Urbane Sturzfluten - Praxisbeispiele

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Baugebiet Höfles. Gemeinsame Ortsrandeingrünung mit integrierter Versickerungsmulde (von Norden). Foto: Peter Dörfel

Im Idealzustand, in unbebauten oder zumindest gering versiegelten Bereichen trifft der (durchschnittliche) Regen auf den durch eine pflanzliche Bodendecke geschützten Boden auf. Er sickert rasch in diesen lockeren Oberboden ein und reichert zeitverzögert in der Tiefe das Grundwasser an.

Regenwasser, das in besiedelten Gebieten fällt, trifft zumeist auf Dächer oder befestigte Flächen auf und muss dann aktiv bewirtschaftet werden. Weil Dächer und versiegelte Flächen das Wasser zeitlich und mengenmäßig ungedrosselt weiterleiten, kumulieren die Regenmengen sehr schnell zu den berüchtigten "Sturzfluten". Abgesehen davon, dass das Wasser sich dabei mit Schmutz- und Schadstoffen anreichert, die es gegebenenfalls auch zu behandeln gilt, setzt sich dieser Beitrag mit den Möglichkeiten der Verzögerung, Verteilung und Bewirtschaftung dieser Wassermassen auseinander. Die Herangehensweise unterscheidet sich hierbei für Wasser, das auf Dächer und Wasser, das auf versiegelte Böden auftrifft. Die Möglichkeiten des Rückhalts, der Speicherung, der Ableitung und der Versickerung sind naturgemäß verschieden und haben unterschiedliche Auswirkungen.

Ausgangssituation

Lange Zeit herrschte die Meinung, dass natürliche Zusammenhänge in besiedelten Bereichen außer Kraft gesetzt werden sollten. Flächen sollten sauber und wirtschaftlich, das heißt zu 100 Prozent versiegelt sein. Das Regenwasser wurde direkt in den unterirdischen Kanal abgeleitet. Naturnähere Lösungen sah man als technisch unperfekt und politisch verklärt an. Erst als die Kanalsysteme fast allesamt hydraulisch überlastet waren und nur mit ungeheuren Investitionen hätten ertüchtigt werden können, immer mehr Innenstädte und Wohngebiete temporär überflutet wurden, setzte ein Umdenken ein. Auch die Verschärfung und Anwendung des Gesetzes mit dem Gebot der Bewirtschaftung von Regenwasser auf dem jeweiligen Grundstück (WHG 2009) setzten neue Strategien in Gang.

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Im Bauzustand waren die privaten Gartenflächen noch deutlich durchgemuldet. Foto: Daniela Bock
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Die meisten Grundstückseigentümer zogen es vor, die Rasenmulden aufzufüllen. Foto: Daniela Bock
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Auf der nur noch minimal durchgemuldeten Rasenfläche ist auch bei Starkregen kein stehendes Wasser erkennbar. Foto: Daniela Bock
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In der Versickerungsmulde am Ortsrand ist bei Starkregen kurzzeitig stehendes Wasser sichtbar. Foto: Daniela Bock

Die Rigole (sei es ein Schotterkörper oder ein Kunststoffgitterkorb) etablierte sich als neues, unterirdisches Allheilmittel. Und noch immer löste ein kf-Wert schlechter 10-6 im Bodengutachten ein erleichtertes Aufatmen bei allen Baubeteiligten aus. "Gott sei Dank, wir dürfen an den Kanal, denn eine Rigole hilft nun auch nicht mehr."

Aber die Behörden setzten sich vor allem in den großen Städten mehr und mehr durch: kein qualifiziertes Regenwasserkonzept? Dann keine Bebauung! Jetzt sollten eben große Stauraumkanäle die Lösung sein, die das Wasser zurückhalten und gedrosselt in die Kanalisation abgeben. Wieder eine große Lösung, sehr technisch, sehr teuer.

