Das Beispiel Hansestadt Hamburg

Überflutungsvorsorge für hochverdichtete Stadtquartiere

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Überflutungen Entwässerung
Beispiel für eine vereinfachte Gefährdungsanalyse, dargestellt für das Quartier Winterhude-Süd in Hamburg-Nord. Datengrundlage: ALKIS, Ausgabestand 2014, LGV Hamburg. Grafik: Kruse

Maßnahmen zur Überflutungsvorsorge müssen vor allem in wachsenden Städten und mit Blick auf die Folgen des Klimawandels verstärkter realisiert werden. Selbst in hochverdichteten Quartieren ist es möglich, diese umzusetzen. Maßnahmen können entweder auf privaten Grundstücken oder gezielt im öffentlichen Raum umgesetzt werden. Die HafenCity Universität (HCU) Hamburg hat hierzu im Auftrag der Behörde für Umwelt und Energie Hamburg (BUE) ein Wissensdokument für die Verwaltung sowie einen Leitfaden für Eigentümer, Bauherren und Planer erarbeitet.

Hamburg ist wie so viele andere Großstädte eine wachsende Metropole mit einem steigenden Bedarf an Wohnraum. Es ist geplant, das Wachstum vor allem durch Innenentwicklung und Nachverdichtung umzusetzen. Auch bereits stark verdichtete Innenstadtquartiere sind hiervon betroffen. Aufgrund der baulichen Dichte mit entsprechenden Versiegelungsgraden wirken sich dort hohe sommerliche Temperaturen und extreme Regenereignisse besonders stark aus. In Folge einer weiteren Nachverdichtung und mit Blick auf die Auswirkungen des Klimawandels kann die Gefahr einer Überflutung oder Überhitzung noch weiter steigen. Aus diesem Grund hat sich die HCU Hamburg im Rahmen des Projekts "KLIQ - Klimafolgenanpassung innerstädtischer hochverdichteter Quartiere in Hamburg" von Januar 2015 bis März 2017 im Auftrag der BUE Hamburg intensiv mit den Themen Überflutungs- und Hitzevorsorge beschäftigt. Ziel war es, ein praxisnahes Wissensdokument für die Verwaltung sowie einen Leitfaden für Eigentümer, Bauherren und Planer zu erstellen.

Der folgende Artikel stellt die Ergebnisse des Wissensdokumentes für die Verwaltung in Bezug auf die Überflutungsvorsorge vor. Die vollständigen Ergebnisse stehen auf der KLIQ-Homepage zur Verfügung (siehe am Ende des Artikels).

Forschungsfragen für die Fallstudie Hamburg

Im Rahmen von KLIQ wurden unter anderem die folgenden Fragen genauer untersucht:

  • Welche Arbeitsschritte sind für eine wassersensible Stadtentwicklung notwendig?
  • Wie groß ist das Potenzial zur Umsetzung von Maßnahmen auf Privatgrundstücken in innerstädtischen hochverdichteten Quartieren?
  • Wie könnte ein Konzept zur Überflutungsvorsorge im öffentlichen Raum aussehen?

Die Fragen wurden exemplarisch anhand eines innerstädtischen Quartiers in Hamburg untersucht, das im Sommer 2011 während eines Starkregens überflutet wurde.

Arbeitsschritte für eine wassersensible Planung

Zunächst wurden idealtypische Arbeitsschritte für den Planungsprozess entwickelt, die zukünftig als Orientierungshilfe für eine wassersensible Planung dienen sollen. Ein wichtiger Schritt ist dabei die Gefährdungsanalyse. Mit Hilfe einer Checkliste kann durch den Projektverantwortlichen eine vereinfachte Analyse der Gefahrensituation innerhalb eines Stadtquartiers durchgeführt werden. Anhand der Antworten lässt sich abschätzen, ob und inwieweit sich Starkregen auf das betrachtete Quartier oder geplante Vorhaben auswirken kann. Falls gefährdete Bereiche identifiziert werden, kann im Anschluss eine umfassendere Prüfung durchgeführt und das Planungsgebiet hinsichtlich des potenziellen Risikos einer Überflutung bewertet werden. Sollte eine Überarbeitung der Vorplanung oder des Vorentwurfs notwendig sein, dient ein Fragenkatalog mit sogenannten Klimaleitfragen als Unterstützung.

