Neues Stadtquartier im Neckarbogen

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Die Flusslandschaft im Zentrum Heilbronns war lange fragmentiert und geprägt von Barrieren und Brachen. Mit dem Impuls des neuen Stadtquartiers im Neckarbogen beginnt die Stadt nun, in ihrem Innern zusammenzuwachsen. Die Freiräume bilden dabei den Schlüssel als räumliche Verbindungen, atmosphärische Identitätsstifter und funktionale Multitalente.

Der Begriff „Stadtlandschaft“ ist in Heilbronn augenfällig. Die urbane Landschaft ist zur Leitstrategie der
Stadtentwicklung geworden, mit der ehemalige innerstädtische Brachflächen für die Stadtgesellschaft gewonnen beziehungsweise zurückgewonnen werden. Inmitten der Stadt sind Parkanlagen und Biotope
entstanden, die Industrieanlagen, neue Wohnbebauung und Bahngleise „umflechten“. Städtebaulicher Kern dieses Projekts ist das Modellquartier Neckarbogen mit den dazu gehörigen Freianlagen auf dem ehemaligen „Fruchtschuppenareal“ zwischen Altem Neckar und Neckarkanal. Hier soll bis 2030 ein nachhaltiges Wohnquartier am Wasser für 3500 Menschen entstehen.

Grüne Infrastruktur

Die Gebäude gruppieren sich um den Floßhafen, der zusammen mit dem Karlssee den Grundriss der ehemaligen Hafenbecken am Ort nachzeichnet. Die bis 2019 umgesetzten Bauabschnitte des Modellquartiers werden zur „Stadtausstellung“ innerhalb der BUGA Heilbronn 2019. Die zukünftigen Baufelder werden während der Gartenschau temporär landschaftsarchitektonisch gestaltet. Die dauerhaften Freianlagen sind bereits mit Eröffnung der BUGA im April 2019 fertiggestellt: der Neckaruferpark als urbaner Park am Wasser, das Neckarhabitat als Natur- und Erholungsraum, der Floßhafen als Zentrum des neuen Quartiers und der Hafenpark mit dem Karlssee als landschaftlich anmutender Freizeitpark.

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Das Büro Sinai war seit 2012, im Nachgang des Wettbewerbsgewinns zur Bundesgartenschau Heilbronn 2019, mit der Objektplanung der dauerhaften Freianlagen im Rahmen der BUGA beauftragt und erarbeitete in Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsbüro Machleidt und Partner, Berlin, auch einen vertiefenden freiraumplanerischen Beitrag zum Rahmenplan (Grundlage 2009 von Steidle Architekten und t17 Landschaftsarchitekten) sowie zum Gestaltungshandbuch für das Modellquartier Neckarbogen. Die Qualitäten von vier „landschaftlichen Bändern“ – im Wettbewerbsbeitrag 2011 als tragendes Element vorgeschlagen, um das Kontinuum des Flussraumes zu stärken und bestehende Zäsuren zu überwinden – konnten so bis auf die Ebene des Stadtbodens im neuen Quartier durchgearbeitet werden. Auf vergleichsweise wenig Fläche entfalten die neuen „grünen Infrastrukturen“ entlang des Neckars dennoch prägende Wirkung.

Die Anforderungen an die neuen Grünanlagen sind vielfältig. Sie dienen selbstverständlich den Heilbronnern und ihren Gästen mit allen Ansprüchen einer Stadtgesellschaft an ihre öffentlichen Freiräume, nehmen aber
gleichzeitig ökologische und technische Funktionen wahr. Diese „Multicodierungen“ auf teils sehr beengtem Raum bestimmen im Sinne des „form follows function“ die Gestaltung. Wiederkehrende Materialien wie der lokale gelbe Sandstein und das Element des Wassers stellen einen gemeinsamen Rahmen für die atmosphärisch sehr unterschiedlichen Parke dar.

