Kauliflorie in den gemäßigten Breiten

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Dysoxylum parasiticum, Yellow Mahogany fruiting small tree. Foto: Mossman Gorge, CC BY – SA 2.0

Die floristische Überfülle der Tropenländer, die vom Reichtum an grünen Wundern schier überquellen, liefern Sehnsuchtsbilder für Gärtner der gemäßigten und borealen Breiten. Da sind die Baumgestalten der Schirmakazien und Baobabs, der Flaschen- und Elefantenfußbäume, die Bambushaine, die Riesenfarne und Palmen. Da sind die Stelzwurzeln, die ins Brackwasser der Mangrovenwälder hinabtauchen, die Kniewurzeln, die aus dem Blubbern malariaschwangerer Krokodilsümpfe emporragen, die Brettwurzeln, die sich im Waldhalbdunkel oft viele Meter hoch an den Stämmen hinauf erstrecken, oder als horizontal weit ausgreifende Stützen wie riesige Pythons ins Unterholz kriechen. Da sind die Luftwurzeln, die sich wie Baumschlangen aus dem Kronendach herabringeln - manchmal gehören sie zu noch unscheinbaren, noch harmlosen Epiphyten, die sich erst nach Jahren als Würgefeigen erweisen.

In der Vielfalt der Stämme gibt es die verschiedensten Farben und Strukturen. Manche sind borkenlos mit dicken Lagen hauchdünner Schichten wie Seidenpapier abblätternder Rinde. Auf der Rinde alter Stämme zeigt sich mitunter auch jenes besondere Kuriosum im Körperbau einiger hundert Gehölzarten, die Blüten eben nicht an den Zweigen den bestäubenden Winden und Flugtieren entgegenzustrecken, die Früchte eben nicht den Vögeln in den höchsten Stockwerken der Krone zu zureichen oder für einen weiten Segelflug aus höchster Wipfelhöhe starten zu lassen sondern die generativen Organe weit unterhalb der Krone, und zwar genau am Stamm oder an den großen Ästen zu tragen.

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Blüte am Stamm der Gleditischie. Foto: Marcel Robischon

Die Stammblütigkeit oder Kauliflorie, auch Trunciflorie - oder, sofern auch an alten Ästen zu beobachten auch Ramiflorie - war für die frühen Tropenforscher ein derart fremdes Phänomen, dass sie, an die Pflanzenanatomie der gemäßigten Breiten gewohnt, oft zunächst gar nicht verstanden, was sie da eigentlich sahen. Der schwedische Pastor und Naturkundler Pehr Osbeck (1723-1805) zum Beispiel glaubte ein neues epiphytisches oder parasitisches Gewächs entdeckt zu haben, als er 1752 auf der Insel Java einiger Blüten die mitten aus einem Baumstamm hervorbrachen angesichtig wurde. Es handelte sich offenbar um die Blüten des Lansibaums Lansium domesticum, dessen Synonym übrigens Lansium parasiticum lautet.¹

Welche ökologische und evolutionsbiologische Bewandtnis es nun mit der Blütenbildung an altem Holz, mit der räumlichen Trennung von vegetativer Funktion im Kronendach, und generativer Funktion in der "Belletage" am Stamm auf sich haben mochte beschäftigte über die Jahrhunderte viele Botaniker. Zunächst ist naheliegend, dass die Verortung der Blüten und Früchte in der einen oder anderen Weise mit der Vermehrungsbiologie, mit dem Schutz der Blüten und der Effizienz von Bestäubung und Aussaat in Zusammenhang steht. Eine Theorie besagt zum Beispiel, dass die Verortung der Blüten am Stamm eine "Schutzmaßregel gegen Regenverwüstung" sei², in etwa so, wie man bei Regen nahe an der Hauswand geht. Die allermeisten kaulifloren Tropenbäume sind indes keineswegs Urwaldriesen, sondern bestenfalls Gewächse der unteren Kronenschicht, und so den Witterungsextremen ohnehin weniger ausgesetzt. Ombrophil (schattenertragend) sind sie meistens, und bilden oft eine Krone unterhalb des Kronendachs. Ihre Blüten wären somit nicht nur im eigenen Laub, sondern zusätzlich in der dämmrigen Kampfzone, wo sich Bäume gegenseitig das Licht rauben versteckt. Die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit der Blüten spielt nun bei tierbestäubten Bäumen, wie es die meisten Gehölze der Tropen sind, für die Bestäubungsbiologie und somit für Fortpflanzung und das Überleben der Art eine ausschlaggebende Rolle.

Alfred Russel Wallace (1823-1913), der große Evolutionstheoretiker, stellte hier einen Zusammenhang zum Phänomen der Kauliflorie her und mutmaßte sie sei eine Anpassung an die Bestäubung durch Schmetterlinge. Tatsächlich scheinen einige der riesenhaften Lepidopteren der Tropenwälder bevorzugt durch das angenehmer klimatisierte Zweilicht der Hallenwälder zu segeln, anstatt sich der brennenden Sonne in den Wipfelregionen auszusetzen.

