Erste Umsetzung der Ergebnisse der Innovationskonferenz 2020 im Rahmen des Auftaktprojektes Sportanlage Snitgerreihe in Hamburg

Urbaner Sportstättenbau

von:
Die Sportinfrastruktur in wachsenden Städten und Ballungsgebieten muss sich nicht nur in Zukunft, sondern bereits gegenwärtig großen Herausforderungen stellen. Eine fortschreitende Reduzierung der insgesamt zur Verfügung stehenden Flächen bei gleichzeitig stetig ansteigender Einwohnerzahl generiert eine Konkurrenzsituation, die in der Planung von urbanen Sportstätten zu Ansätzen führen muss, die über den sportfunktionellen Tellerrand hinausblicken.
Freizeitanlagen
Baubeginn auf der Sportanlage Snitgerreihe, Abbruch. Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau

Ausgangslage

Die städtische Sportinfrastruktur muss, da sie flächenmäßig gerade in dichtbesiedelten Bereichen kaum anwachsen kann, auf eine hocheffiziente, vor allem aber auch vielfältige Nutzung ausgerichtet sein. Nur so wird sie als fester Bestandteil der sozialen Infrastruktur ihre wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen und sich gleichzeitig weiteren urbanen Interessensbereichen öffnen können.

Natürlich muss die urbane Sportanlage als traditioneller Sportraum den nutzenden Vereinen sehr gute Rahmenbedingungen für den Breiten- und Vereinssport bieten - und zwar ganzjährig, verlässlich und hochbelastbar. Gleichzeitig muss sie aber auch möglichst auf alle Bedürfnisse verschiedenster Nutzergruppen eingehen, damit diese ihre wichtigen gesellschaftlichen und sozialen Aufgaben (wie z. B. den Kinder- und Jugendsport, aber auch die Integration) optimal wahrnehmen können.

Auch weitere städtische Interessen und Leitlinien jenseits der reinen Sportfunktion gilt es dabei zu berücksichtigen. Zu den zuvor beschriebenen funktionellen kommen globale Herausforderungen hinzu. Sportanlagen sollen nachhaltig sein und die ökologischen, ökonomischen, soziokulturellen, funktionalen, technischen und prozessualen Qualitäten in den Merkmalen des jeweiligen Standorts erfüllen, auch wenn sich diese nicht selten unvereinbar gegenüberstehen. Gesellschaftlich steht dabei ein gesteigertes Umweltbewusstsein im Vordergrund, so soll eine Sportanlage im Idealfall klimaneutral sein und darf gleichzeitig ökonomische Zwänge nicht unberücksichtigt lassen.

Das Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau möchte im eigenen Verantwortungsbereich der städtischen Sportinfrastruktur neue Wege gehen beziehungsweise die etablierten Wege einer eingehenden Prüfung unterziehen. Das betrifft natürlich die Sportinfrastruktur in ganzheitlicher Betrachtung, auch wenn im Bereich der Sportfreianlagen in den Großspielfeldern ein Schwerpunkt gesehen werden muss. Diese bilden weiterhin das Rückgrat der öffentlichen Sportinfrastruktur in den Freianlagen. Der Erkenntnis, dass es in der beschriebenen Gemengelage eines urbanen Raums wie Hamburg aktuell keine Alternative zum Kunststoffrasen gibt¹) muss die Konsequenz folgen, mit eben diesem Produkt verantwortungsbewusst umzugehen und nach Alternativen zu dem am Markt etablierten zu suchen. Sei es im Bereich der Recyclingfähigkeit oder auch des Ressourcenschutzes.