Während der Hafenpark mit dem Karlssee überwiegend freizeitbetont ist, stellt der Floßhafen in Zukunft das Zentrum des neuen Quartiers dar. Die heute bestehenden Sichtbeziehungen zum Felsenufer werden dann überwiegend baulich geschlossen sein, so dass der Charakter einer städtischen Marina entsteht. Der südöstliche Bereich des Floßhafens ist als Aufenthaltsbereich am Wasser mit einem Holzpodest und dem Wasserspielplatz intensiv gestaltet. Eine Wassertreppe am Übergang des Karlssees in den Neckar fungiert als Gelenk zwischen den verschiedenen Parkteilen und überbrückt hier einen Höhenunterschied von ca. 3 m.

Der Neckaruferpark bildet den Zugang zum Fluss wie auch zur Altstadt. Die Terrassierung dient dem Hochwasserschutz und macht die geneigte Fläche für die Bewohner nutzbar. Das Material wurde zum Teil aus den Hafenmauern gewonnen. Der Park weist moderne Spielorte auf, integriert aber auch historische
Elemente wie eine Reederei oder Schleusen. Das nördlich an den Neckarbogen anschließende Neckarhabitat ist sprichwörtlich eine „Stadtlandschaft“, ein Naturraum inmitten der Stadt. Die Idee von Sinai war, ein begehbares Biotop zu schaffen, wo Pflanzenentwicklung und Erholungsmöglichkeiten vereint sind; gleichzeitig handelt es sich um eine Wegeverbindung in das Gewerbegebiet Wohlgelegen. Ein 500 m langer, schwebender Steg durchzieht die Wasserlandschaft. Balkonartige Erweiterungen mit Sitzmöglichkeiten laden zum Erleben von Natur inmitten der Stadt ein. Die Uferbereiche sind als terrassiertes Auenrelief modelliert. Initial bepflanzt, wird es der gesteuerten Sukzession überlassen.

Die bestehenden, landschaftlichen Parks, der Campuspark und die Kraneninsel, wurden im Hinblick auf die Großprojekte des Hochschul-Campus und der Wissenschafts-Erlebnisausstellung Experimenta neu programmiert und unter sensibler Einbeziehung des Baumbestandes neu gestaltet.

Der Hafenpark

Das spektakulärste Beispiel für die Multifunktionalität ist sicher das bis zu 12 m hohe Felsenufer im Hafenpark. Es bildet gleichzeitig einen Lärmschutz gegenüber den dahinterliegenden Bahngleisen, stellt mit den Bodeneinlagerungen aus dem Bauaushub des Gesamtprojekts ein Beispiel für intelligentes Materialrecycling dar, schafft ein expressives landschaftliches Rückgrat vor der Industriekulisse am Neckarkanal und beherbergt eine Kletterwand sowie einen vertikalen Spielplatz. In den anliegenden Gabionenwänden und Steinschüttungen finden Zauneidechsen und wärmeliebende Insekten ein Zuhause. Der Hafenpark in seiner skulpturalen Geometrie ist ein moderner und zeitloser Park im Sinne des klassischen Landschaftsgartens.
Im Norden und Süden eingespannt vom Neubau der Vorlandbrücke/Karl-Nägele-Brücke und der Westrandstraße, erstreckt sich der Parkteil entlang des Hafenbahngeländes im Westen und dem Karlssee in einer Länge von ca. 800 m. An seiner engsten Stelle misst der Park nur 50 m Breite. Auf ca. 6,5 ha bisher
ebenem, brachliegendem Gelände wurden 300.000 m 2 Boden zu einem 9 bis 12 m hohen Wall aufgeschüttet; das Aushubmaterial wurde bei der Realisierung der Geländemodellierung, insbesondere bei der Herstellung
der beiden Seen, der Baufelder und des Uferparks am Neckaraltarm gewonnen.

