Böden und Pflanzen verlieren Wasser

Atmosphärische Trockenheit in Europa nimmt deutlich zu

Die Luft in Europa ist in den letzten Jahrzehnten im Vergleich zur vorindustriellen Zeit deutlich trockener geworden. Dies ist auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen. Eine trockenere Atmosphäre entzieht Böden und Pflanzen mehr Wasser, verringert das Wachstum der Vegetation und verschärft Dürreperioden. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie eines internationalen Forschungsteams um die Dendrowissenschaftlerin Dr. Kerstin Treydte von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Trockenheit Bodenforschung
Baumscheibe einer Eiche aus Dransfeld/Deutschland mit 148 Jahresringen. Der tiefe Einschnitt bis in die Mitte zeigt die Position des für die Sauerstoffisotopenanalyse entnommenen Holzsegments. Foto: Gerhard Helle/GFZ

Mit einem neuartigen Ansatz haben die Forschenden das Dampfdruckdefizit (Vapor Pressure Deficit, VPD) als Maß für die Lufttrockenheit seit dem Jahr 1600 rekonstruiert. Sie untersuchten dazu das Isotopenverhältniss von schwerem und leichtem Sauerstoff (¹8O/¹6O) in Baumringen aus einem europäischen Netzwerk von Waldstandorten. Die Analysen zeigen, dass die Luft über weiten Teilen Europas seit Beginn des 21. Jahrhunderts trockener geworden ist als je zuvor – und dieser Trend hält an. "Angesichts der Dürreereignisse in vielen Regionen Europas in den letzten Jahren ist dieser Befund wirklich besorgniserregend", sagt Treydte.

Das Dampfdruckdefizit (VPD) beschreibt den "Durst der Atmosphäre", das heißt die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem maximal möglichen Wassergehalt der Luft. "Durstige" Luft mit hohem VPD entzieht Böden und Pflanzen mehr Wasser, verringert das Wachstum der Vegetation und bedroht die Gesundheit der Wälder. "Austrocknende Vegetation und Böden begünstigen die Häufigkeit von Waldbränden, wie wir sie kürzlich in Brandenburg erlebt haben", erläutert Dr. Gerhard Helle vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam und Mitautor der Studie. Es ist bekannt, dass das VPD in einem sich erwärmenden Klima zunimmt, aber es bestehen europaweit große Unsicherheiten hinsichtlich des Ausmaßes der langfristigen Veränderungen bis zurück in die vorindustrielle Zeit, in der es keinen starken menschlichen Einfluss gab. Aussagekräftige Datenreihen, die die regionalen Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Klimazonen angemessen widerspiegeln, sind eher spärlich.

Variationen von Atomen in Wasser und Baumringen

Um die Unsicherheiten zu verringern, wurden Jahrringdaten von 45 Waldstandorten in ganz Europa zusammengestellt, die bis ins Jahr 1600 zurückreichen. Die Studie basiert auf der Analyse stabiler Sauerstoffisotope, das heißt Varianten des Sauerstoffs mit unterschiedlicher Masse. "Wir haben Baumring-Isotopendaten von Standorten in Deutschland, Spanien, Italien und der Türkei beigesteuert", sagt Mitautor Dr. Ingo Heinrich, früherer Dendrochronologe am GFZ, inzwischen am Deutschen Archäologischen Institut in Berlin.

Die Isotopenverhältnisse des Sauerstoffs (¹8O/¹6O) im Wasserkreislauf sind Indikatoren für klimarelevante Prozesse. Ihre Variabilität hängt insbesondere mit Veränderungen der atmosphärischen Feuchtigkeit zusammen, die von der Lufttemperatur und den Niederschlägen abhängen. Sauerstoffisotope werden von Bäumen bei der Wasseraufnahme durch die Wurzeln aufgenommen. Ihre ¹8O/¹6O -Verhältnisse werden insbesondere während der Transpiration von Wasserdampf durch die Spaltöffnungen der Baumblätter verändert, d. h. durch winzige Poren, die den Kohlendioxid- und Wasser-Gasaustausch zwischen den Blättern und der Atmosphäre regeln. Aufgrund des soliden Verständnisses dieser zugrundeliegenden Prozesse in der Wissenschaft und wegen ihrer weiten Verbreitung sind Bäume wie kein anderes natürliches Klimaarchiv für jährlich aufgelöste Rekonstruktionen der atmosphärischen Feuchtigkeit geeignet.

Mit Hilfe von Modellsimulationen überprüften die Forschenden unabhängig voneinander die Ergebnisse aus den Isotopendaten der Jahresringe. Die Simulationen zeigen auch, dass das VPD des 21. Jahrhunderts im Vergleich zur vorindustriellen Zeit außergewöhnlich hoch ist. Mehr noch, sie zeigen, dass die heutigen VPD-Werte ohne Treibhausgasemissionen nicht hätten erreicht werden können – der menschliche Einfluss ist offensichtlich.

Die Kombination von Jahrringdaten, Modellsimulationen und direkten Messungen verdeutlicht darüber hinaus auch regionale Unterschiede: In Nordeuropa hat der Wasserdurst der Luft im Vergleich zur vorindustriellen Zeit am wenigsten zugenommen, weil die Luft dort generell kühler ist und weniger Wasser aufnehmen kann. Im mitteleuropäischen Tiefland sowie in den Alpen und Pyrenäen ist der VPD-Anstieg dagegen besonders stark, mit höchsten Werten in den Dürrejahren 2003, 2015 und 2018. "Diese Ergebnisse bestätigen in hohem Maße frühere Ergebnisse einer räumlichen Rekonstruktion der europäischen Sommertrockenheit, die aus einem viel kleineren Netzwerk von Baumstandorten gewonnen wurden, und unterstreichen die Wechselbeziehung zwischen Lufttrockenheit und Bodenfeuchtigkeit", sagt Helle.

Folgen für Wälder und Landwirtschaft

Ein weiterer Anstieg des VPD stellt eine langfristige Bedrohung für viele lebenswichtige Ökosystemfunktionen dar. Laut Treydte steigt der Wasserbedarf der Pflanzen. Wo nötig, müssen sie mehr bewässert werden. In der Landwirtschaft dürften die Ernteerträge sinken. In den Wäldern seien der Holzvorrat und die Kohlenstoffspeicherung gefährdet, was zu Unsicherheiten hinsichtlich der Klimaregulierung und der Kohlenstoffspeicherung führe. Das sei in den dicht besiedelten Regionen Europas besonders besorgniserregend. Der neue Maßstab Dampfdruckdefizit (VPD) ermöglich es jedoch, die Simulation künftiger Klimaszenarien zu verfeinern und Bedrohungen zu bewerten. GFZ Potsdam

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