NL-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Forstamtsrat*rätin (m/w/d) beim Amt für..., Köln  ansehen
Landschaftsarchitekt/-in (w/m/d), Wiesbaden  ansehen
Bachelor Fachrichtung Landschaftsarchitektur /..., München  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen
Freizeitanlagen
Sportanlage Dratelnstraße – Kunststoffrasen-Großspielfelder Nr. 99 und 100 in Hamburg. Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau
Freizeitanlagen
Innovationskonferenz "Urbaner Sportstättenbau 2020". Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau

Ein Modellvorhaben als Möglichkeit

Um in der zuvor beschriebenen Ausgangslage einen zukunftsweisenden, konzeptionellen Ansatz zu erzeugen, konnte durch das Bezirksamt Hamburg-Mitte über das "Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Städtebauförderung" eine Bundesförderung eingeworben werden.

Unter dem Dach der Nationalen Stadtentwicklungspolitik sollen dort beispielhaft Modernisierungs- und Anpassungsstrategien für den klimagerechten Umbau, für die Infrastruktur neuer Mobilitätsformen, für die Nachverdichtung sowie für das Nebeneinander von Sport, Wohnen, Freizeit und Gewerbe unter Berücksichtigung des sozialen Zusammenhaltes entwickelt werden.

Neben den zuvor genannten Zielsetzungen wurde im Zuge erster Abstimmungen mit dem Bund auch eine Schnittstelle zu bautechnischen (Kreislaufwirtschaft, Recycling, etc.) und planungsmethodischen (Multifunktionalität, Multicodierung, Ausrichtung am Freizeit- und Breitensport) Aspekten geöffnet, um entsprechend der Förderkriterien innovative und beispielgebende Ansätze zu konzipieren, in praktischer Anwendung zu prüfen und gegebenenfalls zu etablieren.

Diesem Ansatz folgend entstand das Konzept der Innovationskonferenz "Urbaner Sportstättenbau 2020", die am 7. und 8. September 2020 durchgeführt wurde. Fokuspunkte waren die grundsätzliche Annäherung an das Thema Nachhaltigkeit und die ganzheitliche Recherche nach sinnvollen Möglichkeiten, diese Erkenntnisse sofort umsetzen zu können²).

Auch dort fiel der Schwerpunkt der Betrachtung auf den Kunststoffrasen als essentieller Bestandteil urbaner Sportinfrastruktur. Die Suche nach einem Produkt oder System, welches sich an den Vorgaben der Kreislaufwirtschat orientiert, zudem auf Kunststoffgranulate als Einstreumaterial verzichtet und mit Blick auf dessen intensive Nutzung eine verlässliche und lange Lebensdauer sicherstellt, war eine Konstante in den Diskussionen der Expertinnen und Experten. Auch ein Leasing des Kunststoffrasens beziehungsweise die Einrichtung einer Rücknahmegarantie durch den Hersteller wurden erörtert. Nachgeordnet blieb aber die Frage zurück, wie man ein Produkt oder System mit diesen Eigenschaften über entsprechende Vergabesysteme verlässlich zur Anwendung bringen könnte.

Auftaktprojekt Sportanlage Snitgerreihe

Ziel der Innovationskonferenz war es, keine rein theoretische Diskussion zu führen, sondern konkrete baufachliche Ansätze für eine unmittelbare Umsetzung zu identifizieren. Die unmittelbare Anwendung dieser Ansätze soll als Möglichkeit genutzt werden, von Baumaßnahmen zu Baumaßnahme zu lernen oder nicht zielführende Wege als solche zu erkennen und diese zukünftig auszuschließen.

Das Auftaktprojekt für diesen Verfahrensweg bildet die Modernisierung der Sportanlage Snitgerreihe. Die Sportanlage kann für Hamburg durchaus als klassische, bezirkliche Sportanlage gesehen werden. Auf engstem Raum finden sich dort im Bestand ein Großspielfeld (Kunststoffrasen), leichtathletische Nebenanlagen inklusive Sprintstrecke (Kunststoff) und Weitsprunggruben sowie ein auf dem benachbarten Schulgrundstück gelegenes Umkleidegebäude. Ausgelöst durch die geplante Bautätigkeit auf dem Schulgrundstück sowie durch den generellen Erneuerungsbedarf der Sportoberflächen fand die Sportanlage Eingang in das Modellvorhaben.

