Junge Landschaft - GaLaBau-Wissen
Wir pflanzen einen Baum 2.0
von: Uwe Bienert172. FOLGE: Unsere Serie für den Nachwuchs erläutert das wichtigste GaLaBau-Grundlagenwissen vom Abstecken bis zum Zaunbau: Diesmal geht es um das Thema Baumpflanzung.
In der heutigen Zeit wird es keinen verwundern, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Seit dem Jahr 2008 läuft auf diesen Seiten der „Jungen Landschaft“ alles immer so wie angekündigt! Ich breche heute mal mit dieser Tradition, weil es erforderlich ist, sich zu erklären.
Die letzten Artikel über die Baumanbindung in unserer Serie sind unter den Praktikern im "Geschäft", nun, ich will es mal vorsichtig ausdrücken, punktuell auf Kritik gestoßen. Hauptkritikpunkte waren die Nichterwähnung von bestimmten Produkten (bspw. die Baumbefestigung arbofix) durch Herrn Dr. Ing. Lothar Wessolly und der Vorwurf von Herrn Manfred Jenning, Gärtnermeister der Stadtverwaltung Germersheim, dass ich nicht auf dem neusten Stand der Technik sei. Ich möchte an dieser Stelle durchaus einräumen, dass die Kritik nicht ganz unberechtigt erscheint, wenn man sich gerade in Produktentwicklung bei Baumanbindungen umsieht. Jedoch liegen zwischen Produktangebot und "neustem Stand der Technik" manchmal Welten.
Diese Seiten sind für Auszubildende jedes Lehrjahres gedacht und sollen sie auf ihrem Weg in den Beruf unterstützen. Ich bin jederzeit für Kritik offen und würde mich sicher sehr über noch mehr Resonanz zu dieser Artikelserie (die es übrigens seit 2008 gibt) freuen, aber bei aller Kritik und allen Hinweisen darf man nicht das Ziel einer Sache aus den Augen verlieren:
Der Sinn und Zweck der Rubrik "Junge Landschaft" ist in KEINER Weise eine Produktwerbung und vordergründig auch nicht die Propagierung des "neusten Standes der Technik" (dafür ist der hintere Teil des Heftes zuständig), sondern das Wecken des Interesses an unserer Arbeit als Landschaftsgärtner, das Vermitteln von Grundkenntnissen und die Erklärung von Fakten und Zusammenhängen sowie die Vermittlung von interessantem Wissen in unserer Fachrichtung. Im Folgenden stelle ich die beiden, nach verschiedenen Meinungen, fehlenden Baumanbindungen vor. Um die gängigen Baumkrankheiten kümmern wir uns im nächsten Artikel!
Nun aber zum heutigen Artikel "Wir pflanzen einen Baum 2.0"!
In den letzten Jahren haben sich auf dem Markt viele neue sinnvolle und weniger sinnvolle Produkte zur Baumanbindung etabliert. Das ist in der Marktwirtschaft die gängige Praxis. Manche Produkte entstehen aus dem Drang, tatsächlich die Sache voranzubringen und der Pflanze etwas Gutes zu tun, andere aus reiner Gewinnsucht. Um die Spreu vom Weizen zu trennen gibt es unterschiedliche Einrichtungen, die sich mit der Produkttestung beschäftigen und die uns die Zweckmäßigkeit mancher Entwicklungen vor Augen führen.
Am Ende muss sich jeder Anwender selbst einen Reim darauf machen, ob das Produkt allen Anforderungen, die der Kunde an unsere Leistung stellen könnte, gerecht wird. Im Folgenden sollen zwei Baumanbindearten vorgestellt werden, die uns als Anwender immer wieder in Zwiespalt bringen werden und deren vorteilhafte Anwendung in unserer Branche noch weiter bewiesen werden sollte - um sie entweder zum Durchbruch zu bringen oder wieder verschwinden zu lassen.
"Der Dreibock für Hobbits"
Man verzeihe mir den kleinen Ausrutscher, aber der Vergleich ist nahezu eine Steilvorlage, wenn man sich die Konstruktion des "Mini-Dreibocks" einmal anschaut.
Diese niedrige Form der Baumbindung gehört in Großbritannien, Skandinavien und in den Niederlanden inzwischen zum neusten Standard der Baumbefestigung. Sie ist niedriger im Aufbau als die weitverbreitete Pfahlbindung mittels Dreibock und benötigt dabei nur ein Drittel der sonst üblichen Befestigungshöhe.
