Ausschreibung von Gutachten zur Baumsicherheit weiter unzulässig

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Abb. 1: So etwas ist leicht auszuschreiben und preislich zu optimieren: Klare Funktion, definierte Wirksamkeit nach Prüfvorschrift. Foto: Lothar Wessolly
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Abb. 2: Auch so etwas lässt sich wegen der Vergleichbarkeit preislich gut ausschreiben: Klare Bauvorschriften, ein Architekturplan, durchgängig DIN genormte Bauteile, klare Abmessungen und Massen, klar definierte, regelwerksgestü?tzte Baustatik von wissenschaftlich ausgebildeten Ingenieuren. Foto: Lothar Wessolly

In der Ausgabe von Pro Baum 1/2016 haben wir dargelegt, dass die "Ausschreibung von Sachverständigenleistungen unzulässig" ist (Kaufhold et al. 2012). Durch mehrere Rückmeldungen mit dem Tenor, dass sich die Rechtslage geändert habe, sehen wir uns veranlasst, auf das Thema erneut einzugehen.

Kaum eine Materie wird zurzeit so schnell geändert und ist teilweise so undurchsichtig, wie das europaweit gültige Vergaberecht, das unterscheidet zwischen der Vergabe ober- oder unterhalb eines Schwellenwertes. Bei der Ausschreibung von Dienstleistungen für Bäume wird allerdings der derzeit gültige Schwellenwert für europaweite Ausschreibungen in Höhe von 214.000 Euro/netto nicht überschritten. So sind Ausschreibungen weit unterhalb des vorgenannten Schwellenwertes die Regel: entweder freihändige Vergaben oder die Vergabe als "Direktauftrag" gemäß § 14 UVgO. Dabei handelt es sich um eine "de facto"-Vergabe. Es gelten je nach Bundesland und Kommune dazu unterschiedliche Vorgaben (GHV - Gütestelle Honorar- und Vergaberecht e.V. 2019).

Das Vergaberegelwerk ist eine Empfehlung und keine Vorschrift

In der Vergabe VwV Baden-Württemberg 2019: Wie auch schon das Vergaberegelwerk VOL/A, wird auch die UVgO durch die Verwaltungsvorschrift den Kommunen zur Anwendung nur empfohlen und nicht zwingend vorgeschrieben. Hier müssen sich die Fachämter auch in ureigenem Interesse gegen einen rein bürokratischen Vergabevorgang durchsetzen. Wichtig ist zu Beginn vor jeder Vergabe - auch bei der Vergabe eines Direktauftrages - eine Bedarfsermittlung (Bedarfsbeschreibung) durchzuführen und einen Vergabevermerk, der unter anderem zwingend die Begründung für die Wahl des Vergabeverfahrens zu enthalten hat, zu führen. Die detaillierte Bedarfsbeschreibung und die Begründung der Wahl des Vergabeverfahrens (hier Direktauftrag) obliegt dem Fachamt und hilft bei späteren Prüfvorgängen. Fehlt eine der beiden Unterlagen, so liegt es nahe, dass die Prüfenden Willkür unterstellen können. Davor soll man sich schützen.

Das Vergabesystem in der Europäischen Union (EU) steht auf drei Säulen: Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung. National hat Deutschland noch drei Säulen hinzugefügt: Mittelstandsschutz, Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Alle sechs Säulen sind (auch) bei der Vergabe von geistigen Dienstleistungen für Baumgutachten zwingend zu beachten.

Aber betreffen die Änderungen/Ergänzungen überhaupt den Kern des Ausschreibungsgeschehens? Werden nur ein paar Linien beziehungsweise Bezeichnungen wie VOL oder UVgO hin und her geschoben? Oder wird versucht, über die Digitalisierung die Kompetenz der Fachämter im Entscheidungsprozess zu unterminieren? Man muss aufpassen, nicht wie die Lemminge der Parole Digitalisierung als neuem Fetisch hinterherzulaufen und wichtiges fachliches Know-how einer neuen Bürokratisierung preiszugeben. Die nachfolgende Argumentation soll die Fachämter dabei unterstützen, sich gegenüber den Prüfungsämtern von der Vorgabe zu lösen, Sachverständigenleistungen im Bereich Baumsicherheit ausschließlich nach Preisgesichtspunkten auszuschreiben.

