Urbanes Regenwassermanagement mit hydroaktiven Pflaster- und Plattenflächen

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Der Klimawandel ist im Siedlungsraum deutlich zu spüren: Die Bevölkerung ist Hitze und Trockenheit aber auch verstärkt auftretenden Starkniederschlägen und ihren Auswirkungen ausgesetzt. Es gilt somit, den besiedelten Raum in seiner Ausstattung und Funktion neu zu überdenken. Hydroaktive Pflaster- und Plattenflächen als Teil des grün-blauen Regenwassermanagements sind eine passende Lösung für diese Herausforderung.
Wassergebundene Wegedecken Beläge und Pflaster
Ein Innenhof in Hamburg. Foto: Ulrike Pitha

Heutige Städte und Siedlungen sind zunehmend mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert, der neben heißeren und längeren Trockenperioden nicht nur weitläufig Hitze- und Trockenstress auslöst, sondern wiederkehrend kurze, umso kräftigere Starkregenereignisse verursacht. Während die Hitzewellen die Anzahl der Tropennächte (mit Temperaturen >20 °C) und hitzebedingte Mortalität steigen lässt, hinterlassen Sturzfluten und pluviale Überschwemmungen (Zahnt et al. 2018) verheerende Schäden an Wohnraum und Infrastrukturen.

Herausforderungen und Ansätze des urbanen Regenwassermanagements

Pluviale Überflutungen entstehen meist in verdichteten, urbanen Räumen durch Oberflächenabfluss und sind die Konsequenz aus jahrzehntelangen, wenig umsichtigen Bautätigkeiten, ausgedehnten Versiegelungsaktivitäten und reduzierten Versickerungsflächen: Regenwasser kann nur mehr an der hart verbauten Oberfläche abfließen, was schnell zur Überlastung der Kanalisationssysteme und der Vorfluter führt. Die Einschränkung der Infiltrationsräume und -kapazitäten stört sowohl den natürlichen Wasserkreislauf als auch das lokale oder regionale Mikroklima auf mehreren Ebenen: die Grundwasserspeicher können sich nicht mehr auf natürliche Weise auffüllen und ihr Wasserspiegel sinkt ab. Die Verdunstung an der Oberfläche steigt und erhöht die Austrocknung, während gleichzeitig durch Mangel an (Baum-)beschattenden Pflanzenstrukturen und einem Überangebot an harten Materialien sich die Oberflächentemperaturen erhöhen. Lokale oder ausgedehnte Hitzeinseln entstehen. Dies verändert den Energiehaushalt der urbanen Landschaft: Die sensible (fühl- und messbare) Wärmeenergie erhöht sich laufend durch den starken Baudruck und die damit einhergehende steigende Versiegelung; während Umgebungen mit natürlicher Verdunstung durch Pflanzen laufend reduziert werden und dadurch wassergesättigte Landschaften und die Speicherung der Energie im Wasserdampf (adiabate Kühlung) minimiert werden. Mittlerweile sind die Urban Heat Islands nicht mehr nur ein Phänomen urbaner Zentralräume, sondern auch in Ortszentren von Kleinstädten und ländlichen Gemeinden wahrnehmbar. Ein funktionierender Wasserkreislauf ist daher auch essenziell, um der Überwärmung von Siedlungsstrukturen entgegenzuwirken.