Die Erdskulptur wird zum Karlssee mit Gabionenwänden abgefangen, die mit heimischem Sandstein und Muschelkalk befüllt sind. Diese stellen eine Reminisenz an die in der Umgebung typisch anzutreffenden Sandsteinmauern der Weinbergshänge dar. An der schmalsten Stelle des Hafenparks ist am Karlssee das sogenannte „Felsenufer“, eine skultpturale Wandformation aus mit Spritzbeton verkleideten Spundwänden, in die Parkskulptur integriert. Das „Felsenufer“ ist der zentrale Spielplatz der Parkanlage mit dem übergeordneten Thema „Klettern“. Die Anlage verbindet den „Skywalk“ auf dem Grat der Erdskulptur mit Aussichtsbalkon und Freitreppen zum Karlssee mit den Spielbereichen und Boulderwänden sowie den zwei am See exponierten Kletterwänden. Mit Beginn der Gesamtbaumaßnahme wurden im Zuge des übergeordneten Erdbaumanagements 2014 die Spundwände gerammt. Die funktionale, das Erdbauwerk stützende Spundwand wurde um drei freistehende Spundwandsegmente ergänzt, die in einem Abstand von ca. 2,55 bis 4,30 m in Richtung Karlssee positioniert sind. Hierdurch wird die Tiefenstaffelung der Anlage erzeugt, die eine spätere räumliche Trennung des Spiel- und Kletterbereiches ermöglicht.

Parallel zum Erdbau erfolgte die Herstellung der Gabionenwände. Diese verbinden die stützende Funktion einer Schwerlastmauer mit einer Rückverankerung in den Erdbaukörper und einen gestalterischen Aspekt der
Nachzeichnung der Weinbergsmauern aus der Umgebung Heilbronns am Neckar. Die Ansichtsflächen der Gabionen wurden händisch geschichtet und die Körbe anschließend mit Schüttmaterialien verfüllt.

Kletterbereich

Im Bereich der vorderen Wandscheiben befindet sich an den nach Osten ausgerichteten Flächen der Kletterbereich. Über die Varianz in den Wandgeometrien werden unterschiedliche Klettersituationen erzeugt:

  • Die mittlere Wandscheibe mit einer Gesamtbreite von ca. 11,10 m ist aufgeteilt in einen rund 11,00 m hohen Abschnitt mit vertikaler Ausrichtung und einen bis etwa 11,90 m hohen Abschnitt mit Überhang.
  • Die zweite, ca. 9,10 m breite und rund 13,50 m hohe Kletterwandscheibe weist auf ganzer Breite eine Verjüngung auf.

Die Modellierung der Wände erfolgte in einem aufwändigen Spritzbetonverfahren. In einem ersten Schritt wurden Gewindestäbe horizontal in die Spundwände montiert und auf diese die statisch notwendigen Bewehrungsmatten befestigt.

Durch Aufbringen von Streckmetallgittern konnte die grobe Kubatur mit Überhängen, Rücksprüngen und Versätzen vormodelliert werden. Das Volumen wurde in einem zweiten Schritt kraftschlüssig durch eine graue
Spritzbetonschicht C 25/30 hergestellt; die Feinstruktur der Oberfläche besteht aus einer sandsteinfarbigen Mörtelschicht, die in einem dritten Schritt aufgespritzt wurde. Ziel war es eine optimale Oberflächenstruktur herzustellen, die sowohl den architektonischen Ansprüchen der Gesamtanlage, als auch den Anforderungen einer Bekletterbarkeit in verschiedenen Schwierigkeitsgraden gerecht wird. So wurden verschiedene Klettermerkmale wie Fingergriffe oder Risse händisch in den noch feuchten Beton modelliert. Die Realisierung erfolgte in enger Abstimmung mit Kletterexperten und dem deutschen Alpenverein durch eine intensive fachliche Begleitung. An den Wandscheiben können insgesamt 13 Sicherungslinien realisiert werden. Jede Sicherungslinie ist mit Sicherungspunkten ausgestattet – auch Toprope-Klettern ist durch die rückseitige Erreichbarkeit von fünf Sicherungspunkten ermöglicht. Ergänzend wird vollflächig ein Klettergriffraster mittels Einschlagankern im Spritzbeton realisiert.