Die Checkliste dient zur Erstellung einer vereinfachten Gefährdungsanalyse, die bei Bedarf durch eine detailliertere Analyse, beispielsweise eine gekoppelte Berechnung der Oberflächenabflüsse (topographischen Analyse) sowie des unterirdischen Kanalnetzes (hydraulische Analyse) gemäß DWA Merkblatt DWA-M 119 [1] ergänzt werden sollte.

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Maßnahmen auf Privatgrundstücken

Mit ca. 73 Prozent befindet sich ein Großteil der Flächen in dem untersuchten Quartier in privater Hand. Aus diesem Grund wurden für die Privatgrundstücke das Potenzial zur ober- und unterirdischen Versickerung von Regenabflüssen sowie zur nachträglichen Begrünung flacher oder flach geneigter Dächer von Bestandsgebäuden analysiert.

Bedingt durch den relativ hohen Grundwasserstand ist im Quartier das Potenzial für Muldenversickerung höher als für unterirdische befahrbare Rigolenkörper aus Kunststoff. Etwa 28 Prozent der Privatgrundstücke könnten den anfallenden Regenabfluss (fast) vollständig auf den jeweiligen Grundstücken über begrünte Rasenmulden versickern. Dagegen ist bei nur circa 20 Prozent der Grundstücksflächen eine unterirdische Versickerung (fast) vollständig möglich.

Die Analyse des Begrünungspotenzials flacher oder flach geneigter Dächer von Bestandsgebäuden fällt deutlich positiver aus. Im untersuchten Quartiernehmen Gebäude 36 Prozent der Gesamtfläche ein. 45 Prozent der bestehenden Gebäude haben ein flaches oder flach geneigtes Dach, das in der Regel mit Bitumen abgedichtet ist. Bezogen auf die Gesamtfläche des Untersuchungsgebietes sind das 16 Prozent. Von diesen 16 Prozent der Gesamtfläche könnte also durch die nachträgliche Begrünung je nach Aufbau des Gründachs der Abfluss vermieden, zurückgehalten und verdunstet oder verzögert ins Sielnetz eingeleitet werden. Wie Auswertungen ergeben, ist bei einem Großteil der Gebäude eine nachträgliche Dachbegrünung möglich. Je nach Statik ist zu prüfen, ob lediglich eine Begrünung in Leichtbauweise mit 5,0 cm Schichthöhe oder sogar eine höherwertige Begrünungen möglich ist, beispielsweise in Form eines Retentionsdachs mit Einstau des Regenwassers auf dem Dach.

Wie Simulationsergebnisse belegen, kann vor allem die flächendeckende Kombination von Gründächern, Mulden und Rigolen auf den Privatgrundstücken einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Überflutungsvorsorge leisten. Das abfließende Niederschlagswassers wird in diesem Fall bei einem Starkregen um etwa 40 Prozent im Vergleich zur Bestandssituation vermindert. Dies ist deutlich mehr als bei den einzelnen Maßnahmen.¹

Überflutungen Entwässerung
Typische Quartiersstraße im Bestand. Grafik: Kruse
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Begrünte Straße bei Sonne und Regen mit versickerungsfähigen Pflanzgruben von Straßenbäumen und Tiefbeeten. Grafik: Kruse
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Begrünte Straße bei Sonne und Regen mit versickerungsfähigen Pflanzgruben von Straßenbäumen und Tiefbeeten. Grafik: Kruse

