Grenzerfahrung Spielplatzplanung: Wann wird ein Risiko zur Gefährdung?

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Kinder und Spielplätze gehören zusammen, sind untrennbar verbunden. Denken wir! Schauen wir deshalb zunächst auf das Phänomen Kindheit, um uns später dem Phänomen Spielplatz zu widmen.

Kinder benötigen für ein ganzheitliches, gesundes Wachstum ein eigenes Bild von sich selbst, von ihrer Umwelt, die sie sich zunächst spielerisch erobern. Dabei sind Grenzerfahrungen selbstverständlich, wie zum Beispiel der allererste eigene Schritt als Kleinkind. Wer wollte einem Menschen diesen Schritt verbieten? Kann das Kind doch beim ersten Versuch auch umfallen! Aber es beginnt diesen gewaltigen Versuch erst, wenn es spürt, dass Koordination und Muskelbild übereinstimmen und die durch Übungen erworbenen Fähigkeiten zum Erfolg führen.

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Das entscheidet das Kind in dieser Frühphase menschlichen Lebens ganz allein! Diese Entscheidungskompetenz zu erlernen, gilt es Kindern zu ermöglichen. Kinder müssen sozusagen auf das Abenteuer des Lebens unorganisiert vorbereitet werden. Deshalb brauchen Kinder ein eigenes, persönliches Bild von Gefahren. Informationen aus zweiter Hand lehren weder kalt noch warm, auch nicht dunkel oder hell, nicht hoch und tief. Kinder, die nicht erfahren und erleben, was es bedeutet, eine Strecke von zum Beispiel 1 km zu laufen, oder einen Baum zu erklettern, lernen nicht zutrauen zu haben in die eigenen Fähigkeiten. Deshalb sind Grenzerfahrungen ein gesunder Alltagsprozess. Aber Kinder leben zunehmend ein Leben aus zweiter Hand, von erwachsenen Menschen sozusagen vororganisiert, teilweise erzwungen. Nicht nur die freie Zeit, sondern auch Freiräume werden im wahrsten Sinne des Wortes vororganisiert. Es gibt kaum noch für das unorganisierte Handeln von Kindern freie Räume.

Kinder leben ein Leben aus zweiter Hand und dieses Leben verhindert die eigenen Abenteuer, das Leben in echt. Nicht ohne Grund sind Kinder in der sogenannten westlichen Welt zunehmend körperlich ungeübt, teilweise zu dick, können nicht mehr 1 oder 2 km spielerisch zu Fuß laufen, ohne aus dem Atem zu kommen. Krankheiten bei Kindern wie Diabetes sind Wohlstandskrankheiten und gerade bei Kindern auch auf Bewegungsmangel zurück zu führen. Sitzen als ungesündeste Körperhaltung führt zu irreparablen Schäden im Knochengewebe und im Muskelbild. Und wenn Kinder dann doch nicht still sitzen, sich aufgrund von Bewegungsmangel nicht konzentrieren können, werden sie stigmatisiert und bekommen Medikamente.

Kinder benötigen aber für ein gesundes Leben: selbstwirksames Spiel, die notwendigen Freiräume für neugier- und erkundungsgesteuertes, interaktives und selbstbestimmtes Handeln. Dabei erwerben sie Risikokompetenz für eine ganzheitliche, gesunde Entwicklung. Erwachsene aber haben Ängste, sehen oft im kindlichen Handeln, gerade auf Spielbereichen, Gefahren, auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass ein schlimmer Unfall passiert. Fachleute rufen deshalb schon zur Rettung der Kindheit auf. Denn nur im beim Spielen, am Besten mit und in der Natur entfalten sich seelische, körperliche und geistige Potenziale, die Kinder zu erfüllten Menschen werden lassen.

Nun wollen wir Erwachsene Kindern aus oben genannten Gründen spannende Spielerlebnisse ermöglichen, gönnen ihnen Abenteuer, die wir selber als Kinder erleben konnten - ohne Wissen der Eltern. Dabei spielen Erlebnisse, die wir draußen erlebt haben, überwiegend die größte Rolle. Spielplätze sollen dabei helfen, diese Abenteuer zu erleben.

Betrachtet man aber die bestehenden Spielangebote und Spielflächen, so muss man eine immer gleichförmigere Designsprache feststellen. Eine relativ uniforme Möblierung. Mit verantwortlich für diesen Umstand sind einflussreiche Sicherheitsnormen aus der EN 1176-Reihe, die seit 1998 auf europäischer Basis erarbeitet wurden.

Die Anwendung dieser Normen bei der Planung und Gestaltung von Spielbereichen löst bei vielen Verantwortlichen zum einen eine Vermischung von Gefahr und Risiko aus. Zum anderen werden kreative Denkprozesse verhindert, da Planungen von Objekten und ganzen Spielräumen scheinbar Vermeidungsplanungen sind. Risiken sollen unter allen Umständen vermieden werden.

