich dazu Einzelobjekte oder ganze Stadtteile gleichermaßen. Anhand eines Beispiels wird folglich die Anwendung im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs näher erläutert.

aspern Seestadt - Quartier Seeterrassen

Die aspern Seestadt befindet sich im 22. Wiener Gemeindebezirk und ist mit insgesamt rund 240 ha eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas. Das Quartier Seeterrassen (siehe Abb.1, rot umrandeter Bereich) liegt direkt am künstlichen See in bester Lage und kann mit rund 10 ha Fläche (5ha Bebauung) als Filetstück der Stadtentwicklung bezeichnet werden. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie geförderten Forschungsprojektes Green Resilient Cities (GRC) diente die aspern Seestadt als Fallstudie, um IT-gesteuerte Lösungen auf städtebaulicher Wettbewerbsebene für das Quartier Seeterrassen zur klimaresilienten Planung, Steuerung und Optimierung einzusetzen und im Praxisalltag einzubinden.

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Abb. 6: Visualisierung Siegesentwurf-Variante. Grafik: StudioVlayStreeruwitz
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Abb. 7: Heatmap Gefühlte Temperatur (PET) – aspern Seestadt Seeterrassen Wettbewerbsbeitrag 4405 vor Optimierung (li.) und nach Optimierung (re.) um 15 Uhr an einem heißen Hitzetag Grafik: GREENPASS GmbH powered by ENVImet
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Abb. 8: Thermischer Komfort-Wert, aspern Seestadt Seeterrassen, Wettbewerbsbeitrag 4405 vor Optimierung... Grafik: GREENPASS GmbH powered by ENVImet
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... und nach Optimierung. Grafik: GREENPASS GmbH powered by ENVImet

Faktenbasierte Entscheidungsgrundlage für Entscheidungsträger*innen

Der von der für die Seestadt verantwortlichen Entwicklungsgesellschaft 3420 aspern development AG ausgelobte städtebauliche Wettbewerb für das Quartier Seeterrassen wurde in einem offenen, zweistufigen, internationalen Realisierungswettbewerb durchgeführt. Das Thema Klimaresilienz bzw. klima-sensibler Städtebau wurde dabei als eines von drei Schwerpunktthemen in der Auslobung bereits präsent kommuniziert und berücksichtigt. Dabei wurden in den Auslobungsunterlagen der 1. Stufe neben allgemeinen Informationen zur Thematik, Dos and Don'ts für klimaresiliente Planung, kommuniziert (siehe Abb. 2, links). Die Beiträge der 1. Stufe wurden in weiterer Folge mittels einer qualitativen Kriterien-Checkliste vorgeprüft, bewertet und der Jury als Entscheidungsgrundlage aufbereitet. In der 2. Stufe wurde zu den Auslobungsunterlagen als Planungsbasis zusätzlich ein Mikroklimahandbuch (siehe Abb. 2, rechts) beigelegt, das neben einem Stadtklima-Tutorial und quantitativen Vorgaben auch eine Analyse des Masterplans mittels Greenpass Pre-Certification beinhaltete. Die genannten Unterlagen erläuterten den Planungsteams, wie das Mikroklima und Windfeld im Wettbewerbsgebiet funktionieren und dienten somit als wertvoller Input für deren Entwurfsarbeit. Die eingereichten Beiträge der 2. Stufe wurden in weiterer Folge mit einer Greenpass Pre-Certification mittels Mikroklimasimulation und standardisierter Analyse innerhalb von 14 Tagen detailliert geprüft und bewertet (siehe Abb. 3).

Die standardisierten vergleichbaren Auswertungsergebnisse wurden der Jury in Form eines Gesamtrankings bestehend aus dem Mittelwert von 3 Key Performance Scores (KPSs): Thermischer Abluftstrom (TLO), Thermischer Komfort Wert (TCS) und Thermische Speicherfähigkeit (TSS) erneut als faktenbasierte Entscheidungsgrundlage aufbereitet. Dabei wurden die unterschiedlichen Entwurfsvarianten relativ zueinander gerankt und nach prozentuellem Erfüllungsgrad für die Jury in Empfehlungsklassen eingeteilt (siehe Abb. 4, 5).

Unter Berücksichtigung aller städtebaulicher Kriterien, darunter auch der Klimaresilienz, wurde von der Fachjury gesamtheitlich die Entwurfsvariante 4405, von Studio Vlay Streeruwitz und Carla Lo Landschaftsarchitektur, als finaler Wettbewerbsgewinner ausgewählt.