Hinsichtlich der sportfunktionellen Zielsetzung war schnell klar, dass die Kernnutzungen fortgeschrieben werden sollten und somit eine Erneuerung der Kunststoffrasen- und Kunststoffflächen anstand. Diese Maßnahmeninhalte mussten durch die ebenfalls abgängigen Einfriedungen und Erschließungsachsen flankiert werden.

Über die Ziele des Modellvorhabens kamen zudem noch die Erneuerung der Flutlichtanlage, die Planung eines Sportfunktionsgebäudes sowie die Berücksichtigung eines ergänzenden, multifunktionellen Gebäudes mit auf die Agenda. Somit ergab sich eine umfassende Sanierung/Modernisierung der kompletten Sportanlage als funktionelles Ziel, welche nun in die baufachlichen Zielsetzungen des Modellvorhabens einzubetten war.

Um Fläche für das neue Sportfunktionsgebäude und Multifunktionsgebäude zu schaffen, musste das Großspielfeld verschoben und verkürzt werden, ohne das wettkampftaugliche Maß eines Fußball-Großspielfeldes zu gefährden. Die im Bestand gelegene Weitsprunganlage wurde vor diesem Hintergrund mit der Sprintstrecke kombiniert. Die zur Einhaltung der Immissionsrichtwerte erforderlichen, lärmmindernden Maßnahmen konnten auf die räumliche Begrenzung des Zuschauerbereiches auf Basis einer gutachterlichen Ermittlung begrenzt werden.

Freizeitanlagen
Lageplan Modernisierung Sportanlage Snitgerreihe. Abbildung: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau
Freizeitanlagen
Lageplan Modernisierung Sportanlage Snitgerreihe, Übergang zwischen Schule und Sportanlage. Abbildung: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau

Es war zudem ein erklärtes Ziel der Planung, die Sportanlage als Verbindung zwischen den beiden benachbarten Schulgrundstücken auszugestalten, um somit den Charakter eines offenen Campus zu verstärken. Dazu wird eine Zuwegung zum südlichen Schulgrundstück geschaffen. Es wurde daher im Sinne des Modellvorhabens und der Innovationskonferenz in Kooperation mit der Schule geplant und die Bedarfe der Schüler in entsprechenden Beteiligungsformaten eingesammelt. Die neu angelegten Wegeachsen verbinden die Sportanlage barrierefrei mit den Hauptwegeachsen der Schulgrundstücke. Entlang der Erschließungswege wurden auf dem Schulhof ein Streetballfeld sowie ein Multifunktionsfeld (Kleinspielfeld) geplant, welches die Sportangebote Fußball, Hockey und Basketball für die Schüler und die Öffentlichkeit (Vereine) bedienen soll. Auf dem Grundstück der Sportanlage entstehen im Übergangsbereich zur Schule ergänzende Freizeitsportanlagen (Bouldern, Calisthenics), die das Angebot der Gesamtanlage zukunftsgerecht ergänzen.

In den Planungsprozess wurden somit über die Kooperation und Beteiligung wichtige planungsmethodische Aspekte integriert, auf deren Bedeutung auch innerhalb der Innovationskonferenz hingewiesen wurde.

Besonderes Augenmerk verdienen aber die nachfolgenden baufachlichen und konstruktiven Ansätze. Die Wiederverwendung von bauseits vorhandenen Tragschichten wurde bereits im Baugrundgutachten geprüft und in der Umsetzungsplanung maximiert, um hier so ressourcenschonend wie möglich zu agieren. Herkömmliche und normgerechte Tragschichtmaterialien werden als endliche Ressource unter großem Aufwand abgebaut und müssen über weite Strecken transportiert werden. Da lokale verfügbare Materialien (z. B. Kiestragschichten) aber nicht der Normvorgabe entsprechen, liegt in der Wiederverwendung des ungebundenen bauseits vorhandenen Tragschichtmaterials dennoch großes Potenzial, gegebenenfalls unter Berücksichtigung eines Aufbereitungsprozesses (z. B. Einbringen von Stützkorn, Erzielung der erforderlichen Wasserdurchlässigkeit). Ebenso werden auch die bauseits vorhandenen Asphalttragschichten der Sprintbahnen aufbereitet und vor Ort als Baugrundverbesserung wieder eingebaut.