Unabhängig von der tatsächlichen, präventiven Verantwortung für das Kindeswohl, liest man aber auch in der Einleitung der EN 1176-1 eindeutige Aussagen zur Notwendigkeit von Risiko im kindlichen Spiel. Gleichzeitig wird dort klargestellt, dass eine vollständige Vermeidung von Unfällen nicht möglich und auch nicht Ziel der Norm ist:

"Die Risikoakzeptanz ist ein wesentlicher Gesichtspunkt von Spielangeboten und von allen Umgebungen, in denen Kinder erlaubterweise ihre Zeit mit Spielen verbringen."

"… unter Berücksichtigung der Eigenarten des kindlichen Spiels und der Art, wie Kinder vom Spielen auf dem Spielplatz hinsichtlich ihrer Entwicklung profitieren, müssen Kinder lernen, mit Risiken fertig zu werden."

"Das kann auch zu Prellungen, Quetschungen und sogar gelegentlich zu gebrochenen Gliedmaßen führen …".

Es ist das Ziel von spannenden Außenwelten für Kinder eigene Abenteuer zu ermöglichen. Wer für Kinder spannende Welten bauen will, muss dabei das ganze Kind im Blick haben, um gesunde Entwicklungen zu ermöglichen. Das Erwerben von Risikokompetenz ist ein erklärtes Ziel von Spielplatzplanungen und -gestaltungen für eine gesunde Kindsentwicklung. Es gilt mit hoher Fachkompetenz "ein kalkulierbares Risiko" anzubieten und gleichzeitig das Regelwerk für Sicherheit zu beachten.

Damit Kinder lernen Gefahren einzuschätzen müssen Spielabläufe sehr herausfordernd sein, wie zum Beispiel ein bekletterbarer Baum, oder unordentlich gestaltete Wege und Klettersteige wie in den Bergen. Hierbei stürzen Kinder ja auch nicht ständig hin. Sie passen sich ihrer Umgebung entsprechend ihrer Fähigkeiten an und erwerben je nach Schwierigkeitsgrad beim Klettern oder Laufen mehr koordinative und sensomotorische Fähigkeiten. Das macht sie glücklich und bestärkt Kinder in ihrem Tun. Sie haben Erfolg!

Jeder Schritt, jeder Griff ist neu, anders und wird der Umgebung angepasst. Insofern entscheidet das Kind selbst über die Geschwindigkeit bei der spielerischen Eroberung des Raumes. Kinder fühlen sich selber sicher, wenn sie komplexe Herausforderungen beherrschen. Es ist eine falsch vermittelte Sicherheit, wenn Spielgeräte vollkommen sicher erscheinen und Kindern eine falsche Welt vorgaukeln.

Wenn ein Spielplatz anspruchsvoll konstruiert ist mit bestimmten Schwierigkeitsfiltern mit herausfordernden, nicht überschaubaren und "schwer" erkletterbaren Objekten, ergibt sich anhand der Schwierigkeitsgrade der Spielelemente eine natürliche Auslese dafür, welches Kind, wo spielt. Kinder passen die zu erkletternde Höhe automatisch ihren Fähigkeiten an.

Mit spielerischen Übungen qualifizieren sich die Kinder sozusagen mittels ihrer körperlichen Fähigkeiten für das höhere Risiko. Diese Aspekte spielen bei der Gestaltung von Spielbereichen und Spielgeräten, sowie in der Anwendung der entsprechenden Normen aus den Bereichen der EN 1176 zu wenig Berücksichtigung.

Zudem muss an dieser Stelle die DIN 18034 - Spielplätze und Freiräume zum Spielen, Stand 2015 (ist gerade in Überarbeitung) genannt werden. Diese Norm, eine bindende Richtlinie für alle Spielplatzplaner und -entwickler, beschreibt die Freude am Abenteuer und das Bestehen eines Risikos als Bestandteil des Spielwertes, welches im Rahmen kalkulierter spielerisch-sportlicher Betätigung erwünscht ist.

Aber leider werden die Normen, oft zu Lasten der gesunden, eigenverantwortlichen Entwicklung der Kinder, immer noch weiter verschärft. Es haben sich zwar nicht mehr nennenswerte Unfälle auf Spielplätzen ereignet. Aber es gibt neue technische Prüfmethoden, es gibt europaweit immer wieder Einzelfälle, die zur Regel erhoben werden. Fast gar nicht oder zu wenig wird bei Unfällen geprüft, ob Kinder nicht einfach auch ungeübt sind. Des Weiteren ist ja auch zu bedenken, dass die Mitglieder des entsprechenden Normenausschusses überwiegend aus der freien Wirtschaft der Unternehmen kommen, die auch wirtschaftliche Interessen vertreten.

Natürlich werden Regelwerke benötigt, wichtig bleibt aber: Spielplätze dürfen keine Sicherheitshochburg sein. Es gibt kein Spiel ohne Risiko - risikoreiches Spielen ist bedeutend für die gesunde Entwicklung eines Menschen. Sicherheitsprüfungen auf Spielbereichen müssen zunehmend Risikoabwägungen sein und dürfen sich nicht (nur) an Gegenständen fixieren, da Kinder ihr Verhalten entsprechend der Umgebung verändern - sich anpassen. Das Ziel der Normierung, Kindern Abenteuer zu ermöglichen, darf nicht aus dem Auge verloren gehen.

Autor

Landschaftsarchitekt

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