Die Legende vom Auseinanderdriften zwischen oben und unten

Studie belegt: Mittelschicht in Deutschland ist robust

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Seit mehr als zehn Jahren gehört rund die Hälfte der Bundesbürger (grün) zur Mittelschicht im engeren Sinne. Quellen: Sozio-oekonomisches Panel, Institut der deutschen Wirtschaft. Grafik: © 2022, IW Medien • iwd 10

Seit mehr als zehn Jahren gehört rund die Hälfte der Bundesbürger zur Mittelschicht im engeren Sinne. Und die Wahrscheinlichkeit, aus dieser Schicht abzusteigen, ist sogar seit der Wiedervereinigung nahezu unverändert geblieben. Allerdings ist es schwieriger geworden, aus der untersten Schicht in die Mittelschicht aufzusteigen - doch dafür gibt es plausible Gründe.

Wenn man in Deutschland wissen will, wie sich die Einkommen der Haushalte entwickelt haben, ist man auf komplexe Befragungen angewiesen, die der Zeit immer etwas hinterherlaufen. Deshalb stammen die Daten zur Einkommensverteilung, die im Frühjahr 2022 vorlagen, von 2018; sie können also die Effekte der Corona-Pandemie nicht abbilden.

Nahezu unveränderte Einkommensverteilung

Schaut man dann noch auf das wichtigste Ergebnis - dass sich nämlich seit Jahren kaum etwas verändert hat -, könnte man die Berechnungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) schnell ad acta legen. Doch das wäre falsch, denn die alte Nachricht, dass es kaum neue Nachrichten gibt, ist eine gute Nachricht - schließlich ist die angebliche Erosion der Mittelschicht nicht nur in Deutschland ein Thema, das so manche Wähler in die Arme von Populisten treibt.

Das nahezu unveränderte Ergebnis der Einkommensverteilung (Grafik): Im Jahr 2018 gehörten 49 Prozent der Bevölkerung in Deutschland zur Mitte im engeren Sinne - die Frauen und Männer erzielten also zwischen 80 und 150 Prozent des bedarfsgewichteten Medianeinkommens. Steuern, Abgaben und Transferzahlungen sind dabei bereits berücksichtigt.

Erst gewachsen, dann geschrumpft, schließlich stabil

Wie stabil die Mittelschicht in Deutschland ist, wird allerdings erst klar, wenn man die Entwicklung über einen längeren Zeitraum betrachtet: Von 1991 bis 1997 wuchs der Anteil der eng gefassten Mittelschicht von 50 auf 55 Prozent. Grund dafür war der kräftige wirtschaftliche Aufholprozess in den neuen Bundesländern. Bis 2005 "schrumpfte" die Mitte dann wieder auf 50 Prozent. Parallel dazu erhöhte sich sowohl der Anteil der armutsgefährdeten Bundesbürger mit weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens als auch der Anteil der Einkommensreichen mit mehr als 250 Prozent. Seitdem hat sich das Schichtengefüge kaum noch verändert: Im Jahr 2018 war der Anteil der Mitte nur rund 1 Prozentpunkt kleiner als im Jahr 2005. Skeptiker könnten diese Zahlen allein schon deshalb in Zweifel ziehen, weil es keine einheitliche Definition von Mittelschicht gibt. Doch so unterschiedlich die Abgrenzungen auch sein mögen, eines haben die meisten gemeinsam: Die Schichten werden in Relation zum Medianeinkommen der Bevölkerung abgegrenzt.

Medianeinkommen um 22 Prozent gestiegen

Bleibt das Problem, wo genau die Grenzen zwischen den einzelnen Schichten verlaufen. Um hier Willkür auszuschließen, ist die Mittelschichtsdefinition des IW das Ergebnis eines zweistufigen Verfahrens: Zunächst wird in Anlehnung an die sozialwissenschaftliche Literatur eine soziokulturelle Mitte definiert. Sie grenzt sich anhand verschiedener Kriterien wie Bildung und Haupterwerbstätigkeit gegenüber einer unteren und oberen Schicht ab. Dann wird untersucht, welche Einkommensbereiche diese drei Schichten vorrangig besetzen und welche typischen Einkommensbänder sich daraus ableiten lassen.

