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Leserbrief

Rainer Gerber, Diplom-Biologe und Sachverständiger für Dendrologie, Bodenkunde, Phytopathologie und Baumpflege aus Haßfurt, setzt sich mit der wissenschaftlichen Kontroverse um die Vitalitätsbeurteilung von Bäumen zwischen Prof. Dr. Ulrich Weihs und Prof. Dr. Andreas Roloff in Pro Baum 4/2016 auseinander.

Bei der Bewertung von Baum-Naturdenkmalen oder Altbäumen stelle ich als Gutachter immer wieder fest, dass die vier Vitalitätsstufen nach Roloff nicht greifen, da Altbäume mit altersbedingten Veränderungen in der Kronenstruktur (z. B. Kurztriebbildung) zu negativ bewertet werden und dadurch oftmals früher als notwendig gefällt werden.

Zur in Pro Baum 4/2016 ausführlich dargestellten Definition der Vitalität möchte ich folgendes anmerken: Die Vitalität eines Baumes im Sinne von Lebenskraft und Lebenstüchtigkeit beinhaltet, dass der Baum die Fähigkeit besitzt, die Aufgaben in der jeweiligen Lebensphase mit dem zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen. In der Jugend- und Reifephase steht das Wachstum im Vordergrund, um mit einer hohen Blattmasse möglichst viel Energie aus der Photosynthese zu schöpfen. Nach Erreichen des genotypisch festgelegten Habitus steht nicht mehr das Wachstum, sondern, wie bei allen Lebewesen, die Fortpflanzung im Vordergrund. Die damit verbundenen Änderungen in der Kronenstruktur und den physiologischen Abläufen hat Gleissner (1998) in seiner Dissertation im Detail dargelegt. Die Reduzierung der Vitalität auf das Längenwachstum beziehungsweise Wuchspotenz aufgrund der Praktikabilität zur Baumkontrolle verfälscht zumindest bei älteren Bäumen deren Potential bzw. Ressourcen. Die 2000-jährige Eibe mit Bildung von jungen Reiteraten (Pro Baum 4/2016, S. 9) bestätigt, dass sogar greise Bäume unter günstigen Bedingungen hohe Ressourcen aufweisen, um ein zweites Leben zu beginnen.

Die Vitalität eines Altbaumes im Sinne von Lebenstüchtigkeit/Lebenskraft ist daher nicht nur anhand der Trieblängen, absterbenden Kurztriebketten oder absterbender bzw. ausbrechender Wipfeltriebe, sondern auch anhand der noch vorhandenen Ressourcen zur Bildung von Neutrieben (Reiteration), der Reaktionsfähigkeit auf Schnitt oder Astbruch sowie der Wundholz- oder Kompensationsholzbildung zu bewerten. Diese Parameter werden im Rahmen einer visuellen Baumbegutachtung routinemäßig festgestellt.

Herr Prof. Roloff stellt in Pro Baum 3/2016, S. 4, Abb. 4 und S. 6 eine 190-jährige Sommer-Linde mit Vitalitätsstufe 2 (deutlich vermindert vital) vor. Im Text erläutert er jedoch, dass ihr Zustand "nichts Negatives, Kritisches oder ein Zeichen von Schädigung darstellt, da dies bei langlebigen Baumarten über sehr lange Zeiträume der Alterung (noch 150 bis 300 Jahre) der Normalzustand ist". Diese Linde sollte meiner Meinung nach daher auch nicht als 'deutlich vermindert vital' (VS 2), sondern als "altersgemäß vital" bezeichnen werden, denn trotz der altersbedingten Veränderungen in der Kronenstruktur mit Kurztriebketten und verringerter Verzweigung wird diese Linde durch Reiteratbildung die Verluste im notwendigen Umfang ersetzen bzw. kompensieren und dadurch den Status quo über Jahrzehnte aufrechterhalten und noch sehr lange an ihrem Standort überleben.

Die Befürchtung von Prof. Weihs, dass durch die Nutzung der Roloffschen Vitalitässtufen alte Bäume zu rasch gefällt werden, teile ich. Wenn ein Baum, wie die obige Linde, mit der Stufe VS2 "deutlich vermindert vital", bewertet ist, sind die wenigsten Garten- oder Straßenbauämter bereit, den Baum noch langfristig zu erhalten, obwohl er, wie die obige Linde, durchaus noch viele Jahrzehnte erhaltenswert wäre.

Ich plädiere daher für eine neue mehrstufige Vitalitätsbeurteilung unter Einbeziehung der natürlichen Altersentwicklung sowie von stressbedingten Störungen (nach Weihs 2016, Gleissner 1998 oder eventuell nach englischem Vorbild), in der Hoffnung, dass die generell negative Vitalitätsbewertung von Altbäumen überdacht wird.

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