Baustatik sehr alt - Baumstatik extrem neu

Eine Ausschreibung soll dazu dienen, zwischen Anbietern einer vergleichbaren Materie den geeignetsten zu finden. Sinn aber ist auch, mögliche Korruption zu unterbinden. Ein Ausschreibeverfahren hat seine Herkunft im Bauwesen, einem tausende von Jahre alten Fach mit relativ geringer Innovation, dafür aber gespickt mit Regelwerken wie der DIN, die die meisten Sachverhalte beschreibt und somit das hier angesiedelte Werk vergleichbar macht. Auch die Ausbildung eines Bauingenieurs ist weltweit auf annähernd gleichem Niveau geregelt. Da kann die Ausschreibung absolut Sinn machen. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Dann, wenn ein Gewerk mit Spezial-Know-how zum Teil über hunderte von Jahren an der Errichtung eines Domes arbeitete. Keiner käme auch auf die Idee, die Restauration eines wertvollen Gemäldes nach preislichen Gesichtspunkten auszuschreiben. Für die Sicherheitsdiagnose eines Baumes mögen die Vergleiche etwas zu hoch gegriffen sein. Dennoch lassen sich hier logische Anleihen machen.

Die Sicherheitsdiagnose an Bäumen ist in ihrer strengen, ingenieurwissenschaftlich begründeten Form, der Baumstatik, seit den 90er-Jahren ein sehr junges Fachgebiet. Es wird weder durch eine entsprechende Ausbildung an einer Hochschule vergleichbar gelehrt, geschweigen denn, dass belastbare Regelwerke formuliert worden wären. Die FLL-Baumuntersuchungsrichtlinie 2013 ist allenfalls ein erster Schritt, ohne dass die beschriebenen Verfahren zu konkreten Sicherheitslösungen beitragen könnten, denn hier sind die am Markt befindlichen Verfahren bedauerlicherweise nur aufgezählt, nicht jedoch in ihrer Wirksamkeit gewichtet. Dass Sicherheit immer etwas mit der auftretenden Belastung, hier dem Orkan im Vergleich mit der Tragfähigkeit der Struktur zu tun hat, wird auch im Regelwerk schlicht ignoriert. Die Belastung ist an die Baumhöhe gekoppelt. Es gilt: doppelte Größe gleich achtmal höhere Beanspruchung im Orkan.

Vergleicht man die Bäume in der Natur, findet man Bäume bei gleichem Stammdurchmesser die 20-mal höher beansprucht sind als andere (Abb. 3). Wer das ignoriert liegt von vornherein falsch. Es ist also nicht tragfähig, wenn sich Ausschreibungsstellen auf die FLL-Baumuntersuchungsrichtlinie 2013 berufen.

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Abb 3: Beispiel: Im Gegensatz zu einem Bauwerk mit immer optimierter Tragstruktur, kennt die Natur diese Form der Optimierung bei Bäumen nicht. Bäume mit demselben Stammdurchmesser können extrem unterschiedliche Windlasten im Orkanfall ertragen müssen. Beschrieben wird das in der Grundsicherheit eines Baumes, die um den Faktor 25! unterschiedlich sein kann. Es ist offensichtlich, dass jede Baumdiagnosemethode, die bei der sachverständigen Sicherheitsanalyse das unterschlägt, daneben liegt. In den Fll Regelwerken wird bislang noch nicht darauf verwiesen. Somit kann auch das FLL Regelwerk Baumuntersuchungsrichtlinie 2013 nicht als Vergabegrundlage dienen. Quelle: Archiv von 15000 baumstatisch mittels Elasto/Inclinomethode beurteilter Bäume

Der vielleicht etwas hoch gegriffene Vergleich mit der Dombauhütte betrifft die Jahre bis jahrzehntelange Begleitung eines stark abgebauten Naturdenkmals mit aufgelöster aber ausreichend tragfähiger Tragstruktur mit unter Umständen sogar FFH-Status mit Insekten der roten Liste und dessen Bewahrung den möglichst langen Erhalt des Baumes zur Voraussetzung hat.

