Neue Impulse für die städtische Baumpolitik
Brauchen wir noch ganz andere Zukunftsbäume? (Teil 2)
von: Jonas Reif
Ausgangspunkt für den Artikel ist die gemeinsam vom Bund deutscher Baumschulen (BdB) und Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) herausgegebene Broschüre "Zukunftsbäume für die Stadt – Auswahl aus der GALK-Straßenbaumliste" mit 65 Baumarten und -sorten (2020). Im ersten Teil des Artikels wurde verdeutlicht, dass selbst bei strikter Berücksichtigung diese Publikation nur eine bedingte Erhöhung der Artenvielfalt zu erwarten ist.
Empfehlungslisten haben oftmals den Nachteil, dass sie den Blick verengen und längst nicht das Mögliche zeigen. Dies gilt insbesondere für Listen, die die Vielfalt fördern wollen. Im schlimmsten Fall erreichen sie damit das Gegenteil. Es wäre hinsichtlich der Artenvielfalt wenig gewonnen, wenn Berg-Ahorn, Rosskastanie, Gemeine Esche und Platane nur mengengleich gegen Feld-Ahorn, Lederhülsen-, Amber- und Schnurbaum ausgetauscht werden.
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Noch mehr neue Baumarten?
Der wohl naheliegendste Weg, die Artenvielfalt in Städten zu erhöhen, liegt in der Verwendung weiterer, bislang nicht oder wenig genutzter Arten. Einen guten Überblick hierzu gibt unter anderem Philipp Schönfeld in der Veröffentlichung "Klimabäume – welche Arten können in Zukunft gepflanzt werden?" (2019). Ähnlich argumentiert auch Prof. Dr. Jürgen Bouillon in seinen beiden Artikel-Teilen "Stadtbäume für die übernächste Generation – Keine Angst vor Klimabäumen". Die von ihm aufgeführten "Empfehlenswerten Klimabäume" sind sicherlich nicht nur für den Betrachtungsraum Raum Osnabrück relevant.
Dabei sind jedoch zwei Punkte von Bedeutung: Sind diese "neuen" Arten grundsätzlich für eine Verwendung in mitteleuropäischen Städten und Straßen geeignet? Und sind diese Arten dann auch durch Baumschulen lieferbar?
Eine umfassende Erprobung neuer Arten ist nicht nur langjährig, sondern auch umfangreich notwendig, wenn Daten an verschiedenen Standorten erhoben, verglichen und bewertet werden sollen – wie schon die Versuche der GALK und des bayrischen Projektes "Stadtgrün 2021" gezeigt haben beziehungsweise zeigen. In diesem Sinn ist eine Fortsetzung und Ausweitung derartiger Untersuchungen zu begrüßen und sollte von möglichst vielen Städten im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt werden. Wünschenswert wären zudem regionale Versuche, um standortspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen und neue Charakter-Arten für einzelne Städte auszuloten.



Blick nach Osten und Westen
Auch wenn klimatische Unterschiede zu Nordamerika, Südost-Europa oder Ost-Asien bestehen, lassen sich bei vielen Arten Parallelen zur Eignung als (innerstädtischer) Straßenbaum ableiten: Was ist den USA oder China funktioniert, sollte – bei ausreichender Klimaverträglichkeit – auch in Deutschland neben Fahrbahnen bestehen.
In den nordöstlichen US-Bundesstaaten und Kanada werden nach eigener Beobachtung derzeit verstärkt Westlicher Zürgelbaum (Celtis occidentalis), Geweihbaum (Gymnocladus diocus) und Virginsche Traubenkirsche (Prunus virginiana) gepflanzt, die auch bei uns unproblematisch gedeihen. Selbst die in den Südstaaten zunehmend verwendeten Arten Pistacia chinensis, Ulmus parviflora und Celtis reticulata sollten in kontinentaleren Städten Deutschlands gut wachsen.
China dürfte uns noch mehr geeignete Arten aufzeigen. So kommen in Peking neben der Hauptbaumart Styphnolobium japonicum (Anteil 2020: circa 44 %) und weiteren, schon genannten Arten unter anderem Fraxinus pennsylvanica (10 %) und Populus tomentosa (8 %) (Xiaoyang 2023) zahlreich vor. Intensiv mit der chinesischen Stadt- und Straßenbaumflora hat sich Prof. Dr. Andreas Roloff (2016, 2018) auseinandergesetzt. Leider sind noch immer viele der von ihm empfohlenen "Top 10"-Bäume aus dem Reich der Mitte kaum erhältlich.
