Zukunftsaufgaben: Identitätssuche zum Begriff des „Gärtnerns“ aus Vergangenheit und Gegenwart

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Gärtner Klimagerechte Landschaftsplanung
Der Garten: Ein Ort der Generationen und von stetigen Prozessen, eine Schnittstelle zwischen Mensch und Natur. Foto: Gärtnerei Laue, H. Laue, 2020

Was bedeutet es 2021 in der Landschaftsarchitektur und im Landschaftsbau zu arbeiten? Wie wichtig ist der Ursprungsbegriff des Gärtnerns? Umweltveränderungen, Ressourcenknappheit und Klimawandel machen unseren Berufsstand mehr denn je zu einer wichtigen Schnittstelle zwischen Mensch und Natur.

Jedoch haben unsere Fachbetriebe und unsere Planungsbüros mit großen Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Bilden wir aus unserer besonderen Verantwortung heraus und entsprechend dem Ursprung des Gärtnerns vielleicht nicht mehr zielgerichtet aus? Erreichen wir eventuell nicht die richtigen Zielgruppen aus der jungen Generation „Fridays for future“? Folgen wir durch Zeit- und Kostenplanvorgaben nur noch starren Gedankengerüsten und haben unserem Beruf den besonderen Reiz des Transformativen genommen? Gärtner zu sein, bedeutet seit je her mit der Natur zu leben, mit der Natur und mit den Pflanzen zu denken und auf ihre stetigen Fortentwicklungen zu reagieren.

Ein Sprichwort sagt, man geht niemals in den selben Garten. Das beschreibt den stetigen Prozess der Veränderung und den besonderen Reiz unseres Berufes. Beide Autoren aus unterschiedlichen Generationen entstammen teilweise aus traditionsreichen Gärtnerfamilien. Hier wurde Ihnen Grundsätze zum Umgang mit der Natur weitergegeben, die in Teilen heutzutage wiederentdeckt und neu interpretiert werden sollten. Dabei sind diese Grundsatzbeschreibungen weniger didaktisch und belehrend gemeint, mehr als logische Konsequenz eines dauerhaften und stabilen Berufsstandes.

Geschichte und Traditionen des Gärtnerns

Die Besitzer oder Pächter der mittelalterlichen Vorläufer einer Gärtnerzunft gehörten in der Regel einer sehr armen, kleinbäuerlichen Schicht an und bewirtschafteten kleine Parzellen zur notdürftigen Ernährung. In diesem Zusammenhang war es elementar, sich an und mit der Natur auszurichten. Der Gärtner war in diesem Zusammenhang mehr oder weniger als Selbstversorger zu umschreiben und weit entfernt von heutigen Produktionsstandards zum professionellen Verkauf.

Diesbezüglich lässt sich das Gärtnern damals als müßiges „Abringen“ von Nahrungsprodukten aus der Natur beschreiben. Von einer gefühlten „Beherrschbarkeit“ der Natur war man damals weit entfernt. Dünger, Pflanzenschutz und maschinelle Unterstützung waren beispielsweise nicht bekannt. Das Wissen zum Umgang mit Pflanze und Natur wurde über die Generationen „von Mund zu Mund“ weitergegeben aber nicht tiefergehend kultiviert. Erst die mittelalterlichen Klöster, insbesondere die Zisterzienser definierten auf Basis theoretischer Kenntnisse zum Gartenbau aus Schriften der Antike oder aus Kirchenbüchern eigene Theorien und Schriften. Die Klöster waren mit ihren arbeitenden und schreibenden Mönchen die Keimzelle sowie die Basis heutigen Fachwissens des Gärtnerns.

Dieses Fachwissen wurde von Hofgärtnern oder Landschaftsgärtnern für die Entwicklung und Pflege der Gartenanlagen der einflussreichen Herrscher oder von den Gemüsegärtnern vor den Toren der Stadt aufgenommen sowie genutzt. Vor den Toren der Städte wurden kleinere Flächen erworben, gepachtet oder beispielsweise im Auftrag eines einflussreichen Herzogs speziell für Gemüseanbau genutzt. In Frankfurt am Main, in Erfurt oder zum Beispiel vor den Toren der ehemalige Residenzstadt Wolfenbüttel (der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg) im heutigen Niedersachsen versorgten die Gärtner die Bürger mit Gemüse. Neben der Selbstversorgungsfunktion waren die Erlöse aus der Bewirtschaftung bescheiden und ihre Besitzer oder Pächter gehörten zu der ärmeren Bevölkerung.

Der sich daraus entwickelnde Erwerbsgartenbau hat beispielsweise in Wolfenbüttel eine mehr als 300 Jahre alte Tradition und ist folgend insbesondere dem Erbenzinsprinzip1 und den späteren, ähnlich wie bei den Handwerkern organisierten, Zünften zu verdanken. Das Erbenzinsprinzip verhalf zum Nutzeigentum mit weitest gehenden Gestaltungsmöglichkeiten. In der Regel wurden aber zunächst nur für „treu geleisteter Dienste“2 Bürger der oberen Sozialklasse berücksichtigt. Später wurden aber auch anderen Besitzern, in dem Fall überwiegend Gärtnern, der Besitz per Kauf übertragen. Die späteren Zünfte oder Gilden der Gärtner halfen dann den Status und ihr Ansehen zu verbessern.