Das Ergebnis: Neben den 49 Prozent, die zur soziokulturellen Mittelschicht gehören, zählen knapp 22 Prozent der Bevölkerung zur unteren soziokulturellen Schicht und 8,5 Prozent zur Oberschicht - der Rest lässt sich nicht zuordnen. Da die Schichten relativ zum Medianeinkommen gebildet werden, bleiben - ähnlich wie bei der Armutsgefährdungsquote - die Veränderungen des allgemeinen Wohlstands außen vor. Doch es macht nun mal einen Unterschied, ob man 80 Prozent von 1000 oder von 2000 Euro verdient. Deshalb ist die Entwicklung des Medianeinkommens aufschlussreich (Grafik): Von 1991 bis 2018 ist das bedarfsgewichtete monatliche reale Medianeinkommen in Deutschland um fast 22 Prozent von 1665 auf 2026 Euro gestiegen.

Die auf dem mittleren Einkommen beruhenden Grenzwerte für die einzelnen Einkommensschichten variieren je nach Haushaltstyp. Ein Single zum Beispiel zählte 2018 mit einem monatlichen Nettoeinkommen zwischen 1620 und 3040 Euro zur Mittelschicht. Ein Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren war mit 3400 bis 6380 Euro dabei.

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Das bedarfsgewichtete Medianeinkommen ist in Deutschland seit 1991 stetig gestiegen. Besonders zwischen 2013 und 2018 ist es stark gewachsen. Quellen: Sozio-oekonomisches Panel, Institut der deutschen Wirtschaft. Grafik: © 2022, IW Medien • iwd 10

Einkommensschichten variieren nach Haushaltstyp

Warum aber braucht ein vierköpfiger Haushalt nicht das Vierfache eines Singles, um zur Mittelschicht zu gehören, sondern nur gut das Doppelte? Der Grund dafür ist die Bedarfsgewichtung: Während ein Single zum Beispiel eine Waschmaschine allein finanzieren muss, werden die Ausgaben dafür in Mehrpersonenhaushalten auf mehrere Köpfe verteilt.

Die Stabilität der Mittelschicht bemisst sich aber nicht nur an ihrer relativen Größe, sondern auch an der Wahrscheinlichkeit für den Einzelnen, langfristig dazuzugehören. Um das in Zahlen zu gießen, werden die rBewegungen einzelner Personen zwischen den unterschiedlichen Einkommensschichten über mehrere Jahre verfolgt.

Gefahr abzusteigen, jahrzehntelang nicht gewachsen

Auch dazu eignen sich die SOEP-Daten besonders gut, weil hier dieselben Personen in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt befragt werden. Die Ergebnisse für den Zeitraum 2014 bis 2018: Fast drei von vier Personen, die im Jahr 2014 zur Mittelschicht im engeren Sinne gehörten, zählten auch 2018 noch zu dieser Gruppe.

Rund 17 Prozent sind dagegen in eine untere Schicht abgestiegen, etwa 9 Prozent schafften den Aufstieg in eine höhere Gruppe. Damit ist die Gefahr, aus der Mitte abzusteigen, seit den 1990er Jahren nicht gewachsen.

Allerdings zeigen die Zahlen auch, dass der Aufstieg in die Einkommensmitte schwieriger geworden ist. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die gesellschaftlichen Strukturen in den vergangenen Jahren stark verändert haben. So sind mehr Migranten in die Bundesrepublik gekommen, die oft zunächst über ein geringes Einkommen verfügen. Zudem ist die Gesellschaft weiter gealtert und es leben immer mehr Menschen allein. iwd

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