Wie lässt sich nun eine funktionierende, wirtschaftliche, genehmigungsfähige und womöglich sogar sinnvolle Lösung finden?

Grundlagen

Lösungsansätze für übergeordnete Themen, wie es zum Beispiel die Energieversorgung, Lärmbetrachtung und die Regenwasserbewirtschaftung sind, sollten möglichst frühzeitig, schon auf der Ebene der Bauleitplanung, gelöst oder zumindest konzeptioniert sein. Auf der Ebene des Einzelbauvorhabens sollte dann die Zuständigkeitsverteilung in einem zeitgemäßen Planungsteam bereits bei den ersten Besprechungen geklärt werden. Regenwasserbewirtschaftung funktioniert nur gewerkeübergreifend, so dass Hochbau, technischer Ausbau, Statik und Freiraumplanung von Anfang an eng zusammenarbeiten müssen. Ein zu spätes Delegieren an einzelne Fachplaner wird nur noch einen schlechten Kompromiss hervorbringen oder scheitern.

Das Maßschneidern eines Bewirtschaftungskonzeptes für Regenwasser benötigt einige Grundlagen, auf denen die Berechnungen aufgebaut werden müssen:

Ein qualifiziertes Bodengutachten, das nicht nur abgeleitete kf-Werte sondern nach Möglichkeit Sickertests, auch in der Oberbodenschicht, beinhaltet.

Kann das Gebäude ein begrünbares Flach- oder schwach geneigtes Dach erhalten? Wie dick kann der Aufbau auf einer etwaigen Tiefgarage sein? Wie werden die Nutzungen verteilt (FW-Zufahrt, private Gärten, Stellplätze, Spielflächen, etc.) und wie hoch muss der Versiegelungsgrad sein? Wie werden die späteren Eigentumsverhältnisse sein (wer übernimmt/garantiert Gewährleistung, Freihaltung, Umbau, Wartung etc.)? Wie werden Bau- und Folgekosten gewichtet? Werden die Genehmigungsbehörden gegebenenfalls eine Mehrfachnutzung der Fläche akzeptieren (z.B. Versickerungsfläche = Spiel- oder Ausgleichsfläche oder Anstau auf Parkplatzflächen mit versickerungsfähigem Belag etc.)?

Als Grobschema für die Einstufung des Projektes kann folgende Abstufung dienen (Kontinuum von kompletter Ableitung der Wassermenge über Anstau und verzögerter Ableitung, Anstau und verzögerter Versickerung bis hin zu Retention und freier Versickerung):

  • Einleiten in den (Misch-/Regenwasser-)Kanal oder einen Vorfluter
  • Puffern im Stauraumkanal
  • Speichern in Zisternen, Grau-/Brauchwassersysteme
  • Versickern über Rigolen- systeme (revisionierbar)
  • Versickern über Sicker- schächte, Sickerpackungen
  • Versickerung über Mulden-Ri- golen/bewachsene Bodenfilter
  • Versickern auf der (modellierten) Grund- stücksoberfläche

Diese Auflistung stellt in mehrfacher Hinsicht eine Abstufung von viel nach wenig dar, (Folge-)Kosten, technischer Aufwand, Flächenverbrauch (besser: -bindung) ober-/unterirdisch.

Berechnung der Dimensionierung

Momentan existieren Regelwerke und Tabellen für den Fall, dass Wasser abgeleitet werden soll (daher die Einheit l/(s*(5,2)ha), worin r Faktor Zeit enthalten ist). Für verschiedene Regionen werden hier konkrete Regenmengen pro Zeitansatz benannt (z. B. Bemessungsregen auf Grundstücken für Nürnberg, für fünf Minuten alle zwei Jahre r beträgt 250 l/(s*ha).