Modernes urbanes Regenwassermanagement kann sich daher nicht mehr nur über den Ausbau und die Erweiterung der Kanalisation definieren, sondern benötigt integrale Ansätze, die technische Lösungen mit naturnahen Strukturen dezentral verbinden und wassersensible Anpassungen der Lebensräume anstreben (Kruse 2011, Kruse 2014). Während zentrales Regenwassermanagement eine Monofunktion zur Siedlungsentwässerung verfolgt, strebt die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung danach, Niederschläge weitestmöglich vor Ort, wo sie anfallen, versickern und verdunsten zu lassen, sie zu nutzen, oder zwischenzuspeichern und zeitverzögert dem Wasserkreislauf wieder zuzuführen (BSU 2006, Umweltbundesamt 2022). Dies wird ermöglicht durch durchlässige, versickerungsfähige Oberflächen wie Mulden, Retentionsflächen oder -körper, die im besten Fall mit Wasserflächen zur Pufferung und Speicherung kombiniert werden. Integrale Regenwasserbewirtschaftung wird hier unterschiedlich als grauer, blauer oder grüner Ansatz interpretiert. Manche Leitfäden adressieren grün-blaue Lösungen (gemeint sind hier Kombinationen aus landschafts- und wasserbaulichen Techniken) noch teils verhalten (Kleidorfer et al. 2019, Das Land Steiermark 2017) und setzen Pflanzen nur rudimentär ein (Mulden und Versickerungsbecken mit wenig diversen Rasengesellschaften). International setzen sich natur-basierte Ansätze mittlerweile stärker durch und erkennen vielfältige Lösungen an: Pflanzen, Bestände und Biotopstrukturen werden nachhaltig und effizient für das Management von anfallendem Regenwasser genutzt; wodurch das lokale Mikroklima gleichzeitig begünstigt wird (BAFU & ARE 2022, Department of Environmental Conservation 2022, City of Portland 2020, Philadelphia Water Department 2021, Watershed Consulting Associates, LLC et Hirschman Watershed and Environment, LLC 2017, Grimm 2010).

Grün-blaue Strukturen sind wichtige Multifunktionsflächen und divers, haben jedoch raue, unversiegelte Oberflächen, sind räumlich durch Pflanzen besetzt und nicht immer bespielbar für Veranstaltungen und gekoppelte urbane Nutzungen. Dies stellt eine Hemmschwelle für Planer:innen und Stadtverwaltungen dar, die glatte und vegetationsfreie Oberflächen priorisieren. In diesem Zusammenhang ist der Bedarf an hydroaktiven Pflaster- und Plattenflächen gestiegen und die Branche setzt sich zunehmend damit auseinander, hierzu Lösungen und Angebote zu entwickeln, die zur Klimawandelanpassung beitragen und den Anforderungen urbaner Freiflächen nachkommen.

Dieser Beitrag beabsichtigt, hydroaktive Pflaster- und Plattenflächen, deren Funktionen sowie Anwendungsbereiche, erfolgreiche Umsetzungen aber auch den Stand der Forschung dazu aufzuzeigen, und sie als potenzielle multifunktionale (urbane) Oberflächenbefestigung verstärkt bekannt zu machen.

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1. Eine herkömmlich verlegte Pflasterfläche, bestehend aus hellgrauen und dunkelgrauen Steinen, ist zu sehen. Auf der linken Seite ist die Fläche im thermalen Infrarot fotografiert worden, rechts entstand ein normales RGB-Foto. Der beschriebene Oberflächentemperaturunterschied zwischen hell- und dunkelgrauen Steinen ist deutlich erkennbar, dunkle Flächen heizten sich verstärkt auf. Grafik/Foto: Michael Gräf
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2. Eine hydroaktive Pflasterfläche mit aufgeweiteter, begrünter Fuge ist zu sehen. Auf der linken Seite ist die Fläche im thermalen Infrarot fotografiert worden, rechts entstand ein normales RGB-Foto. Die kühlende Wirkung der Fuge mit Vegetationsbewuchs ist klar ersichtlich. Grafik/Foto: Michael Gräf

Einsatz und Wirkungen

Die aus Steinen und Platten (Beton oder Naturstein) bestehenden hydroaktiven Pflaster- und Plattenflächen sind Elemente der Regenwasserbewirtschaftung, deren Eigenschaft es ist, dass ihr gesamter Aufbau (Stein/Platte, Konstruktionsschichten, Untergrund) Niederschlagswasser versickern und zwischenspeichern kann – und dies bei gleichzeitiger Verkehrsnutzung (FQP 18.06.2021).

Laut der Richtline für hydroaktive Pflaster- und Plattenflächen (FQP 2021) können sie in Österreich eingesetzt werden, wenn sie außerhalb von Wasserschutzgebieten errichtet werden, das Grundwasser durch Einträge nicht gefährdet ist und auf die Verwendung von Auftaumitteln im Winterdienst verzichtet wird. Auch hinsichtlich der Flächenbelastung gibt es eine Empfehlung in einer Höhe von ≤ 5000 JDTV (jährlicher durchschnittlicher Tages-Verkehr).