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Unreife Früchte der chinesischen Zierquitte. Foto: Marcel Robischon
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Unreife Früchte der chinesischen Zierquitte. Foto: Marcel Robischon

Der österreichische Botaniker Gottlieb Haberlandt (1854-1945) hingegen gibt zu bedenken, dass viele der stammbürtigen Blüten eher unscheinbar gefärbt und ihrer Form nach kaum auf Schmetterlingsbestäubung ausgerichtet sein könnten.³ Gerade die spektakulärsten Beispiele für Kauliflorie wie tropische Ficus-Arten, der Brotfruchtbaum oder die Melonenbäume werden nicht von Schmetterlingen bestäubt. Vielleicht sind jedoch durch die ungewöhnliche Platzierung der Blüten nicht nur Schmetterlinge, sondern auch andere Bestäuber angesprochen. Fledermausblütigkeit, die Chiropterophilie oder Chiropterogamie, ist, da in den gemäßigten Breiten nun mal ein eklatanter Mangel an nektarivoren Fledermäusen herrscht, ein vorwiegend tropisches Phänomen. Auch andere, flugunfähige Säugetiere mögen angesprochen sein, sind doch die Tropen reich an kleinen Blütennektar suchenden und Blüten bestäubenden Kleinsäugern, die am Stamm leichter ans Ziel klettern können als wenn sie sich in die höchsten Höhen schwankender Zweige wagen müssten. Manchmal sind auch kleinere Bestäuber die Adressaten wie bodenbewohnende Ameisen und auch andere Kleininsekten, denen der Baum also gewissermaßen auf halbem Wege entgegen kommt. Da wäre zum Beispiel Theobroma cacao, oft eher ein Strauch denn ein Baum, der von kleinen Mücken und Fliegen bestäubt wird, von Insekten, die im feuchten Schatten der Wälder, und eben nicht in den sonnendurchfluteten Kronen leben. Er trägt große Früchte, die Kakaoschoten, die von Säugetieren, besonders den größeren verbreitet werden.

Diese Tatsache verdient besondere Beachtung, insofern als mit der Cauliflore zwar nicht zwangsläufig aber doch häufig Stammfrüchtigkeit oder Kaulikarpie einhergeht, sofern eben nicht nur die männlichen sondern auch die weiblichen Blüten am Stamm sitzen. Bei solchen tatsächlich caulifloren und caulicarpen Arten finden sich häufig besonders große, besonders fleischige und saftige Früchte. So hängt zum Beispiel der tropische Zimtapfel nie weit vom Stamm des Baumes Annona squamosa. Es erscheint plausibel dass die Bäume, um in den Genuss der von fruchtfressenden Tieren "angebotenen" Samentransportdienste zu kommen, den frugivoren Geschöpfen, die nicht bis in die Kronen hinaufreichen oder klettern können, auf halbem Wege entgegenkommen. So möglicherweise im Fall von Artocarpus heterophyllus eines relativ kleinen südostasiatischen Baums, der nicht durch Fledermäuse sondern durch stachellose Bienen bestäubt wird, und die größte aller Baumfrüchte trägt, die Jack fruit nämlich. Elefanten zum Beispiel lieben die Jakobsfrucht. "Proboscidochorie" könnte man die Verbreitung per Rüsseltier nennen.

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Cacaui flores. Foto: Argemirogarcia, CC BY-SA 3.0

So wirklich befriedigend wird die Frage, warum die Kauliflorie solch ein typisch tropisches Phänomen ist, wahrscheinlich nie geklärt werden. Für viele Gärtner ist indes nicht die Frage nach dem warum von Bedeutung, sondern die warum nicht auch in den gemäßigten Breiten ähnliches zu beobachten ist. Nun reicht das Phänomen tatsächlich an einigen wenigen Orten und in einigen wenigen Arten über die Wendekreise, und mitunter auch bis über die Subtropen hinaus. In Neuseeland zum Beispiel in Gestalt des Neuseeländischen Mahagoni oder Kohekohe (Dysoxylum spectabile), ein Baum mit prachtvoll gefiederten Blättern, dessen weiße Blüten und rote Früchte direkt aus Stamm und Ästen hervorbrechen. Er wächst nicht nur auf der subtropisch-warmen Nordinsel, sondern kann auch im Norden der kühleren Südinsel überleben. Für die Gärten Deutschlands ist er indes immer noch zu wärmebedürftig. Auch für ein in Südeuropa häufig anzutreffendes cauliflores Gehölz, den Johannisbrotbaum Ceratonia siliqua, ist Deutschland zu kühl. Bestenfalls in USDA-Zone 9 kann er gedeihen, stammt er doch ursprünglich aus dem subtropischen Vorderasien. Seine männlichen Blüten bilden gelbe Trauben am Stamm. Er gehört taxonomisch Gattung der Fabaceen, genauer der Unterfamilie der Caesalpinioideae, der Johannisbrotgewächse, die in ihren tropischen Vertretern wie etwa Saraca cauliflora oder Cynometra cauliflora die "Froschfrucht" - würde man sie nicht schon alleine ihres Namens wegen pflanzen? - einige spektakulär-cauliflore Arten hervorgebracht hat. Möglicherweise als genetisches Erbe aus einer tropisch-subtropischen Vergangenheit, bringt die ebenfalls den Johannisbrotgewächsen angehörige und etwa zehn Arten umfassende Gattung Cercis die Stammblütigkeit nun tatsächlich auch in die kühleren gemäßigten Breiten. Cercis siliquastrum, der Judasbaum, ist im Europäischen Mittelmeerraum zuhause, und hat Verwandtschaft in Übersee. In der neuen Welt ist es Cercis canadensis, mit den Unterarten mexicana, texensis und canadensis, welch letztere auch tatsächlich bis in die kanadische Provinz Ontario hineinreicht. Nicht weniger als sieben Cercis-Arten (wobei natürlich umstritten ist, was nun Art und was Unterart ist) finden sich in Asien, die meisten in China, darunter der eher strauchförmige Cercis -chinensis oder den noch selten gepflanzten Cercis afghanica.