Außerdem existieren diverse Einschätzungen, wie viel Wasser ein Belag hält und wie viel er abgibt (Abflussbeiwert). Pflasterhersteller nehmen hier mittlerweile gerne für ihre Produkte einen Abflussbeiwert von Null an. Aber auch geneigte Rasenflächen werden nach Tabelle normalerweise mit einem Beiwert von 0,3 gerechnet, genauso wie manche begrünte Dächer.

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Höfles Plan – Eingabeplan für die gesamte Siedlung mit Darstellung des Regenwasserkonzeptes.

Im Gespräch mit Kollegen und anderen Fachplanern besteht zumeist Einigkeit, dass die Wassermengen über die rechnerisch erhobenen Flächen, multipliziert mit dem jeweiligen Abflussbeiwert, berechnet werden. Mit welchen Wassermengen aber zu rechnen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Gerne wird dann auf die DIN 1986 beziehungsweise die Kostra-Daten verwiesen und mit fünfminütigen Bemessungsregen (gegebenenfalls zweijährig) gerechnet. Konkret bedeutet das, dass lediglich ein Regenereignis von 250 l/(s*ha) = 7,5 l/m²(5,100) (innerhalb fünf Minuten) als Berechnungsgrundlage für Versickerungsmulden herangezogen wird. Aber auch die Datengrundlage für die Notentwässerung eines Daches r, die für Nürnberg mit 630 l/(s*ha) = 18,9 l/m² (innerhalb fünf Minuten) angegeben wird, kann man noch kritisch sehen. Warum? Hier ein Blick in die Regenstatistik für Nürnberg in den letzten zehn Jahren (Quelle: Wetterstation Nürnberg Flughafen, entnommen bei Wetteronline.de)

November, Jahr 2016: 49 l/m2
August, Jahr 2015: 61 l/m2
Mai, Jahr 2014: 31 l/m2
September, Jahr 2013: 23 l/m2
Juli, Jahr 2012: 57 l/m2
Juli, Jahr 2011: 45 l/m2
Mai, Jahr 2010: 33 l/m2
Juni, Jahr 2009: 25 l/m2
Juli, Jahr 2008: 45 l/m2
August, Jahr 2007: 23 l/m2
April, Jahr 2006: 31 l/m2
Juni, Jahr 2005: 85 l/m2

Wie leicht zu sehen ist, wurde jedes Jahr mindestens ein Regenereignis größer 20 l/m² gemessen, bis hin zu mehr als 60 oder 80l/m² - also dem drei- bis vierfachen. Wenngleich hier keine Zeitangaben gemacht wurden, so steht doch meist aufgrund der Jahreszeit zu vermuten, dass es sich um Gewitter oder ähnlich Starkregenereignisse gehandelt hat (also kurze Zeitspannen).

Abgesehen davon, dass also eigentlich regelmäßig mit hohen Wassermengen zu rechnen ist, muss in die Überlegung einbezogen werden, dass eine Sickermulde keinen Abfluss hat. Der Faktor Zeit beziehungsweise Abfluss wäre hier also irreführend. Daher muss jeder Planer sein Rechenmodell diesbezüglich abwägen und dem Bauherrn verständlich erläutern, so dass der mitentscheiden kann, wie viel Sicherheit einkalkuliert wird und ab wann gegebenenfalls die Sickermulden überlaufen.

Mit einzubeziehen ist hier natürlich der kf-Wert (schnelle oder langsame Versickerung) und die angenommene Jahreszeit (gefrorener Boden, wassergesättigter Boden).

Anhand realer Beispiele sollen nun die Schwierigkeiten - aber auch die Möglichkeiten - in der Planungspraxis aufgezeigt und Rechenwege angewandt werden.

Beispiel Öffentliches Bauvorhaben Marktamt Nürnberg

Beschreibung

Auf dem Gelände des Großmarktes in Nürnberg sollte ein neues Verwaltungsgebäude für das Marktamt errichtet werden. Unser Büro wurde erst zur Werkplanung vom Hochbauamt der Stadt Nürnberg in die Planung einbezogen, nachdem sich gezeigt hatte, dass die Freianlagen (funktional, wirtschaftlich und gestalterisch) in der bisherigen Planer-Konstellation nicht optimal bearbeitet worden waren.