Zudem wurden die Möglichkeiten vor Ort auch dazu genutzt, das Entwässerungssystem der Sportanlage neu zu konzipieren. Geplant ist die Entkopplung der Anlage vom öffentlichen Mischwasserkanal. Das Niederschlagswasser der Sportfrei- und Nebenanlagen soll flächenhaft über den Kunstrasen- beziehungsweise Kunststoffbelag mittels rohrloser Sickergräben und über die bewachsene Vegetationsdecke versickern. Hierzu konnte eine Kooperation mit dem Forschungsprojekt "Sportplätze als Sickeranlagen" des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie etabliert werden. Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer neuen, nachhaltigen Bauweise zur Entwässerung von Sportanlagen. Niederschlagswasser soll bei wasserdurchlässigem Boden direkt auf dem Sportplatz über gefällelose Sickerpackungen im Untergrund versickern³).

Im Prozess der Planung wurde zudem der Blick auf das Kreislaufwirtschaftsgesetz und die in Paragraph 6 enthaltene "Abfallpyramide" gerichtet und der planerische Versuch gestartet, die Wiederverwendung von Materialien (Tragschichtmaterialen/Schüttgüter, Pflastermaterial, Einbauten etc.) zu maximieren und somit die Abfallerzeugung zu minimieren. Im Hinblick auf die derzeit laufende Realisierung und den Abschluss der Abbruch- und Erdarbeiten können wir mit einiger Gewissheit sagen, dass sich eine sehr günstige Massenbilanz einstellen wird, ohne dass die gestalterischen oder auch optischen Kompromisse untragbar wären.

Auch die kunststoffbasierten Rohstoffe vor Ort gehen in diesen Recyclingprozess ein. Die Kunststoffdecke der leichtathletischen Nebenanlagen wurde abgebrochen und vor Ort zu einem Granulat verarbeitet, welches zur Herstellung der neuen Kunststoffbeläge vollständig wiederverwendet wird. Bezüglich der bestehenden elastischen Tragschicht des Großspielfeldes wird eine identische Vorgehensweise vorgesehen. Der abgespielte Kunststoffrasenbelag wurde vor Ort mechanisch zerkleinert, vom Sand-Füllstoff getrennt und anschließend in einem Recyclingwerk stofflich verwertet.

Das aus diesem Prozess resultierende Granulat kehrt dann als Rohstoff nach Hamburg zurück, wo er in einem geschlossenen Kreislauf für die Herstellung weiterer Kunststoffrasen-Großspielfelder oder Kunststoffbeläge Verwendung finden wird (Verwendung als Zuschlag bzw. Hauptbestandteil der elastifizierenden Schicht).

Kunststoffrasen und Bewertungsmatrix

Ungeachtet dessen war es aber das Hauptanliegen, die Ansprache an ein neues Kunststoffrasensystem von einer rein wirtschaftlichen Betrachtung zu lösen und in Form einer systematischen Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsfaktoren vergaberelevant werden zu lassen.

In erster Instanz wurden daher die diesbezüglichen formellen Möglichkeiten geprüft, die sich vergleichsweise komfortabel darstellten. So steht es über die in Hamburg gültige "Verwaltungsvorschrift Bau" grundsätzlich zunächst einmal frei, auch andere Faktoren als die rein wirtschaftlichen als vergaberelevant zu deklarieren und diese auch im Vergleich zu den wirtschaftlichen Kriterien als Schwerpunkt zu gewichten. Eine solche Gewichtung muss transparent und nachvollziehbar für den Teilnehmerkreis dokumentiert werden - als sogenannte "Bewertungsmatrix".

