Naturnähe versus konventionelle Spielgeräte

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Felsen und große Steine grenzen das Gelände sicht- und erfahrbar ab und bieten Möglichkeiten zu klettern. Foto: Peter Schraml

Indianerwald, Wolfsrevier und Kletterelemente aus Lebend-Bauten bieten zusammen mit Mautschkuhlen und natürlichen Baumaterial aus Gehölzschnitt einen ungewöhnlichen Spielraum für Kinder. Das so genannte "Paradies" im hessischen Oppenheim war vor 20 Jahren das erste, offiziell angelegte naturnahe Spielgelände und hat in Sachen naturnaher Gestaltung Modellcharakter.

Mit dem "Paradies" beantwortete die Kommune Oppenheim beispielgebend die Frage, wie sie Kindern in einer urban geprägten Lebenswelt einen Raum zur Entwicklung von Kreativität und Selbstständigkeit schaffen kann. Kommunen stehen bei der Spielplatzplanung häufig vor der Entscheidung, entweder ein Gelände mit konventionellen Spielgeräten auszustatten oder einen naturnahen Spielraum zu schaffen. Um diese Entscheidung kompetent zu treffen und Kindern ein wirkliches Mehr an spielerischem Erleben zu bieten, als die übliche Kombination aus "Schaukel-Wippe-Sandkasten", braucht es ein Bewusstsein auf Seiten der Kommunen für kindliche Entwicklung und Interessen. Intelligente Planung in Zusammenarbeit mit Fachleuten hilft, das gesamte Spektrum möglicher Spielangebote in Erwägung zu ziehen. Budgets sind dann sinnvoll, zielgerichtet und erfolgreich investiert, wenn sie Kindern langfristig einen Ort zur Verfügung stellen, der ihnen anregende Spielerlebnisse bietet und sie sich aus diesem Grund gerne dort aufhalten. Ein Ort, der sie emotional bindet. Dies können Kinderspielplätze sein, denen beispielsweise themenbezogene Konzepte zugrunde liegen, die mit sorgfältig auf die verschiedenen Bedürfnisse der unterschiedlichen Alterststufen ausgesuchten Spielgeräte ausgestattet sind oder auch Naturerfahrungsräume. Fachkundige Entscheidungen vermeiden nicht nur, dass viele Anlagen leer stehen, sondern helfen zudem Kosten zu sparen.

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Kleintierfriedhof in Eigenregie – Kinder leben ihre Wertschätzung für die Natur, die sie umgibt. Foto: Peter Schraml
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Wasserentnahmestelle mit defekter Verlängerung. Foto: Peter Schraml
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Wasserentnahmestelle mit Verlängerung, die die Auslassquelle auf Bodenniveau verlegt: Kinder werden nicht zum Trinken animiert. Foto: Peter Schraml

Naturnahe Spielräume in einem urbanen Umfeld

Kindliche Motorik und Entwicklung beruht in hohem Maße auf frühen Erfahrungen. Das Spielen ist dafür von großer Bedeutung. Jedoch haben sich die Lebenswelten der Kinder in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert: Wohnungen sind eng, der Straßenverkehr nimmt weiter zu, öffentliche Straßen, Plätze und Wege scheiden als gefahrlose Spielbereiche zunehmend aus. In einer urban geprägten Welt sind Spielplätze für die kindlichen Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen immer wichtiger. Sie sollen den intensiven Bewegungsdrang der Kinder und ihr Bedürfnis, selbst kreativ zu sein, unterstützen und fördern. Bereits ab dem schulpflichtigen Alter möchten Kinder selbstbestimmt ihr eigenes soziales Umfeld gestalten, unbeobachtet von Eltern Zeit mit Freunden verbringen und gemeinsam mit ihnen Abenteuer erleben.