Bedauerlicherweise konnten zu diesem späten Zeitpunkt nicht mehr alle Schnittmengen mit den anderen Gewerken optimiert werden, da schon viele Ausschreibungen erstellt und verschickt waren.

Es war allerdings noch möglich, die Zufahrten, Stell- und Wegeflächen zu verändern und so den Versiegelungsgrad zu reduzieren. Des Weiteren wurden sämtliche unterirdischen Entwässerungseinrichtungen gestrichen und alle Dach- und Oberflächenwässer mit entsprechenden Auslässen, Rinnen etc. in die gemuldete Freifläche geleitet (kf-Wert 10-5). Leider war es zu spät, aus dem bekiesten Flachdach noch ein begrüntes Flachdach zu machen - das hätte die Volumina der Mulden in den Grünflächen deutlich verringert, da eine Dachbegrünung leichte Regenereignisse komplett schluckt und schwere Regenereignisse zumindest abschwächt und puffert.

Beurteilung Kosteneinsparung und Wasserrückhalt

Eine Kosteneinsparung ergibt sich auf verschiedenen Ebenen: zum einen die Bau- und Honorarkosten, deren Reduzierung sofort spürbar wird und noch relativ gut berechnet werden kann. Danach sind Pflege- und Wartungskosten zu nennen, die erst in der Zukunft anfallen und daher geschätzt werden müssen. Ein weiterer Gesichtspunkt sind Einsparungen bei Gebühren, wenn Regenwasser nicht in die Kanalisation eingeleitet wird. Die Kostenentwicklung solcher Gebühren ist schlecht vorhersehbar - vermutlich werden Sie aber ebenfalls steigen.

Im konkreten Fall entfielen Rohrleitungen, Standrohre, Schächte und Rigolen (Reduzierung Baukosten rd. 15.000,- Euro, daraus resultierendes Honorar rund 2000,- Euro) Stattdessen wurde die Höhenplanung der Freifläche angepasst, versickerungsfähige Pflasterbeläge für die Stellplätze gewählt und eine Modellierung vorgenommen (Mehrung Baukosten rund 2000,- Euro, daraus resultierendes Honorar 200,- Euro). Differenz also knapp 15.000,- Euro) Bei einer Freianlagenbausumme von netto 85.000,- Euro sind das fast 18 Prozent!

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Marktamt Nürnberg. Gemuldete Rasenfläche neben dem Marktamt, kurz nach der Ansaat. Foto: Daniela Bock
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Dachabläufe queren in Rinnen die asphaltierte Zufahrt bis zur Sickermulde am Grundstücksrand (Pflasterbeläge versickerungsfähig, z. T. Rasenfuge). Foto: Peter Dörfel
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Vom Flachdach ablaufendes Regenwasser bei Dauerregen. Foto: Daniela Bock

Alle technischen Einrichtungen, die entfallen konnten, müssen in der Zukunft auch nicht gewartet oder repariert werden; das bedeutet zumindest keine weiteren Folgekosten. Bei der Modellierung der Flächen wurde darauf geachtet, dass die Flächen trotzdem mit Maschinen gemäht werden können. Hier sind ebenfalls keine höheren Pflegekosten zu erwarten.

Die Einsparung bei der Regenwassergebühr beträgt jährlich 670,- Euro.

Ob die intensivere Bewässerung der Rasen- und Pflanzflächen durch diese zusätzliche Wassermenge eine Einsparung etwaiger Gießgänge ergibt und ob die Pflanzen dadurch im chronisch trockenen Nordbayern einen Vorteil haben, kann man vermuten - es wird aber erst noch zu beobachten sein.

