Neue Entscheidung des BGH macht Hoffnung für Bieter

Zuschlag des Auftraggebers trotz Kalkulationsirrtums zu Lasten des Bieters?

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GaLaBau und Recht GaLaBau
Bei einem Ausschreibungsverfahren galt bislang: Das Risiko der Fehlkalkulation trägt allein der Bieter. Das Angebot zurückzunehmen ist nach Zuschlag kaum mehr möglich. Foto: Thorben Wengert/pixelio.de
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Laut VOB/A steht es dem Bieter bis zum Ablauf der Angebotsfrist frei, sein Angebot in Textform zurückzuziehen, während der Zuschlagsfrist allerdings nicht mehr. Foto: Neue Landschaft
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Nach einer neuen Entscheidung des BGH kann ein Zuschlag auf ein fehlkalkuliertes Angebot einen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Bieter darstellen. Foto: Kucharek, CC BY-SA 3.0
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Die Pflicht zur Rücksichtnahme greift nach Auffassung des BGH nicht nur bei drohender Insolvenz oder vergleichbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Bieters.

Regelmäßig erhalte ich Anfragen von Firmen, die sich bei ihren Angeboten verkalkuliert haben und deshalb den Auftrag nicht ausführen wollen beziehungsweise die Erteilung des Zuschlags nach VOB auf ihr Angebot verhindern möchten. In fast allen Fällen musste ich den Bietern die unerfreuliche Antwort geben, dass das Risiko der Fehlkalkulation grundsätzlich der Bieter trägt und ein Kalkulationsirrtum im Einzelfall fast immer als unbeachtlich angesehen wird.

Dem Bieter steht es bis zum Ablauf der Angebotsfrist frei, sein Angebot in Textform zurückzuziehen (§ 10 Abs. 3 VOB/A). Will der Bieter allerdings sein Angebot nach dem Eröffnungstermin und während der Zuschlagsfrist zurücknehmen, so ist dies nicht mehr möglich. Bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist ist der Bieter an sein Angebot gebunden. Er hat allerdings die Möglichkeit, sein Angebot wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung anzufechten (siehe §§ 119 und 123 BGB). Eine Irrtumsanfechtung ist keinesfalls möglich, wenn der Bieter, der sich an verschiedenen Ausschreibungen beteiligt hat, überraschend den Zuschlag auf mehrere Angebote erhält, die er wegen fehlender Kapazität nicht gleichzeitig zur vorgesehenen Zeit ausführen kann. Es handelt sich dabei lediglich um einen nach der Rechtsprechung unbeachtlichen Motivirrtum.

Rechtslage nach VOB/A

Langjährige Rechtsprechung zum Kalkulationsirrtum

Auch ein Kalkulationsirrtum berechtigt nur in seltenen Ausnahmefällen zur Anfechtung; insbesondere aber dann nicht, wenn der Auftraggeber diesen Kalkulationsirrtum des Bieters nicht bemerkt hat. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits schon vor 15 Jahren entschieden, dass ein Kalkulationsirrtum auch eine Form des Motivirrtums darstellt und dementsprechend für eine Irrtumsanfechtung ohne Belang ist (BGH MDR, 1999, Seite 216). Damals hat der BGH entschieden, dass der Bieter selbst dann nicht zur Anfechtung wegen Kalkulationsirrtums berechtigt sein soll, wenn der Auftraggeber diesen erkannt oder die Kenntnis treuwidrig vereitelt hat.

Des Weiteren meinte der BGH, dass während eines Ausschreibungsverfahrens der Auftraggeber nicht verpflichtet sei, Angebote des Bieters auf Kalkulationsfehler zu überprüfen oder weitere Ermittlungen anzustellen. Nur ausnahmsweise könne eine solche Pflicht bestehen, wenn sich der Tatbestand eines Kalkulationsirrtums und seine unzumutbaren Folgen für den Bieter aus dessen Angebot oder den dem Auftraggeber bekannten sonstigen Umständen geradezu aufdrängen. Insbesondere wurde bisher von keinem Obergericht angenommen, dass der Bieter ein klagbares Recht auf Ausschluss von der Vergabe hat. Wegen dieser für die Auftragnehmerseite äußerst negativen Rechtsprechung sei deshalb jedem Bieter dringend angeraten, seine Angebote vor Abgabe nochmals genauestens zu überprüfen und erforderlichenfalls rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist das Angebot textlich (!) zurückzuziehen und vielleicht sogar noch ein überarbeitetes neues Angebot abzugeben.

Müssen Bestimmungen der VOB/A mehr beachtet werden?

Nach Ansicht des Verfassers hat die bisherige recht spärliche Rechtsprechung die berechtigten Interessen der Bieter nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Manche von der VOB/A und dem BGB aufgestellten Grundsätze wurden von der herrschenden Meinung nicht ausreichend gewürdigt. So heißt es zum Beispiel in der VOB/A in § 2 Abs. 1 Nr. 1:

  • Bauleistungen werden an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu angemessenen Preisen in transparenten Vergabeverfahren vergeben."

oder in § 16 Abs. 6 Nr. 1 und 2 VOB/A:

  • 1. Auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis darf der Zuschlag nicht erteilt werden.
  • . Erscheint ein Angebotspreis unangemessen niedrig und ist anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen, ist in Textform vom Bieter Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen ..."

Aber auch das BGB kennt ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme. In § 241 Abs. 2 BGB heißt es:

  • Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten."