Naturnahe Spielräume kommen diesen Bedürfnissen häufig deutlich näher, als die immer gleichen Geräte konventionell eingerichteter Spielplätze. Kinder begegnen in naturnahen Spielräumen den Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft mit ihren verschiedenen Erscheinungsformen unmittelbar und haben ebenso direkten Kontakt zu Pflanzen und Tieren. Diese Erlebnisräume bieten eine Fülle an sinnlichen Wahrnehmungen und fördern motorische Fähigkeiten. Das "Paradies" in Oppenheim hat als umfassender Erlebnisraum Modellcharakter. Hier gibt es nicht nur die unterschiedlichsten, naturnah gestalteten Geländeformen, sondern darüber hinaus mehr als 246 Pflanzenarten, davon 24 Edel- und 18 Wildobst-Sorten, es gibt undurchdringliches Dickicht und Durchschlupfe, Kletterfelsen und -bäume, Trampelpfade und Rasenwege. Die Wasserpumpe mit Matschkule und der Sammelbehälter für großen Baumschnitt bieten den Kindern über das natürliche Gelände hinaus Betätigungs- und Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Kinder dürfen das Obst ernten. Über "Patenbäumen" und "Botschaftsgarten" können sich die Kinder selbst ein Fleckchen des "Paradieses" aneignen. Die Kinder haben - in Eigenregie - einen kleinen Friedhof angelegt, auf dem sie Kleintiere, die sie tot auf dem Gelände finden, begraben. All dies sorgt dafür, dass der Spielplatz keine anonyme Fläche bleibt und schafft emotionale Bindung.

Sicherheit und Risikoakzeptanz - ein Balanceakt

Auch auf naturnah gestalteten Spielplätzen richtet sich die Sicherheit, ebenso wie bei allen anderen Spielplätzen, nach den einschlägigen Normen und Sicherheitsstandards. Gleichzeitig ist die Akzeptanz eines gewissen Maßes an Risiken ein wesentlicher Gesichtspunkt jeder Form von Spielangeboten. Nur wenn Kinder zu "Selbstsicherheit" erzogen werden, lernen sie Gefahren richtig einzuschätzen und ihnen als Teil einer stimulierenden, herausfordernden Umwelt auf angemessene Weise zu begegnen. Annehmbare Risiken erweitern das Niveau der sozialen, geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit.

Spielplätze stellen sich dem Spagat zwischen dem Sicherheitsanspruch einschlägiger Normen einerseits und einem gewissen Risiko, als wesentlichem Bestandteil des Spielens, andererseits. Für die Gestaltung gilt der Grundsatz: Natürliche und vor allem erkennbare Risiken sind in der Regel hinzunehmen. Versteckte und daher nicht einschätzbare Gefahren müssen vermieden werden.

Dies setzt zum einen voraus, dass Kinder befähigt werden, Risiken im Außen zu erkennen und zu kalkulieren, und zum anderen ihre eigenen Grenzen einzuschätzen. Dazu benötigen Kinder Gelegenheit, motorische Grundfertigkeiten zu erlernen, wie Körperbeherrschung und Beweglichkeit, die sie befähigen, sich in ihrem Umfeld sicher und unabhängig zu bewegen. Dabei ist es wichtig, die unterschiedlichen Anforderungen an die motorischen Fähigkeiten verschiedener Altersstufen mit einzubeziehen. Die Förderung dieser körperlichen wie psychologischen Fähigkeiten dient in diesem Kontext ebenso der Vermeidung von Unfällen, wie das Einhalten von Sicherheitsstandards.

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Das Paradies in Oppenheim – der erste, offiziell von einer Kommune ausgewiesene "naturnahe Spielraum"; seit 1995 zum Modell erhoben. Foto: Peter Schraml
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Wasser und Matsch: unwiderstehliches Spielvergnügen. Foto: Peter Schraml

Wichtige Normen für die Spielplatzsicherheit

Die Sicherheit von Spielplätzen regeln im Wesentlichen zwei Normen: Während die DIN EN 1176 die konkreten Anforderungen an Spielplatzgeräte hinsichtlich Konstruktion, Installation und Wartung formuliert, befasst sich die DIN 18 034 mit dem Umfeld von Spielplätzen. Sie ist die für naturnahe Gestaltung einschlägige Vorschrift für die Planung und den Betrieb. Neben Angaben zur räumliche Lage, Flächengröße und Erreichbarkeit der einzelnen Spielplätze für Kinder unterschiedlicher Altersstufen, enthält sie Vorgaben zu Einfriedungen, sowie Hinweise zum Umgang mit Wasser und Wasserspielen wie auch zu "Giftpflanzen".