Diese Gesellschaften können als Vorläufer der heutigen großen Interessenverbände wie beispielsweise die Bundesverbände BGL3 und ZVG4 gesehen werden. Neben dem klassischen Gärtner entwickelte sich der Landschaftsgärtner und der Landschaftsarchitekt oder Gartenarchitekt. Das Meyer Konversationslexikon von 1907 im Band 7 führt dazu in Auszügen aus „(. . . ) Gärtner, jeder, der einen Zweig des Gartenbaues sachgemäß betreibt. (. . . ) Die G., welche die bildende Gartenkunst ausüben, nennen sich zuweilen Landschaftsgärtner, Gartenarchitekten, Garteningenieure, Gartenkünstler. G., die für eigne Rechnung zum Verkauf produzieren, heißen Handelsgärtner, auch Kunst- und Handelsgärtner. (. . . )“.

Heute ist der Ausbildungsberuf ein weit gefasstes Fach mit vielen Fachrichtungen: Baumschule, Friedhofsgärtnerei, Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, Gemüsebau, Obstbau, Staudengärtnerei und Zierpflanzenbau. Alle Fachrichtungen haben aber nach wie vor in ihrem Zeugnis und Urkunde zur Abschluss-Prüfung im Ausbildungsberuf den Begriff „Gärtner/in“ stehen. Insofern bekennen sich alle Fachrichtungen nach wie vor zu dem gemeinsamen Ursprung des Gärtnerns und zur Arbeit in und mit der Natur. Peter Hauk schreibt allgemein zu den grünen Berufen (auch zur Landwirtschaft) „Grüne Berufe sind voller Leben. Die direkte Verbindung zur Natur oder zu Tieren einerseits und zu neuen Technologien, Hightech oder nachwachsenden Rohstoffen andererseits – diese Kombination gibt es nur im Agrar- und Forstbereich.

In den Händen derer, die diese Berufe erlernen und ausüben, liegen die Versorgung der Menschen mit hochwertigen Nahrungsmitteln oder Dienstleistungen, der sorgsame Umgang mit Tieren, Pflanzen und natürlichen Ressourcen oder die Gestaltung und Pflege der Landschaft und des Ländlichen Raumes.“ 5 Das Zitat betont dabei zwei wesentliche Dinge: Zum einen den verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Ressourcen und zum anderen die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln oder Dienstleistungen. Diese Schnittstelle ist dabei immer eine Gratwanderung: Wieviel Versorgungsfunktion bedingt in der Abwägung einen langfristigen Nutzen? Im Vergleich mit anderen artverwandten Berufen ist der Gärtner nach eigener Wahrnehmung mit all seinen fachlichen Ausprägungen nach wie vor eng mit dieser Schnittstelle verbunden und begreift in diesem Zusammenhang die besondere Verantwortung zum Umgang mit den Umweltgütern.

Beispielsweise werden Standorte mit ihren ortstypischen Böden und der Vegetation in der Regel vom Landschafts- oder vom Gemüsebau reflektierter behandelt als beispielsweise im Tiefbau oder in der industrialisierten Landwirtschaft. Doch führen ökonomische Zwänge und technische Möglichkeiten zu einem Ungleichgewicht in der Abwägung von direktem Nutzen und langfristigen Stabilitäten.

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Gärtnern in der Stadt, Gärtnerei Laue in Wolfenbüttel. Foto: H. Laue, 2020

Der Reiz „des Grünen“ und der Trend für eine bewusstere Lebensart

Die Begeisterung für Gärten und für das „Gärtnern“ ist im Jahre 2021 ungebrochen. Der Jahresumsatz im Landschaftsbau steigt seit Jahren stetig und ist dem BGL zufolge 2020 gegenüber dem Vorjahr um die Rekordsteigerung von fast einer Milliarde Euro auf 9,38 Milliarden Euro gewachsen6. Merkwürdig dabei ist der Fachkräftemangel und die Nachwuchssorgen im Landschaftsbau aber auch in der Hochschulausbildung trotz umfangreichen Interesse an den Leistungen und Besonderheiten des Berufsstandes. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Natur ist aktueller denn je und dennoch entscheiden sich eine Vielzahl junger Menschen gegen den Beruf des Gärtners, des Landschaftsbauingenieurs oder des Landschaftsarchitekten. Im Jahre 2020 verzeichnen die Gartencenter einen Rekordumsatz von rund 20,7 Milliarden Euro7.

Einen großen Anteil haben dabei sicherlich die Corona geschuldete Homeoffice-Zeiten sowie die damit verbundene Rückbesinnung auf die eigenen vier Wände. Der Trend zum Draußen, zum eigenen Gärtnern und zu einer bewussteren und gesunderen Lebensart mit der damit gestärkten Verbindung zur Natur ist deutlich, auch vor Corona, sichtbar. Die Boulevardblätter sind voll mit Tipps zum eigenen Gärtnern, die Lebensstil-Publikumszeitschrift „Landlust“ trotzt allgemein rückläufigen Absatzzahlen bei Zeitschriften und steigert sich stetig. Kleinere Gartenbaubetriebe mit Hofverkauf erfahren deutliche Beliebtheitssteigerungen: Lebensmittelskandale, gentechnisch veränderte Bestandteile in den Nahrungsmitteln sowie undurchsichtige Absatzwege haben viele Konsumenten verunsichert und der Einkauf beim Direktvermarkter nimmt wieder deutlich zu.