Die potenziellen Anwendungsbereiche beziehungsweise die empfohlenen Bauweisen können bei Erfüllen der obigen Kriterien dem ÖWAV-Regelblatt 45 (ÖWAV 2015) entnommen werden, unter Berücksichtigung der Flächenart (Typ 1 bis 3):

  • Demnach sind Flächen des Typs F1 (z. B. Rad- und Gehwege, Zufahrten für Einsatzfahrzeuge), die eine Versickerung über Flächen mit mineralischem Filter anstreben – wie beispielsweise Pflaster mit durchlässigen Fugen – vertretbar.
  • Bei der Flächenkategorie F2 (z. B. Parkflächen für Pkws mit bis zu 75 Stellflächen mit nicht häufigem Fahrzeugwechsel) sind Flächen mit einer Versickerung über durchlässige Oberflächen mit Oberbodenschicht regelkonform (z. B. Rasengittersteine ≥ 8 cm).
  • Pkw-Flächen des Flächentyps 3 (z. B. Pkw-Parkflächen mit bis zu 1000 Stellflächen und häufigem Fahrzeugwechsel) sind mit Rasengittersteinen ≥ 30 cm bei Füllung mit Bodenfiltermaterial möglich, wobei Flächen mit einer temporäreren Nutzung der Pkw-Parkflächen (z. B. saisonal genutzte Freizeiteinrichtungen) in beiden Flächenkategorien (F2 und F3) hinsichtlich der Ausführung einer flächenhaften Versickerung individuell zu prüfen und beurteilen sind (FQP 18.06.2021).

Auch die Durchlässigkeit des verdichteten Baugrunds muss laut der Richtlinie des Forums Qualitätspflaster ausreichend vorhanden sein: Es werden kf-Werte von ≥ 3 x 10-5 m/s beziehungsweise ≥ 5 x 10-5 m/s gefordert (FQP 18.06.2021).

Zur Herstellung von hydroaktiven Pflaster- und Plattenflächen bieten die am Markt befindlichen Baustoffe und Systeme gestalterische Vielfalt. Es können Natursteine oder Betonsteinsysteme mit aufgeweiteter Sickerfuge und kapillarbrechenden Splitt- oder kapillaren Grünfugenfüllen verwendet werden. Aber auch Rasengittersteine mit kapillarbrechender Splittfüllung oder kapillaren begrünten Füllmaterialien sind möglich. Haufwerksporige Betonsteinsysteme mit Fugenbreiten und kapillarbrechender Fugenfüllung stellen eine weitere Variante dar (FQP 18.06.2021).

Zu beachten ist, dass je nach Art der Fläche und ihrer Nutzung beziehungsweise Beanspruchung das passende System gefunden werden muss. Die Richtlinie für hydroaktive Pflaster- und Plattenflächen (FQP 18. 06. 2021) bietet dazu eine Entscheidungshilfe an.

Beim urbanen Regenwassermanagement ist die Versickerungsfähigkeit von Oberflächen, ausgedrückt durch den Abflussbeiwert (0 = 0 %, 1 = 100 % Oberflächenabfluss) relevant, welcher je nach Ausführung der Pflaster- und Plattenflächen variiert. Dabei sind die Fugenbreite und der Fugenverschluss ausschlaggebend, bei herkömmlichen Fugenbreiten kann ein Abflussbeiwert ohne Verschluss von 0,5, mit Verschluss von 0,75 erreicht werden. Kommen aufgeweitete (begrünte) Fugen zum Einsatz, wie beispielsweise bei Rasengittersystem oder Rasenfugenpflaster ist ein Abflussbeiwert von 0,4 zu erwarten. Wird neben der Fuge auch über den Stein versickert (z. B. Dränpflaster) oder mit Splitt verfüllten Sickerfugen gearbeitet, können Abflussbeiwerte von 0,25 angesetzt werden. Im Vergleich haben fugenlose Decken aus Asphalt oder Ortbeton oder Pflasterstein-/Pflasterplattenflächen mit Fugenverguss/vermörtelter Fuge einen Abflussbeiwert von nur 0,9 (FQP 18.06.2021).

Was bedeutet dies jedoch für den Temperatur- und Wasserhaushalt des urbanen Raums?