Das Paradies stand Pate für viele der in der DIN 18 034 geregelten Grundlagen. Von seinem Gesamtkonzept her schreibt sich das Paradies den Grundsatz auf die Fahne, erkennbare Risiken hinzunehmen und versteckte, und daher nicht einschätzbare, Gefahren zu vermeiden. Die DIN 18 034 spiegelt diesen Gedanken in vielfältiger Hinsicht wider. Im Folgenden soll insbesondere auf die Einschätzung von Objekten eingegangen werden, die keine direkten, konventionellen Spielplatzgeräte sind, aber Kindern zum Spielen auf dem Gelände oder in seinem direkten Umfeld zur Verfügung stehen.

Wasserentnahmestellen

Als Erlebniselement hat Wasser für Kinder einen hohen Reiz; vor allem in der Kombination als Wasser-Matsch Anlage. Kinder beschäftigen sich hier oft stundenlang und lassen ihrer Phantasie freien Lauf. Die haptische Erfahrbarkeit des Spielmaterials regt zudem fast alle Sinne an.

Die Qualität von Wasser ist für uns alle nicht auf den ersten Blick einschätzbar. Daher empfiehlt die Norm DIN 18 034 für Brunnen und Zapfstellen Trinkwasser zu verwenden. Es ist nur dann keine Trinkwasserqualität erforderlich, wenn die Gestaltung der Entnahmestelle die Kinder nicht zum Trinken animiert; das heißt, wenn das Wasser aus der Entnahmestelle nicht mit dem Mund oder einem Becher aufgenommen werden kann. Um dies zu erreichen, empfehlen die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand, mit einem fest angebrachten, bis fast auf den Boden verlängerten Schlauch oder Rohr, die Auslassquelle auf Bodenniveau zu verlegen.

Umzäunung

Während bei Kindergärten eine Einzäunung unumgänglich ist, damit die in die Obhut der Einrichtung übergebenen Kinder diese nicht unbeaufsichtigt verlassen können, ist dies bei einem öffentlich zugänglichen Spielplatz nicht unbedingt notwendig. Hier wird die Forderung nach einer Einzäunung davon abhängig gemacht, welche Gefahrenquellen in unmittelbarer Nähe des Spielplatzes vorhanden sind. Sie wird ausdrücklich dann gefordert, wenn sich zum Beispiel in unmittelbarer Nähe Straßen oder Gleiskörper, tiefe Wasserläufe und Böschungen oder ähnliches befinden.

Ins Spiel vertiefte Kinder, die mit ihren Gedanken woanders sind, sollen durch die Einzäunung davor bewahrt werden, den geschützten Bereich zu verlassen und vor ein Auto zu laufen. Die Möglichkeit, das Gelände zu verlassen, ohne sich dessen bewusst zu sein, ist für Kinder als versteckte Gefahr zu bewerten und gilt es, zu vermeiden. Die Form der Einzäunung hängt dabei von der Art der Spielbetätigungen ab. Sie muss nicht per se ein unüberwindliches Hindernis darstellen, wie beispielsweise hohe Zäune, die nur durch ein Tor beziehungsweise durch einen Einlass überwunden werden können. Es kann ausreichen, dass dichte Hecken oder Felsanordnungen Kindern das Verlassen des Platzes bewusst machen. Im Paradies gibt es neben natürlichen Flechtzäunen an vielen Stellen Einfriedungen aus großen Steinen und Felsbrocken. Sie sind so groß, dass die Kinder darauf herumklettern können. Gleichzeitig sind sie dergestalt, dass sie deutlich als Abgrenzung wahrgenommen werden.

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Umfriedung in Form eines Flechtzauns unterstreicht die naturnahe Gestaltung. Foto: Peter Schraml
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Brombeerhecken und Rosen: Kinder lernen den Umgang mit natürlichen Gegebenheiten – auch wenn diese mal dornig sind. Foto: Peter Schraml
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Foto: Peter Schraml

Pflanzen

Unsere Umwelt ist voll von mehr oder weniger giftigen Pflanzen. Manch giftige Pflanze - im "richtigen" Zustand - essen wir leidenschaftlich gerne: zum Beispiel Tomaten oder gekochte Kartoffeln. Der Umgang mit Pflanzen ist im Zusammenhang mit Spielplätzen und Kindergärten ein heikles Kapitel, gibt es doch hier wie bei kaum einem anderen Thema die unterschiedlichsten Meinungen und Ansprüche. Das Paradies zeigt mit seinen 246 Pflanzenarten, dass sich naturnahe Gestaltung nicht in einem hügeligen Gelände mit Baumstämmen und Felsbrocken erschöpft. Ein Ziel bei der Gestaltung war es, die Biodiversität von Lebensräumen zu fördern. Kindern soll Bewusstsein für die Natur und ihre Wertschätzung nahe gebracht werden. Die wesentlichen Protagonisten von Gebüschen, Hecken, Dickicht und Wäldern sind Pflanzen. Sie machen Natur auf unterschiedliche Weise erlebbar.