Das Volumen der Mulden wurde aufgrund der unverzögerten Abflüsse von Dach und Parkplätzen (hohe Abflussbeiwerte) und der leicht verfügbaren Fläche auf ein Regenereignis mit 60 l/m² ausgelegt. Das bedeutet, dass die Mulden in der Lage wären, ein solches Ereignis komplett aufzufangen, ohne dass gleichzeitig Wasser versickert oder abläuft. In diesem Fall wären dies 65 m³.

Nachdem es uns seit der Fertigstellung aber nie gelungen ist, in diesen Mulden stehendes Wasser zu dokumentieren, kann der Ansatz hier (aufgrund des guten kf-Wertes) als vermutlich zu pessimistisch angesehen werden. Allerdings ist dadurch auch kein Nachteil entstanden.

Beispiel private Bauvorhaben Baugebiet Höfles

Beschreibung

Es handelt sich hierbei um ein kleines Neubaugebiet (6 DH, 3 RH) im sogenannten Knoblauchsland bei Höfles, einem Ortsteil (ehemaliges Dorf) am Nordrand der Stadt Nürnberg. Bereits bei der Aufstellung des Bebauungsplanes wurde als Grundvoraussetzung für eine Genehmigung der Siedlung die komplette Bewirtschaftung des Regenwassers vor Ort zur Bedingung gemacht. Das Kanalsystem hätte die Wassermengen nicht aufnehmen können und eine Einleitung in die Vorflut (Graben) wäre zu weit entfernt und daher zu teuer gewesen. Die Herausforderung bestand darin, in den kleinen Gärten der Reihen- und Doppelhäuser genug Retentionsfläche für das Dachwasser zu modellieren, ohne deren Nutzung über Gebühr einzuschränken - zumal der kf-Wert von 10-7 eine Vergrößerung des Retentionsvolumens erzwang. Des Weiteren musste bei den Behörden Überzeugungsarbeit geleistet werden, dass die umgebende Ortsrandeingrünung und auch die Spielplatzfläche sicher eher von der Zuleitung von Regenwasser profitieren, als dass sie darunter leiden würden. Denn ohne Mehrfachbelegung der Flächen hätte ein rechnerischer Nachweis der Retention nicht geleistet werden können.

Das Straßenwasser durfte in den öffentlichen Kanal eingeleitet werden.

So konnte durch eine akribische Höhenplanung (und entsprechende Überwachung in der Bauleitung) eine ausreichend große Retentionsfläche, unter Einbeziehung von Ortsrand und Spielplatz, für sämtliche Dachwässer geschaffen werden.

Beurteilung Kosteneinsparung und Wasserrückhalt

Auch in diesem Falle konnten sämtliche unterirdischen Entwässerungseinrichtungen wie Rohrleitungen, Standrohre, Schächte und Rigolen eingespart werden - wobei diese Einsparung theoretisch ist: war sie doch Genehmigungsauflage und somit nie eine Alternative! Aber auch eine teure Ableitung in die weit entfernte Vorflut konnte vermieden werden. Für die Eigentümer der Häuser entfallen Kosten für Wartung und Pflege von technischen Einrichtungen (z. B. Rigolen) sowie die städtische Regenwassergebühr (pro Jahr rund 100,- Euro/DHH). Allerdings sind gewisse Einschränkungen bei der Nutzung der Grundstücke hinzunehmen. Es war zu beobachten, dass das zum Teil nicht erfolgt ist und Modellierungen aufgefüllt wurden. Bisher hat dies jedoch nicht zu Problemen geführt, weil zum einen die Mulden in den gemeinschaftlichen Grünflächen (Ortsrand) dieses Wasser mit aufnehmen könnten und weil sich zum anderen der kf-Wert auf den Untergrund bezieht - der neu eingebrachte Oberboden aber ein viel besseres Wasseraufnahmevermögen hat.