Hier ist eine Rückbesinnung auf gewünschte traditionelle, naturbezogenen Anbaumethoden, mit Anforderungen an hohe gärtnerische Kompetenz und Fruchtwechselfolgen und mit direkten Bezug zum Endverbraucher zu verzeichnen. Die Direktvermarktung im Gartenbau erfreut sich insofern größter Beliebtheit. Nach Angaben des statischen Bundesamtes (www.destatis.de) setzt fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe heutzutage auf Einkommensalternativen zur Primärproduktion (mit 15 % Anteil). In Österreich sind bereits rund 30 Prozent der Landwirte als Direktvermarkter aktiv (vgl. www.agrarheute.de, Direktvermarktung als Chance für die Landwirte).

Der Landschaftsbau und die Landschaftsarchitektur unterstützt in diesem Zusammenhang zum einen den gesteigerten Wunsch nach gesunder und beschleunigter Lebensart (mit seinen gestalteten und gebauten Freianlagen) und befasst sich insbesondere für den urbanen Raum zum anderen auch stärker mit Themen wie urban gardening oder urban farming und somit mit den Schnittstellen zur Urproduktion von Nahrungsmitteln. In Siedlungsgebieten steigen sichtbare Beeinträchtigungen durch den Klimawandel und neben guten resilienten Freiraumkonzepten sind auch neue Verknüpfungen für den gärtnerischen Ursprung der gesunden Nahrungsmittelproduktion im unmittelbaren Umfeld zu bedienen.

Gründächer werden direkt als „Landschaftsdächer“ oder bereits als „Urban farming Systeme“8 von den großen Systemanbietern der Dachbegrünung angeboten. Es ist aber in diesem Zusammenhang zu hinterfragen, ob der Landschaftsbau und die Landschaftsarchitektur diese neuen Bedürfnisse und Trends auch umfassend aufgenommen haben? Vermutlich nicht, ansonsten hätte die Branche nicht so umfangreiche Nachwuchsprobleme. Vielleicht werden falsche Informationen und Bilder zum Beruf vermittelt? Die Gärten werden nach wie vor als statische Gebilde mit wenig gärtnerischen Elementen angelegt. Selten entstehen lebendige als vielmehr relativ steinerne und kaum zu entwickelnde Elemente.

Man hat das Gefühl hier werden Klischees von Gärten kultiviert, die sich in der jungen Generation längst überlebt haben. Letztendlich sind aber die Anforderungen der Gesellschaft auch vielschichtig zu begreifen: Zum einen hat sich zwar das Bewusstsein für gesündere und naturbezogene Lebensweisen gesteigert. Man möchte mit gutem Beispiel eines nachhaltigen Lebensstils vorangehen. Müll wird getrennt, die Gemüsekiste vom Biohof gehört mittlerweile fast schon ebenso zum Standard, wie das neue Hybridauto vor der Garage. Auf der anderen Seite fehlt aber die wirkliche Reflexion zum eigentlichen Umgang mit Natur und den Umweltgütern. Der eigentliche „Footprint“ wird in den seltensten Fällen umfassend reflektiert und Natur „Ja Bitte“ aber bitte nicht als Wildnis in meinem Garten.

Hier stellt unser Berufsstand mit dem „Gärtnern“ eine ganz wichtige Lehr- und Lernkomponente zur Verfügung: Zusammenhänge können unter anderem durch das Gärtnern direkt vermittelt werden. Die Natur ist ein stetiger Prozess des Wandels, sie ist kontinuierlich aber doch nie gleich. Sie ist systemisch und die Umweltgüter Boden, Klima, Wasser, Flora und Fauna stehen im ständigen Austausch. Eine statische Größe, wie so oft von uns vermittelt, stellt sich eigentlich nie ein. Der Garten und der Freiraum ist ein permanentes System, das ständigen Transformationen ausgesetzt ist. Hier liegt auch der besondere Reiz, wonach viele Menschen heutzutage suchen aber es gegebenenfalls nicht mit ihrem eigenen Umfeld verknüpfen. Sie suchen Ruhe in der Kontinuität und gleichzeitig Anregung in dem ständigen Wandel. Genau das sollte in diesem Zusammenhang auch vermittelt werden.

Der Landschaftsbau und die Landschaftsarchitektur sind seit ihrer eigenen Fachspartenbetonung mehr dem Planen und Bauen verschrieben als vielleicht dem klassischen Gärtnern und Kultivieren. Landschaftsgärtner und Landschaftsarchitekten lieben es, Dinge neu zu gestalten und zu bauen. Beispielsweise wird die fachgerechte Begleitung und die weitere Entwicklung eines Gartens oft vernachlässigt oder kaum qualifizierten Personen kampflos überlassen. Offenbar unterliegen wir als Branche mehr dem technischen, ökonomischen oder dem gestalterischen Reiz der Neuanlage als dem ursprünglichen Reiz des transformativen Begleitens und Entwickelns von Bestandsanlagen.

Das liegt sicherlich auch an der teilweise fehlenden Honorierung für die Begleitung und an der Honorarsumme (oder dem Gewinn) anteilig gemessen an der Bausumme: Bezahlt wird für Bauen und weniger für Nichtbauen, Pflanzen, Pflegen oder für vorsichtiges Weiterentwickeln. Insofern werden weitere Betrachtungen im Verlauf des Lebenszyklus einer Freianlage oder der sensible Umgang mit Bestand und Umweltgüter in den seltensten Fällen berücksichtigt. Man kann aber davon ausgehen, dass sich diese Sachlage mit veränderten Rahmenbedingungen (z. B. zur steigenden CO2-Bepreisung oder mit zunehmenden Umweltauflagen) auch verändern wird. Der „gärtnerische Blick“ wird sich hoffentlich auch wieder mehr lohnen und die Nachfrage dadurch steigen.

