Lösungen und Vorteile
Gebäudeintegrierte Farmwirtschaft
von: Dipl.-Ing. Nicole PfoserDie gebäudeintegrierte Farmwirtschaft nutzt Flächen von Gebäuden zum Anbau von Nutz-, Zierpflanzen oder Fisch (Aquaponik), die überwiegend innerhalb der Stadt verwendet oder vermarktet werden. Zur Anwendung stehen, unter Berücksichtigung der Bauphysik sowie der erhöhten Lasten für eine Farmwirtschaft, sonnen- und regenexponierte Flachdächer, Außenwände sowie Innenräume.
Die primären Ziele einer gebäudeintegrierten Farmwirtschaft sind die Einsparung ökologisch wertvoller Bodenflächen, Klimabeitrag, Energie- und Ressourceneinsparung durch kurze Versorgungs- und Transportwege, Bildung (Bewusstsein schaffen) sowie die Förderung des sozialen Miteinanders und gemeinnütziger Projekte.
Funktion und Aufbau
Die Zukunftsfähigkeit von Städten ist unter anderem abhängig von ihrer Energie- und Ressourceneffizienz, siehe dazu auch Stadtentwicklungsplan Klima (StEP Kima) Berlin.
Ein sinnvoller Ansatz ist die in Wert Setzung ungenutzter Flächen. Anbauflächen unter freiem Himmel und Dachgewächshäuser können unter anderem auf Flachdächern von Supermärkten, Kulturzentren, Schulen, Restaurants, Industrie- und Wohngebäuden errichtet werden. Deutschlands Städte bieten nach Einschätzung von Fraunhofer-Forschern rund 360 Millionen m² an Flachdächern von Nicht-Wohngebäuden, die für den Anbau von Pflanzen in Gewächshäusern genutzt werden können. Das entspricht in etwa einem Viertel der Größe Deutschlands Ackerflächen, die für den Gemüseanbau verwendet werden. [Umsicht] Zusätzlich stehen vertikale Gebäudeflächen für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. [Pfoser 2018]
Relevante Standortkriterien für eine gebäudeintegrierte Farmwirtschaft sind Flächengröße, Aufbau und Belastbarkeit der Primärkonstruktion, die Zugänglichkeit, die Belichtung sowie rechtliche Aspekte. [Zalf 2012] Anbauflächen auf dem Dach unterscheiden sich im Aufbau nicht von flächigen Intensivbegrünungen. Eine Schutzlage schützt den Dachaufbau vor mechanischer Einwirkung. Das Substrat sollte den Kriterien des Nahrungsmittelanbaus genügen. Pflanztröge und Hochbeete auf dem Dach sind heute keine Seltenheit mehr. Die Größe der Anbaufläche ist abhängig vom Nutzungskonzept. [Pfoser 2013/2018] Die Personensicherheit muss gegeben sein, die Ver- und Entsorgung mit Wasser und Nährstoffen ist sicherzustellen.
NL-Stellenmarkt
Ressourcen- und Stoffkreisläufe (z. B. Speicherung und Einsatz von Regenwasser, Nutzungr von Solarenergie, Kompostierung organischer Abfälle) sind sinnvolle Strategien. Dachgewächshäuser kommerzieller Projekte haben, abhängig von der Produktions- und Vertriebsplanung in der Regel eine Mindestfläche von circa 1000 m². Eine umweltgerechte Optimierung von Dachgewächshäusern kann beispielsweise durch den Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplungen, Wärmepumpen, Solarenergie, adiabate Abluftkühlung, Abwasserwärmerückgewinnung und Betriebswassernutzung erfolgen. [Zalf 2012]
Unterhalt und Pflege
Abhängig von der Art gebäudeintegrierter Farmwirtschaft (Anbau auf Dächern beziehungsweise in Dachgewächshäusern, Nutzung von Fassaden) ist die Bereitstellung und der Transport von Materialien für Pflege und Wartung zu klären, als auch der Abtransport von Erzeugnissen und nicht kompostierbarem Abfall. Details zur Wasserver- und Entsorgung sind festzulegen. Die Versorgung und Pflege der Anbauflächen sowie Produkte entspricht der in Klein-, Saisongärten und Gewächshäusern am Boden. Der saisonale Anbau von Produkten ist sinnvoll, um kostengünstig zu produzieren. Fruchtwechsel und Mischkulturen vermindern Anbauprobleme durch Nährstoffmangel, Parasiten und Krankheiten. Aussaat-, Anbau und Erntezeiträume sind zu berücksichtigen. Einzelne Produkte stellen unterschiedliche Ansprüche an den Aufbau. So benötigen beispielsweise Kräuter andere Substratdicken, als Wurzelgemüse. Bienen-/Hummelvölker sorgen für eine gute Bestäubung. [Pfoser 2013/2018] Auch ein gewerblicher Anbau ist insbesondere in Dachgewächshäusern möglich. Grundsätzlich muss abgewogen werden, welches Anbauverfahren (Anbau in Erde, in Substrat, Hydroponik, Aquaponik) und welcher Gewächshaustyp für die jeweilige Zielsetzung geeignet ist. [Zalf 2012]
Maßnahmenwirkung
Innerstädtischer Obst- und Gemüseanbau auf, an oder in Gebäuden ist durch kurze Versorgungswege, Wasser-, Energie- und Stoffkreisläufe energie-, ressourcenschonend und CO2-reduzierend. Die lokale Nahrungsmittelerzeugung (Obst-/ Gemüseanbau) stoppt den Landverbrauch (Monokultur/Überdüngung) und leistet zudem einen stadtökologischen Beitrag durch die Verschattung und Verdunstungskühlung der Pflanzen sowie eine erhöhte Artenvielfalt am Standort. Begrünungen zur Selbstversorgung in Form von intensiven Dachbegrünungen (Beete für den Anbau von Obst und Gemüse), Fassadenbegrünungen (bspw. Weintrauben, Kiwi, Bohnen) fördern die Umweltbildung (Gartenbau, Ökologie, Handel, Nachhaltigkeit) und die soziale Stadtentwicklung (z. B. generationsübergreifende und interkulturelle Nachbarschaftsprojekte, Naherholung).
