Vorvertragliche Hinweispflichten des Bieters und seine Haftung

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Im Rahmen von Ausschreibungen kommt immer wieder die Frage auf, was muss der Unternehmer vor der Angebotsöffnung der Auftraggeber an Auffälligkeiten mitteilen, um nicht selber das Risiko für Mehrleistungen und in der Folge für Mehrkosten tragen zu müssen. In seiner Abschlussarbeit hat sich Markus Sieverding mit dieser Frage auseinandergesetzt und wertvolle Grundlagen für die Beantwortung dieser Frage zusammengetragen.

Die Leistungsbeschreibung ist der Kontaktpunkt zwischen Vergaberecht und Baurecht, sie ist das eigentliche Kernstück der Vergabeunterlagen sowie auch des mit dem Zuschlag zustande kommenden Bauvertrages (Schranner in: Ingenstau/Korbion 2017, Rd. 1). Umso wichtiger ist es, die Anforderungen, die das Vergaberecht an die Leistungsbeschreibung stellt, zu erfüllen, um eine solide Basis für die Bauphase zu schaffen. Die Erfüllung dieser Anforderungen fällt in den Verantwortlichkeitsbereich des Auftraggebers.

Nach § 7 VOB/A ist die Leistung […] eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben [ist], dass alle Unternehmen die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können (VOB/A 2019). Außerdem legen Absatz zwei und drei fest, dass alle […] beeinflussenden Umstände festzustellen und in den Vergabeunterlagen anzugeben [sind] und dem Auftragnehmer […] kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden [darf] für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf Preise und Fristen er nicht im Voraus abschätzen kann (VOB/A 2019).

Da es sich bei den Begriffen eindeutig, erschöpfend, im gleichen Sinne zu verstehen und ohne umfangreiche Vorarbeiten um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, sind diese auslegungsbedürftig (s. Dicks 2008, Rd. 5). Um die genannten Anforderungen an die Leistungsbeschreibung aufzuschlüsseln, werden im Folgenden die Ansprüche einzeln erläutert:

"Eindeutig" meint Althaus/Heindl (2013) zufolge zunächst lediglich, dass es nur eine Deutung geben darf. Auf die Leistungsbeschreibung bezogen bedeutet dies, dass es nicht mehrere Auslegungen geben, unklar sein oder Widersprüche zwischen Leistungsbeschreibung, Plänen und anderen vertraglichen Regelungen geben darf. Entsprechend besitzt der Auftraggeber weder Entscheidungs- noch Beurteilungsspielraum. Dabei ist "eindeutig" nicht gleichbedeutend mit "richtig", da auch eine falsche Leistungsbeschreibung, die beispielsweise nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht, eindeutig (falsch) sein kann (s. Althaus/Heindl 2013, Rd. 50). Für diesen Fall sieht die VOB/B den Paragrafen zwei vor.

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Ein weiterer Aspekt der Eindeutigkeit besagt, dass es bei dem genauen Ausschreibungsinhalt bleibt und der Auftraggeber Teilleistungen nachträglich nicht entfernen darf (s. Kapellmann/Messerschmidt 2018, Rd. 8). Da die Anforderung der Eindeutigkeit verlangt, dass die Formulierungen weder unklar oder mehrdeutig noch widersprüchlich sein dürfen, haben zum Beispiel Kapellmann/Messerschmidt (2013) anerkannte Auslegungsgrundsätze für die Beurteilung der Eindeutigkeit formuliert (s. Kapellmann/Messerschmidt 2013, Rd. 9):

  • maßgeblich ist der genaue Wortlaut;
  • der Wortlaut ist entsprechend technischem Verständnis auszulegen;
  • sieht eine VOB/C-Norm eine Ja/Nein-Alternative vor, so kann der Bieter bei Nichtnennung im Ausschreibungstext vom Nichtvorhandensein ausgehen;
  • speziell für diese Position formulierte Texte oder Pläne stehen über allgemein gehaltene Texte oder Pläne;
  • der Vertrag wird als sinnvolles Ganzes ausgelegt;
  • Zugunsten des Bieters gilt eine Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit;
  • wenn ein mehrdeutiger Text so ausgelegt werden kann, dass er den Anforderungen der VOB/A entspricht, so darf der Bieter diesen so verstehen.