Das Transformative und Systemische unseres Berufsstandes

Natur kann man nicht beherrschen. Dieses Bewusstsein für ein stärkeres „mit der Natur“ und entgegen der entwickelten „Unterwerfungsstrategien“ seit der Industrialisierung zeigt globale Erkenntnisse zum Klimawandel und letztendlich zum übermäßigen „Footprint“ der Menschheit. Ohne eine stärkere Rückbesinnung und ohne die Verringerung des menschlichen Fußabdruckes bezogen auf die Biokapazität der Erde wird es nach logischen mathematischen Grundsätzen zu einem Zusammenbruch vieler Systeme kommen. Es droht ein Verlust von Lebensraum der Menschheit in nie gewesener Dimension.

Städte und Siedlungsbereiche haben einen immensen Fußabdruck und sind für den Großteil an Ressourcenverbräuchen und Emissionen weltweit verantwortlich. Gleichzeitig reagieren sie aber sehr sensibel auf die Umweltveränderungen, die sie selbst mit verursacht haben. Da städtische Räume mit zunehmender Tendenz mehr als der Hälfte aller Menschen einen Lebensraum bietet, besteht enormer Handlungsdruck der Anpassung.

Die Freiräume der Stadt erfüllen dabei eine Schlüsselfunktion für Anpassungsstrategien. Hier gilt es, insbesondere gesunde und resiliente Freiräume zu fördern. Freiräume, die in erster Linie Grün sind und mit den Umweltgütern Wasser, Boden, Flora und Fauna sensibel umgehen. Nur so können sie ihre Ökosystemdienstleistungen wie Klimaschutz und Lebensraum erfüllen oder als Nahrungsmittelgrundlage dienen. Dieses kann nur gelingen, wenn wir das Systemische und das Transformative von Freiräumen und Natur umfänglich verstehen und kommunizieren.

Das Systemische des Gärtnerns

Die 1997 erschienene Veröffentlichung „Web of Life“ von dem Systemtheoretiker Fritjof Capra beschreibt das zukünftige Zeitalter als das systemische oder als das ökologische Zeitalter. Nach den letzten Jahrhunderten mit Wissenszuwächsen in allen Bereichen der Wissenschaft und Wirtschaft ist nun ein neues Zeitalter des Systemischen angebrochen. Es gilt, so Capra, die eher linear betrachteten Sachverhalte der letzten Jahrhunderte wieder stärker zu verknüpfen. Capra spricht in diesem Zusammenhang von „dem Ökologischen“ als Kern des alles Zusammenhängenden. Interpretieren wir diese Theorie für unseren Berufsstand, so stellen wir fest, wir sind bereits mittendrin.

Unser Berufsstand ist eine systemische Disziplin mit vielen Facetten aus anderen Berufssparten. Sie hat sich vom klassischen Gärtner spezialisiert zum Landschaftsbau oder vom Gartenplaner zum Landschaftsarchitekten. Neben den Kompetenzen des klassischen Gartenbaus haben wir uns weiteres Fachwissen, beispielsweise in der Planung aus der Architektur oder im Landschaftsbau aus dem Tiefbau, angeeignet. Was uns aber innerhalb der sieben Fachrichtungen des Gartenbaus eint, ist das Gärtnerische! Das Gärtnerische ist dabei eng verbunden mit dem verantwortungsvollen Umgang mit den Naturgütern. Diese sogenannten Schutzgüter nach Bundesnaturschutzgesetz bedingen sich gegenseitig, sind voneinander abhängig.

Hier sind biologische Funktionen, Stoff- und Energieflüsse, Austausch und Wanderung von Populationen, Zusammenhänge von Ökosystemen, Biotopen und Arten sowie Lebensgemeinschaften zu beachten, um nur einige Zusammenhänge zu nennen. Es gehört seit je her zum Standardwissen eines Gärtners, mit diesen Dingen reflektiert umzugehen. Das bedeutet unter anderem der schonende Umgang mit dem Schutzgut Boden. Früher half beispielsweise ein Pferdepflug den Gemüsegärtnern in Wolfenbüttel das Feldland für den Anbau umzubrechen. Jedoch wurde das Pferd mit dem Pferdepflug nicht auf dem sensiblen Gartenland (Gemüsebau) wegen des Bodendrucks der Hufe des Pferdes eingesetzt. Dort kamen sogenannte Graberkollonnen zum Einsatz, die im Akkord für die Gärtner das Gartenland mit dem Spaten umgruben.

Wenn man diese Verhaltensmuster auf heutige Gesetzmäßigkeiten mit Maschinen überträgt, ist zwar der Landschaftsbau im Verhältnis zum Tiefbau vorsichtig aber im Verhältnis zu ursprünglichen Verhaltensmustern der Gärtner rabiat. Technische Möglichkeiten mit späterer Tiefenlockerung oder mit besonderen Fräsen versprechen Wiedergutmachung bei Verdichtung. Jeder, der aber die Erfahrung zum verstörten Bodengefüge mal gemacht hat, weiß, dass das nur bedingt möglich und reparabel ist. Hier wird zu wenig gärtnerisch gedacht und gehandelt.