Freizeitanlagen
Zur Wiederverwendung lagernde Baustoffe: Pflaster. Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau
Freizeitanlagen
Zur Wiederverwendung lagernde Baustoffe: Platten. Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau
Freizeitanlagen
Zur Wiederverwendung lagernde Baustoffe: Kunststoffrasenrollen. Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau
Freizeitanlagen
Zur Wiederverwendung lagernde Baustoffe: Kunststoffgranulat. Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau

Um eine solche Bewertungsmatrix zu generieren, galt es, sinnvolle Indikatoren zu definieren, aus denen eine valide Aussage zur Nachhaltigkeit eines Produktes oder Systems ableitet werden kann. Auf Basis der Erkenntnisse aus der Innovationskonferenz wurden folgende Kriterien für die Adressierung eines möglichst nachhaltigen Kunststoffrasens ausgewählt:

Der Anteil an Recyclingkunststoffen im Kunststoffrasen - ein möglichst hoher, nachweisbarer Anteil an rezyklierten Rohstoffen, der eine Bindung in der Kreislaufwirtschaft belegt.

Die Materialvielfalt im Kunststoffrasen - eine möglichst geringe Materialvielfalt im Kunststoffrasen, der eine Orientierung an der Kreislaufwirtschaft aufzeigt (Recyclingfähigkeit).

Die Langlebigkeit des Kunststoffrasens - ein Indikator für die Langlebigkeit der Fasern und des Trägergewebes, um Faserverlust, -verschleiß und -austrag zu minimieren. Um den Faserabrieb zu reduzieren, fiel die Entscheidung in diesem Zusammenhang auf einen teilverfüllten Kunststoffrasentyp (10-15 kg/m² Quarzsand zur Auflast des schwimmend verlegten Kunststoffrasens) auszuschreiben. Da die Typologie gemäß DIN EN 15330-1 diese Anforderungen nicht exakt wiedergibt, wurde letztlich ein Kunststoffrasen ähnlich Typ 8 abgerufen.

Die ersten Ansätze der Bewertungsmatrix wurden in einer kleinen Runde der Teilnehmer (Repräsentanten aus Forschung und Lehre sowie Gutachter- und Planungsbüros) der Innovationskonferenz erörtert und feinabgestimmt. Dabei kam es auch darauf an, in Form eines Abwägungsprozesses zwar ehrgeizige Ziele für den neuen Kunststoffrasen zu adressieren, jedoch auch die aktuellen Möglichkeiten der Hersteller und Produkte zu respektieren. Es galt also, nicht mit einer idealisierten Vergabe ins Leere zu laufen und "in Schönheit zu sterben", sondern den Markt im Rahmen seiner derzeitigen Möglichkeiten herauszufordern und einen Impuls für zukünftige Entwicklungen zu setzen.

Der diskutierte Entwurf der Bewertungsmatrix wurde dann im Rahmen einer vorgezogenen Information "an den Markt" gegeben, um alle potenziellen Bieter (alle Auftragnehmer und Anbieter, die in den letzten acht Jahren in Vergabeverfahren beteiligt waren) fair über diesen Verfahrensweg sowie über unsere Absicht zu informieren und ihnen Zeit zu geben, darauf - in welcher Form auch immer - zu reagieren. Zudem boten wir mit diesem Zwischenschritt den angeschriebenen Teilnehmern am Markt an, sich über entsprechendes Feedback am Prozess zu beteiligen und ihn somit mitgestalten zu können - wovon größtenteils auch Gebrauch gemacht wurde.

Im Regelfall wurden konstruktive Impulse geliefert, wie zum Beispiel die Fragestellung, ob nicht eine generelle Überprüfung der Klimaneutralität eine sinnvolle Ergänzung sei. Zudem wurden die derzeitigen Möglichkeiten und Grenzen des Handelns aufgezeigt und verständlicherweise auch Befürchtungen geäußert. Mit allen Bietern gab es neben einem Schriftwechsel auch kurzfristig anberaumte Sitzungen oder Videokonferenzen mit pragmatischen Ergebnissen, weshalb dieser Prozess insgesamt von uns als sinnvoll und erfolgreich angesehen wird.

