Bauelemente auf Basis mineralischer Substrate

System für die bodenungebundene vertikale Begrünung

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Die Begrünung des urbanen Raums rückt vor dem Hintergrund der aktuell stattfinden Urbanisierung vermehrt ins Blickfeld. Es besteht zum einen der Wunsch, grüne Flächen als gestalterisches Element zu verwenden, zum anderen verspricht man sich von der Begrünung unter anderem eine Lärm, Schall- und Feinstaubreduktion sowie Regenwasserrückhalt. Im Beitrag werden ein neues Konzept zur vertikalen Begrünung vorgestellt. Eingesetzt werden modulare Bauelemente auf Basis von mineralischen Substraten.

Nach Prognosen der Vereinten Nationen wird der weltweite Anteil der städtischen Bevölkerung bis 2030 auf über 60 Prozent steigen und im Jahr 2050 rund 70 Prozent erreichen. Bereits 2007 leben genauso viele Menschen in Städten wie auf dem Land. Die Begrünung von Bauwerken und städtischer Infrastruktur rückt vor diesem Hintergrund vermehrt ins Blickfeld von Architekten, Planern und Bauherren. Durch die zunehmende Urbanisierung besteht zum einen der Wunsch, grüne Flächen als gestalterisches Element zu verwenden, zum anderen verspricht man sich von der Begrünung eine Lärm-, Schall- und Feinstaubreduktion, Regenwasserrückhalt oder durch die dämmende oder kühlende Wirkung von bepflanzten Flächen energetische Einsparpotenziale und positive Auswirkungen auf das Mikroklima.

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Ausgangssituation

Ein gutes Beispiel für die systematische Übertragung von Begrünungsideen und die großflächige Umsetzung, insbesondere im Gebäudekontext, ist die Dachbegrünung. Seit Ende der 1970er-Jahre wurden hier kontinuierliche Fortschritte erzielt, und mittlerweile sind die Techniken zur Dachbegrünung weit entwickelt, haben sich am Markt etabliert und so sind in Deutschland laut dem Dachverband Deutscher Gartenfreunde schätzungsweise 12 bis 14 Mio. m² Dachfläche begrünt.

Die Begrünung von vertikalen Flächen, beispielsweise von Gebäudefassaden oder Wänden, steht noch in den Anfängen. Technische Lösungen zeichnen sich ab und immer häufiger sind vereinzelte, jedoch eher skulpturale vertikale Begrünungen, im urbanen Raum zu finden. Hier sind vor allem die Installationen des französischen Botaniker und Gartenkünstlers Patrick Blanc bekannt. Aber auch in der Architektur werden die Gedanken zur vertikalen Begrünung aufgegriffen und gerade im asiatischen Raum immer häufiger Gebäude mit grünen Fassaden erschaffen. Prof. Manfred Köhler vom Fachbereich Landschaftswissenschaften und Geomatik der Hochschule Neubrandenburg beschreibt in einem Interview in der Zeitschrift "Baumeister: Das Architektur-Magazin" zutreffend: "Grundsätzlich möchte ich sagen, dass wir für die Begrünung auf Dächern sehr gute, bewährte technische Lösungen haben. Bei den Fassaden stehen wir allerdings noch am Anfang: Es ist möglich, erfordert aber gut ausgebildete Spezialisten, die Antworten auf die Fragen Gebäudedämmung, Haltbarkeit, Befestigung, Brandschutz und gärtnerische Erfordernisse zusammenbringen" (Kietzmann - 2013).

Vor diesem Hintergrund forscht das Fraunhofer-Institut für Umwelt, Sicherheits- und Energietechnik Umsicht in Oberhausen an der Entwicklung von großflächig skalierbaren Bauelementen, mit denen der Bau von begrünten Wänden möglich ist und an denen unter anderem die Eignung zur Feinstaubsorption nachgewiesen werden soll.

Auswirkung von vertikaler Begrünung und technische Möglichkeiten

Inwieweit die vertikale Begrünung im urbanen Raum Beiträge zur Luftverbesserung, Stickoxidminderung und Mikroklimaverbesserung leisten kann, wird zurzeit vermehrt untersucht und die Ermittlung der Feinstaubsorption steht dabei besonders im Fokus.

In der wissenschaftlichen Literatur sind Feinstaubaufnahmemengen urbaner Begrünung von bis zu 0,7 g/m² Pflanzenfläche beschrieben (Reznik - 2009). Messungen britischer Forscherteams weisen Feinstaubsorptionsmengen an straßennahen Bäumen im städtischen Umfeld von 11 bis 119 mg/m² Blattfläche und Tag nach (Broadmeadow - 1998; Mitchell - 2010).