Der Boden ist dabei auch unmittelbar mit dem Schutzgut Wasser, mit dem Klima und mit der ortstypischen Flora und Fauna verbunden. Beeinträchtigungen des Bodens ziehen fehlende Wasserfunktionen für Grundwasserneubildung oder für Klimameliorationen, eine Reduktion der Bodenlebewesen sowie gegebenenfalls gestörte Wuchs- und Wachstumsentwicklungen der Flora und Fauna nach sich, oder wirken auch umgekehrt. Das kann wiederum in Wechselwirkung mit anderen zusammenhängenden Meso- und Makro-Bereichen weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Die Zusammenhänge sind dabei hoch komplex und bedingen sich gegenseitig.

Vom Grundsatz kann man zusammenfassen, das umso weniger Parameter man betrachtet oder auch neu erschafft, umso anfälliger ist immer ein System. Zudem muss das System immer genug Veränderungs- und Anpassungsmöglichkeiten haben. Dieser Grundsatz ist aus der Monokultur- oder Biodiversitätsdiskussion bekannt. Das bedeutet im konkreten, dass zum einen die Freiräume vielschichtiger sein sowie genug Veränderungspotential besitzen sollten und zum anderen immer im Zusammenhang „Systemisch“ betrachtet werden müssen.

Eine einzelne Fällung eines ökologisch bedeutenden Baumes kann im Verbund gegebenenfalls eine Schlüsselfunktion nicht mehr erfüllen. Die Rahmenvorgaben der Bauleitplanung sind hier in Teilen nicht konkret genug für die Objektebene und nicht ausreichend bezogen auf den sorgsamen Schutz und Zusammenhang der Umweltgüter. Besonders auffällig ist der bereits oben angedeutete fehlende systemische Blick vieler bemühter Gartenbesitzer: Hier wird ein Bienenhotel aufgestellt, ohne Zusammenhänge von Abhängigkeiten unterschiedlicher Bienenarten zu kennen. Der Vorgarten ist betoniert, die Pflanzen überwiegend immergrün und die monotone Staudenfläche mit dem Bienenhotel mit Schotter gemulcht. Dort bedarf es dringender Aufklärung durch unseren Berufsstand.

Das Transformative des Gärtnerns

Der deutsche Kulturhistoriker, Kurator und Feuilletonist Janos Frecot widmet sich in seinem Buch „Von Gärten und Häusern, Bilder und Büchern“ aus dem Jahre 2000 unter anderem seinen gesammelten persönlichen Eindrücken zu Gärten im Nachkriegsberlin seiner Kindheit. Er schreibt in Auszügen in unterschiedlich gesammelten Essays:

„(. . . ) Kaum drei Jahre nach Kriegsende, und schon brechen die Birken aus den Mauern, wuchert wilder Hopfen um die Ruinen und brandet das gelb der Goldruten und Nachtkerzen um die Trümmerberge. (. . . ) Dann verschwand irgendwann das Gartenchaos, der Park wurde aufgepflanzt, Wege entstanden neu, von Bänken gesäumt, die Wasserläufe wurden entschlammt (. . . ). Das interessierte uns nun nicht mehr, und so zogen wir uns in das immer dschungelhafter überwucherte Tiergartenviertel zurück. (. . . ) Hier fand ich die unmittelbarste Verbindung von Gartennatur und Stadt: im ungeplanten Nebeneinander. (. . . ) Wir wuchsen in den Jagdgründen der zerstörten Städte auf, was uns erst heute morbide erscheint, damals war es eben so. (. . . ) Aber auch die (. . . ) wiederaufgebaute Stadt müsste sich zum Unkraut der Remisen und Schuppen, (. . . ) der Gebüschhecken und wilden (sinngemäß verändert, Laue) Parks und Ufer, der Einstiegslöcher in Eingezäuntes bekennen. Dann erst wäre sie kinderfreundlich, menschenfreundlich, lebensfreundlich. (. . . ).“

Die gesammelten Erinnerungen machen den besonderen Reiz von Gärten und Freianlagen in der Verbindung zum Ursprünglichen und Transformativen deutlich. Frecot beschreibt das Unvollständige, das Unfertige und das Spontane als unendliche Quelle für Leben und Kreativität. Die Schnittstelle des Gärtnerns bewegt sich seit je her zwischen dem „Beherrschen“ und dem „Überlassen“. Wenn sie in diesem Zusammenhang gut ausbalanciert ist, kann sie zum einen beispielweise als dauerhafte Ernährungs- und Lebensgrundlage dienen und zum anderen auch der Kreativität und Freude eines immer lebendigen Raumes dienen.

Sobald diese Balance nicht mehr gegeben ist, entspricht sie nicht mehr dem ursprünglichen Gedanken des gärtnerischen Begleitens. Der Freiraum, der Garten oder das Gartenland wird dann monoton und vermutlich zu großen Teilen auch nicht mehr nachhaltig. Er lässt sich nicht entwickeln, er repräsentiert nicht mehr ausreichend alle systemischen Zusammenhänge und kann in diesem Zusammenhang auch als Naturraum und „Leistungsraum“ nicht mehr ausgewogen funktionieren. Das gilt für Produktionsflächen ebenso, wie für gestaltete Freiräume.