Die Energiebilanz der Stadt ist im Vergleich zu jener des ruralen Raumes stark verändert. Dies resultiert vor allem aus der Versiegelung von natürlichen Grünflächen, der Abnahme der Vegetation und die damit verbundene Verringerung der Evapotranspiration, sowie einer höheren Prävalenz von dunklen Oberflächen mit geringer Albedo und erhöhter anthropogener Wärmeproduktion (Quattrichi und Ridd 1994; Stone et al. 2010). Aufgrund der geringen Albedo und hohen volumetrischen Wärmekapazität von urbanen Oberflächen (Straßen, Gebäude) erreichen diese an heißen Sommertagen Temperaturen von über 60 °C und tragen zur Verstärkung der städtischen Wärmeinseln bei (Gui et al. 2007; Mohajerani et al. 2017). Die Menge der reflektierten und absorbierten Sonnenstrahlung wird durch die physikalischen Eigenschaften der Oberflächenmaterialien beeinflusst, was in weiterer Folge den Wärmestrom von der Oberfläche in die Atmosphäre beeinflusst (Barnes et al. 2002). Die Temperaturentwicklung von Oberflächen wird durch Faktoren wie die absorbierende Sonnenstrahlung, die an die Umgebungsluft abgegebene Wärme, die Wärmeübertragung an den Boden, die Verdunstung von Wasser, der in der Masse der Materialien gespeicherten Wärmeenergie und die von den Materialien und dem Boden absorbierte Wärme beeinflusst (Li und Kobrak 2012; Kappou et al. 2022).

Wassergebundene Wegedecken Beläge und Pflaster
3. Parkplatzfläche des Arrival Center Schönbrunn, Wien, Österreich mit hydroaktiven Pflaster-flächen inklusive splittverfüllter Sickerfuge und Baumpflanzungen. Foto: Ulrike Pitha

Die Modifizierung der oben genannten Faktoren können einen deutlichen Beitrag zur klimafreundlichen Gestaltung von urbanen Oberflächen leisten. Qin (2015) identifizierte vier Ansätze, um dies zu erreichen: I. die Entwicklung von hochreflektierenden Pflasterflächen; II. die Herstellung von verdunstungsfähigen Oberflächenbefestigungen; III. Erhöhung der thermischen Trägheit der Oberflächen und IV. die Erzeugung erneuerbarer Energie auf urbanen Oberflächen.

Hier kommen – neben anderen Lösungen – hydroaktive Pflaster- und Plattenflächen zum Zug. Ihr Beitrag zur Klimawandelanpassung im besiedelten Raum soll mittels folgender Veranschaulichung aufgezeigt werden.

Die Auswirkung der Oberflächenfarbe auf die Temperaturentwicklung der Fläche ist in Abbildung 1 illustriert. Links ist eine Thermalaufnahme einer Pflasterfläche zu sehen, rechts davon ein entsprechendes RGB-Foto der gleichen Fläche. Der dunkelgraue Stein hatte eine durchschnittliche Oberflächentemperatur von 33,9 °C und der hellgraue Stein 31,3 °C, gemessen zur Mittagszeit an einem teilweise sonnigen Tag bei einer Umgebungstemperatur von 30 °C. Da die Erwärmung städtischer Oberflächen an sonnigen Tagen ohne Wind am größten ist, kann davon ausgegangen werden, dass der Temperaturunterschied zwischen den beiden Steinen noch größer sein kann. Eine von Gui et al. (2007) durchgeführte Simulation zeigte, dass eine Änderung der Albedo (= Rückstrahlvermögen) die größte Auswirkung auf die Höchsttemperatur (tagsüber) hat, während der Emissionsgrad die größte Auswirkung auf die Mindesttemperatur (nachts) hat. Anstelle klassischer weißer Oberflächen (hohe Albedo), die im sichtbaren Wellenbereich stark reflektieren, sollten innovative Oberflächen im sichtbaren Teil des Strahlungsspektrums absorbieren und im nahen Infrarotspektrum stark reflektieren. Dies verringert Blendungsprobleme und reflektiert den Teil des Lichts, der zur Erwärmung beiträgt (Santamouris et al. 2011).