Auch in diesem Projekt wurden die Mulden auf ein Starkregenereignis von 60 l/m² ausgelegt. Sogar bei gefrorenem Boden oder Wassersättigung könnte das Muldensystem also das komplette Wasser (hier insgesamt 94 m³) zurückhalten und die Umgebung entlasten. Auch hier konnten nach stärkerem oder länger andauerndem Regen bisher keine vollen Mulden dokumentiert werden. Zumindest sah man aber stellenweise Wasser stehen.

Weitere Impressionen aus der Planungspraxis

Je häufiger man sich mit der Thematik beschäftigt, desto routinierter wird die Anwendung der Planungs-Kaskade zur Überprüfung, ob sich ein Objekt für die puristische Art der Regenwasserbewirtschaftung eignet. Man lernt rasch, Dach und Gelände überschlägig zu kalkulieren sowie die verschiedenen potenziellen Sicherheitsebenen zu prüfen. Für die Planungsbeteiligten - Bauherrn und Planer-Kollegen - entwickelt man einen griffigen Kanon von Argumenten, um die üblichen Zweifel zu parieren.

Typische Fragen und Missverständnisse

"Wir brauchen einen Stauraumkanal und einen gedrosselten Abfluss in das System, um die Abflusswerte nachweisen zu können."

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Mit Steinschüttung gesicherter Regenablauf vom Flachdach. Foto: Daniela Bock
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Minimaler Wasserstand in der Sickermulde am Grundstücksrand nach Starkregen. Foto: Daniela Bock

Unser Verständnis von Regenwasserbewirtschaftung löst sich fast völlig von der Idee des Abflusses sondern fokussiert sich auf die Rückhaltung. Vereinfacht gesagt wird das Gebäude und sein Grundstück so ertüchtigt, dass es in der Lage ist, die Wassermenge eines extremen Starkregenereignisses so lange schadlos zurückzuhalten, bis es komplett von den Flächen aufgenommen werden konnte. Abfluss wird lediglich als letzte 'Eskalationsstufe' vor dem Eindringen des Wassers in das Gebäude eingeplant.

"Das Bodengutachten bescheinigt uns einen kf-Wert schlechter als 10-6 - eine Versickerung ist daher nicht möglich."

Die Aussage, ob eine Regenwasserbewirtschaftung möglich ist, kann nicht auf die Feststellung des kf-Wertes reduziert werden. Dieser Wert muss zum Beispiel in Bezug zum Grundwasserstand gesetzt werden und dazu, ob der Gutachter explizit einen Sickertest durchgeführt oder ob er auch die Oberbodenschicht (oft 50-60 cm stark!) in seine Prüfung mit einbezogen hat. Das ist nämlich meist nicht der Fall. So ist diese Aussage zwar oft ein Killer für eine Rigolenversickerung aber keineswegs für eine oberflächliche Retention, weil bei schlechten Bodenwerten gegebenenfalls das oberirdische Rückhaltevolumen (= Volumen der Mulde) rechnerisch größer dimensioniert werden kann, ohne damit Mehrkosten oder Aufwand zu erzeugen. Außerdem bezieht sich der kf-Wert selten auf den Oberboden, der normalerweise problemlos Wasser aufnehmen kann (es sei denn, er wurde mechanisch verdichtet).

"Eine Dachbegrünung ist schadensanfällig und die Auflast bewirkt hohe Mehrkosten durch stärkere Bewehrung etc."

Wie jedes Folien- oder Kiesdach kann auch ein begrüntes Dach undicht werden - was äußerst unangenehme Folgen hat. Begrünte Dächer sind aber auch ein mechanischer und temperaturausgleichender Schutz für die Abdichtung. Die Mehrlast spielt oft gar keine Rolle mehr, wenn der Statiker sie von Anfang an kennt und einberechnet. Oft sind Dächer sogar von Haus aus für höhere Lasten ausgelegt, weil die Dämmung größere Balken- und Sparrendicken vorgibt, als für die Last eigentlich nötig wären.