Basierend auf diesen Daten wurden am Karlsruher Institut für Technologie Simulationsrechnungen durchgeführt und im Jahr 2012 publiziert (Pugh - 2012). Die Arbeiten weisen eine signifikante Feinstaubsorptionswirkung und Stickoxidumsetzung von vertikaler Begrünung nach und belegen, im Vergleich zum bisherigen Kenntnisstand, überraschend hohe Sorptions- und Filterleistungen. Das Autorenteam betrachtet einen Straßencanyon, der beidseitig begrünt ist. Innerhalb der Straßenschlucht entwickelt sich eine Walzenströmung, die zu hohen Kontaktierungsraten zwischen der Luft und der Begrünung führt. Das Forscherteam fand heraus, dass mit Gras, Efeu oder anderen Pflanzen begrünte Wände die Luft deutlich besser filtern als bislang angenommen: Statt um bis zu 2 Prozent könnten sie laut dieser Studie die Luftverschmutzung um mehr als das Zehnfache reduzieren.

Altbekannte, bodengebundene Begrünung mit Efeu, Wein und anderen Rankpflanzen sind zur Begrünung einsetzbar; hierzu finden sich unzählige Einsatzbeispiele. Allerdings muss der Standort eine bodengebundene Begrünung ermöglichen, und auch eine homogene sowie schnelle flächige Skalierung ist bei dieser Methode schwierig.

Technische Lösungen zur bodenungebundenen Begrünung sind unter anderem im 2012 erschienenen Handbuch Bauwerksbegrünung skizziert (Köhler - 2012). Es sind Topf, Flachbehälter- und Vliessysteme beschrieben, die beispielsweise an Gebäudefassaden befestigt und bepflanzt werden können. Auf der internationalen Weltausstellung "EXPO Mailand" wurden solche Konzepte beispielsweise in Form von "vertical Farming" an der Fassade des israelischen Pavillons demonstriert.

Die beschriebenen Möglichkeiten sind hinsichtlich Montage und Bewässerung komplex und die Lösungen werden primär im Wohn- und Industriegebäudebereich eingesetzt, meist in Form von Einzelflächen. In Forschungsprojekten werden zurzeit vielfach Moose verwendet, die als Kandidaten zur extensiven Begrünung und Feinstaubsorption gehandelt werden. In Stuttgart findet momentan die Inbetriebnahme einer Mooswand entlang der Canstatter Straße statt, mit dem Ziel, die Feinstaubsorption an diesem Standort zu reduzieren (Welt - 2017).

Vertikale Begrünung mit Bauelementen auf mineralischer Basis

Im Vergleich zu den bisher vorliegenden Techniken wird bei Fraunhofer Umsicht ein Konzept verfolgt, das auf einem homogenen, saugfähigen und flüssigkeitsspeichernden mineralischen Werkstoff (Kalksandstein) basiert.

Der Kalksandstein vereint ausgezeichnete bautechnische Eigenschaften, eine hervorragende Schallschutzeignung und eine Umwelt-Produktdeklaration nach ISO 14025 für den Werkstoff liegt vor (Unika GmbH, EPD-BKS-2009111-D, Institut für Bauen und Umwelt, Hannover). Durch die Wahl einer geeigneten Werkzeuggeometrie, ohne Modifikationen des etablierten Herstellungsverfahrens, ist später eine wirtschaftliche Serienfertigung von Begrünungsgrundmodulen aus Kalksandsteinen möglich. Die einzelnen Kalksandsteine können anschließend durch etablierte Methoden zu Wänden und großflächigen Elementen verbaut werden, wobei der Einbau von Bewässerungsleitungen in einer speziellen Bewässerungsrinne direkt in der Wand erfolgt. Nach dem Aufbau der Wand werden die Pflanzrinnen mit Substrat gefüllt und anschließend direkt bepflanzt oder mit Pflanzensamen eingesät. Das verwendete Substrat und die verwendeten Pflanzen können in vielfältiger Weise variiert und auf den gewünschten Begrünungstyp angepasst werden. Insbesondere bei der Begrünung mit Gräsern wird ein schneller Begrünungserfolg (zwei bis drei Wochen) erzielt, und ein durch das Gras bereitgestellte Mikroklima ermöglicht die Ansiedlung weiterer Pflanzen. Kleinteilige Module können auch im Bereich von Balkonen oder Terrassen zur Anzucht von Pflanzen genutzt werden oder als vertikaler Kräutergarten dienen.