Wie alle Baumbindungen soll auch sie den Baum in seiner Anwachsphase (in der Regel drei Jahre) unterstützen und ihn in Stellung halten. Wird der Wurzelballen in der Anwachsphase in seiner Position verändert, werden neu gebildete Wurzeln (und hier geht es in erster Linie um den Feinwurzelanteil und weniger um Haltewurzeln) abgerissen, da diese noch nicht kräftig genug sind.
Pflanzen wachsen entsprechend ihrer Anforderung, dies ist in der Botanik auch als Thigmomorphogenese bekannt. Thigmomorphogenese (Thigma -gt; auf Griechisch berühren) ist die Reaktion von Pflanzen auf mechanische Empfindungen (beispielsweise. Berührung) durch Veränderung ihrer Wachstumsmuster. In freier Wildbahn können diese Berührungen durch Wind, Regentropfen und Reiben durch vorbeiziehende Tiere vollzogen werden.
Botaniker wissen seit langem, dass Pflanzen, die in einem Gewächshaus wachsen, tendenziell größer und dünner sind als Pflanzen, die im Freien wachsen. In den 1970er Jahren entdeckte man, dass regelmäßiges Reiben oder Biegen der Stängel ihre Dehnung hemmt und ihre radiale Ausdehnung stimuliert, was zu kürzeren, stämmigeren Pflanzen führt.
Und hier findet sich, meiner Meinung nach auch der wesentliche Vorteil dieser niedrigen Anbindeart begründet: Durch hohe Baumanbindung ist der Pflanze die Möglichkeit genommen, sich durch obengenannte Umwelteinflüsse "bewegen" zu können - die Thigmomorphogenese wird eingeschränkt. Mit der niedrigen Anbindung wird der Ballen fest im Boden verankert und der Baum besitzt trotz der Befestigung Bewegungsfreiheit und kann sich somit den Standortanforderungen entsprechend entwickeln.
Da die Hebelwirkung bei der niedrigen Baumbindung höher ist als bei der herkömmlichen Variante, ist es erforderlich an dieser Stelle über verbesserte Anbindematerialien nachzudenken. Verwendete Bänder beispielsweise sollten 40 bis 50 Prozent breiter sein, um den auftretenden Kräften entgegenzuwirken. Somit wird die höhere Scherkraft auf eine größere Fläche verteilt. Zudem ergeben sich Einsparungen in den Beschaffungskosten der Holzpfähle.
Was ist im Handling anders?
Das Handling ist das Gleiche wie beim Dreibock, der Unterschied sind die Pfahllängen. Es werden kurze Pfähle benötigt, die maximal 80-100 cm aus dem Boden ragen. In nachfolgender Tabelle sind kurz Vor- und Nachteile zusammengefasst.
Alles in allem eine baumschonende Angelegenheit - aber nicht überall praktisch anwendbar.
Asterix, Obelix & Arbofix
Nein, keine Angst, ich habe nicht vor, die Story von Autor René Goscinny und Zeichner Albert Uderzo weiter zu entwickeln - da fehlt es am Talent.
Der Drittgenannte in der Überschrift soll hier der Hauptdarsteller sein.
Arbofix ist ein Produkt, welches durch maßgeblich zwei Unternehmen (arboa e. K. tree safety, Inhaber: Dr. Ing. Lothar Wessolly) und eine große deutsche Baumschule entwickelt worden ist. Im Handbuch LA 2015-16 finden wir dazu folgende Aussage:
"(. . . ) Endlich sind die Unterflurverankerungen zur unsichtbaren Sicherung bei Baumpflanzungen als zumindest gleichberechtigt mit den überholten oberirdischen Sicherungen in die FLL Empfehlungen zur Baumpflanzung, Ausgabe 2015, aufgenommen worden. Denn Regelwerke sind wegen der auf einer Mehrheit beruhenden Konsensfindung kaum innovativ und verfestigen eher überholte Verfahren, weil Stand der Technik. Dreiböcke stammen aus der Zeit der Pferdefuhrwerke, als noch wurzelnackt verpflanzt wurde und die moderne Baumschultechnik erst entwickelt werden musste. Natürlich brauchten wurzelnackte Bäume oberirdische Krücken. Heute sind wir weiter und brauchen sie nicht mehr.