Hier ist das Tragverhalten komplex und die sachgerechte Begleitung kann nur mit genauesten Messmethoden erfolgen, wobei das Verhalten der Messpunkte genau über die Untersuchungszeiträume verfolgt werden muss. Hinzu kommt ein weiterer Sachverhalt. Eine Eingehende Untersuchung wird eingeleitet, wenn der Baumkontrolleur keine ausreichende Sicherheit mehr bescheinigen kann. Es kann Gefahr im Verzug sein und sollte zeitnah durchführt werden. Sollte man hier ausschreiben?

Das Deutsche Ausschreibungsblatt für UVgO und VOL/A regelt dazu: "Freihändige Vergabe: Wenn die Leistung aufgrund von Umständen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte, besonders dringlich ist und die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzurechnen sind. - Wenn die Leistung nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann" und "wenn die Bedürfnisse des Auftraggebers nicht ohne die Anpassung verfügbarer Lösungen erfüllt werden können".

Beispiel: Eine langfristig angelegte, baumstatische Begleitung erhaltenswerter Naturdenkmale, bei der immer wieder auf Voruntersuchungen zurückgegriffen werden muss, um zukünftige Verantwortung für die Sicherheit und den Erhalt übernehmen zu können. Denn eine Verantwortungsübernahme für die zukünftige Baumsicherheit basiert auf der Analyse der dynamischen Abbau- und Zuwachsprozesse in der Vergangenheit. Würde man alle paar Jahre durch Ausschreibungen bei null anfangen, müsste der Sachverständige aus Selbstschutz zu drastischeren Maßnahmen als zum optimalen Erhalt eines Baumes greifen. Damit würde der Aspekt Wirtschaftlichkeit beziehungsweise Werterhalt unterlaufen. Besonders kontraproduktiv wäre das bei Naturdenkmalen oder FFH-Situationen an Bäumen.Hier kann dann auch kein weiterer Bieter herangezogen werden. Also kann bei der freihändigen Vergabe im Gegensatz zur allgemein formulierten § 12 Abs. 2 UVgO) nicht zwingend erforderlich sein, drei Vergleichsangebote vorzulegen.

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Abb. 4: Hier lässt sich nichts vorher definieren: Jägerallee Stuttgart Schloss Hohenheim, denkmalgeschützt: 32 von 40 verbliebenen Hybridpappeln, 140 Jahre alt vielfältig gekappt und eingefault, Tragsystem unbekannt, in stetiger Veränderung Dynamik von Zuwachs und Abbau. Soll möglichst lange erhalten werden. Dann auch noch FFH mit 81 Käferarten der roten Liste, die von Aussterben bedroht oder gefährdet sind. 2 Neufunde und 4 Wiederentdeckungen in Baden Wü?rttemberg nach 47 bzw. sowie 5 Urwaldreliktarten. Die Allee ist eine sehr isolierte Insel. Somit ist das Bestreben, den Baumbestand so lang wie möglich zu erhalten. Hierzu sind aufeinander bauende Untersuchungen der Stand- und Bruchsicherheit mittels Elasto/Inclinomethode (Zugversuch) ü?ber einen langen Zeitraum erforderlich. Das ist an keinem Punkt in eine preisliche Vergleichbarkeit einzuordnen. Nur höchste Qualität der Sachverständigenleistung, Nachhaltigkeit und zeitlicher Aufwand können fü?r die Vergabe Grundlage sein. Foto: Lothar Wessolly
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Abb. 5: Natürlich ein Extrembeispiel aber grundsätzlich gültig fü?r alle alten Bäume: Es existiert kein Bauplan: Bis zu 90 Prozent aufgelöste, unbekannte Tragstruktur der Stämme, zugelassene Kronennachbildung zur Bildung des maximal möglichen Dickenwachstums, Sicherung der Stammköpfe in 2 Ebenen mittels Ringkronensicherung. Das ist nur noch mittels der baumstatisch belastbaren Elasto/Inclinomethode über die Bestimmung der Stand- und Bruchsicherheit so in den Griff zu bekommen, dass eine maximale Standzeit das Inselbiotop so lang wie möglich bewahren kann. Foto: Lothar Wessolly
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Abb 6: Vorbereitungen des Zugversuchs an einer Pappel der Jägerallee. Foto: Lothar Wessolly