- Celtis bungeana (Bunges Zürgelbaum)
- Eucommia ulmoides (Guttaperchabaum)
- Fraxinus chinensis (Schnabel-Esche)
- Platycarya strobilacea (Zapfennuss)
- Populus tomentosa (Chinesische Silber-Pappel)
- Quercus mongolica (Mongolische Eiche)
- Tilia mandshurica (Mandschurische Linde)
- Ulmus pumila (Sibirische Ulme)
- Ziziphus jujuba (Chinesische Dattel) (nach Roloff 2019)
Die Liste geeignet erscheinender Arten ließe sich noch lange fortsetzen. Größte Herausforderung bleibt dabei, dass entsprechende Arten auch in den Baumschul-Sortimenten aufgenommen werden. Dies stellt angesichts von nicht unerheblichen Vorlaufzeiten und ungesichertem Absatz ein hohes wirtschaftliches Risiko für Baumschulwirtschaft dar. Kommunen sollten im Rahmen ihrer (begrenzten) Möglichkeiten ein Teil dieses Risikos tragen, zum Beispiel indem sie neue Arten auch jenseits von eigenen Standards verwenden und geringere Qualitäten akzeptieren.



Neue Konzepte und ganz andere Arten
An einigen städtischen Standorten stellt sich jedoch die Frage, ob allein eine Umstellung auf andere Baumarten ausreichend ist, um den örtlichen Herausforderungen gerecht zu werden. Bislang herrscht die Denkweise vor, dass man Bäume "dauerhaft" pflanzt (dies manifestiert sich unter anderem in den Baumschutzsatzungen). Pflegemaßnahmen, die mit zunehmenden Alter in der Regel mit höheren Kosten verbunden sind, sollen sicherstellen, dass Bäume auch noch in der spätadulten/senilen Lebensphase "straßenkonform" bleiben. Zumeist wird ein Baum erst dann gefällt, wenn er aus sicherheitsrelevanten Gründen nicht mehr zu retten ist.
Auch bei der Neupflanzung von Bäumen hat dieser Gedanke in vielen Städten Einzug gehalten: Baumstandorte werden kostenintensiv vorbereitet. Pflanzgruben weisen in Städten wie München sogar ein Mehrfaches der von der FLL geforderten Größe bei Neupflanzungen für den Wurzelraum auf (36 statt 12 m³). Dadurch werden Konflikte mit Medien im Boden erst recht deutlich und oftmals auch kostspielig. Nicht selten führt dies in Städten auch dazu, dass Pflanzstandorte – allen voran in den dicht bebauten Innenstädten, wo mehr Grün besonders wichtig wäre – wieder verworfen werden.
Eine spürbare stadtökologische Funktion wird bei vielen neu gepflanzten Bäumen oft erst nach zwei oder drei Jahrzehnten erreicht. Im Fall von klein- und schmalkronigen Baumformen, bleiben die gewünschten Effekte (Kühlung durch Schattenbildung und Transpiration) dauerhaft gering.
Pionierbäume mit begrenzter Einsatzzeit
Eine Ergänzung zur bisherigen Straßenbaumflora könnten daher schnellwüchsige Pionierbaumarten sein, die nach einem definierten Zeitraum (20 bis 30 Jahre) konsequent durch neue Bäume ersetzt werden. Die meisten Pionierbaumarten sind relativ standorttolerant, vertragen humusarme Böden mit zeitweiliger Trockenheit sehr gut. Zumindest einige Arten scheinen auch hinsichtlich einer Verwendung in Städten ausreichend hitze- und kältetolerant. Ihr schneller Wuchs führt zu einer raschen funktionalen wie ästhetischen Wirkung. Die meist lockere Aststellung sorgt zudem für mehr Lichteinfall im Bereich von Fenstern. Auch ein unkompliziertes Aufasten und die Erzielung des Lichtraumprofils scheint bei den meisten Arten möglich.
Ihr größter Nachteil, die schnelle Alterung und die vermehrte Totholzbildung, kann durch die begrenzte Standzeit weitgehend wettgemacht werden. Potentielle weitere Probleme, wie sie etwa Wurzelbrut bei Robinien und Pappeln zu erwarten sind, soll vorausschauend durch Wurzelvorhänge begegnet werden. Eine unbeabsichtigte Selbstausbreitung ist häufig vermeidbar, wenn statt (potentiell) invasiver Arten Hybriden oder Sorten mit deutlich geringer Fertilität gepflanzt werden (etwa bei Paulownia oder Gleditsia) oder rein männliches Pflanzmaterial zum Einsatz kommt (Populus simonii).
Erste Versuche gestartet
Ein gemeinsamer Versuch der FH Erfurt, der Stadt Erfurt und der Gemeinde Zeuthen (bei Berlin) soll dazu erste Erkenntnisse liefern. Bewusst wird hier auf "Kurzumtriebs-Plantagen-Sorten" gesetzt, die nicht nur schnell, sondern auch möglichst gradschaftig wachsen. Um Erfahrungen bezüglich der Winterhärte und Wurzelentwicklung zu sammeln, wurden die Bäume an der Hochschule und in Zeuthen vorkultiviert. Die Pflanzung der ersten Bäume im Straßenraum erfolgte im Frühjahr (Zeuthen) beziehungsweise Herbst (Erfurt) 2023. Neben Pionierbaum-Arten im engeren Sinn wurde weitere schnellwüchsige Arten, Hybriden und Sorten einbezogen, die gegebenenfalls auch mehr als 30 Jahre am Standort verbleiben können (s. Tabelle Versuchsbäume).
