Baumpathologie und Biomechanik

VTA und SIA: Internationaler Workshop in Göteborg zieht kritisches Fazit

Baumpathologie Weiterbildung
Lynne Boddy (vorne,3.v.l.) und Karl Niklas (vorne, 2.v.r.) inmitten der Teilnehmer des Göteborger Workshops. Foto: Jon Hartill

Knapp 40 Baumsachverständige aus über zehn verschiedenen Ländern hatten im vergangenen August ein einmaliges Erlebnis im schwedischen Göteborg: Mit Lynne Boddy (Großbritannien) und Karl Niklas (USA) referierten zwei weltweit führende Experten für Baumpathologie und Biomechanik. Beide gehören zu den wenigen Professoren dieses Fachbereichs, deren berufliche Tätigkeit nicht privatwirtschaftlichen Interessen dient. So konnten sie die vielen praxisbezogenen Fragen neutral und unabhängig beantworten. Zu alten geschädigten Stadtbäumen zogen der Workshop folgendes Fazit: die sogenannte VTA-ein-Drittel-Regel zur Beurteilung der Bruchsicherheit geschädigter Stammquerschnitte (t/R >1/3!) ist bei alten geschädigten Stadtbäumen weder relevant noch anwendbar;

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Karl Niklas nahm sich Zeit, die Fragen aller Teilnehmer zu beantworten. Foto: Frank Rinn
  • das VTA-Kriterium zur Beurteilung des "Schlankheitsgrades" (H/D<50!) und das "Axiom konstanter Spannung" sind in dieser Allgemeinheit nicht korrekt und bei alten geschädigten Stadtbäumen;
  • die statischen Bruchsicherheits-Modelle der SIA-Methode verwenden falsche mathematische Formeln, gründen auf einem eher zu Aluminium passenden Struktur- und Materialmodell und verwenden die unsinnige oder falsche Referenzwerte, weshalb die Berechnungsergebnisse für Bäume grundlegend falsch und unbrauchbar sind;
  • mit SIA-Zugversuchen kann die Bruchsicherheit alter geschädigter Stämme grundsätzlich nicht ermittelt werden, die Standsicherheit lässt sich damit allerdings grob abschätzen;
  • bei den meisten alten geschädigten Stadtbäumen sind Kronenrückschnitte zur Windlastreduktion aus statischer Sicht nicht nötig, weil diese Bäume eine deutlich erhöhte (von SIA berechtigterweise betonte aber falsch berechnete) Grundsicherheit haben;
  • die sogenannten "dynamischen Kronensicherungen" können ihren vorgeblichen Zweck aufgrund biomechanischer Eigenschaften der Baumkronen nicht erfüllen;
  • weitverbreitete Ansichten über die angebliche Aggressivität von Pilzen (z. B. Brandkrustenpilz), sind am Baum weder korrekt noch relevant, weil sie an getrockneten und sterilisierten Laborproben erforscht wurden (am Baum aber spielt insbesondere auch die Holzfeuchtigkeit eine große Rolle, die wiederum von der Belaubung abhängt);
  • ein hoher Wassergehalt in den Zellen des äußeren Stammholzes ist zur Eindämmung der Pilzausbreitung mitunter wichtiger als Abschottungszonen, weswegen Rückschnitte nur dann erfolgen sollten, wenn sie wirklich zwingend notwendig sind (z. B. zur Reduktion von Torsionsbelastungen aufgrund unsymmetrischer Kronenform);
  • starke Rückschnitte sind bei geschädigten Altbäumen aus biologischer Sicht oft schädlich, weil sie die Vitalität schwächen und (insbesondere wegen der Reduktion des Wassertransports durch den Stamm) die Ausbreitung von Pilzen beschleunigen;
  • das Anbohren von Bäumen zur Untersuchung von deren Zustand ist weit weniger schädlich als von interessierten Kreisen immer wieder behauptet (ohne jemals Beweise vorgelegt zu haben) und kann deswegen bei Bedarf durchaus erfolgen, sollte aber nur mit Bohrgeräten erfolgen, deren Kurven eindeutig zur Dichte korrelieren;
  • die weitverbreitet übliche Kategorisierung der Baum-Vitalität anhand der Kronenstruktur ist falsch (und kennzeichnet eher Altersklassen).

Entsprechende Lehrinhalte und Vorgaben in Regelwerken sind demnach inhaltlich falsch. Sie führen zu einer unnötig teuren und noch dazu ökologisch nachteiligen Baumpflege und Baumsicherheitsbeurteilung. Als in Göteborg Publikationen aus den 1980er und 1990er Jahren gezeigt wurden, aus denen sich die vorgenannten Schlussfolrgerungen bereits ergaben, wurde den meisten klar, dass unser Fachbereich wichtige wissenschaftlichen Erkenntnisse bislang weitgehend ignoriert. Die Baumpflege braucht also zukünftig fachlich neutrale Forschung, Ausbildung und Tagungen, deren Inhalte sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert und die nicht, wie bislang insbesondere in Deutschland, mehr oder weniger gut versteckten wirtschaftlichen Interessen von Professoren (bzw. Lehrenden) und mit ihnen kooperierenden Firmen folgt.

Frank Rinn

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