Die sachverständige Beurteilung der Baumsicherheit ist nicht ausschreibefähig

  • Die Komplexität der Sicherheitsbeurteilung an Bäumen, die nach FLL Baumkontrollrichtlinien einer Eingehenden Untersuchung mittels haftbarem Gutachten bedürfen.
  • Die Einbindung ins Rechtssystem.

Zwei Argumentationsstränge sprechen eindeutig gegen eine preisorientierte Ausschreibung:

1. Die belastbare Sicherheitsermittlung ist komplex

Fehlende Sicherheit bedeutet, dass die maximal auftretende Belastung - in der Regel Sturm, das Tragsystem Baum in seiner der Bruch- und Standsicherheit überfordert. Der Sachverständige muss also in seinem Gutachten die aktuellen Sicherheitswerte zweifelsfrei feststellen und bei fehlenden Sicherheiten die geeigneten Maßnahmen vorschlagen. Im Extremfall kann die Feststellung des Baumsicherheitswertes zur völligen Beseitigung des Baumes führen. Auch jeder Zwischenschritt, wie eine übermäßige oder unnötige Kappung, ist möglich. So kann sich jeder Sachverständige mit mangelnder Qualifikation oder unzureichendem Messequipment (der mit einem preislich günstigen Angebot den Zuschlag bekommen hat) mit einer überproportionalen Angstkappung der Krone einer möglichen Haftung nach Baumversagen entziehen. Eigentlich eine Binsenwahrheit: Baume sind nicht zu standardisieren. Der Bezug auf die bei alten Bäumen fatale t/R = 0,3 Regel ist das krasseste Beispiel, der Verantwortung für den möglichst unversehrt stehenden Baum zu entgehen. Das ist weder nachhaltig noch wirtschaftlich.

An einer Brücke lassen sich keine Teile entfernen, um die Sicherheit wiederherzustellen. Bei Bäumen führt infolge Unsicherheiten der Eingehenden Untersuchung in Folge a) unzureichender Messwerte, b) ungenauer Eingangsgrößen oder c) unzureichender Verfahren zur vorsorglichen Angstkappung und damit zu Lasten des Baumes, zur Minderung seiner Funktionserfüllung und seiner Lebenserwartung. Mit dieser Strategie entkommt ein Sachverständiger immer der möglichen Haftung nach eventuellem Versagen des Baumes durch Brechen oder Kippen.

Beispiel aus dem Netz für 1. die unzutreffende Verwendung des Begriffs Standsicherheitsgutachten und 2. Messungen mit partiell genauen Verfahren, verknüpft mit absolut subjektiven Handlungsanweisungen: "Bei einer Pappel (1598) in der Oberau zeigte das Schalltomogramm gravierende Schäden im Stammfuß, sodass ich hier aus Sicherheitsgründen eine Kappung oder Fällung vor dem Austrieb in 2020 empfehle. Eine ausreichend starke Reduktion der Krone (z. B. um 50 %) würde zwar die Sicherheit am Stammfuß gewährleisten, jedoch zu einer beschleunigten Ausbreitung der inneren Schäden führen und die Notwendigkeit weitere Rückschnitte und einer dann bald zwingend notwendigen Fällung erhöhen. Gleichwohl könnte Stamm und Stammkopf noch eine Weile als Habitatbaum erhalten werden" (RINN, Entwickler der Resistograpghen und des Schalltomographen in einem sog. Standsicherheitsgutachten für die Stadt Freiburg 2019).