Es sind kleine Bäume der Waldränder und Flusstäler. Die von Bienen, Wildbienen und Hummeln bestäubten Blüten sind meistens rosafarben, und decken dabei ein Spektrum vom irren Pink bis hin zu ganz zarten Rosatönen ab, und sogar eine weiße Formen gibt es. C. siliquastrum hat in den Selektionen 'Alba' und "White Swan" weiße Formen hervorgebracht. Eine Selektion "Alba" gibt es auch in der Art Cercis chinensis, und auch Cercis canadensis hat mit "Royal White" und mit Cercis canadenis subsp. texensis 'Texas White' weiße Formen.

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Plinia cauliflora. Foto: Bruno karklis, CC BY-SA 3.0

Während Cercis, was das Phänomen der Kauliflorie angeht, ohne Zweifel das spektakulärste Beispiel in den gemäßigten Breiten liefert, sind bei einigen wenigen anderen Arten zumindest Ansätze ähnlicher Erscheinungen zu erkennen. So eben in die mildesten Gebiete Deutschlands reicht das gärtnerische Verbreitungsgebiet des Feigenbaums Ficus carica. Dass die Feigen mitunter direkt am Stamm sitzen, mag in der Familie liegen, ist doch Kauliflorie bei tropischen Ficus-Arten weit verbreitet. Eine winterhärtere Art ist übrigens Ficus afghanica auch als Ficus johannis subsp. afghanistanica bezeichnet. Auch sie soll hin und wieder Ansätze von Kauliflorie zeigen.

Allenfalls zu einem kleinen Bäumchen wächst Fuchsia excorticata, die Baumfuchsie heran. Sie erreicht in der Natur zwar einige Meter Höhe, ist allerdings in Europäischen Gärten von den Stämmen der Tropenbäume an Umfang und Höhe weit entfernt. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet umfasst fast ganz Neuseeland, einschließlich des kühlen Südens der Inseln, und somit ist diese Art je nach Provenienz auch für Gärten in Deutschland geeignet. Als Gartenpflanze fällt sie unter anderem durch blauen Pollen und die dunklen Früchte mit ihrem purpurfarbenen, tintenartigen Saft auf. Blüten und Früchte sitzen an der ganz tropisch wirkenden und sich, wie der lateinische Name sagt, abpellenden, papierartigen Rinde der Zweige aber mitunter auch an den Stämmen.

Mit einigem guten Willen könnte auch Chaenomeles japonica, die japanische Zierquitte als cauliflor bezeichnet werden, wobei meistens eher Ramiflorie - die Blüten und Früchte sitzen direkt an den verholzten Ästen - der zutreffende Begriff wäre. Es ist ein kleiner Strauch nur, so an die zwei Meter maximal, doch winterhart bis USDA Zone 5.

Nun gibt es indes hin und wieder kuriose Sonderfälle, in denen eine schlafende Knospe am Stamm unverhofft zur Blüte erwacht, und so eine paradoxe Kauliflorie hervorruft. Bei einigen Hamamelisarten kann zum Beispiel hier und da eine einzelne Blüte aus der Rinde der Stämme und älteren Zweige hervorbrechen. Auch bei Gleditschia, die übrigens genau wie Cercis und Ceratonia zu den Caesalpinioideen gehört, ist hin und wieder etwas Ähnliches zu beobachten. Oft muss man genau hinschauen, um solch eine überraschende Reminiszenz an tropische Wachstumsformen im eigenen Garten zu entdecken.

Literatur

1 Merrill E.D. 1916. Osbeck's Dagbok Ofwer en Ostindsk Resa. American Journal of Botany 3 (10): 571-588

2 Francé A. H. 1913. Das Leben der Pflanze, Band 6. Verlag Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde.

3 G. 1893. Eine botanische Tropenreise. Indo-malayische Vegetationsbilder und Reiseskizzen. Leipzig, Engelmann.

Prof. Dr. Marcel Robischon
Autor

Humbodt-Universität zu Berlin

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