Sauber verschulte, mehrfach verpflanzte Bäume werden schon seit vielen Jahren mit einem gut durchwurzelten Ballen angeliefert, der jetzt mittels vergänglichem Juteballentuch und leicht wegrostendem geglühtem Drahtkorb zusammengehalten wird. Gesichert wird mit der Pfahlwurzel aus Eisen, die sich im Ring des Drahtkorbes einhakt und mit der Erde verdübelt. Dauert es bei der Herbstpflanzung naturgegeben etwas länger, hat sich unter Verwendung eines Baumsubstrates bei der Frühjahrspflanzung das Volumen des Wurzelballens innerhalb von drei Monaten mehr als verdoppelt und die künstliche Verankerung ist bereits überflüssig. Eine Öffnung des Ballens ist kontraproduktiv. Sie verzögert die Entwicklung des Baumes. Zudem löst sich die Jute rasch von selbst auf. Wichtig ist hierbei die gute Wässerung in der Anwachsphase. Die Pfahlwurzel aus Eisen kann in jedem Boden, sandigen, lehmigen, als auch in Substraten verwendet werden (. . . )."
Es scheint nichts Besseres zu geben. Doch es gibt auch warnende Stimmen:
So wurden vor geraumer Zeit im Zentrum für Gartenbau und Technik in Quedlinburg unter der Federführung von Dr. Axel Schneidewind Untersuchungen zu Unterflurverankerungen für Jungbäume im Feldversuch durchgeführt. Es wurden zwölf verschiedene Verankerungssysteme von sechs namhaften Herstellern (z. B. Fa. H Meyerdiercks, Fa. GEFA Produkte Fabritz GmbH, Fa arboa e. K. tree safty usw.) im Vergleich untersucht. Gleichzeitig wurden in einem weiteren Feldversuch unter gleichen Bedingungen acht Bäume mit einem Dreibock gesichert gepflanzt. Dort wurde unter anderem zu dieser Art der Baumverankerung geschrieben:
"(. . . ) Die wichtigen Arbeiten bei diesem System müssen vor dem Einsetzen des Baumes in die Pflanzgrube sehr sorgfältig ausgeführt werden, da eine spätere Korrektur des Baumes kaum noch möglich ist. Zunächst wurde der kreuzartig abgerundete kantige Doppelspieß aus Stahl in den Ring des Ballierkorbes am Ballenfuß bis zur vorher aufgesteckten Stoppscheibe eingeschlagen. Der längere Teil des Metallspießes ragt heraus und dient als künstliche Pfahlwurzel. Leider lagen die Ballierkörbe oft nicht mittig um den Ballen, sodass sich der Ring häufig seitlich versetzt befand. Deshalb musste der Spieß häufig im Drahtgeflecht in gerader Verlängerung vom Stamm fixiert werden. Es folgte die genaue Herstellung der Pflanzlochtiefe entsprechend der gemessenen Ballenhöhe sowie die Markierung des Baumstandortes. Nur zu diesem Zeitpunkt eine Ausrichtung in der Flucht zu benachbarten Bäumen möglich.
Vor dem Einsetzen eines Baumes in die Pflanzgrube musste systembedingt entsprechend der Länge und Breite des herausragenden Stahlspießes ein schmaler Graben in die Pflanzlochsohle von der markierten Pflanzstelle aus hergestellt werden. Das einsetzten des Baumes erfolgte mit Hilfe einer dritten Person, die den Baum am Stammkopf so lenkte, dass der schmale Graben in der Pflanzlochsohle exakt getroffen wurde. Eine Bodenberührung des Spießes muss bis zum Senkrechtstand des Baumes vermieden werden, um eine Lockerung im Ballen oder gar ein Abknicken auszuschließen. Bei größeren Ballen ab Stammumfang (STU) 25-30 und den entsprechend längeren arbofix waren diese Arbeitsschritte manuell kaum noch leistbar. Zur Erleichterung wurden die Pflanzgruben an einer Seite abgeschrägt, um die Bäume vorsichtig rollen zu können (. . . )".
Wie war das Ergebnis?
Der Einbau der arbofix-Befestigung ging in der Tat am schnellsten vonstatten. Allerdings wurde der Zeitvorlauf durch das Graben der Schräge im Pflanzloch und den Einsatz einer dritten Person beim Einsetzen des Baumes wieder eingebüßt.
Bei der Versuchsanordnung stellten die vorherrschenden permanent wechselnden Windverhältnisse einen echten Härtetest dar. So kam es dann auch, dass keiner der gepflanzten Bäume gerade angewachsen war. Die Stammneigung war im ersten Standjahr am stärksten und im Verlauf der nächsten drei Vegetationsperioden durch den starken Sichelwuchs kaum noch messbar.