Weder Bohren noch Schallen können die Standsicherheit, wie in der ZTV Baumpflege verbindlich definiert, erfassen. Allenfalls können sie zur der Bruchsicherheitsermittlung beitragen. Zudem hat der Verfasser in seinem 192-seitigen Gutachten ausnahmslos 233 unkommentierte Resistographenschriebe und sieben Schalltomogramme nicht aber die Höhe oder Durchmesser der 42 Bäume dokumentiert. Beide Werte sind zwingend notwendig zur Ermittlung der Grundsicherheit, d. h. der Schadenstoleranz zumindest bei verdächtigen Bäumen. Gerade bei der schnell wachsenden Hybridpappel, zumal in einer Allee, können schon vollkommen gesunde Bäume überfordert sein und in beliebiger Höhe am Stamm brechen, wie die Auswertung des Pfingstorkans ELA 2014 in Düsseldorf ergeben hat. So hilft bei der Vergabe auch kein Verweis darauf, dass ein Messverfahren in der FLL-Baumkontrollrichtlinie 2013 als Teil einer Eingehenden Untersuchung beschrieben wurde. Beispielsweise lässt sich mit einem Bohrverfahren nicht ansatzweise das komplexe Tragvermögen eines Baumes bestimmen, geschweige denn dessen Standsicherheit. Und die Beurteilung der Sicherheit von Bäumen beruht nicht allein auf der Umrechnung von Messwerten selbst mit höchster Genauigkeit. Es bedarf noch der sachverständigen Eingabe von weicheren Größen, wie Luftwiderstandsbeiwert oder Geländewert in die notwendige Windlastanalyse der baumstatischen Gleichungen. Letzte haben, wie an 15.000 Sicherheitsgutachten nachgewiesen, sogar einen deutlich größeren Einfluss auf die Errechnung der Baumsicherheiten, als die harten Messwerte. Somit ist auch die Ausschreibung eines bestimmten Untersuchungsverfahrens noch nicht der Garant für eine sachgerechte und damit wirtschaftliche Lösung. Es kommt, wie auch die FLL-Baumuntersuchungsrichtlinie richtig feststellt, auf die Qualifikation des Sachverständigen an.

Völlig kontraproduktiv ist eine Ausschreibung, wenn es um den maximal möglichen Erhalt eines Naturdenkmals oder eines Biotopbaumes handelt, bei dem der ganze Baum oder mehrere Bäume in ihrer Gesamtheit extrem wichtige FFH-Orte sind, die in maximaler Größe und längst möglicher Lebenserwartung erhalten werden sollen. Gleichzeitig wäre die Verkehrssicherheit zu wahren. Da muss man an die Grenze gehen, Stand- und Bruchsicherheit gemeinsam belastbar zu ermitteln, wozu nur die "Elasto-Inclinomethode" (Zugversuch) in der Lage ist. Hier ist nur die Vergabe an einen Sachverständigen möglich, dessen Qualifikation außer Frage steht. Auch die öffentliche Bestellung ist noch kein Garant dafür, da kaum eine Bestellungsbehörde eine fachlich belastbare Prüfung der Qualifikation vornimmt. Hier spielen häufig rein formale Gründe die Hauptrolle. Kritisch ist in diesem Zusammenhang auch der Sachverhalt zu sehen, dass die Baumstatik erst 35 Jahre alt und damit sehr neu ist und es keine öffentliche Ausbildung zum Baumstatiker gibt. Dagegen gibt es für die Baumstatik eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung an Hochschulen, die europaweit auf gleichem Niveau angesiedelt ist. Im Bauwesen ist so eine Ausschreibung mit vergleichbaren Anbietern möglich und in der Regel folgerichtig.

