Welche Bedeutung haben alte Bäume für Kulturgeschichte und historische Ereignisse?

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Nach nur vier Jahren Laufzeit sind inzwischen 30 Bäume als Nationalerbe-Bäume (NEB) ausgerufen worden. Dies ist ein Anlass, die Wertschätzung alter Bäume als Kulturdenkmale und Zeitzeugen bedeutender Ereignisse der Vergangenheit vor Ort zu bewerten. Denn es ist bei einer ersten Übersicht zu diesem Thema (Roloff/DDG 2023) aufgefallen, dass alle bisher ausgewählten Nationalerbe-Bäume eine herausragende Bedeutung der historischen Entwicklung vor Ort aufweisen (Tab. 1, www.nationalerbe-baeume.de). Dies soll an Beispielsbäumen nachfolgend veranschaulicht werden.
Nationalerbe-Bäume Baumartenschutz
Abb. 1: Gewaltige Stammskulptur der Tassilolinde Wessobrunn (NEB #30) an einer alten Thingstätte. Foto: Andreas Roloff

Vorab ist bedeutsam, die in Frage kommenden Baumarten nochmals kurz aufzuzählen, welche als langlebige Bäume regelmäßig über 400 und zum Teil bis zu 1000 Jahre alt werden können, soweit sie inzwischen unter den ersten 30 Nationalerbe-Bäumen vertreten sind (alphabetisch nach wissenschaftlichen Gattungsnamen):

Weiß-Tanne (Abies alba), Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus), Ess-Kastanie (Castanea sativa), Ginkgo (Ginkgo biloba), Europäische Lärche (Larix decidua), Ahornblättrige Platane (Platanus x hispanica), Stiel- und Trauben-Eiche (Quercus robur, Qu. petraea), Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum), Europäische Eibe (Taxus baccata), Winter-, Holländische, Sommer-Linde (Tilia cordata, T. x europaea, T. platyphyllos), Flatter-Ulme (Ulmus laevis).

Die Bildauswahl von Beispielen für diesen Artikel erfolgte aus den im Jahr 2023 neu ausgerufenen Bäumen, da sie hier noch nicht vorgestellt worden sind. Für weitergehende Informationen zu den einzelnen und allen Bäumen und Ausrufungen sowie zu übergeordneten Themen zu alten Bäumen ist die Website http://nationalerbe-baeume.de zu nutzen.

Bäume als regionale und lokale Zeitzeugen mit kulturhistorischer Bedeutung

Thingplätze, Kultorte

Bevor es Gerichtsbäume gab (etwa ab dem 12. Jahrhundert), waren solche Treffpunkte im Ort oder meist am Dorfrand Thingplätze: als Versammlungsort, zur Besprechung und Verhandlung wichtiger Angelegenheiten ("Dinge") als gerichtsähnliche Verfahren im öffentlichen Raum nach germanischem Recht.

Auf Things wurden politische Entscheidungen getroffen, Gesetze erlassen und Streitigkeiten beigelegt. NEB-Beispiele dafür (mit Nr. #, Baumname, Ort, Bundesland-Abkürzung): #02 Eibe Flintbek (SH), #05 Linde Hochmössingen (BW), #14 Mahllinde Vogtei (TH), #20 Tumuluslinde Evessen (NI), #30 Tassilolinde Wessobrunn (BA): Abb. 1

Gerichtsbäume

Seit dem frühen Mittelalter (ab 11. bis 13. Jahrhundert, bis Mitte 19. Jahrhundert) wurden Gerichtsverhandlungen unter Bäumen abgehalten. Das mussten dafür schon ältere Bäume sein, damit sie eine entsprechende Wirkung hatten (große Krone zur Abschirmung) oder damit für Urteilsvollstreckungen mindestens schon ein starker Ast vorhanden war. Daraus kann man ableiten, dass dafür nur über 100-jährige Bäume in Frage kamen: vor allem Linden, Eichen, Ulmen, Ess-Kastanien. Durch ihre wichtige Funktion waren diese Bäume streng geschützt vor Holznutzung und konnten so Jahrhunderte altern, zum Teil bis Mitte des 19. Jahrhunderts.

NEB-Beispiele: #08 Prangerlinde Großpörthen (ST), #12 Femeiche Raesfeld (NW), #16 Richteiche St. Gangolf (SL), #21 Gerichtslinde Collm (SN)

Grenz- oder Orientierungsbäume

Um Grundstücke in Feld und Flur möglichst dauerhaft und gut erkennbar abzugrenzen, wurden im Mittelalter häufig Grenzbäume gepflanzt oder schon vorhandene Bäume für diese Funktion ausgewählt. Am beliebtesten dafür waren Eichen, weil man wusste, dass sie sehr alt werden und so ihre Funktion lange Zeit erfüllen können. Sie waren dadurch auch für lange Zeit geschützt. Erst mit dem im 17. Jahrhundert aufkommenden Vermessungswesen wurden sie überflüssig oder zumindest nicht mehr beachtet, und die meisten sind heute nicht mehr vorhanden.