Oft sind Auftraggeber der Meinung, dass ein besonders günstiger Bieter, der sich verkalkuliert hat, keinen Anspruch auf Ausschluss seines Angebots hat. Immer wieder kommt es deshalb zum Zuschlag auf Angebote, mit denen der Bieter zum Teil schmerzliche Verluste hinzunehmen hat.

In einer neuen Entscheidung des BGH (Urteil vom 11.11.2014; Az. X ZR 32/14) kann nach Meinung des BGH die Erteilung des Zuschlags auf ein von einem Kalkulationsirrtum beeinflussten Angebot ein Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des betreffenden Bieters darstellen. Die Schwelle zu einem solchen Pflichtenverstoß sei überschritten, "wenn dem Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise schlechterdings nicht mehr angesonnen werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer auch nur annähernd adäquaten Gegenleistung für die zu erbringenden Bau-, Liefer- und Dienstleistungen zu begnügen".

Der dem BGH vorgelegte Sachverhalt

In dem neu entschiedenen Fall des BGH hatte der Bieter den Auftraggeber über seinen Kalkulationsirrtum schriftlich hinreichend informiert. Der BGH hat in seiner neuen Entscheidung nicht gebilligt, den einem Kalkulationsirrtum unterlegenen Bieter am Zuschlag festzuhalten. Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Angebot des Bieters belief sich auf 455 052,29 Euro. Das nächstkommende Angebot eines weiteren Bieters belief sich bereits auf 621 054,68 Euro. Weitere Angebote lagen noch deutlich darüber. Der Bieter hatte im Übrigen nach Kenntnis des Submissionsergebnisses und seiner Feststellung, einem Kalkulationsirrtum unterlegen zu sein, die Vergabestelle ausdrücklich auf den ihm unterlaufenen Kalkulationsirrtum hingewiesen. Die Vergabestelle meinte bei ihrer Entscheidung der Auftragsvergabe darauf abstellen zu müssen, ob bei Durchführung des Auftrags zum Angebotspreis der Bieter in absehbarer Zeit in Insolvenz oder in vergleichbar prekäre wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten werde. Dies verneinte die Vergabestelle und hielt dementsprechend einen Zuschlag an den Bieter für rechtens.

Die neue Entscheidung des BGH macht Hoffnung für Bieter

Das Gericht meint nicht nur auf eine drohende Insolvenz oder vergleichbare wirtschaftliche Schwierigkeiten abstellen zu können. Es meint, die Verpflichtung zur Rücksicht auf die Interessen des Bieters greife nicht erst ein, wenn dessen wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel stehe. Das Gericht stellt auf die Rücksichtnahmepflichten des oben zitierten § 241 Abs. 2 BGB ab. Es sei vielmehr auch darauf abzustellen, ob zwischen dem Wert der für den Auftraggeber zu erbringenden Leistung und dessen Gegenleistung eine unbillige Diskrepanz herrsche. Unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A und auch § 2 Abs. 1 VOL/A sei es gerechtfertigt, eine unmäßige Übervorteilung eines Bieters abzuwenden, die diesem aus der Bindung an einen Preis droht, der von einem erheblichen Kalkulationsirrtum beeinflusst ist.

Bei der oben aufgezeigten großen Differenz zwischen niedrigstem Angebot und nächsthöherem hielt der BGH den irrig kalkulierten Preis keinesfalls mehr auch nur im Ansatz als äquivalentes Entgelt für die zu erbringenden Leistungen. Das in § 241 Abs. 2 BGB manifestierte Gebot der Rücksichtnahme sah er durch die Vergabestelle als verletzt an. Von gewisser Bedeutung dürfte im entschiedenen Fall auch noch gewesen sein, dass es nicht nur um einen Kalkulationsirrtum in einer einzigen Position ging, sondern die Kalkulation insgesamt zu einem Auftragswert geführt hatte, der alles andere als auskömmlich gewesen wäre. Die neue Entscheidung des BGHs wird wohl in Zukunft einigen Bietern zu Recht Hoffnung machen.

Gibt es auch noch einen anderen Ausweg?

Bekanntlich kommt ein Vertrag stets durch Angebot und Annahme in Form von zwei sich deckenden Willenserklärungen zustande. Es rentiert sich durchaus, für einen Bieter, der von einem fehlkalkulierten Auftrag Abstand nehmen will, sich den Text des Zuschlagsschreibens näher anzusehen. Immer wieder kommt es vor, dass im Zuschlagsschreiben das Angebot des Bieters nicht deckungsgleich den Zuschlag erhält. Oft beinhaltet der Zuschlag weitere Voraussetzungen, die dem Bieter bei Angebotsabgabe nicht bekannt waren. Das heißt, im Zuschlagsschreiben wird zum Beispiel erstmals eine Ausführungszeit genannt, die deutlich von der aus den Ausschreibungsunterlagen abweicht. Es werden zum Teil auch zusätzliche beziehungsweise geänderte Leistungen verlangt, die unter Umständen den sowieso schon uninteressanten Auftrag in noch schlechterem Licht erscheinen lassen. Können derartige Differenzen im Zuschlagsschreiben ermittelt werden, bestehen für einen Bieter durchaus die Chancen, auch ohne Berufung auf einen Kalkulationsirrtum von einem Auftrag loszukommen. In einem solchen Fall sollte allerdings der Bieter nichts auf eigene Faust unternehmen, sondern sich möglichst schnell mit einem auf das Gebiet des Vergaberechts spezialisierten Rechtsanwalt in Verbindung setzen, der ihm im Zweifel sicherlich weiterhelfen kann.

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 Rainer Schilling
Autor

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

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