Hydroaktive Oberflächen können durchlässig, porös und/oder wasserspeichernd sein, die Oberflächentemperaturen durch die Verdunstung von Wasser senken, sowie den Oberflächenabfluss von Niederschlagswasser reduzieren (Qin et al. 2018). Die Verringerung der Wärmeabgabe von urbanen Oberflächen an die Atmosphäre ist ein kleiner Schritt zur Abschwächung des städtischen Wärmeinseleffekts (Kappou et al. 2022). In Abbildung 2 ist der Übergang einer Pflasterfläche mit herkömmlich breit ausgeführten Fugen zu einer, mit aufgeweiteten, begrünten Fugen dargestellt – wieder als Thermalaufnahme (links) und als RGB-Foto (rechts). Die Pflastersteine im Bereich der Rasenfuge sind um rund 2 °C kühler als jene in der Fläche mit der herkömmlichen Fuge. Neben der geringeren Oberflächentemperatur ist der hydroaktive Bereich mit der aufgeweiteten Rasenfuge zusätzlich stärker versickerungsfähig im Vergleich zur herkömmlichen Pflasterfläche.

Kurzportraits ausgewählter Umsetzungsbeispiele

Hydroaktive Pflaster- und Plattenflächen kommen bereits vereinzelt zum Einsatz. Als Inspirationsquelle für eine zukünftig, verstärkte Anwendung dieser versickerungsfähigen Oberflächengestaltung werden folglich zwei ausgewählte Umsetzungen aus Österreich (Wien und Graz) vorgestellt.

Mit bis zu neun Millionen Besucher:innen pro Jahr zählt das Schloss Schönbrunn in Wien zu den bekanntesten und beliebtesten Tourismusattraktionen Österreichs (Tourismuspresse/Austrian Presse Agentur, 2022): Als Betreiberin des UNESCO-Weltkulturerbes entschied sich die Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft den Besuchsstrom neu zu lenken und einen zentralen Anlaufpunkt anzubieten. In zwei Bauphasen (Fertigstellung 2019 und 2020) wurde das Arrival Center Schönbrunn mit Stellplätzen für 48 Busse, 230 Pkws und zehn Stromtankstellen errichtet. Die semitransparente Photovoltaiküberdachung der Stellflächen sowie die Pflanzung von rund 300 Bäumen (Kastanie, Mehlbeere, Spitzahorn, Säulenplatane, Winterlinde, Säulenfeldahorn, Kaiserlinde, Roteiche, Esche etc.) beschatten die neu gestaltete Fläche. Die Grünflächen und Baumpflanzungen nehmen 49 Prozent der Gesamtfläche ein (Tourismuspresse/Austrian Presse Agentur, 2022).

In der Planung wurde auch auf die Bodenentsieglung und das urbane Regenwassermanagement geachtet: In den Bereichen für Fußgänger:innen wurden Betonplatten des Typs SCADA stone proActive des Anbieters Godelmann verlegt (Godelmann, 2022). Bei den Stellflächen kamen 10,8 und 16,8 cm starke Rasengittersteine aus Beton zum Einsatz, wobei diese einen Abflussbeiwert von 0,25 aufweisen und somit bei starken Regenereignissen 75 Prozent der anfallenden Wassermenge versickern können (Abb. 3). Dies bedeutet, dass auf einer gepflasterten Fläche von insgesamt 6000 m² mit 48 Bus- und 230 Pkw-Stellflächen sowie 300 Baumpflanzungen für eine ausreichende Versickerung des Niederschlagswassers gesorgt wurde (VÖB a, 2022). Die hydroaktive Pflasterfläche am Arrival Center Schönbrunn trägt somit zur vor-Ort-Versickerung von Niederschlagswasser und zum urbanen grün-blauen Regenwassermanagementt bei.

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4. Hydroaktive Pflasterfläche mit Baumpflanzungen angrenzend an die Veranstaltungshalle Helmut-List-Halle in der Smart City Graz, Österreich. Foto: Anna Briefer

Im ehemaligen, heterogenen Industriegebiet nahe dem Grazer Hauptbahnhof in Österreich entsteht derzeit ein neuer energieautarker Stadtteil auf einer Fläche von 127.000 m² – die Smart City Graz. Im Rahmenplan ist unter anderem eine Grün- und Freiflächenstrategie mit einer öffentlichen Parkanlage sowie einem Platz inkludiert, ergänzt mit einer Baumreihe entlang der nun verbreiterten Waagner-Biro-Strasse (Stadtbaudirektion Graz, 2022).