Zur Orientierung auf Reisen wurden an überregionalen wichtigen Handelsstraßen in Abständen Markierungsbäume gepflanzt. Dies war teilweise schon im Altertum Brauch.

NEB-Beispiele: #04 Eiche Nagel/Küps (BA), #09 Eiche Berlin (BE), #11 Ess-Kastanie Gleisweiler (RP), #16 Richteiche St. Gangolf (SL), #22 Eiche Klein Lübars (ST): Abb. 2

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Nationalerbe-Bäume Baumartenschutz
Abb. 2: Mächtige Krone der Eiche Klein Lübars (NEB #22), ein Grenzbaum. Foto: Andreas Roloff
Nationalerbe-Bäume Baumartenschutz
Abb. 3: Beeindruckende Stammdimensionen der Flatter-Ulme Bierde (NEB #27), wohl zur Gründungszeit des Hofes gepflanzt und somit ältestes lebendes Familienmitglied. Foto: Andreas Roloff

Bäume mit herausgehobener Bedeutung für Dörfer

Zur Dorfgründung wurde vor 800 Jahren kaum jemals ein Baum gepflanzt, das war noch kein gängiges Ritual zu der Zeit. Aber zu besonderen Ereignissen in der Dorfentwicklung und zu kulturellen Ereignissen etwa ab dem 15. Jahrhundert kam es dann schon häufiger vor.

NEB-Beispiele: #01 Linde Heede (NI), #05 Linde Hochmössingen (BW), #07 Ulme Gülitz (BB), #08 Prangerlinde Großpörthen (ST), #09 Eiche Berlin (BE), #11 Käschde Gleisweiler (RP), #12 Femeiche Raesfeld (NW), #18 Hindenburglinde Ramsau (BA), #23 Klosterlinde Pehlitzwerder (BB), #24 Eiche Röbel/Müritz (MV), #27 Hofulme Bierde (NW): Abb. 3, #30 Tassilolinde Wessobrunn (BA)

Bäume zur Fertigstellung von Burgen, Schlössern, Kirchen, Klöstern

Zur Fertigstellung von Gebäuden mit großer kultureller oder kirchlicher Bedeutung wurden vereinzelt ab dem 13. Jahrhundert Bäume gepflanzt, dann deutlich zunehmend ab dem 15./16. Jahrhundert. Unser frühestes Beispiel ist die Polchower Linde, die wohl zur Fertigstellung der Vorgängerkirche etwa 1220 gepflanzt worden sein könnte.

NEB-Beispiele: #01 Linde Heede (NI), #03 Eibe Flintbek (SH), #05 Linde Hochmössingen (BW), #07 Ulme Gülitz (BB), #08 Prangerlinde Großpörthen (ST), #15 Kirchlinde Polchow (MV), #21 Gerichtslinde Collm (SN), #23 Klosterlinde Pehlitzwerder (BB), #28 Schlosseibe Thedinghausen (NI): Abb. 4, #29 Klosterlinde Isenhagen (NI), #30 Tassilolinde Wessobrunn (BA)

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Abb. 4: Alte Schlosseibe Thedinghausen (NEB #28), vermutlich zur Fertigstellung des Schlosses 1621 gepflanzt. Foto: Andreas Roloff

Zeitzeugen historischer Ereignisse, Namensbäume

Bäume als Zeitzeugen sind oft schon an ihrem Namen zu erkennen: beispielsweise Hindenburglinde und Hofulme. Sie weisen auf besondere Ereignisse in der Vergangenheit hin, unter unseren Bäumen besonders beeindruckend die Tumuluslinde in Evessen (#20), die auf einem bronzezeitlichen Hügelgrab steht, aber wohl erst vor etwa 700 Jahren auf den 7 Meter hohen Standort gepflanzt wurde.

NEB-Beispiele: #09 Eiche Dicke Marie Berlin (BE), #17 Königseiche Kammerwald (RP), #18 Hindenburglinde Ramsau (BA), #20 Tumuluslinde Evessen (NI), #25 Liebesplatane Hohenheim (BW): Abb. 7, #27 Hofulme Bierde (NW), #30 Tassilolinde Wessobrunn (BA)

Bäume und Baumarten mit besonderer Bedeutung für kulturelle Rituale

Einige Bäume sind seit längerer oder sogar schon sehr langer Zeit Orte zum Beispiel für die Proklamation des Schützenkönigs, als Hochzeits-Location, für jährliche Dorffeste oder andere wiederkehrende Veranstaltungen. Der Baum steht dann im Mittelpunkt der Festlichkeiten, was ihm erhebliche Beachtung und Würdigung einbringt. In besonderen Fällen kann auch alleine die Baumart für solche Wirkungen bedeutsam sein, wie etwa beim Ginkgo, bei der Eibe oder der Platane mit ihren inzwischen Jahrtausende alten Traditionen für kulturelle Zwecke.