Schranner in Ingenstau/Korbion (2017) fasst die Anforderung der eindeutigen Beschreibung so zusammen, dass der Auftraggeber angewiesen ist, alle zumutbare Mühe, auch durch die Hinzuziehung von Fachleuten, auf sich zu nehmen, um eine Leistungsbeschreibung zu liefern, die insbesondere in den einzelnen Positionen einen verkehrsüblichen Leistungsinhalt beschreibt und keine Besonderheiten aufweist, die der Auftragnehmer nicht ohne weiteres erkennen kann. Weiter führt er aus, dass der Auftraggeber gegebenenfalls haftbar gegenüber dem Auftragnehmer und den anderen Bietern wird, wenn er die Anforderungen der VOB/A schuldhaft missachtet, zum Beispiel auf Schadensersatz durch Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) gemäß § 311 BGB. Außerdem verstoße es gegen das Gebot der Eindeutigkeit, wenn ohne Zwang zahlreiche Alternativ- und Bedarfspositionen in das Leistungsverzeichnis aufgenommen werden (s. Schranner in: Ingenstau/Korbion 2017, Rd. 7). Dies wird auch in § 7 Abs. 4 VOB/A formuliert, hier heißt es, dass Bedarfspositionen […] grundsätzlich nicht in die Leistungsbeschreibung aufzunehmen [sind] (VOB/A 2019).

Die zweite Anforderung umfasst die erschöpfende Beschreibung. Kapellmann/Messerschmidt (2018) zufolge erfüllt der Auftraggeber dieses Gebot dann, wenn seine Leistungsbeschreibung keine Fragen offenlässt. Dabei ist zu beachten, dass der Auftraggeber das Risiko der Unvollständigkeit nicht auf den Bieter übertragen darf - solche Vertragsklauseln sind zum einen vergaberechtlich unzulässig und zum anderen verstoßen sie gegen die Paragrafen §§ 305 ff. BGB (s. Kapellmann/Messerschmidt 2018, Rd. 13).

In § 7 Abs. 1 VOB/A werden Inhalte, die zwingend beschrieben werden müssen, aufgezählt:

  • alle Umstände, die die Preisbildung beeinflussen;
  • Zweck und vorgesehene Beanspruchung der fertigen Leistung;
  • die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Baustellenverhältnisse, zum Beispiel bezüglich Boden und Wasser;
  • die Hinweise des Abschnitts 0 der ATV, DIN 18299 ff. VOB/C müssen konkret umgesetzt werden.

Nach Althaus/Heindl (2013) enthält dementsprechend eine erschöpfende Leistungsbeschreibung alle für die Kalkulation erforderlichen Einzelheiten. Allerdings wird die Vollständigkeit auf der einen Seite durch die vom Auftraggeber gewählte Art des Vertrags und auf der anderen Seite subjektiv durch die Kenntnisse des Bieters als Fachunternehmer begrenzt. Außerdem schränkt die Erfolgsbezogenheit des Bauauftrags diese weiter ein, da der Auftraggeber dem Auftragnehmer lediglich das zu leistende Werk beschreibt, in der Regel aber nicht das Vorgehen, wie der Auftragnehmer die gewünschte Leistung erfolgreich zum Abschluss bringt. Ebenso müssen Nebenleistungen nicht erwähnt werden, da diese auch ohne Nennung Teil des Vertrags werden (s. Althaus/Heindl 2013, Rd. 51).

Aus den Geboten der eindeutigen und erschöpfenden Beschreibung folgt das nächste Gebot: Das gleiche Verständnis der Bieter. Da alle Bieter die Leistungsbeschreibung des Auftraggebers im gleichen Sinne verstehen müssen, muss der Auftraggeber das fachliche Vokabular verwenden, damit der Bieter als Fachunternehmer den Inhalt richtig versteht und seine Preise entsprechend korrekt kalkuliert (s. Althaus/Heindl 2013, Rd. 53).

Ferner führen Althaus/Heindl (2013) aus, dass die Leistungsbeschreibung eine Kalkulation ohne umfangreiche Vorarbeiten ermöglichen muss. Um diesem Gebot Folge zu leisten, muss die Beschreibung also aus sich heraus verständlich und klar sein. Der Auftraggeber darf dem Bieter keine Planungsaufgaben übertragen, sofern er nicht funktional mit einem Leistungsprogramm ausgeschrieben hat, dementsprechend besteht auch keine Verpflichtung für den Bieter, stillschweigend planerische Aufgaben für den Auftraggeber zu übernehmen, um fehlende Angaben zu erforschen. Einzige Ausnahme hierbei ist es, wenn sich die Bieter die fehlende Information mit geringem Aufwand selbst besorgen können, wie zum Beispiel die Besichtigung der Baustelle vorab (s. Althaus/Heindl 2013, Rd. 54).