Die Freiflächenanlage rund um die Helmut-List-Halle in der Smart City Graz wurde neugestaltet, wobei die Pflanzung von Bäumen sowie der Einsatz von hydroaktiven Pflasterflächen in Abstimmung mit den Bedürfnissen eines Veranstaltungsortes im Vordergrund standen (VÖB b 2022). Notwendige Hauptwege zur Halle wurden auf das Notwendigste reduziert und mit fugenlosen Ortbetonflächen ausgestattet. Auf der restlichen Platzfläche wurde Betonpflaster mit offenen Fugen, Grüninseln und Kiesstreifen zur Wasseraufnahme sowie Baumpflanzungen vorgesehen. Anfallendes Oberflächenwasser vom Vorplatz fließt direkt in angrenzende Kiesstreifen, welche mit dem unterirdischen Sicker- und Speicherkörper verbunden sind. Darin gespeichertes Regenwasser versorgt die Pflanzungen (Voura, 2022). Die Platzfläche charakterisiert sich durch Multifunktionalität bei Veranstaltungen in der Helmut-List-Halle in Kombination mit Nutzung von Niederschlagswasser zur Kühlung der Umgebungsluft und zur Bewässerung der Bepflanzung durch gezielte Einleitung in Baumscheiben und Grünflächen (Abb. 4). Die 18 cm dicken Betonpflastersteine erlauben schwere Belastung mit Lkw oder Stapler. Darunter befindet sich der bereits genannte großflächiger Sicker- und Speicherkörper (VÖB c, 2022).

Diese Umsetzung in der Smart City Graz zeigt, dass die Kombination von hydroaktiven Pflasterflächen mit Grünflächen sinnvoll möglich ist. Zukünftige klimafitte Stadtquartiere sind multifunktionell zu planen und umzusetzen.

Forschungsprojekt Coolways – erste Erkenntnisse

Grüne Bauweisen lassen sich auf vielfältige Weise im urbanen Kontext anwenden. In Freiräumen sind Baumpflanzungen häufig das Mittel der Wahl, um für ein besseres Stadtklima zu sorgen. Urbane Plätze und Verkehrsflächen stellen dagegen aus Sicht der Begrünung auf Grund der Nutzungsanforderungen häufig ein unlösbares Problem dar. Nächtliche Thermalaufnahmen von europäischen Städten zeigen, dass große Straßenzüge und Plätze abhängig von der Helligkeit des Flächenbefestigungsmaterials einen wesentlichen Beitrag zur nächtlichen Überwärmung leisten. Baumpflanzungen und Entsiegelungen kommen für diese stark genutzten urbanen Flächen nicht oder nur sehr eingeschränkt in Frage.

Hier setzt das EUROSTARS-Projekt "Coolways – Development of a smart sensor controlled adiabatic cooling and attenuating paving technology" an. Ziel des Projekts ist es, eine vollkommen nutzbare Oberflächenbefestigung für die Stadt zu entwickeln, welche sich nicht aufheizt und somit für einen verbesserten thermischen Komfort sorgt. Im Jahr 2020 begann das transdisziplinäre Projektkonsortium (Green4cities GmbH, Weißenböck Baustoffwerk GmbH, Raintime GmbH, Gartenhof Küsters GmbH, Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau sowie Institut für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz BOKU Wien) mit der Entwicklung der innovativen Coolways-Technologie.

In der ersten Phase lag der Fokus auf der Entwicklung der Bauweise dieser neuartigen Oberflächenbefestigung, der Materialforschung sowie der Abklärung von regulativen Rahmenbedingungen. Die Herausforderung bestand darin, dass konventionelle Pflasteraufbauten beispielweise aus Gründen der Frostsicherheit sowie der Tragfähigkeit so errichtet werden, dass Oberflächenwasser – wenn es einsickert – möglichst rasch nach unten in den Aufbau und den anschließenden Boden abgeleitet wird. Im Gegensatz dazu soll beim neuen System das Wasser außerhalb der Frostperiode und bei moderaten Lastszenarien in der oberen Tragschicht und der Bettung bleiben. Es wird gesammelt und zur adiabaten Kühlung über den Coolways-Stein genutzt. Überschusswasser wird gezielt in Regenwasserspeicher geführt, die Teil der Konstruktion sind. Betonpflastersteine werden gewöhnlich so produziert, dass sie möglichst wenig Wasser aufnehmen. Die Funktion der Coolways-Technologie erfordert im Unterschied dazu Pflastersteine, welche das angestaute Wasser kapillar nach oben fördern. Dabei darf jedoch gleichzeitig die Stabilität, Belastbarkeit sowie Frost-Tau-Widerstandsfähigkeit kaum beeinträchtigt werden. Durch die Entwicklung einer neuen Rezeptur im Einklang mit einer optimierten Prozessführung in der Produktion ist es im Forschungsprojekt gelungen, einen Betonstein zu entwickeln, welcher sowohl den genannten technischen Anforderungen entspricht und gleichzeitig eine hohe Kapillarität aufweist.