Im Vergleich der sechs Systemanbieter zeigte arbofix bei kleineren Jungbäumen ein deutlich schlechteres Ergebnis. Nur so als Randbemerkung: Die mit Dreiböcken gesicherten Bäume wuchsen gerade.
Wie sah es unter der Erde aus? Die ersten Testbäume wurden nach zwei Jahren gerodet und der Vorgang jedes Jahr fortgesetzt. Der Versuch endete nach fünfjähriger Versuchszeit. Bei arbofix konnte durch seitliches Angraben nachgewiesen werden, dass einige Spieße an der Ballenunterseite sehr schräg saßen und es keinen Baum mit genau in Richtung Stammachse stehenden arbofix gab.
Alle arbofix-Spieße waren stark angerostet und machten den Eindruck, sich in den folgenden Jahren aufzulösen. Allerdings verursachte das Einschlagen der arbofix-Spieße teilweise erhebliche Schäden an den Wurzeln. Das Ergebnis für arbofix:
"(. . . ) Die Methoden . . . und die Pflanzsicherung arbofix erbrachten unter den Bedingungen des Quedlinburger Prüffeldes schlechtere Resultate. Letztere ist durch das unkontrollierbare Einschlagen von Stahlspießen in den Ballen nicht grundsätzlich verletzungsfrei und deshalb mit deutlichen Risiken verbunden (... )".
Was lernen wir aus dieser Studie?
- Für Unterflurverankerungen sind nicht nur gut durchwurzelte Ballen notwendig, sondern auch eine Baum-Mindestgröße (STU >20 cm, Ballendurchmesser >60 cm). Unter diesen Kriterien sollte man auf Pflanzungen an windexponierten Stellen verzichten.
- Ballierkörbe müssen beim Pflanzvorgang unbedingt geöffnet und heruntergedrückt werden. Damit werden massive Drahteinwüchse und Wurzelverletzungen verhindert.
- Die Wahl des Standortes legt auch die Wahl der Baumbefestigung nahe. Nicht alles, was älter ist als zehn Jahre, ist auch nicht mehr zweckmäßig.
Auch wenn die Versuchsanordnung sicher ein Versuch bleiben wird und auch von allen Untersuchten unterschiedlich bewertet werden wird, kann man einige Schlüsse für unsere Arbeit daraus ziehen. Was wir lernen:
Hier geht es nicht um den neusten Stand der Technik oder um das Auf-den-Markt-Bringen eines neuen Produktes, hier geht es um die Sicherung der Standfestigkeit eines Baumes ohne ihn zu verletzen oder sogar unbrauchbar zu machen. Unser Berufsnachwuchs muss wissen, was er in Zukunft tut. Dazu zählen die Kenntnisse darüber, was ein Baum nach einer Neupflanzung braucht und was sein sicheres Anwachsen sichert. Dazu gibt es verschiedene Lösungswege zwischen denen er abwägen muss. Die Grabenkämpfe um die Pachtung der Wahrheit sind müßig.
Uwe Bienert
Quellen:
- Wessolly,L./Erb, M. Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle 2014
- Schneidewind, A.: Vergleich von sechs verschiedenen Unterflur-Baumverankerungssystemen, Jahrbuch der Baumpflege 2013
- Brehm, J., C. Heidecke, M. La Rosa Perez, : Verankerung für Jungbäume, welche sind geeignet? ProBaum 2/12 und 1/2013
- Brehm, J.: Untersuchungen von Baumverankerungen an Jungbäumen, Jahrbuch der Baumpflege 2013
- FLL 2010, Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2, Standortverbesserung für Neupflanzungen 2010
- FLL 2013, Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 1, Planung, Pflanzarbeiten, Pflege, Gütebestimmungen für Gehölze (FLL e. V.) und den Gütebestimmungen für Stauden (FLL e. V.) (Forschungsanstalt Landesentwicklung Landschaftsbau e. V.)
- Der Gärtner 1 (Martin Degen, Karl Schrader; Ulmer-Verlag)
- Grundkurs Gehölzbestimmung (Lüder, Quelle & Meyer Verlag Wiebelsheim)
- Taschenlexikon der Gehölze (Schmidt/Hecker, Quelle & Meyer Verlag Wiebelsheim)
- International standard ENA 2010-2015 (M.H.A. Hoffmann, ENA’s European Plant Names Working Group)
- DIN 18916 „Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Pflanzen und Pflanzarbeiten“
Nächsten Monat lesen Sie: „Hilfe, mein Baum ist krank!“.