Im Frühjahr 2022 gab es dann eine abschließende Abstimmung zur Bewertungsmatrix. Es wurde abschließend entschieden,

  • die Wirtschaftlichkeit mit 40 Prozent,
  • den Anteil rezyklierter Kunststoffe mit 25 Prozent,
  • das Verschleißverhalten mit 20 Prozent,
  • die Sortenreinheit mit 15 Prozent
  • bewerten.

Nachdem das Gesamtprojekt Snitgerreihe durch den Bund als Fördermittelgeber im Frühsommer 2022 freigegeben wurde, erfolgte die Vergabe der Bauleistungen. Die Submission erfolgte am 09. August 2022. Im Rahmen der Angebotsprüfung der Angebote ergaben sich im Kontext zum erstmaligen Einsatz der Bewertungsmatrix ("Version 1.0") folgende Ergebnisse und Erkenntnisse.

Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit wurde die Wertungssumme aus der geprüften Angebotssumme (EUR, netto) unter Berücksichtigung preislich günstigerer Grund- oder Wahlpositionen sowie eines eventuellen Nachlasses ohne Bedingungen und Gleitklauseln ermittelt. Das wirtschaftlich/preislich günstigste Angebot erhielt die Maximalpunktzahl, die weiteren Angebote wurden in Relation zum besten Angebot gewertet. Das preisliche Ergebnis im Teilnehmerfeld lag bei einem Quadratmeterpreis für den Kunststoffrasen von 22 bis 28 Euro/m² netto.

Freizeitanlagen
Spatenstich. Foto: Bezirksamt Hamburg-Mitte, Fachamt Bezirklicher Sportstättenbau

Der (nachweisbare) Anteil rezyklierter Kunststoffe (Rezyklate) bei der Herstellung des neuen Kunststoffrasens wurde berechnet, indem das Angebot mit dem besten nachgewiesenen Wert die Maximalpunktzahl (25) erhält und die weiteren Angebote in Relation zum besten Angebot gewertet werden. Der Nachweis zur Verwendung rezyklierter Kunststoffe war über eine Zertifizierung, aus der der Anteil von Recyclingkunststoffen sowie das Ursprungsland dieser Recyclingkunststoffe hervorgeht (z. B. ISCC Plus, RecyClass, DIN CERTCO/flustix-Zertifikat oder gleichwertig), zu führen. Wie von uns erwartet, war diese Anforderung ein begrenzender Faktor - lediglich ein Angebot konnte diese Anforderung einhalten.

Die Wertung des Verschleißverhaltens wurde auf Basis des etablierten Lisport-Tests vorgenommen. Der Kunststoffrasen sollte mindestens 40.000 Prüfzyklen unter Einfluss von Wärme und UV-Strahlung mittels Sonnensimulation gemäß Anlage B, RAL-GZ 944 und einer anschließenden Bewertung mit einer Note von mindestens 2 bis 3 (gem. Anlage A, RAL-GZ 944) nachweisen. Je mehr Zyklen jenseits der 40.000 nachgewiesen werden konnten, desto mehr Punkte erhielt das Angebot.

Der Nachweis des Verschleißverhaltens des angebotenen Kunststoffrasens ist durch ein nach ISO 17025 akkreditiertes Prüflabor zu erbringen. Hier stießen wir trotz Vorprüfung auf das Problem, dass keiner der Bieter den geforderten Nachweis der Lisportprüfung unter Einfluss von Wärme und UV mittels Sonnensimulation anbot. Hauptargument war, dass diese Tests bei rein sandverfüllten Systemen bisher nicht durchgeführt worden seien (mit maximierter Zyklenzahl).