Objektiver Empfängerhorizont

Wie zuvor erläutert, muss eine Leistungsbeschreibung von allen Bietern im gleichen Sinne zu verstehen sein. Wenn nun in Frage gestellt wird, welche Bauleistung im Vertrag tatsächlich beschrieben, somit vom Aufragnehmer geschuldet und mit der Auftragssumme vergütet wird, muss eindeutig festgelegt werden, was die Bieter unter der Leistungsbeschreibung verstehen müssen - und was nicht. Maßgebend ist hierbei Drittler (2017) zufolge die Sicht der möglichen Bieter als Empfängerkreis. Dies bedeutet nicht, dass das mögliche Verständnis einzelner Bieter berücksichtigt wird oder gar eine Auslegung zu dem Ergebnis führt, welches eine bestimmte Partei verstanden haben will. Vielmehr gilt es, den objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln (s. Drittler 2017, Rd. 27). Dieser abstrakte, juristische Begriff spiegelt Drittler (2017) zufolge § 133 BGB wider:

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (BGB 2017).

Hierbei schränkt Drittler (2017) ein, dass das BGB unglücklich formuliert ist, da es sich bei dem beschriebenen wirklichen Willen nicht um den wirklichen Willen des Erklärenden handelt, sondern um den objektiven Inhalt der Erklärung - wirklich ist hier also im Sinne von real zu verstehen (s. Drittler 2017, Rd. 28).

Dieser abstrakte, juristische Begriff des objektiven Empfängerhorizonts meint letztlich, dass, wenn die Leistungsbeschreibung einer Auslegung bedarf, diese auf einen abstrakten, objektiven, potenziellen Bieter mit entsprechender Sachkunde und Vertrautheit mit der Baumaßnahme abzustellen ist (s. Ziekow/Völlink 2018, Rd. 4). Nach Kapellmann/Messerschmidt (2018) ist die Erklärung nach Treu und Glaube sowie Verkehrssitte auszulegen, was zur Folge hat, dass zur Auslegung nur jene Umstände berücksichtigt werden dürfen, die für den Bieter erkennbar waren beziehungsweise erkennbar sein mussten. Somit wird deutlich, dass nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters maßgeblich ist, sondern das des potenziellen Empfängerkreises (s. Kapellmann/Messerschmidt 2018, Rd. 110).

Der objektive Empfängerkreis ist somit entscheidend für die Vertragsauslegung und beschreibt folglich das Fachunternehmen. Hier setzt der objektive Empfängerhorizont an, denn dieser beantwortet, was ein potenzieller Bieter, der für sich selbst durch die Teilnahme an der Ausschreibung in Anspruch nimmt ein Fachunternehmen zu sein, erkennen muss und was nicht. Die Umsetzung der hier beschriebenen Auslegung auf Grundlage jenes Empfängerhorizonts findet vor Gericht dann per Richterspruch oder mittels der Hinzuziehung eines Sachverständigen statt. Die VOB/C, die anerkannten Regeln der Technik sowie die zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV) können aber Hinweise darauf geben, was erkennbar für ein Fachunternehmen ist und was nicht.

Reaktion des Bieters auf Fehler in der Leistungsbeschreibung

Dicks (2008) zufolge sind fehlerhafte Leistungsbeschreibungen fast ausnahmslos jedem im Bauwesen Tätigen schon begegnet. Die Gründe für Fehler in einer Leistungsbeschreibung sind ganz unterschiedlich. Ein häufiger ist dabei die unzureichend durchdachte Planung (s. Dicks 2008, Rd. 1). Für den Fall, dass eine Leistungsbeschreibung fehlerhaft ist, stellt sich die Frage, wie Bieter mit einer solchen umgehen.

Die einfachste Lösung für den Bieter liegt in der Rückgabe der Ausschreibungsunterlagen beziehungsweise dem Verzicht auf ein Angebot. Dies ist eine unternehmerische Entscheidung, die hier nicht weiter berücksichtigt wird.