Konzept zur Überflutungsvorsorge für den öffentlichen Raum

Da die Verwaltung jedoch keine Zugriffsmöglichkeiten auf die Privatgrundstücke hat und hier auf Freiwilligkeit setzen muss, wurde zusätzlich beispielhaft ein planerisches Konrrzept zur Überflutungsvorsorge auf Quartiersebene für Winterhude-Süd entwickelt, das sich auf die Umgestaltung des öffentlichen Raumes fokussiert (siehe Abbildung S. 41). Langfristiges Ziel des Konzeptes ist, ein grünes und lebenswertes Stadtquartier zu schaffen beziehungsweise in diesem Falle zu bewahren und damit zur Überflutungsvorsorge beizutragen. Als Grundlage dient ein zusammenhängendes Vorsorgesystem, so dass im Falle eines Starkregens das überschüssige Wasser im öffentlichen Raum versickert, temporär zurückgehalten und - wo es notwendig ist - möglichst schadensfrei in die angrenzenden Kanäle abgeleitet wird. Als wichtige Komponente dieses Vorsorgesystems dient ein neuer Raumtypus von Straßen und Grünflächen zur Reduzierung des Überflutungsrisikos, bestehend aus:

  • begrünten Straßen
  • wasserspeichernden Grünflächen
  • wasserspeichernden sowie wasserableitenden Straßen

Sie orientieren sich an den Raumtypen des Wissensdokuments "Hinweise für eine wassersensible Straßenraumgestaltung" der BWVI Hamburg 2015 [2]. Die begrünten Straßen werden im Folgenden näher beschrieben.

Raumtyp: Begrünte Straßen

Die begrünten Straßen dienen als Grundgerüst des Vorsorgekonzeptes und umfassen sämtliche Quartiers-, Sammel- und Verbindungsstraßen, soweit es die Topographie und die Platzverfügbarkeit innerhalb des Straßenraumes zulässt. Sie werden vor allem durch die Straßenbäume geprägt, die entweder schon vorhanden sind oder ergänzt werden sollten. Ein Großteil des Regens wird - je nach Stärke des Regenereignisses - bereits durch die Baumkronen der Straßenbäume aufgefangen und direkt wieder verdunstet. Der anfallende Regenabfluss von Gehwegen und Straßen wird in die Pflanzgruben eingeleitet, um dort - je nach Standortbedingungen - zu versickern oder zurückgehalten und verzögert ins Kanalnetz eingeleitet zu werden. Dazu können sowohl bestehende Baumstandorte optimiert oder neue Baumstandorte geschaffen werden.²

Falls in den oftmals beengten Quartiersstraßen kein Platz für Straßenbäume vorhanden ist, werden stattdessen bepflanzte Tiefbeete eingesetzt. Sie dienen zur Versickerung und zur Rückhaltung von Regenabflüssen und können anstelle eines Stellplatzes im Bereich der Straße angeordnet werden. Auf diese Weise kann oftmals ein ausreichender Abstand von den Gebäuden zur Versickerungsanlage eingehalten werden.

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Beispielhaftes Konzept zur Überflutungsvorsorge für Winterhude-Süd. Datengrundlage: ALKIS, Ausgabestand 2014, LGV Hamburg. Grafik: Kruse

Realisierung des Vorsorgekonzeptes

Die Umsetzung des vorgestellten Vorsorgekonzeptes erfordert - je nach Situation - eine mehr oder weniger aufwändige Umgestaltung des öffentlichen Raumes. Es ist daher nur langfristig und abschnittsweise realisierbar. Umso wichtiger ist es, das hier dargestellte Konzept für überflutungsgefährdete Quartiere gemeinsam mit allen relevanten Akteuren zu entwickeln. Nur so kann es anschließend bei jeder geplanten Baumaßnahme im öffentlichen Raum des Quartiers berücksichtigt werden. Sämtliche geplante Maßnahmen sollen insgesamt zu einer Aufwertung des öffentlichen Raumes beitragen und so unabhängig von den zukünftigen Folgen des Klimawandels ökologisch und sozial sinnvoll sein.