Oft werden Dachbegrünungen von der Genehmigungsbehörde als Ausgleich für beispielsweise Baumfällungen anerkannt.

Die Mehrkosten der Dachbegrünung werden von diesen erzielten Einsparungen im Regelfall überkompensiert.

"Wir können keine Versickerung einplanen, weil wir eine Tiefgarage bauen werden."

Eine Tiefgarage ist ähnlich zu verstehen wie ein begrüntes Dach: je nach Substratdicke kann eine bestimmte Menge Wasser zurückgehalten werden. Ab einem gewissen Punkt läuft das Wasser oberflächlich ab oder sickert bis zur TG-Decke und muss auf dieser zweiten Entwässerungsebene weiter betrachtet werden.

So können einfache Regenereignisse meist gut bewältigt (nämlich zurückgehalten) werden. Schwieriger wird es bei Frost, Dauer- oder Starkregenereignissen, die das Rückhaltevolumen des Bodens überfordern. Hierfür sind Lösungen zu finden, die auch dann einen geregelten Abfluss und anderweitigen Rückhalt oder eine Versickerung ermöglichen.

So sind Tiefgaragen in den meisten Fällen kein Ausschlusskriterium.

"Beherrschbare Versickerung geht nur mit (gebauten) Rigolen."

Nein, auch Rigolen sind nicht per se beherrschbar. Sie sind (im besten Fall) technische Bauwerke, die gewartet und revisioniert werden müssen, um dauerhaft zu funktionieren. Oft dürfen sie gar nicht eingesetzt werden, weil der kf-Wert zu schlecht, der Grundwasserstand zu hoch oder das Einbringen von Wasser in den Untergrund nicht erlaubt ist (Altlasten, Wasserbelastung etc.).

Fazit

Ein Konzept zur Regenwasserbewirtschaftung sollte mittlerweile zu jedem Bauvorhaben dazugehören. Es muss frühzeitig und interdisziplinär abgestimmt und für den Bauherrn verständlich (Kosten - Nutzen) ausgearbeitet sein. So können Kosten gespart und Wasser wieder der Grundwasserbildung zugeführt werden.

Wenn man mit diesen Konzepten nicht nur eine Minimal-Sicherheit, zum Beispiel in Adaption zur DIN abbildet, sondern über den Normalfall hinausdenkt, kann jedes einzelne Grundstück seinen Beitrag zur Pufferung von Starkregenereignissen und somit zur Entlastung der Gemeinschaft beitragen. In den meisten Fällen wären hierfür nicht einmal Mehrkosten zu errechnen.

Zu bedenken haben (Landschafts-)Architekten und Ingenieure allerdings, dass sie mit den Rechenmodellen hierfür Neuland betreten und sich insofern bezüglich der Haftung absichern müssen. Eine sorgfältige Dokumentation der Berechnungen und eine Freigabe durch den Bauherrn sind unbedingt nötig. Unglücklicherweise ergibt sich durch die Einsparung von Entwässerungseinrichtungen im Prinzip auch eine Reduktion der für das Honorar anrechenbaren Baukosten. Eine Erhöhung von Baukosten durch solche Konzepte entsteht normalerweise nicht (evtl. durch eine Dachbegrünung). Der Planer hat sich daher im Vorfeld über eine angemessene Vergütung (beispielsweise Erfolgshonorar oder frei kalkulierte Pauschale) mit dem Bauherrn zu einigen.

Für Landschaftsarchitekten stellt das Regenwasserkonzept eine weitere Möglichkeit dar, sich dem Bauherrn als wichtiges, frühzeitig zu beteiligendes Mitglied im Planungsteam zu präsentieren und nicht nur als nachgeordneter "Fachplaner Grün".

Dipl.-Ing. Daniela Bock
Autorin

MBA. Inhaberin PartG mbB. Landschaftsarchitektin & Stadtplanerin

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