Eine weitere Reaktion auf jene Fehler besteht nach Dicks (2008) in der Nachfrage (unterhalb des Schwellenwerts) beziehungsweise der Rüge (oberhalb des Schwellenwerts). Zu beachten ist hierbei, dass vergaberechtlich keine Verpflichtung zur Nachfrage besteht - allerdings muss die Hinweispflicht des Bieters beachtet werden; diese wird an späterer Stelle erläutert. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass der knappe zeitliche Rahmen das Stellen von Nachfragen oft nicht zulässt. Bei unterschwelligen Vergaben muss die Frist zur Angebotsabgabe zum Beispiel ausreichend sein, gemäß § 10 Abs. 1 VOB/A mindestens zehn Kalendertage. Der Rat, bei Fehlern in der Leistungsbeschreibung Nachfragen zu stellen, ist daher ambivalent, da zur Bearbeitung und Prüfung der Ausschreibungsunterlagen, Stellung der Nachfragen und Einarbeitung der Antworten hierauf bis hin zur Angebotserstellung oftmals die Zeit fehlt (s. Dicks 2008, Rd. 95).

Ist eine solche Nachfrage von einem Bieter gestellt worden, muss gemäß § 12a Abs. 4 VOB/A die Antwort darauf unverzüglich allen Unternehmen in gleicher Weise erteilt werden, sofern diese sachdienlich ist. Sachdienlich bedeutet in diesem Fall, dass die neue Information Einfluss auf das Verständnis von Art und Umfang des Leistungssolls und der Kalkulation dessen und somit direkt auf den Inhalt der Angebote hat (s. Dicks 2008, Rd. 96).

Hat ein Bieter einen Fehler in der Leistungsbeschreibung festgestellt und im Anschluss daran auch eine Aufklärung dessen mittels einer Nachfrage versucht, der Auftraggeber auf diese aber nicht oder zu spät reagiert, so ist es legitim, wenn der Bieter einen eindeutigen und deutlichen Hinweis in Form eines Vermerks hinterlässt, wie er die unklare Stelle verstanden hat. Bedingung hierfür ist jedoch, dass es sich um eine vertretbare Auslegung der dem objektiven Empfängerhorizont entsprechend unklaren oder widersprüchlichen Leistungsbeschreibung handelt - ansonsten wird der Bieter gegenüber dem Auftraggeber schadensersatzpflichtig (s. Schranner in: Ingenstau/Korbion 2017, Rd. 30).

Hinweispflicht des Auftragnehmers

Die Hinweispflicht des Auftragnehmers begründet sich in § 3 Abs. 3 VOB/B: "Die vom Auftraggeber […] für die Ausführung übergebenen Unterlagen sind für den Auftragnehmer maßgebend. Jedoch hat er sie, soweit es zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung gehört, auf etwaige Unstimmigkeiten zu überprüfen und den Auftraggeber auf entdeckte oder vermutete Mängel hinzuweisen." (VOB/B 2019)

Auch in der Rechtsprechung, gemäß BGH-Urteil vom 09.07.1987 - VII ZR 208/86, ist der Unternehmer verpflichtet, den Besteller bei Vertragsschluss mit seinem Fachwissen zu beraten, sowohl in Bezug auf die Realisierbarkeit als auch auf die Funktionstüchtigkeit und die Gestaltung (s. Kniffka 2018, Rd. 80).

Schranner in Ingenstau/Korbion (2017) merkt an, dass der Auftragnehmer seine Prüf- und Hinweispflicht gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B und § 13 Abs. 3 VOB/B, Stichwort Bedenkenanmeldung, wahrgenommen haben muss, damit das Risiko der fehlerhaften Bauausführung aufgrund der fehlerhaften Beschreibung der Leistung beim Auftraggeber verbleibt. Diese Haftungsbefreiung kann vom Auftraggeber auch nicht durch eine etwaige Vertragsklausel auf den Auftragnehmer abgewälzt werden. Allerdings schränkt er dabei ein, dass die Rechtsprechung eine Prüfung der Ausschreibungsunterlagen und eine gegebenenfalls vorgenommene Nachfrage durch den Bieter voraussetzt. Sofern die Leistungsbeschreibung für den Bieter nicht zu erkennende Mängel aufweist, die erst während der Bauphase zu Tage treten, trägt der Auftraggeber das Risiko für geänderte oder zusätzliche Leistungen des Auftragnehmers gemäß § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B und somit auch die Vergütung derer (s. Schranner in: Ingenstau/Korbion 2017, Rd. 8). Gleichzeitig schuldet der Auftragnehmer mit seinem Fachwissen das mangelfreie Werk mit voller Funktionsfähigkeit.