Coolways-Aufbauten benötigen neben dem passenden Systemaufbau Wasser, um ihre kühlende Wirkung zu erzielen, welches sie vorzugsweise aus Niederschlagswasser beziehen. Woher das Wasser stammt, ist grundsätzlich unerheblich. Um jedoch große Oberflächen benetzen zu können, wird entsprechend mehr Wasser benötigt, welches im Bezug zum nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser von einer 'unerschöpflichen' Quelle stammen sollte. Neben Trinkwasser aus dem Verteilnetz und dem anstehenden Grundwasser, steht im urbanen Raum die Nutzung des natürlichen Niederschlags inklusive dessen Speicherung beim System Coolways im Vordergrund. Auch aufbereitetes Abwasser (Grauwasser) kann in niederschlagsarmen Gebieten diese Quelle darstellen. Wenn die Möglichkeit besteht, den Speicher aktiv zu betreiben und ihn bei Bedarf vor einem Starkregenereignis zu entleeren, kann mit dem System ein aktiver Beitrag zum Überflutungsschutz im urbanen Raum geleistet werden.

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5. Feldversuchsfläche mit dem eingebauten Coolways-System am Betriebsgelände des Projektpartners Gartenhof Küsters GmbH in Neuss/Nordrhein-Westfalen, Deutschland. Im Vordergrund ist der Coolways-Testplot eingebaut, dahinter anschließend befinden sich ein konventionelles Pflaster als Vergleich. Foto: Peter Küsters
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6. Thermalbild der Feldversuchsfläche: Oberflächentemperatur des Coolways-Testplots mit 33,8 °C (Messpunkt 1) im Vergleich zu konventioneller Pflasterung mit 39,7 °C (Messpunkt 3). Eine deutliche Kühlwirkung der Coolways-Steine ist ersichtlich. Foto: Peter Küsters

Da die Konstruktion vorsieht, das Wasser während eines Benetzungsvorgangs an die Oberfläche zu pumpen, müssen sowohl die hygienischen als auch physikalisch-chemischen Aspekte während der Nutzung berücksichtigt werden. Vor allem der Abfluss von urbanen Oberflächen ist unter anderem auch mit hygienisch bedenklichen Mikroorganismen kontaminiert. Der mögliche Kontakt für Menschen und Tiere mit dem genutzten Wasser ist daher auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Bei der Konstruktion der Coolways wurde daher darauf Bedacht genommen und auf mögliche Wachstumsvorteile verschiedener mikrobieller Spezies in den unterirdischen Verteilsystemen und den oberirdischen offenen Fugen und Pflastersteinfläche eingegangen. Die Minimierung von notwendigen Wartungs- und Pflegegängen ist durchgedacht, konstruktiv gelöst, sowie Zugänglichkeiten sind überlegt.

Aufbauend auf den Betestungen der Coolways im Labor entstand in einer zweiten Phase eine erste Fläche als Feldversuch am Standort des Projektpartners Gartenhof Küsters GmbH in Neuss/Nordrhein-Westfalen, Deutschland. Der Errichtungsprozess wurde eingehend dokumentiert und stellte sich als unproblematisch dar, da konventionelle Bautechniken aus dem Landschaftsbau zur Anwendung kamen – jedoch in einer gänzlich neuen Konfiguration. Der Feldversuchsstandort befindet sich in der Zu- beziehungsweise Ausfahrt des Betriebsgeländes und ist somit einer realen, intensiven Belastung und Verschmutzung durch den Betriebsverkehr ausgesetzt. Ein entsprechendes Monitoring wird zeigen, wie sich diese Stressbelastung auf die Funktion des Systems auswirkt. Erste Messungen wurden bereits vorgenommen, um die Infiltration und Kühlleistung zu überprüfen, dazu wurden Beregnungsversuche und Thermalbildauswertungen durchgeführt (Abb. 5 und 6). Daraus wird die grundsätzliche Kühlfunktion der Coolways-Steine ersichtlich, wobei zwei Aspekte bedacht werden müssen: Eine erzielte 6 bis 14 °C geringere Oberflächentemperatur bedeutet a) eine erhebliche Reduktion der Wärmeabstrahlung; und b) es wird weniger Energie gespeichert und die Konstruktion kühlt wesentlich rascher ab.