Ob temporär oder dauerhaft, bringen die Begrünungen eine erhöhte Aufenthaltsqualität mit sich, schützen die Gebäudehülle vor UV-Strahlen und Witterungseinflüssen und halten Regenwasser zurück (Einsparung Niederschlagswassergebühren). [Pfoser 2013/2018] Hydroponik und Aquaponik verknüpfen als gebäudeintegrierbare, wasserbasierte Farmingstrategien Abwasseraufbereitungstechnologien mit Nahrungsmittelproduktion und leisten aktiven Klimaschutz durch Regenwassermanagement im und am Gebäude (Roof Water-Farm). Multifunktionale, nachhaltige Infrastrukturentwicklung und urbane Resilienz sind wesentliche Zukunftsthemen
Literaturhinweise
- FLL, Hrsg. (2018): Dachbegrünungsrichtlinien - Richtlinien für die Planung, den Bau und die Instandhaltung von Dachbegrünungen. Bonn
- Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik Umsicht (2011): in Farming. Landwirtschaft auf dem Dach der Forschung, unter: https://www.umsicht.fraunhofer.de/de/presse-medien/pressemitteilungen/2011/infarming.htmlwww.umsicht.fraunhofer.de/de/presse-medien/pressemitteilungen/2011/infarming.html.
- Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) e. V./inter 3 GmbH Institut für Ressourcenmanagement/Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin (ISR), Fachgebiet Stadt- und Regionalökonomie (2012): Es wächst etwas auf dem Dach. Dachgewächshäuser, Idee, Planung, Umsetzung. ZFarm, städtische Landwirtschaft der Zukunft, unter: http://www.zalf.de/htmlsites/zfarm/Documents/leitfaden/dachgewaechshaeuser_leitfaden.pdfwww.zalf.de/htmlsites/zfarm/Documents/leitfaden/dachgewaechshaeuser_leitfaden.pdf [12.05.2020]. Der Forschungsbericht wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.
- Pfoser, N. et al. (2013): Gebäude, Begrünung und Energie: Potenziale und Wechselwirkungen. Interdisziplinärer Leitfaden als Planungshilfe zur Nutzung energetischer, klimatischer und gestalterischer Potenziale sowie zu den Wechselwirkungen von Gebäude, Bauwerksbegrünung und Gebäudeumfeld. Der Forschungsbericht wurde mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesministeriums für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert.
- Pfoser, N. (2018): Vertikale Begrünung. Stuttgart
- Philips, A. (2013): Designing urban agriculture. A Complete Guide to the Planning, Design, Construction, Maintenance, and Management of Edible Landscapes. New Jersey
- Roof Water Farm, unter: www.roofwaterfarm.com [13.11.2019]. Technische Universität Berlin, Fakultät VI Planen - Bauen - Umwelt, Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR), Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen.
- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Hrsg.) (2011): Stadtentwicklungsplan Klima. Urbane Lebensqualität im Klimawandel sichern. Berlin: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/download/klima/step_klima_konkret.pdfwww.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/download/klima/step_klima_konkret.pdf [15.04.2020]
- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Hrsg.) (2016): Stadtentwicklungsplan Klima 2.0. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/de/klima/www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/de/klima/ [15.04.2020]
- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Hrsg.) (2012): Strategie Stadtlandschaft Berlin. natürlich urban produktiv. Berlin: www.berlin.de/senuvk/umwelt/landschafts- planung/strategie_stadtlandschaft/ [15.04.2020]