Hinweispflicht des Bieters

Während die Hinweispflicht des Auftragnehmers in § 3 Abs. 3 VOB/B rechtlich also geregelt ist, stellt sich nun die Frage, ob auch eine vorvertragliche Hinweispflicht des Bieters besteht. Die VOB/B wird als Rechtsgrundlage erst mit Vertragsschluss vereinbart, weshalb sich die Argumentation für eine etwaige Hinweispflicht während der Ausschreibungsphase nur schwerlich darauf stützen lässt.

In der Literatur finden sich Aussagen zu diesem Thema. So geben Kapellmann/Messerschmidt (2018) zum Beispiel an, dass der Bieter dazu verpflichtet ist, die Vertragsunterlagen mit gehöriger Sorgfalt zu prüfen, schränken aber ein, dass lediglich unübersehbare Widersprüche den Bieter zu Nachfragen verpflichten. Im Gegenzug hat eine nicht direkt erkennbare Unklarheit nicht zur Folge, dass die Bieter aufgrund einer fachlich vertretbaren Auslegung vom Angebotsausschluss gefährdet sind. Das Risiko der unklaren Leistungsbeschreibung verbleibt schließlich beim Auftraggeber (s. Kapellmann/Messerschmidt 2018, Rd. 9).

Dicks (2008) merkt zu diesem Thema an, dass der Auftraggeber und der Bieter bereits mit der Aushändigung der Ausschreibungsunterlagen an den Bieter eine schuldrechtliche Sonderbeziehung eingehen. Diese Beziehung verpflichtet zur Kooperation, gegenseitiger Rücksichtnahme und Loyalität. Auf dieser Verpflichtung begründet sich die vorvertragliche Hinweispflicht bezüglich erkannten beziehungsweise erkennbaren Fehlern der Leistungsbeschreibung, die der Mitteilungspflicht des Auftragnehmers gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B - Stichwort Bedenkenanmeldung - systematisch vorgelagert sind und dementsprechend bereits in der Ausschreibungsphase bestehen. Folglich begründet sich die Hinweispflicht des Bieters aus der Mitteilungspflicht des Auftragnehmers (s. Dicks 2008, Rd. 99). Außerdem gibt DICKS (2008) an, dass Nachfragen des Bieters bei gegebenem Anlass der sicherste Weg seien, Rechtsnachteile auszuschließen (s. Dicks 2008, Rd. 101).

Schranner in Ingenstau/Korbion (2017) beschreibt das konkreter. Dem Bieter obliegt seiner Meinung nach eine gewisse Prüfungspflicht, die sich auf die Ausschreibungsunterlagen, die dem Bieter bis zur Abgabe seines Angebots vorliegen, bezieht. Wenn dieser mit seiner Expertise als Fachunternehmer Fehler in der Leistungsbeschreibung erkennt beziehungsweise gemäß objektivem Empfängerhorizont erkennen sollte, ist er dazu verpflichtet, diese dem Auftraggeber mitzuteilen, damit jener die Fehler beheben kann. Mit Bezug auf die Urteile des Oberlandesgerichts Köln vom 23.12.2009 - 11 U 173/09 sowie des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22.02.2013 - 12 U 120/12 stellt er fest, dass dem Bieter ohne diese erfolgten Hinweise keine Ansprüche auf Schadensersatz oder zusätzliche Vergütung zustehen, da es sich um eine echte Pflichtwidrigkeit handelt. Hierbei ist es einerlei, ob es sich bei dem Fehler um eine Unstimmigkeit beziehungsweise einen Fehler handelt oder die ausgeschriebene Leistung den anerkannten Regeln der Technik widerspricht, genauso ist es unerheblich, ob der Bieter den Fehler in den Unterlagen erkennen muss oder erst bei Begehung der Örtlichkeit ermitteln kann (Schranner in: Ingenstau/Korbion 2017, Rd. 30).

Ähnlich argumentiert Drittler (2017): Ihm zufolge darf ein Bieter eine erkennbar unklare Leistungsbeschreibung nicht einfach hinnehmen, sondern muss noch vor Angebotsabgabe entsprechende Nachfragen stellen - sofern sich der Aufwand zur Klärung für ihn auf ein zumutbares Maß beschränkt. Ferner erklärt er, dass ein Auftragnehmer, der Zweifel in der Leistungsbeschreibung bewusst zu kapitalisieren versucht, regelmäßig vor Gericht scheitern wird, sofern die Zweifel erkennbar waren. Dieser Rechtsprechung folgen, nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs, heute entsprechend fast alle Oberlandesgerichte. Außerdem führt er aus, dass nicht nur solche Nachträge gemäß § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B, die zum Ziel haben, die Lücken im Leistungsverzeichnis auszunutzen, regelmäßig scheitern, sondern auch etwaige Schadensersatzforderungen im Hinblick auf das Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) seitens der Gerichte abgewiesen werden, da der Auftragnehmer aufgrund seiner zumutbaren, aber unterlassenen Prüfung nicht schutzwürdig ist (s. Drittler 2017, Rd. 86).