NEB-Beispiele: #01 Linde Heede (NI), #02 Gingko Jahnishausen (SN), #03 Eibe Flintbek (SH), #12 Femeiche Raesfeld (NW), #13 Mahllinde Vogtei (TH), #28 Eibe Thedinghausen (NI)

Bäume mit herausgehobener Bedeutung in Grünflächen (Parkanlagen, Friedhöfe, Wald)

Sehr vielfältig sind in Szene gesetzte Bäume in Grünflächen, für die man seit etwa 300 Jahren bis heute Fachleute zur Parkgestaltung heranzieht, um besondere Baumpflanzungen zu planen, zu platzieren und zu gestalten. Sehr eindrucksvolle Beispiele dafür sind der Ginkgo in Jahnishausen, der Berg-Ahorn im Hamburger Hirschpark und die Liebesplatane in Hohenheim.

Oder die Inszenierung wurde erst nachträglich vorgenommen, nachdem der Baum schon alt war, als Beispiel die Eiche "Dicke Marie" in Berlin. In besonderen Fällen erfolgte dies sogar erst durch unsere Ausrufung, beispielsweise die Schlosseibe in Thedinghausen: auf einem Bild von1680 ist sie ein kleines Bäumchen, erst 2023 ins Bewusstsein der Gemeinde gerückt und publikumswirksam mit einer viel beachteten Feier zum bedeutendsten Baum der Gemeinde und des Landkreises sowie mit Umweltministerworten zu einem der bedeutendsten Bäume Niedersachsens gekürt.

NEB-Beispiele: #02 Ginkgo Jahnishausen (SN), #06 Berg-Ahorn Hamburg (HH), #07 Ulme Gülitz (BB), #09 Eiche Berlin (BE), #10 Lärche Kassel (HE), #13 Mammutbaum Bremen (HB), #15 Kirchlinde Polchow (MV), #16 Richteiche St. Gangolf (SL), #17 Königseiche Kammerwald (RP), #21 Gerichtslinde Collm (SN), #24 Eiche Röbel/Müritz (MV): Abb. 5, #25 Liebesplatane Hohenheim (BW), #26 Urwaldtanne Bayerischer Wald (BA), #28 Schlosseibe Thedinghausen (NI)

Bäume mit überregionaler gärtnerischer Bedeutung

Einige Bäume können durch ihre gärtnerische oder gartenbauliche Bedeutung dauerhaft besondere Beachtung erhalten. Dafür ist unter unseren Bäumen das prägnanteste Beispiel die Schöne Eiche von Harreshausen (#19) mit ihrer Säulenform, die schon vor über 200 Jahren Mutterbaum fast aller Säuleneichen in Europa geworden ist.

NEB-Beispiele: #02 Ginkgo Jahnishausen (SN), #06 Berg-Ahorn Hamburg (HH), #10 Lärche Kassel (HE), #19 Eiche Harreshausen HE), #28 Eibe Thedinghausen (NI), #29 Linde Isenhagen (NI): Abb. 6

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Abb. 5: Markante Stiel-Eiche mit Forsthaus im Röbeler Stadwald (NEB #24). Foto: Andreas Roloff
Nationalerbe-Bäume Baumartenschutz
Abb. 6: Klosterlinde Isenhagen, bei genauem Hinsehen eine der fünf ältesten Holländischen Linden (NEB #29). Foto: Andreas Roloff

Schlussbemerkungen

Es war nicht erwartet worden zu Beginn der Initiative Nationalerbe-Bäume 2019, dass diese Bäume alle und in solchem Ausmaß kulturhistorische Bedeutung haben. Die hier erstmals so umfassend zusammengestellte Übersicht vermittelt eindrucksvoll, dass neben ihrer Bedeutung für Biodiversität und als Lebensraum auch und ganz besonders ihr Wert für Kulturgeschichte und als historische Zeitzeugen mehr Beachtung verdient. Keiner dieser Bäume ist in dieser Hinsicht ohne historischen Hintergrund vor Ort, regional oder sogar überregional.

Aus Anlass vom Erreichen des Meilensteins 30 ausgerufene Nationalerbe-Bäume ist im Oktober 2023 das 2. Buch zur Initiative erschienen (178 Seiten): "Nationalerbe-Bäume – Ziele, Konzeption und Stand der Umsetzung – zum Schutz alter Bäume in Deutschland" (Roloff/DDG 2023, kostenloser Download von der NEB-Website unter "Neuigkeiten").

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