(1) typische Pionierbaumart, (2) Jungpflanzen mit Vorschäden, (3) nur in Erfurt, (4) nur in Zeuthen
Mit dem Versuch soll zudem geklärt werden, ob die Annahme geringerer Lifecycle-Kosten – trotz erhöhter Ausgaben bei der Jungbaumpflege und wiederholter Pflanzung in einem längeren Zeitraum – realistisch ist. In den kommenden Jahren soll der Test im Erfurter Stadtgebiet und in Zeuthen sukzessive ausgedehnt und weitere Pionierbaum-Arten erprobt werden.



Pflege entscheidend
Bis umfangeiche Versuchsaussagen möglich sind, wird es noch dauern. Die ersten Beobachtungen sind jedoch sehr vielversprechend. Zum guten Start hat sicherlich beitragen, dass spezielle Anforderungen – die meisten Bäume haben bei der Pflanzung einen Stammumfang von unter 6 Zentimeter – vorausschauend bedacht wurden. Dazu gehören zum Beispiel besonders vandalismussichere Einhausungen, verstärkte Pfähle oder eine Führung des Leittriebes mittels Tonkinstab. Letzteres ist zumindest bei einigen Arten sehr sinnvoll (z. B. Acer x freemanii, Populus simonii).
Der Zuwachs bis zum Sommer 2024 war bei Populus und Robinia in Umfang und Höhe (teilweise > 2 m) beeindruckend, erforderte aber unterjährig neue Bindungen und Schnittkorrekturen. Schon in der Vorkultur zeigte sich, dass die Initialphase bei Paulownia und Eucalyptus schwierig ist – bis hin zum Totalausfall. Der Zuwachs von Acer x freemanii und Celtis laevigata war bislang verhalten. Mit einem Zuwachs von bis zu 2 Meter in zehn Wochen waren Celtis occidentalis, Gleditsia triacanthos 'Skyline' und Ulmus laevis In der Vorkultur besonders beachtlich.
Wichtigster Faktor für eine gute Etablierung und schnelles Wachstum ist und bleibt die Wässerung. Mit ihr kann der Zuwachs (und damit die Funktionserreichung) extrem gefördert werden. Bei Populus und Robinia könnte eine gewisse Zurückhaltung diesbezüglich vielleicht sogar vorteilhaft sein.
Kein Ersatz, sondern eine sinnvolle Ergänzung
Schnellwüchsige Bäume mit begrenzter Einsatzzeit sollen keinesfalls ein Ersatz für dauerhafte Straßenbäume sein, sondern an Grenzstandorten oder Plätzen mit zeitlich begrenzter Perspektive zusätzliche Begrünungsmöglichkeiten bieten. Auch eine Verwendung als Ammenpflanzen, die anfänglich zwischen langsam wachsenden Baumarten gesetzt werden, könnte zur Schaffung eines günstigen Bestandsklimas ein weiteres Einsatzgebiet sein.
Quellen
Balder, H., Ehlebracht, K. & Mahler, E. (1997): Strassenbäume: Planen – Pflanzen – Pflegen am Beispiel Berlin.
Bouillon, J. (2023): Stadtbäume für die übernächste Generation – Keine Angst vor Klimabäumen (Teil 1): Pro Baum 4: 26–29.
Bouillon, J. (2023): Stadtbäume für die übernächste Generation – Keine Angst vor Klimabäumen (Teil 2): Pro Baum 1: 2–6.
Roloff, A.; Kniesel, R.; Zhang, D. (2016): Neue Straßenbaumarten aus China. Pro Baum 1: 2–7.
Roloff, A. et al., (2018): Interesting and new street tree species for European Cities Journal of Forest and Landscape Research 1:1–7.
Roloff, A. (2019): Baumbiologie und Baumartenverwendung im Reich der Mitte. Pro Baum (2): 2–7.
Schönfeld, P. (2019): "Klimabäume" – welche Arten können in Zukunft gepflanzt werden? LWG aktuell 2019. www.lwg.bayern.de/mam/cms06/landespflege/dateien/zukunft_klimabaeume.pdf
Xiaoyang, X. et al. (2023). Analysis on changes of street tree structure in Beijing from 2010 to 2020. Journal of Beijing Forestry Universty 1: 78–88.
Zhang, D., You, X., Wang, C. (2010). New and Excellent Tree Species Selection in Shanghai's Response to Climate Change. Chinese Landscape Architecture 9: 72–77.