Eine weitere Feldversuchsfläche am Gelände des Projektpartners Weissenböck Baustoffwerk GmbH in Österreich ist mit Sensortechnik für die Ermittlung des Energie- und Wasserhaushalts der Coolways-Technologie ausgestattet. Zusätzlich wird ein minimierter Aufbau im Klimakammerversuch unterschiedlichen Witterungsszenarien ausgesetzt und die Evaporationsleistung erfasst. Die so ermittelten Messwerte sollen schlussendlich auch in die ENVI-met Simulationstechnologie einfließen, wodurch die Wirkung der Coolways-Technologie in Planungen von Objekt- und Stadtquartierprojekten berechenbar gemacht wird. Außerdem wird voraussichtlich in Wien, Österreich eine erste reale Anwendung beziehungsweise Demonstration der neuen Coolways-Bautechnik realisiert.

Neben bekannten grün-blauen Regenwassermanagement-Lösungen soll die vorgestellte Coolways-Technologie die Möglichkeit bieten, urbane Bereiche mit moderatem Nutzungsdruck für die Zukunft klimafit zu gestalten. Sie verstehen sich als ein Baustein unter vielen, die gemeinsam lebenswerte und klimaresiliente Städte von morgen schaffen. Die ersten Ergebnisse der Forschung zeigen vielversprechende Resultate, genauere Erkenntnisse wird das intensive Monitoring bringen.

Schlussfolgerung

Planende, Ausführende, aber auch Stakeholder:innen und Auftraggeber:innen sind angehalten, ihre Entscheidungen hinsichtlich der Ausstattung von urbanen Freiflächen und ihrer Klimawandelanpassung zu überdenken. Konventionelle Lösungen reichen zukünftig nicht mehr aus, um den Siedlungsraum nachhaltig bewohnbar, lebenswert und sicher zu gestalten. Ein bewusstes Einbinden von grün-blauen Regenwassermanagement-Lösungen in die Städteplanung erscheint zum derzeitigen Stand des Wissens zielführend. Als multifunktionelle Oberflächenbefestigung wirken hydroaktive Pflaster- und Plattenflächen wasserspeichernd, -versickernd und -verdunstend bei gleichzeitiger Verkehrsfähigkeit. In Kombination mit anderen Bautechniken des grün-blauen Regenwassermanagements wie begrünten Mulden, Retentionsflächen oder -körper beeinflussen sie nachweislich den urbanen Wasserhaushalt und somit das städtische Mikroklima positiv – ein überzeugendes Argument, hydroaktive Pflaster- und Plattenoberflächen zur Befestigung von urbanen Oberflächen verstärkt zum Einsatz zu bringen.

Das Forschungsprojekt 'Coolways – Development of a smart sensor controlled adiabatic cooling and attenuating paving' (EUROSTARS-2 CoD 12: 113727) wird durch das Programm EUROSTARS-2 dankenswerterweise gefördert sowie durch die beiden nationalen Förderstellen Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG sowie Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG abgewickelt.

Angaben zur zitierten Literatur sind auf Anfrage bei den Autor:innen erhältlich! Anfragen können an ulrike.pitha(at)boku.ac.at gerichtet werden.

Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Ulrike Pitha
Autorin

stellvertretende Institutsleiterin

Universität für Bodenkultur Wien
Dipl.-Ing. Michael Gräf
Autor

wissenschaftlicher Projektmitarbeiter

Universität für Bodenkultur Wien
Dipl.-Ing. Dr. Bernhard Scharf
Autor

Senior Scientist

Universität für Bodenkultur Wien
B.Sc. Dipl.-Ing. Mag. Günther Frühwirt
Autor

wiss. Projektmitarbeiter

Universität für Bodenkultur Wien
B. Eng. Lars Mezger
Autor

studentischer Mitarbeiter

Universität für Bodenkultur Wien
Dipl.-Ing. Dr. Alexander Pressl
Autor

Senior Scientist

Universität für Bodenkultur Wien
Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Rosemarie Stangl
Autorin

Institutsleiterin

Universität für Bodenkultur Wien

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