Mit beispielsweise der Umstrukturierung der Gärtnerei Laue vor circa 15 Jahren in Wolfenbüttel vom industrialisierten Gemüsebaubetrieb hin zum alten Muster eines kleinteiligen Betriebes mit Hofverkauf und einer Vielzahl an gärtnerischen Produkten haben sich auch die systemischen Abhängigkeiten der Umweltgüter verbessert. Die Kulturen sind deutlich stabiler, weniger anfällig für Schädlinge oder Pilzbefall. Ursprüngliche Behandlungsmethoden der industrialisierten Landwirtschaft wurden nahezu komplett aufgegeben. Wenn Freianlagen und Gärten wesentlich stärker auf das ursprünglich Gärtnerische von Wachstum begleiten, mit der Natur denken und flexibler hinsichtlich der Pflege betrachtet werden, stabilisieren sich zum einen die ökologischen Wertigkeiten und zum anderen lassen sich auch ökonomische Vorteile daraus generieren.

Der ehemalige Landschaftsbaubetrieb Heinrich Dernbach hat beispielsweise bereits in den 60er und 70er-Jahren bei einer verhandelten Anzahl an Mähgängen und Aufsammeln für die Pflege von Freianlagen zum einen immer flexibel nach Witterung und Wetter gepflegt und zum anderen gegebenenfalls sogar häufiger (und stattdessen als Langflurteppich) gepflegt. Das hatte nach alten ausgewerteten Gewinnermittlungen in der Regel ein „Mehr“ an Gewinn bedeutet, trotz häufigeren Pflegeintervallen. Im Weiteren wurden Unkrautbekämpfungen nicht als direktes „Bekämpfen“, sondern als flexibles und überlegtes „Zurückdrängen“ verstanden. Dort wurden Pflegegänge nicht nach starren Zeit- oder Kostenplanungen, sondern mehr nach dem gärtnerischen Blick zu Standort, Boden und Witterungsverhältnissen verstanden. Das einfache, seit Urzeiten bekannte, Prinzip zum Beispiel von Abschuffeln oder Hacken bei Trockenheit sowie Hitze und dem Auflockern nach einer Feuchtigkeitsperiode sind heutzutage dahingegen nicht selten starren Pflegeplänen zum Opfer gefallen.

Es lassen sich noch viele Beispiele falscher gärtnerischer Grundsätze wie Baggern oder Pflügen bei Regen, Befahren offener Bodenflächen bei feuchten Böden, Pflanzen aus Containerware im Hochsommer etc. nennen. Zwei Dinge sind diesbezüglich zusammenzufassen. Es bedarf des fachlichen Blicks auf das stetig Transformative unserer Grundlage im Umgang und auf das Nachhaltige für den Vorteil von Lebendigkeit, Kreativität und Freude. Ein Freiraum und ein Garten ist kein statisches Ganzes, was man festhalten und konservieren kann. Man kann Werte zwar konservieren aber muss sie dabei auch immer weiterentwickeln. Nur so können sie ihre Funktionen dauerhaft erfüllen.

Ausbildung von Landschaftsgärtnern und Landschaftsarchitekten

Unser Berufsstand ist in diesem Zusammenhang gefühlt zu konservativ! Das Konservative wird in diesem Zusammenhang weniger als „Werte bewahren“ als vielmehr „ist schon immer so“ interpretiert. Ein gewisser Starrsinn ist im Umgang mit den Elementen der Natur logisch und nachvollziehbar. Eine Vielzahl von Geschichten über Sturköpfe lassen sich in jeder Generation von Gärtnern erzählen. Nur hier ist ganz besonders zu unterscheiden, ob eine fehlende Offenheit oder eher eine gewisse Gelassenheit diesen Starrsinn beschreibt? In der Regel trifft Letzteres auf gute Gärtner zu.

Gelassenheit bedeutet Ausdauer aber auch Flexibilität im Handeln und ist eine enorm wichtige Eigenschaft zu einem dauerhaft erfolgreichen Unternehmertum in unserem Beruf. Das kann in diesem Zusammenhang als konservativ „Werte bewahren“ beschrieben werden. Aber nicht selten führt eine fehlende Offenheit, vielleicht aus Bequemlichkeit oder fehlendem Weiterentwicklungswillen, zu einem derzeitig etwas stagnierenden Bild unseres Berufsstandes in der Öffentlichkeit.

Der „ZVG Gartenbau report“ widmet sich in der Juniausgabe9 dem Spannungsfeld Berufsbild und sammelt Kernaussagen von unterschiedlichen Bildungsträgern des Gartenbaus. Dort wird unter anderem das „nicht Sichtbare“ unseres Berufsfeldes, das „nicht Präsente“, die „zu stark vor-festgelegten Fachsparten“ und das falsche Bild in der Gesellschaft „eines (. . . ) Garten- und Landschaftsbauers, der sterile Steinvorgärten gestaltet (. . . )“ betont. Dieses steht mit dem klassischen Gärtner nicht mehr wirklich im Zusammenhang. Zudem möchte die junge Generation „weiße Berufe ausüben und sich nicht die Hände schmutzig machen“. Zurückkommend auf das Konservative unseres Berufsstandes ist es hier besonders wichtig, dem zukünftigen Nachwuchs die verantwortungsvollen Werte zu vermitteln.

Die Berufswahl zum Gärtner oder zum Landschaftsarchitekten oder Landschaftsbauingenieur war im Vergleich zu anderen Berufsentscheidungen schon immer stark mit einem Idealismus für die sinnvolle Sache verbunden. Nur wenn diese Werte, die diesen Idealismus suchen, abgebildet und tiefgründig vermittelt werden, kann in unserem Berufsfeld umfassender Nachwuchs generiert werden. Besserer Verdienst wäre sicherlich auch ein Ansatz, kann aber den Urgedanken zur Berufswahl verknüpft mit einem nicht selten vorherrschenden Idealismus nur bedingt verbessern. Die Werte unseres Berufsfeldes mit den Fachsparten liegen in dem verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Freiraum.