All das spricht aus fachlicher Sicht eindeutig gegen eine Ausschreibung der Sachverständigenleistung bei Bäumen.

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Abb. 7: Naturdenkmal Eiche Bötesheim mit Messung der Stand- und Bruchsicherheit mittels Elasto/Inclinomethode. Darüber eine intakte, 24 m hohe Baumkrone. Resttragfähigkeit gegenü?ber einem Vollstamm 3 Prozent. Grundsicherheit (wenn der Stamm vollholzig wäre) 4400 Prozent. Gemessene Bruchsicherheit des Stammes 100 Prozent, Standsicherheit 115 Prozent. Wie will man das nach preislichen Gesichtspunkten vergeben? Foto: Lothar Wessolly
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Abb. 8: Nur bei Bäumen, nicht an Brücken oder Flugzeugen möglich. Mit so einem Lösungsvorschlag schützt sich im Extremfall jeder zu gering qualifizierte, oder einen falschen Meßansatz wählender SV vor einer möglichen Haftungsproblematik. Und bringt den Baum um seine Existenz. Foto: Lothar Wessolly


2. Die Einbindung ins Rechtssystem

Auffällig beim gesamten Ausschreibungskomplex ist, dass in den Regelungen auf EU oder nationaler Ebene Rechtsdienstleistungen von Ausschreibungen ausgenommen sind. Belastbare Sicherheitsgutachten sind Teil des Rechtssystems. Hierzu wird auf die aktuell 2020 herausgegebenen Baumkontrollrichtlinien der FLL verwiesen. Sie weist eine starke thematische Ausrichtung auf Rechtsfragen und -antworten auf. Auch in den Baumuntersuchungsrichtlinien von 2013 ist diese Tendenz bereits zu beobachten. Unbestimmte Rechtsbegriffe, wie zum Beispiel Regelkontrollintervall und berechtigte Verkehrssicherheitserwartung dominieren teilweise den fachlichen Regelungsinhalt der aktuellen Richtlinie zur Baumersterfassung und -kontrolle.

Die zu stellende Frage lautet: Welche Dienstleistung möchte ein (öffentlicher) Auftraggeber von einem (Baum-) Sachverständigen beschaffen? Was erwartet der öffentliche Auftraggeber konkret? Doch wohl die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB bei gleichzeitigem Erhalt des Baumes. Die Frage nach der Verkehrssicherungspflicht für Bäume ist nicht neu. Sie wurde schon vom Reichsgericht - Urteil des 6. Zivilsenats vom 30. Oktober 1902 (RGZ 52, 373) behandelt. Detailliert nachzulesen bei (Bohrer 2010).

Im Regelfall ist das fachliche Wissen von Sachverständigen ausgeprägter als bei denen, die die Dienstleistung anfordern beziehungsweise beschaffen wollen. Juristen sprechen dann von einer Informationsasymmetrie. (GHV - Gütestelle Honorar- und Vergaberecht e. V. 2018)

Der Bedarf an Füllung der bestehenden Informationslücke bei dem öffentlichen Auftraggeber soll durch Zukauf externen Sachverstandes für einen bestimmten Zeitraum gedeckt werden. Zusätzlich zu den umfangreichen Fachkenntnissen werden von Sachverständigen, die Baumgutachten für öffentliche Auftraggeber erstellen, umfangreiche Rechtskenntnisse erwartet. Sie sollen das Regelkontrollintervall und die berechtigte Verkehrssicherheitserwartung einschätzen, sogar rechtssicher für den Auftraggeber festlegen. Sinnvoller Weise sollen Sachverständige über bestimmte zukünftige Zeiträume die Verkehrssicherungspflicht §823 BGB für den (öffentlichen) Auftraggeber übernehmen.