Fazit und Ausblick

In hochverdichteten Quartieren bestehen zahlreiche Möglichkeiten, um das Überflurtungsrisiko einzelner Gebäude und Grundstücke im Falle eines Starkregens zu minimieren. Deutlich werden jedoch drei Aspekte, die diese Thematik zu einer großen Herausforderung werden lassen:

  • Maßnahmen müssen möglichst flächendeckend umgesetzt werden, um langfristig erkennbare Wirkungen erzielen zu können.
  • Der überwiegende Flächenanteil liegt in innerstädtisch hochverdichteten Quartieren mit circa 50 bis 75 Prozent in privater Hand. Hier müssen die privaten Eigentümer in die Umsetzung eingebunden werden, um diesen großen Flächenanteil zu mobilisieren. Den größten Anteil der öffentlichen Flächen stellen die Verkehrsflächen mit etwa 20 bis 35 Prozent dar. Die Stadtverwaltung muss deshalb Straßen und Plätze konsequent zur Maßnahmenumsetzung nutzen, um eine Vorbildfunktion auszuüben und Wirkungen zu erzielen. Hier sind jeweils deutliche Veränderungen der derzeitigen Praxis notwendig.
  • Letztlich wird man sich auf eine langfristige, strukturierte und systematische Integration von Vorsorgemaßnahmen in private und öffentliche Bauvorhaben einstellen müssen. Deshalb sollten zum einen gefährdete Quartiere identifiziert und für diese möglichst frühzeitig eine konkrete und flächendeckende Zielsetzung entwickelt werden, wie Maßnahmen zur Überflutungsvorsorge bei Sanierungs- und Umbaumaßnahmen aussehen sollen. Zum anderen muss konsequent und kleinteilig in jedem Projekt auf eine wassersensible Bauweise geachtet werden.

Weitere Informationen zum KLIQ-Projekt finden Sie unter www.hcu-hamburg.de/kliq

  • Kruse, E.; Rodriguez Castillejos, Z.; Dickhaut, W.; Dietrich, U. (Hrsg.) 2017: Überflutungs- und Hitzevorsorge in Hamburger Stadtquartieren. Wissensdokument für die Verwaltung. Hamburg
  • Rodriguez Castillejos, Z.; Kruse, E.; Dickhaut; U. Dietrich, W., (Hrsg.) 2017: Mein Haus - in Zukunft klimaangepasst! Leitfaden für Eigentümer, Bauherren und Planer. Hamburg
  • Sieker GmbH 2017: Hydrologische Berechnungen für das Untersuchungsgebiet Winterhude-Süd in Hamburg
  • Kruse, E. 2016: Kopenhagen: Vorreiter beim Thema "Überflutungsvorsorge". In: KW Korrespondenz Wasserwirtschaft 2016 (9), Nr. 11, S. 669-673
  • Kruse, E. 2017: Amsterdam: Eine innovative Art der Zusammenarbeit zur Überflutungsvorsorge. In: KW Korrespondenz Wasserwirtschaft 2017, 2ß17 (10) , Nr. 7
  • Richter, M.; Kruse, E.; Rodriguez Castillejos, Z., 2017: Das Gründach als Schwamm und Klimaanlage der Stadt. In: Transforming Cities 1. 2017, S. 68-73

Quellen

1) Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (Hrsg.) 2015: Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge - Analyse von Überflutungsgefährdungen und Schadenspotenzialen zur Bewertung von Überflutungsrisiken (Entwurf). DWA-Regelwerk, Merkblatt DWA-M 119. Hennef

2) Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Wirtschaft, Innovation und Verkehr (Hrsg.) 2015: Hinweise für eine wassersensible Straßenraum- gestaltung. Wissensdokuments. Hamburg

Dieser Artikel wurde ebenfalls in der Korrespondenz Wasserwirtschaft veröffentlicht.

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Dickhaut
Autor

HafenCity Universität Hamburg (HCU), Leiter des Fachgebiets Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung

Dr.-Ing. Elke Kruse
Autorin

Landschaftsarchitektin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HafenCity Universität Hamburg (HCU), Fachgebiet Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung

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