Zum Nachweis der Ausrichtung an einem zukünftigen Recycling wurde die Sortenreinheit des Kunststoffrasens wie folgt gewertet. Die Bieter hatten nachzuweisen, aus wie vielen verschiedenen Materialien (Werkstoffe PP, PE, PU, Latex, Glasfaser etc.) der Kunststoffrasen (Belag aus Rückenbeschichtung, Trägergewebe und Faser) hergestellt wurde (Stichwort: "design for recycling"). Das Ziel war und ist die Ansprache eines "One Polymer"-Kunststoffrasens. Der Füllstoff, in unserem Fall Quarzsand, blieb bei dieser Betrachtung unberücksichtigt. Der Nachweis zur Sortenreinheit des angebotenen Kunststoffrasens ist durch ein nach ISO 17025 akkreditiertes Prüflabor zu erbringen.

Als Fazit für den Ersteinsatz der von uns gewählten Bewertungsmatrix kann festgehalten werden, dass der hohe Anteil der rezyklierten Kunststoffe bei der Herstellung des Kunststoffrasens ausschlaggebend war. Das in dieser Hinsicht beste und letztlich zu beauftragende Angebot war jedoch gleichzeitig das Produkt mit den meisten verwendeten Materialien (vier) und besitzt somit das geringste Recyclingpotenzial. Daher ist die Gewichtung aller Zuschlagskriterien (inklusive preisliches Zuschlagskriterium) zu überprüfen und ausgewogener auszutarieren.

Zudem sollte vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionen eine differenzierte Betrachtung und Bewertung des Recyclings in die Bewertungsmatrix aufgenommen werden (Post-Consumer-Recycling? Mechanisches Recycling? Pyrolyse? etc.), da es hier mit Blick auf die tatsächliche Nachhaltigkeit durchaus relevante Unterschiede gibt.

Bei der aktuellen Ausschreibung hatten alle Angebote zum Verschleißverhalten nur die Lisportprüfung ohne Einfluss von Wärme und UV-Strahlung nachgewiesen. Die formell richtige Bewertung von 0 Punkten für alle Angebote hatte aber keine Auswirkungen auf die Rangliste/Vergabe. Der Rückzug auf die einfache Lisportprüfung ohne Einfluss von Wärme und UV-Strahlung wäre nicht im Sinne der Nachhaltigkeit. Insofern ist die Bandbreite der Bewertung hier anzupassen.

Generell kann man bilanzieren, dass sich der Einsatz der Bewertungsmatrix gelohnt hat, aber nicht mehr als einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellt. Wie in der Mehrzahl solcher Prozesse gingen aus diesem ersten Schritt Erkenntnisse und Lerneffekte hervor, die in zukünftigen Anläufen beachtet werden müssen - sofern nicht andere Zertifizierungssysteme, wie beispielsweise der "Blaue Engel", einen solchen Ansatz gegebenenfalls unnötig machen.

Für den Moment sind wir beim Bezirklichen Sportstättenbau von diesem Weg überzeugt und werden ihn im Rahmen unserer Möglichkeiten weitergehen. Übrigens nicht nur in den Sportfreianlagen, sondern auch im Hochbau. In diesem Gewerk befindet sich derzeit die Ausschreibung des Sportfunktionsgebäudes im Vergabeprozess, die unter Einbeziehung einer Bewertungsmatrix auf die Verwendung von Second-Life-Baustoffen beziehungsweise Cradle2Cradle-Baustoffen fokussiert.

Die Baumaßnahme Snitgerreihe befindet sich seit dem 13. September 2022 in der Realisierung.

Quellenverzeichnis

1) 10. Hamburger Sportbericht, Tabelle Seite 8https://www.hamburg.de/hamburger-sportbericht/16314238/hamburger-sportbericht-artikel/.
2) "Kunststoffrasen im urbanen Sportstättenbau", Martin Thieme-Hack und Torge Hasuchild, Neue Landschaft, Ausgabe 03/2021.
3) "Einfach mal zurückhalten", Juliane von Hagen, Deutsches Architektenblatt, Ausgabe 09/2022.

Dipl.-Ing. Torge Hauschild
Autor

Bezirksamt Hamburg-Mitte

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle GaLaBau Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen