Neue Messdaten
Belastung von Altbäumen durch Wind
von: Thomas SinnFür die Wind- und Dehnungsmessungen wurden diesmal zwei bereits gekappte, 220 Jahre alte Blutbuchen (Fagus sylvatica f. purpurea) ausgesucht. Die nachfolgend beschriebenen Untersuchungen mit einem Belastungstest konnten wegen standörtlicher Gegebenheiten nur an einem der beiden Bäume durchgeführt werden.
Die Baumdaten
Baumhöhe = 18,3 Meter, Stammumfang in circa 1,3 Meter, Höhe = 7,02 Meter, H/D-Wert = 8, Windangriffsfläche = 233 Quadratmeter, Windlastmoment = 889 Kilonewtonmeter (für cw 0,43), Windlastschwerpunkt = 12,3 Meter.
Der Baum war zum Zeitpunkt der Untersuchungen im Sturm noch immer fast voll belaubt.
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Die Windgeschwindigkeitsmessungen erfolgten in einem ersten Arbeitsschritt während des Sturmereignisses mit Schalenkreuzanemometern in verschiedenen Höhen. Ausschlaggebend war die Windgeschwindigkeit im Windlastschwerpunkt in 12,3 Meter Höhe.
Mit hochauflösenden Dehnungsmessgeräten konnten gleichzeitig Stammdehnungen bis zu einer Windgeschwindigkeit von etwas mehr als 13 Meter pro Sekunde gemessen werden.
In einem zweiten Arbeitsschritt wurde bei Windstille der Baum mit einem Handseilzug so weit belastet, bis die im Sturm gemessenen Dehnungen in der gleichen Belastungsrichtung an den gleichen Stellen am Stamm wieder erreicht wurden.
Dies war bei einer Zugbelastung von rund 146,9 Kilonewtonmeter der Fall (dies entspricht der Masse einer Gewichtskraft von rund 15 Tonnen).
Daraus kann auf einen Luftwiderstandsbeiwert cw von 0,41 bis 0,43 für Windstärke 12 (Orkan) geschlossen werden.
Dieselben, für Bäume hohen, cw-Werte ergaben sich bei einer im Jahr 2002 untersuchten Stieleiche (Quercus robur) mit einem Stammumfang von fast 6 Meter, über die in früheren Beiträgen berichtet wurde.
Dieses Wissen ist neu. Noch nie wurde der Strömungswiderstandskoeffizient von so alten Bäumen gemessen.
Die Wahl eines zutreffenden Luftwiderstandsbeiwertes cw beeinflusst die Ergebnisse von Messungen zur Baumstatik entscheidend. Im Fall der untersuchten Blutbuche würde ein cw-Wert von 0,25 zum Beispiel ein Windlastmoment von nur 531 Kilonewtonmeter ergeben. Im Ergebnis würde der Baum durch die Wahl dieses unzutreffenden cw-Wertes 1,4-fach sicherer beurteilt als tatsächlich gegeben. Die Konsequenz kann ein Baumversagen sein, wie es im Rhein-Main-Gebiet wenige Wochen nach der statisch integrierten Zugmessung durch einen Berufskollegen im Oktober 2022 an einer mehr als 300 Jahre alten Stieleiche mit der Folge erheblicher Sachschäden stattfand.
Neue Werte führen zu neuen Erkenntnissen. Die Luftwiderstandsbeiwerte cw werden nicht von der Baumart, aber in hohem Maße von der Flexibilität der Bäume bestimmt. Die Flexibilität geht wiederum mit dem H/D-Wert einher. Die Baumhöhe hängt oftmals zusammen mit der Kronengröße und damit dem cw-Wert.
Durch die Bildung einer Verhältniszahl aus H/D-Wert und Baumhöhe lässt sich eine Gesetzmäßigkeit zwischen der Baumform und dem cw-Wert erkennen.
Ich habe sie im "Handbuch Baumstatik" erstmals als "cw-Indexzahl" vorgestellt.
Die Indexzahl hilft in der Baumstatik der einfacheren Zuordnung von realistischen Luftwiderstandsbeiwerten cw je nach der Baumform.
LITERATUR
- Thomas Sinn: Belastung von Altbäumen durch den Wind. NEUE LANDSCHAFT (2003) Heft 2, Patzer Verlag.
- Thomas Sinn: Belastung von Altbäumen durch den Wind. PRO BAUM (2007) Heft 2, Seite 8-10, Patzer Verlag.
- Thomas Sinn: Sachstand zum cw-Wert von Bäumen. PRO BAUM (2017) Heft 2, Seite 20-21, Patzer Verlag.
- Thomas Sinn: Handbuch Baumstatik. Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co., Wie- belsheim (2022), 615 Seiten.