Kommentar
Regelwerksarbeit macht – Spaaaß!
von: Prof. Dipl.-Ing. (FH) Martin Thieme-HackZuweilen bastelt man Stunden an einem Satz. Beim Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA), zuständig für die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), haben wir uns weit über ein Jahr damit beschäftigt, ob es "klimatische Bedingungen" oder "Witterung" in der VOB/C heißen muss. Die Erarbeitung der ersten Auflage der ZTV-Wegebau hat fünf Jahre gedauert, obwohl schon ein kompletter Entwurf vorlag. Die zweite Auflage brauchte auch fünf Jahre und ganze 26 Sitzungen.
Das klingt alles nicht nach Spaß. Trotzdem finden sich für viele Themen so viele Menschen, die sich an der Regelwerksarbeit beteiligen wollen, dass die Teilnehmerzahl begrenzt werden muss. Manche vertreten die Interessen von Produkten oder Dienstleistungen. So gibt es Fachverbände, die nur gegründet wurden, um sich an der Erarbeitung von Regelwerken beteiligen zu können. Verbände und große Unternehmen haben eigens Mitarbeiter, die nichts anderes machen, als in Gremien die Interessen des Arbeitgebers oder der Mitglieder des Interessenvereins zu vertreten.
Das Deutsche Institut für Normung (DIN) ist kürzlich stark in die Kritik geraten, weil möglicherweise durch einen zu großen Einfluss der Industrie auf die Baunormen das Bauen immer teurer geworden ist. Offenbar hat das DIN zu sehr darauf geschaut, dass von den "interessierten Kreisen", wie die Mitglieder in Normungsausschüssen genannt werden, der Kostenvorschuss erbracht wird, statt auf die Ausgewogenheit zu achten. Mir selbst wurde schon zu Gunsten von Industrievertretern die Mitarbeit versagt. Bei der FLL dagegen können alle Mitgliedsverbände Personen benennen, damit alle Gruppen möglichst gleichmäßig vertreten sind.
Für viele Menschen ist Regelwerksarbeit aber tatsächlich intrinsisch motiviert, weil es eine Möglichkeit ist, ganz viel von den Experten und den Diskussionen zu lernen. Aber auch weil man etwas ändern, etwas besser machen will, vielleicht dem Berufsstand etwas Gutes tun will oder einfach dem Alltagstrott entfliehen kann und auf Kosten des Dienstherrn mal rauskommt. All das gibt es.
So geht es aber auch in den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen. Auch dort ist es so, dass Menschen Freude daran haben, Regelungen aufzustellen. Die Liste der Regelungen ist daher auch lang, beispielsweise Lieferkettengesetz, Arbeitszeitgesetz, ESG-Rating und Heizungsgesetz oder nehmen wir etwas für den Landschaftsbau, wie die Mantelverordnung, die Umweltbaubegleitung, die ökologische, bodenkundliche oder die baumschutzfachliche Baubegleitung. Jedes dieser Beispiele ist in jeder Hinsicht wirklich gut gemeint, aber nicht alle sind gut gemacht.
Regelwerke sind zurückhaltend und mit großem Augenmaß im Sinne der Praxis zu erarbeiten, manchmal ist es sogar besser, es ganz sein zu lassen. Dann kann Regelwerksarbeit Spaß machen.
Ihr Martin Thieme-Hack