Im unteren Wandbereich ist der Einstieg durch geringe Fugentiefen erschwert, die für den Laien nicht überwindbar sind. Von einem überhängenden Balkon aus kann das Geschehen hautnah beobachtet und das gesamte Gelände überblickt werden.

Spielbereich

Der Spielbereich befindet sich zwischen den Wandscheiben auf erhöhter Ebene. Das Thema Klettern wurde in unterschiedlichsten Formen und Schwierigkeitsstufen umgesetzt. So ist es möglich von der obersten Ebene am Skywalk bis auf den Boden durch verschiedene Seillandschaften oder einen senkrechten Kletterkamin hinunterzuklettern. Die Einstiege sind als sogenannte „Kleinkindfilter“ ausgebildet, die einen Zugang für die Kleinsten verhindern. Rutschen in unterschiedlichen Längen, Hangelstrecken und ein Stangenpfad ermöglichen das Überwinden der verschiedenen Ebenen für alle Altersgruppen. Die Fallbeläge sind aus EPDM und Fallschutzkies hergestellt.

Die Spielobjekte Hangeln, Aufstieg, Seilklettern und Kletternest sind konstruktiv mit den Spundwänden verbunden und zwischen den Wandscheiben eingespannt, wobei der Aufstieg, das Seilklettern und das Kletternest die Überbrückung des Höhensprungs von ca. 7,50 m zwischen Spielebene und Skywalk ermöglichen.

Über eine Röhrenrutsche, die im Bereich des Spielgerätes Aufstieg positioniert ist, kann vom Skywalk aus direkt in den Spielbereich gerutscht werden.

Die bodennahen Spieleinrichtungen bestehen im Wesentlichen aus Hangrutschen und aus einem Kinder-Boulderbereich, der entlang der hinteren Stützwand mit einer maximalen Kletterhöhe von 2 m und einer maximalen Greifhöhe von 3 m aufgezogen wird. Der Fallschutz wird mittels Fallschutzkies und durch EPDM-Belagsstrukturen gewährleistet.

Im nördlichen Abschluss des Spielbereichs befindet sich der „Klettersteig“, der eine Kombination aus Klettern, Hangeln und Rutschen in einer Hangsituation bietet. Zwischen Klettersteig und Spritzbetonwand wurden Treppenstufen platziert, die es auch der älteren Generation ermöglicht, im Bedarfsfall auf kurzem Wege sicher zwischen den unterschiedlichen Ebenen zu wechseln.

Projektdaten – Neckarbogen

Bauzeit: 2015 bis 2018
Auftraggeber / Bauherr: Stadt Heilbronn vertreten durch die BUGA Heilbronn 2019 GmbH
Planung: Sinai Gesellschaft von Landschaftsarchitekten mbH, Berlin
Beteiligte Planungsbüros:

  • Erdbau/Spundwände/Gabionen/Spritzbeton: CDM Smith Consult GmbH, Stuttgart
  • Felsenufer-Statik und Bauüberwachung: BIB Kutz GmbH & Co KG | Beratende Ingenieure im Bauwesen, Karlsruhe

Beteiligte Firmen:

  • Erdbau/Spundwände/Gabionen: Wolff & Müller, Waldenburg
  • Felsenufer-Spritzbeton: Tarkus, Berlin
  • Felsenufer-Spieleinbauten: Kompan, Berlin; Modellbau Stein, Frankfurt/Oder
  • Garten- und Landschaftsbau: Bietigheimer, Tamm
Dipl.-Ing. Vera Hertlein-Rieder
Autorin

Dipl.-Ing. Landschaftsplanung bei der SINAI Gesellschaft von Landschaftsarchitekten

 Peter Hausdorf
Autor

Landschaftsarchitekt, Associate Partner bei der SINAI Gesellschaft von Landschaftsarchitekten

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