Digitale Optimierung hinsichtlich Klimafitness

Mit Hilfe von Greenpass wurde der ausgewählte Siegesentwurf der 2. Wettbewerbsstufe (siehe Abb. 6) gemeinsam mit dem Auftraggeber, Architekt*innen und Landschaftsarchitekt*innen gezielt hinsichtlich Klimaresilienz und thermischen Komfort optimiert. Basierend auf einer detaillierten Baufeldanalyse des Entwurfs wurden in einem dreistündigen Optimierungsworkshop einfach umsetzbare Maßnahmen erarbeitet und definiert, wie beispielsweise Baukörperöffnungen für eine bessere Ventilation, die Begrünung von im Innenhof liegenden Südfassaden, Entsiegelung von Oberflächen, zusätzliche Baumpflanzungen oder -verschiebungen sowie die Auswahl bestimmter Baumarten. Die gesetzten Maßnahmen wurden in weiterer Folge mit einer erneuten Simulation überprüft und bestätigt (siehe Abb. 7). Dabei konnte beispielsweise der Thermische Komfort Wert für das Projektgebiet von bereits guten 66.98 Punkten auf sehr gute 72.37 Punkte (und somit den mit Abstand besten Wert aller Beiträge) erhöht werden (siehe Abb. 8).

Die Ergebnisse zeigen, dass durch den gezielten Einsatz von smartem Städtebau sowie grüner Infrastruktur der aus dem Gesamt-Ranking vorletzte Entwurf durch einfache und effiziente Maßnahmen final zum klimaresilientesten Entwurf optimiert werden konnte.

Qualitätssicherung durch Gestaltungshandbuch

Um die Qualitätssicherung für die weitere Baufeldentwicklung sicherzustellen, sind die auf Basis des städtebaulichen Wettbewerbs sowie der Optimierung gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse in ein von der 3420 aspern development AG entwickeltes Gestaltungshandbuch (siehe Abb. 9, 10) eingeflossen und festgehalten worden. Dieses wird den zukünftigen Entwickler*innen als weitere Planungsbasis zur Verfügung gestellt, zeigt für eine klimaresilienten Gestaltung gezielte und wirkungsvolle Maßnahmen für die Umsetzung klar auf und schreibt diese für die weitere Baufeldentwicklung auch vor.

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Abb. 9: Auszug Gestaltungshandbuch aspern Seestadt Seeterrassen, Maßnahmenübersicht. Grafik: 3420 aspern development AG und StudioVlayStreeruwitz
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Abb. 10: Auszug Gestaltungshandbuch aspern Seestadt Seeterrassen, Plandarstellung. Grafik: 3420 aspern development AG und StudioVlayStreeruwitz

Erkenntnisse und Ausblick

Das Projekt aspern Seestadt Seeterrassen zeigt exemplarisch, dass die Optimierung von Architektur, Städtebau und Freiraumplanung in Bezug auf Klimaresilienz in der Praxis angekommen und erprobt ist. Aus diesem Projekt und zahlreichen Weiteren lassen sich zusammenfassend folgende allgemeine Erkenntnisse ableiten:

  • Durch den Einsatz von innovativen IT-gesteuerten Planungstools wird die einfache und effiziente Umsetzung von klimaresilienter Stadt- und Freiraumplanung im Praxisalltag ermöglicht.
  • Die Greenpass Technologie bietet das weltweit erste standardisierte und vergleichbare Prüf- und Zertifizierungssystem für klimaresiliente Stadtplanung und Architektur und wird aktuell unter anderem auch für eine umfassende Wettbewerbsbegleitung bei einem Pilotprojekt mit der Stadt Wien, ein dreistufiger innerstädtischer Bauträgerwettbewerb, angewendet.
  • Durch einfach architektonische oder freiraumplanerische Maßnahmen kann die Klimaresilienz für städtebauliche Entwicklungen signifikant erhöht werden, um die Aufenthaltsqualität im Freiraum zu steigern und einen hohen thermischen Komfort sowie Lebensqualität für die zukünftigen Bewohner*innen sicherzustellen.
  • Die ersten regulativen Grundlagen für eine verpflichtende Berücksichtigung der klimatischen Auswirkungen von Bauprojekten wurden in mehreren Städten Europas beschlossen (in Wien beispielsweise durch Gemeinderatsbeschluss).

Mikroklimasimulationen und insbesondere Auswertungs-, Optimierungs- und Zertifizierungssystemen wie Greenpass zeigen, dass es - so wie in anderen Bereichen wie beispielsweise der Bauphysik - endlich möglich ist, die Wirkungen von Stadtstrukturen und Objekten auf den urbanen Energiehaushalt und den thermischen Komfort zu berechnen und zu optimieren. Wir können somit endlich von Worten zu Taten kommen und lebenswerte Städte entwickeln. Es liegt nun an den Verantwortlichen Immobilienentwicklern, Planer*innen und Entscheidungsträger*innen des öffentlichen und privaten Bereichs, diese Tools anzuwenden und verpflichtend zu machen. Sei es wegen der Zukunfts- und Investitionssicherheit, um die Qualität der eigenen Entwürfe zu optimieren oder um die Folgen des Klimawandels auf die Bevölkerung insgesamt abzumildern und unsere Städte bestmöglich anzupassen und klimafit zu gestalten.

Dipl. Ing. Florian Kraus
Autor

CEO

GREENPASS GmbH
Dipl.-Ing. Dr. Bernhard Scharf
Autor

Senior Scientist

Universität für Bodenkultur Wien

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