Die Grenze der Hinweispflicht verläuft am Übergang von den erkennbaren zu den nicht erkennbaren Fehlern der Leistungsbeschreibung. Wenn ein Fehler nicht erkennbar ist beziehungsweise nur mit einem Aufwand erkennbar wäre, der dem Bieter nicht mehr zuzumuten ist, so muss er auf diesen auch nicht hinweisen. Ob ein Fehler erkennbar ist, hängt also zum einem vom nötigen Aufwand, um diesen zu erkennen, und zum anderen von der Fachkunde des Bieters ab - je größer die Fachkunde des Bieters, desto höher ist die Erwartungshaltung, eventuelle Fehler in der Leistungsbeschreibung zu finden. Hier spielt der objektive Empfängerhorizont die entscheidende Rolle.

Drittler fasst die Grenze der Hinweispflicht in einem Satz zusammen: "Wenn und soweit die Verletzung einer Prüf- und Hinweispflicht kausal für den Mehraufwand beim Auftragnehmer ist und der Mehraufwand bei aufklärungsrichtigem Verhalten hätte vermieden werden können, geht der Auftragnehmer leer aus." (Drittler 2017, Rd. 98)

Es lässt sich also Zusammenfassen, dass es im Fall von Lücken oder Fehlern nur zwei Wege gibt, die ein berechtigte Anspruchsgrundlage für den Auftragnehmer besitzen:

  • Die Leistungsbeschreibung weist dem objektiven Empfängerhorizont nach erkennbare Fehler oder Ähnliches auf und der Bieter hat auf deren Grundlage bereits in der Ausschreibungsphase vorvertraglichen Anfrage gestellt beziehungsweise einen Hinweis diesbezüglich angemeldet.
  • Die Leistungsbeschreibung weist nicht erkennbare Fehler auf, die sich erst im Laufe der Bauphase bemerkbar machen. Wenn dies der Fall ist, ist der Auftragnehmer verpflichtet, unverzüglich nach dem Erkennen der Fehler Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung bzw. der zu verwendenden Baustoffe gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B anzumelden.

Literatur

  • (Althaus/Heindl) RA Dr. Althaus, Stefan/Heindl, Christian, 2013: Der öffentliche Bauauftrag, 3. Auflage 2013, Verlag C.H. Beck, München.
  • (Dicks) VRiOLG Dicks, Heinz-Peter, 2008: Die mangelhafte, insbesondere unvollständige Leistungsbeschreibung und die Rechtsfolgen im Vergaberecht. Aufsatz - IBR 2008, 1360 (online seit 27.05.2008), id Verlag.
  • (Drittler): Dr. Drittler, Matthias, 2017: Nachträge und Nachtragsprüfung beim Bau- und Anlagenbauvertrag, 3. Auflage 2017, Werner Verlag
  • (Kapellmann/Messerschmidt) RA Prof. Dr. Kapellmann, Klaus D., RA Prof. Dr. Messerschmidt, Burkhard [Hrsg.], 2018: VOB Teile A und B, 6. Auflage 2018, Verlag C.H. Beck.
  • (Kniffka) VorsRiBGH a. D. Prof. Dr. Kniffka, Rolf [Hrsg.], 2018: Bauvertragsrecht Kommentar zu §§ 631-650v BGB unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH , 3. Auflage 2018, Verlag C.H. Beck.
  • (Schranner in: ingenstau/korbion) Dr. Schranner, Urban in: Ingenstau, Heinz/Korbion, Hermann [gegründet], 2017: VOB - Teile A und B - Kommentar, 20. Auflage 2017, Werner Verlag.
  • (Ziekow/Völlink): Prof. Dr. Ziekow, Jan/RA Völlink, Uwe-Carsten, 2018: Vergaberecht Kommentar, 3. Auflage 2018, Verlag C.H. Beck, München.
 Kathrin Barkmann
Autorin

Geschäftsführerin ABV Bedachung und Bautenschutz GmbH

Prof. Dipl.-Ing. (FH) Martin Thieme-Hack
Autor

Hochschule Osnabrück, Fakultät A&L

Hochschule Osnabrück University of Applied Sciences

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