Mit der Beantwortung der vorgenannten Fragen übernehmen die Sachverständigen regelmäßig somit eine Rechtsdienstleistung oder wesentliche Teile davon, die gegebenenfalls eine besondere Haftpflichtversicherung erfordern kann. Was eine Rechtsdienstleistung ist und ob Sachverständige dazu befugt sind, ist im Rechtsdienstleistungsgesetz (Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz 12.12.2007) folgendermaßen definiert:

"Eine Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Bei der Durchführung einer Rechtsdienstleistung kommt es nicht auf die Berufsbezeichnung des Vertreters eines Mandanten an, sondern sie ist funktional auszulegen." (Burgi und Dreher 2017)

Soweit und sobald ein Schadensfall nach Erstattung eines Gutachtens zur Baumsicherheit eintritt, wird der Auftraggeber die vom Gutachter erstellten Unterlagen mit relativer Sicherheit in den folgenden Gerichtsprozess einführen. Damit sind die Gutachten und die darin enthaltenen Feststellungen grundsätzlich "gerichtsfest" zu erstellen. Bei der Erstattung von Privatgutachten schwebt über dem Gutachter also immer die Gefahr der Haftung wegen Fahrlässigkeit.

Im § 116 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) (Bundesanzeiger Verlag GmbH) - Besondere Ausnahmen - ist ausgeführt, dass Rechtsdienstleistungen eben gerade nicht auszuschreiben sind. Der besondere Ausnahmetatbestand liegt in den spezifischen Umständen des Gegenstands und liegt in der Natur der Sache. Die Vertragsbeziehung zwischen Sachverständigen und Auftraggebern zu baumstatischen Gutachten ist unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Vertrauens einzuordnen.

Verkehrssicherungspflichtig ist immer der Grundstückseigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht. Eine (befristete) Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf einen Gutachter, der ein baumstatisches Gutachten über die Stand- und Bruchsicherheit eines Baumes erstellt, ist immer mit Vertrauen in die fachliche Qualität des Erstellers gekoppelt. Der verkehrssicherungspflichtige Grundstückseigentümer muss bei der Auswahl des Gutachtenerstellers darauf vertrauen, dass dieser auch die fachliche Qualität tatsächlich besitzt. Besitzt der Gutachter trotz aller fachlich vorher festgelegten Auswahlkriterien und Regularien des Vergaberechtes die fachliche Qualifikation nicht, so haftet der verkehrssicherungspflichtige Grundstückseigentümer in letzter Konsequenz trotzdem.

Grundlage zur rechtlichen Einordnung des deutschen Rechts ist Artikel 10 der Richtlinie 2014/24/EU. Insofern liegt kein Verstoß gegen aktuelles europäisches Recht vor. Im Unterschwellenbereich national ist der Verweis auf § 116 GWB in der UVGO § 1 (2) enthalten (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2017).

Die Leistungen zur Erstellung von speziellen gutachterlichen Dienstleistungen können darüber hinaus nicht eindeutig und erschöpfend (Rechnungshof Baden-Württemberg 2005) beschrieben werden. Sachverständige haben bei der Verwendung der verschiedenen Begriffe einen Einschätzungsspielraum. Dieser wird auch in der aktuellen Fassung der Baumkontrollrichtlinien deutlich. Da im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit für Bäume zumindest teilweise eine Rechtsdienstleistung erbracht wird, liegt bei Ausschreibung einer Sachverständigenleistung, die eine Rechtsdienstleistung (Ist der Baum verkehrssicher?) anfragt, unserer Auffassung nach, ein Verstoß gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) vor. Bei der strategischen Beschaffung von sachverständigen (Baum-) Dienstleistungen steht für den öffentlichen Auftraggeber das nachhaltige Ziel der Erhaltung des Lebewesens "Baum" im Vordergrund, vorhandene (alte) Bäume zu schützen. Billige Baumgutachten sind kontraproduktiv, da sich der Sachverständige immer durch zu starke und nicht erforderliche Kronenreduktionen oder auch Empfehlungen der Fällung des Baumes einer möglichen Haftung zu Lasten des Baumes entziehen kann.