So hält sich auch die DIN 18 034 zurück und zählt lediglich sechs Pflanzenarten auf, die im Bereich von Spielplätzen und Freiräumen zum Spielen nicht gepflanzt werden dürfen oder entfernt werden müssen. Darunter fallen Pfaffenhütchen (Euonymus europaea), Seidelbast (Daphne mezereum), Stechpalme (Ilex aquifolium), Goldregen (Laburnum anagyroides), Herkulesstaude (Heracleum mantegazzianum) und Beifußblättriges Taubenkraut (Ambrosia artemisjifolia). All diese gelten als Giftpflanzen.

Um im Zusammenhang mit Pflanzen die versteckten Gefahren zu vermeiden, bedarf es deutlich mehr, als diese von Spielgeländen zu verbannen. Hier sind die Erwachsenen aufgerufen, Kindern die unterschiedlichen Pflanzen und deren Nutzen und Wirkungen nahezubringen. So können Kinder Risiken erkennen und einen bewussten Umgang damit erlernen.

Das Paradies ist darüber hinaus auch in einem anderen pflanzenbezogenen Bereich beispielhaft: Ein Teil des Geländes ist mit dichten Brombeerhecken bewachsen. Durch diese können sich die Kinder Wege und Durchgänge bahnen. Dieser Ansatz steht dem Ansinnen mancher Eltern entgegen, Rosen und andere, dornige Gewächse aus dem Spielplatzbereich zu verbannen, wegen möglicher Kratzer und Verletzungsgefahr. Gerade die offenkundige "Unwegsamkeit" des Dornengebüschs ist für die Kinder eine Herausforderung, macht sie erfinderisch und lehrt sie, natürliche Gegebenheiten nicht nur zu akzeptieren, sondern diese bei der Lösung mit einzubeziehen.

Naturnahe Gestaltung - eine kostengünstige Alternative

Naturnah gestaltete Spielräume bieten Kommunen Lösungen für mehrere Anforderungen. Das Gelände kann so gestaltet werden, dass es Kindern unterschiedlicher Altersstufen interessante Spielmöglichkeiten bietet. Zudem eröffnen sie Kindern genug Freiraum, selbst (mit) zu gestalten, zu bauen und zu pflegen. Das wiederum bindet Kinder ein. Sie lernen sich zu beteiligen, statt zu konsumieren. Auf diese Weise wird der Ort immer mehr zu einem eigenen, an den sich die Kinder emotional gebunden fühlen. Nebenbei erleben und begreifen sie die Natur mit allen Sinnen und lernen diese wertzuschätzen.

Die Erstgestaltung eines solchen Spielraums ist in der Regel kostengünstiger als die Ausstattung mit konventionellen Spielgeräten. Zwar bedarf es bei naturnaher Gestaltung einer besonderen, fachkundigen und artgerechten Pflege. Jedoch ist diese, wie das Paradies zeigt, auf den Quadratmeter umgerechnet wesentlich günstiger als bei konventionellen Spielangeboten. Ein entsprechend fortgebildeter Mitarbeiter kann auch hier Wartung und Prüfung übernehmen.

Unbeschwerte Spielerlebnisse sind für die kindliche Entwicklung unverzichtbar. Kommunen schaffen mit Spielplätzen dann wertvolle Erlebnisräume, wenn sie Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen und ihnen die Freiheit gewähren, sich selbst auszuprobieren und ihre Grenzen auszuloten. Gleichzeitig muss es den Kommunen ein Anliegen sein, sichere Spielplätze zu schaffen und zu erhalten, zum Wohle der Kinder und ihrem spielerischen Erleben, der Eltern und Aufsichtspersonen.
Dipl.-Ing. (FH, MPA) Peter Schraml
Autor

Sachverständiger für Spielplätze und Obmann des Arbeitskreises Inklusion

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