Die Bewässerung des Systems erfolgt von oben, wobei aufgrund der Flüssigkeitstransporteigenschaften des Steins das Wasser in der Wand allein durch Schwerkraft nach unten geführt wird und so alle Pflanzrinnen erreicht. Bei Bedarf können zudem auch die einzelnen Steinlagen separat bewässert werden.

Nach dem beschriebenen Konzept wurden erste Funktionsmuster aus Kalksandstein in Zusammenarbeit mit den Unternehmen Unika GmbH und bilolit GmbH & Co. KG hergestellt und zu Pilotwänden verbaut. Zur Bepflanzung wurden bei diesen Beispielen sowohl vorgezogene Pflanzen eingesetzt als auch Pflanzensamen eingesät.

Das entwickelte Konzept und die bisherigen Praxisergebnisse weisen eine gute Eignung des Systems für die vertikale Begrünung nach. Einsatzmöglichkeiten ergeben sich hierbei sowohl im Bereich der Fassadenbegrünung aber auch im Bereich des Lärmschutzes. Durch einen doppelschaligen Aufbau sind gute Lärmschutzeigenschaften zu erwarten, bei gleichzeitig beidseitiger Begrünung der Wand.

In nachfolgenden Arbeiten sollen gemeinsam mit interessierten Partnern weitere Pilotprojekte realisiert werden und an diesen Wänden unterschiedliche wandspezifische und umgebungsrelevante Fragestellungen untersucht werden:

Wandspezifische Untersuchungen

  • Bewässerungskonzepte und -strategien (Mengen, Dauer, Umgebungseinfluss)
  • Pflanzenvariation (Vitalität, Bedeckungsraten, Langzeitbeständigkeit, Nutzpflanzen)
  • Substratvariation (Wasserspeicherung, Wasserverfügbarkeit, Nährstoffe)
  • Etablierung von Moosen (Kultivierungstechniken, Verbreitungsgeschwindigkeit)
  • Bautechnische Untersuchung der Elemente

Umgebungsrelevante Untersuchungen

  • Mikroklimabeeinflussung: Temperaturmessungen (Wand vs. Umgebung)
  • Luftreinhaltung: Bewertung der Sorptionsfähigkeit für Feinstaub
  • Lärmschutz: Schallschutzmessungen am System
  • Biodiversität: Zählung von Kleintieren im System

Neben den bereits etablierten Methoden kann das vorgestellte Konzept einen Beitrag zur bodenungebundenen vertikalen Begrünung im urbanen Raum leisten und die Ergebnisse der geplanten Untersuchungen erweitern den Wissensstand in Bezug auf die Wechselwirkung zwischen Begrünung und Umwelt.

Literatur

(Broadmeadow - 1998) Broadmeadow, M. et al.: Forest research annual report and accounts 1997-1998; The Stationary Office: Edinburgh, 1998.

(Kietzmann - 2013) Kietzmann, N., Schneider, S.: Bosco-Verticale - Baumeister: Das Architektur-Magazin, 109, 2013.

(Köhler - 2012) Köhler, M.: Handbuch Bauwerksbegrünung, Planung - Konstruktion - Ausführung, Hrsg. Prof. Dr. Manfred Köhler, Verlag Rudolf Müller, Köln, 2012.

(Mitchell - 2010) Mitchell, R. et al.: Rates of particulate pollution deposition onto leaf surfaces: Temporal and interspecies magnetic analyses. - Environ. Pollut., 158, 2010.

(Pugh - 2012) Pugh, T. et al.: Effectiveness of green infrastructure for improvement of air quality in urban street canyons. ? Environ. Sci. Technol., 46, 2012.

(Reznik - 2009) Reznik, G., Schmidt, E.: Immissionsminderung durch Pflanzen - Abscheidung und Abwaschung von Feinstaub an Efeu. - GRdL 69, 2009.

(Welt - 2017) www.welt.de/regionales/baden-wuerttemberg/article159711340/Teststueck-einer-Mooswand-aufgebaut.html, zuletzt geprüft: 27.03.2017

Dr. rer. nat. Holger Wack
Autor

stellv. Abteilungsleiter Materialsysteme und Hochdrucktechnik, Fraunhofer-Institut UMSICHT

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