Wir erschaffen und begleiten Werte, wir leisten einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung dieser und wir stärken das Bewusstsein für die Umwelt. Die Spezialisierungen zu Fachsparten war sicherlich zum einen fachlich notwendig und zum anderen richtig für die Wahrnehmung von Professionalität. Der Landschaftsbauer ist eine Fachperson für unter anderem Hausgärten in der Öffentlichkeit und nicht mehr nur ein Gärtner, der mir Rasen- und Pflanzflächen anlegt. Aber in der Ausbildung gilt es, die besonderen Werte zwischen Natur und Mensch ganzheitlich zu vertreten.

An den Hochschulen und Universitäten wird dieses zu großen Teilen erkannt und neben dem sicherlich zu diskutierenden Erhalt von spezialisierten Studiengängen wird aber das zusammenhängende Gemeinsame unter anderem durch gemeinsames Grundstudium oder durch eine Vielzahl an neu geschaffenen Verknüpfungen wiederhergestellt. Hier geht man in Teilen wieder zurück zu den Ursprüngen und versucht dieses mit aktualisierten Inhalten zur Digitalisierung, zur Nachhaltigkeit entsprechend des alten Gedanken des gärtnerischen Ganzen zu verknüpfen. Diese Entwicklung ist richtig und wird unserem Ansehen und unserer eigentlichen Bedeutung wieder mehr gerecht.

Auch im Ausbildungswesen des Gärtners hat ein Umdenkprozess stattgefunden. Von einer „Beherrschbarkeit der Natur“ wie es teilweise bis 2018 beispielsweise vom Ausbildungsförderwerk Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (AuGaLa)10 mit „Einer wie Du – zeigt der Natur wo es langgeht“ oder „bringt Ordnung in den Großstadtdschungel“ beworben wird, wurde abgerückt. Vielversprechender ist beispielsweise die neue Kampagne des AuGaLa für Schüler von 2021 mit dem Slogan „Grünes Licht Für . . . Artenvielfalt“ 11. Hiermit wird an die geforderte Verantwortung durch die „Fridays for Future“ – Forderungen angeknüpft. Nur so lässt sich dem nicht selten ausschlaggebenden Idealismus zur Berufswahl zum Gärtner oder Landschaftsarchitekt auch gerecht werden.

Nichts desto trotz wird der besondere Reiz des Berufsstandes aber nach wie vor nicht progressiv genug kommuniziert: Ein vielseitiges Aufgabenspektrum mit und in der Natur, ein kreativer und gesunder Berufsstand, ein Beruf der Orte erschafft, die niemals langweilig und gleich sind, sowie ein Berufsstand mit Kreativität und Kontinuität. Hier sind falsche konservative Kräfte am Werk, die weniger das „Bewahren“ als das oben genannte „war schon immer so“ im Blick haben.

Umweltschutz, Technik und Ökonomie – langfristige Stabilität und Wert von Natur

Das Technische übt im Landschaftsbau eine besondere Faszination aus. Es wird gebaut mit Maschinen, es werden Dinge analysiert sowie methodisiert und dort helfen technische Errungenschaften wie besondere Substrate oder besondere Bauweisen dem Standort in seiner Gerechtigkeit als funktionierender Freiraum in einer zum Beispiel artifiziell überformten Stadtlandschaft. Die Technisierung hilft auch, ökonomische Gewinne dauerhaft mit erfolgreichen Unternehmertum zu verbinden. Allerdings darf das Technische nicht in dem „Nur Beherrschen“ auf Kosten der Stabilität und Nachhaltigkeit eines Freiraumes geschehen.

Das Fachgebiet des Autors Hendrik Laue „Spezialbauweisen des Landschaftsbaus“ versteht sich in diesem Zusammenhang als moderne Fachspezialisierung zwischen technischen Grundkompetenzen (wie baue ich einen Weg, eine Mauer, eine Dachbegrünung oder eine Wasseranlage) und besonderer Verantwortung für die Sache an sich, für einen nachhaltigen Freiraum. In beispielsweise überformten Freiräumen der Stadt können nur bedingt durch klassische Mittel des Gärtnerns alle Ökosystemdienstleistungen erzielt werden.

Dort müssen technische Errungenschaften, auch die neuen technischen Möglichkeiten aus der voranschreitenden Digitalisierung, im Sinne der Nachhaltigkeit eingesetzt werden: Wasserbilanzen können technisch ermittelt und bilanziert werden, technische Lösungen wie Baumrigolen etc. können Ausgleich schaffen und neue Informationstechnologien, wie unter GIS oder BIM Prinzipien bekannt, können helfen, nachhaltigere und letztendlich auch gärtnerisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Auch der Einsatz von Pflanzen kann und sollte im Sinne ihrer möglichen Ökosystemdienstleistungen stärker technisch betrachtet werden. Hier hilft der Blick aus der Perspektive des Gärtnerischen und des Technikers: Bereits vor fast 70 Jahren hat beispielsweise die Gärtnerin und Hydrobotanikerin Käthe Seidel die besondere Leistungsfähigkeit von Pflanzen für die Reinigungsleistung von Abwässern erkannt. Heutige moderne Ansätze von „urban wetlands“ beruhen auf diese althergebrachten und erprobten gärtnerischen Techniken.