Fazit

Ausschreibungen von Sachverständigenleistungen, besonders bei Bäumen, sind aus fachlicher Sicht, (es besteht die reale Gefahr, den Baumerhalt zu gefährden) und der Einbindung ins Rechtswesen unzulässig.


Literaturverzeichnis

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  • Bundesanzeiger Verlag GmbH: Vergaberecht - Ausgabe 2018. Textsammlung GWB 4.-6. Teil, VgV, VOB Teile A und B, UVgO, VOL Teile A und B, SektVO, VSVgV, KonzVgV, VergStatVO. 5., aktualisierte Auflage. Köln: Bundesanzeiger.
  • Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017): Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung - UVgO).
  • Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (12.12.2007): Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen. (Rechtsdienstleistungsgesetz - RDG).
  • Burgi, Martin; Dreher, Meinrad (Hg.) (2017-): Beck'scher Vergaberechtskommentar Band 1. 3. Auflage. München: Verlag C.H. Beck.
  • Deutsches Ausschreibungsblatt: Freihändige Vergabe 2020 www.deutsches -ausschreibungsblatt.de/Informationen Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (2020): Baumkontrollrichtlinien Richtlinien für die Regelkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen. Bonn: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL).
  • Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (2013): Baumuntersuchungsrichtlinien. Richtlinien für eingehende Untersuchungen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen. 1. Ausg. Bonn: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL), zuletzt geprüft am 06.03.2016.
  • GHV - Gütestelle Honorar- und Vergaberecht e. V. (2018): Merkblatt: VgV-Verfahren. Die Vergabe freiberuflicher Leistungen nach VgV.
  • GHV - Gütestelle Honorar- und Vergaberecht e. V. (2019): Merkblatt: Freihändige Vergabe (Hessen). Die Vergabe von freiberuflichen Leistungen bei Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte in Hessen nach dem HVTG. Hg. v. GHV - Gütestelle Honorar- und Vergaberecht e. V. Mannheim.
  • Kaufhold, Wolfgang; Kalte, Peter; Reichl, Georg (Hg.) (2012): Die Vergabe freiberuflicher Leistungen ober- und unterhalb der Schwellenwerte. Handlungsanleitungen mit Praxisbeispielen [VOF, GWB, VgV, SektVO, Länderregelungen]. 2., überarb. u. erw. Aufl. Köln: Bundesanzeiger Verlag.
  • Rechnungshof Baden-Württemberg (2005): Vergabe von Gutachten durch die Ministerien. Az.: IV - 2000 W 18 - 04.39. Beratende Äußerung. Unter Mitarbeit von Gößler und Kiefer.
  • Schneevogl, Kai-Uwe; Müller, Jan Peter (2018): Praxislehrbuch Vergaberecht. Einführung in das Vergaberecht. 1. Auflage. Bonn: vhw - Verlag Dienstleistung.
  • Wessolly, L.: (2012) Spektakuläre Diagnosefälle, Pro Baum Patzer Verlag
  • Wessolly, L.: (2018) 30 Jahre Baumstatik- Ein Gewinn für die Bäume, deren Beurteilung und Pflege, 4. Fachtagung der Baumkontrolleure, Patzer
  • Wessolly, L.: (2015) Die Pappeln in der Heinrichallee nach dem Pfingstorkan ELA, unveröffentlichtes Gutachten für die Stadt Düsseldorf
  • Schmidt, D; Wessolly, L; Erb, M. (2016) Ausschreibungen von Sachverständigenleistungen sind unzulässig, pro Baum 2/2016.
  • Wessolly, L./Erb, M. (2014) Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle, Patzer Verlag, Berlin.

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