Pflanzen bekommen durch ihre Leistungsfähigkeit im Kontext des Klimawandels eine neue, besondere Bedeutung und Fassaden- sowie Dachbegrünungstechniken sind in aller Munde. Aber auch hier ist nur die Verknüpfung von technischem Sachverstand und klassischen Gärtnerwissen zur Pflanze zielführend. Und die eigentlichen gärtnerischen Voraussetzungen zur optimalen Leistungsfähigkeit der Pflanzen im Sinne des menschlichen Nutzens sollte umfassend reflektiert werden.

Wenn beispielsweise extensive Dachbegrünungstechniken nicht gleichzeitig auch die notwendige Wasserverfügbarkeit über beispielsweise gekoppelte Wasserspeichersysteme berücksichtigen, kann die Pflanze auch keine optimalen Kühlwirkungen als Beitrag der Klimaanpassung liefern. Ergänzend stellen Pflanzen Biomasse als nutzbares Gut zur Verfügung. Beispielsweise erzeugen materialextensive substratlose Feuchtgebiete (urban wetlands) eine enorme Menge an Biomasse, bieten gleichzeitig Lebensraum und liefern einen großen Beitrag zur Kühlleistung. In Teilen wird hier zu wenig gärtnerisch und mit der Pflanze gedacht. Technische Lösungen können nur adäquat in der Kombination mit Pflanzenwissen und gärtnerischem Verstand ihre volle Wirkung entfalten.

Grundsätzlich sollte zu Letzt ein Gedankengang der Umweltgerechtigkeit im Vordergrund stehen: Die Reflektion des baulichen Eingriffs und seine Auswirkungen auf funktionierende Umweltgüter. Hier wird Umweltschutz pragmatisch und zunehmend auch eine ökonomische Fragestellung. Beispielsweise der sensible Eingriff, die reflektierte Entscheidung zu Material- und Pflanzenauswahl, zu möglichen Recyclingfragestellungen, zur dauerhaften Pflege und Nutzung wird immer stärker ökologischen Vorgaben unterworfen und somit inzwischen auch mit ökonomischen Konsequenzen verknüpft.

Kommunen wollen ökologisch gerechtere Freiraumentwicklungen, um gleichzeitig zunehmenden Umweltauswirkungen wie Hochwasserproblematik oder Überhitzung der Städte entgegen zu wirken. Letztendlich kosten inzwischen ökologisch fragwürdigere Entscheidungen zu materialintensiven Bauprozessen, zu nicht dauerhaften Pflanzungen mit aufwendigen Pflegemaßnahmen unterm Strich zu viel, sind mit steigenden CO2-Bepreisungen verbunden und verursachen unter Umständen Nachforderungen durch Pflanzenausfälle oder Versicherungskosten durch Überflutungsschäden.

Unternehmer und Planer werden immer stärker mit diesen Anforderungen ihrer Bauherren konfrontiert und gleichzeitig auch in der Gesellschaft bei zu stark baulichen Eingriffen (oder Baumfällungen) geächtet. Hier gilt es für unseren Berufsstand, das ursprüngliche Image des abgewogenen gärtnerischen Blicks wieder stärker in den Vordergrund zu stellen.

Als Landschaftsarchitekt wird man auch mal schnell bei größeren Projektentwicklungen für Gartenschauen zum Beispiel als „Baummörder“ in der Öffentlichkeit wahrgenommen entgegen des klassischen Gärtners, der vorsichtig die Schnittstelle zwischen Mensch und Natur auslotet. Der Landschaftsbauer wird als „Betongärtner“ bezeichnet und nicht als der Pflanzen- und Gartenkenner. Das ist nicht die Wahrnehmung, die wir uns wünschen: Wir setzen uns für Begrünung und für langfristige Stabilität von Freiräumen ein und sollten den Respekt zu den Werten der Natur im Sinne des ursprünglichen Gedankens des Gärtnerns vermitteln.

1 Vgl. Marion Sippel-Boland, Landschaftsarchitektin, Beiträge zur Geschichte der Stadt Wolfenbüttel, „uns gesambten Gärtnern vor hiesiger Stadt. . . “Heft 8, 1997.

2 Vgl. ebd. Marion Sippel-Boland, S.22.

3 Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. (BGL), www.galabau.de.

4 Zentralverband Gartenbau (ZVG), www.g-net.de.

5 Peter Hauk MdL/Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Mit grünen Berufen unser Land gestalten, Aus- und Weiterbildung im Agrarbereich in Baden-Württemberg, vgl. www.mlr-bw.de.

6 Vgl. BGL in 03/21 Neue Landschaft, neuelandschaft.de/artikel/galabau-umsatz-knackt-die-9-milliarden-euro-marke-15650.html.

7 Vgl. Angaben des Industrieverband Garten (IVG).

8 Vgl. z. B. Fa. Zinco, Intensivbegrünungssystem „Urban farming“, zinco.de oder Fa. Optigrün mit dem System „Gartendach“, optigruen.de, speziell für Gemüse- oder Obstanbau ausgelegt.

9 www.g-net-de, ZVG GARTENBAU report S. 19 ff., 06/2021, 47. Jahrgang, FGG Fördergesellschaft Gartenbau mbH, Bonn.

10 Ausbildungsförderwerk Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V., 2017.

11 Aktuellen Werbekampagne für Schüler mit dem Slogan „Grünes Licht Für . . . Artenvielfalt“, vgl. www.schoenerewelt.de. ?

Prof. Dr.-Ing. Hendrik Laue
Autor

Hochschule Ostwestfalen-Lippe

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