Multifunktionale Flächennutzung als Beitrag zur urbanen Starkregenvorsorge

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Regenvorsorge Hochwasserschutz
Starkregen in der Stadt. Foto: MUST Städtebau

Die Vorsorge vor starkregenbedingten Überflutungen ist eine Aufgabe, der sich insbesondere die Kommunen in den nächsten Jahrzehnten verstärkt werden stellen müssen - gerade im Kontext des Klimawandels. Als ein möglicher Baustein der Überflutungsvorsorge wird in der Diskussion immer wieder die „multifunktionale“ Nutzung von Freiflächen als urbane Retentionsräume genannt. Dahinter steckt der Ansatz, zur Schadensbegrenzung bei sehr seltenen und außergewöhnlichen Starkregen an der Oberfläche abfließendes Wasser gezielt in ausgewählte Bereiche mit geringerem Schadenspotenzial zu leiten.

In diesem Zusammenhang bietet es sich an, Verkehrs- und Grünflächen mit geringem Schadenspotenzial (beziehungsweise vergleichsweise niedrigen Wiederherstellungskosten) zur temporären Ableitung und Retention der Abflussspitzen heranzuziehen. Der vorrangige Nutzungszweck der Flächen soll dabei nicht eingeschränkt, sondern nur um die temporäre Zwischenspeicherung von Regenwasser bei Starkregen erweitert werden. Während der Lösungsansatz im Ausland schon erfolgreich umgesetzt wurde, müssen in Deutschland noch einige rechtliche und betriebliche Bedenken entkräftet werden.

1. Ausgangslage und Problemstellung

In den zurückliegenden Jahren haben lokal auftretende Starkregen mehrfach Überflutungen mit erheblichen Schäden verursacht. Die Relevanz derartiger Ereignisse wird in den Schadensberichten der Versicherungswirtschaft unterstrichen. Durch den prognostizierten Klimawandel und die damit wahrscheinlich einhergehende Zunahme der Häufigkeiten und Intensitäten von Starkregen wird sich die Überflutungsgefahr insbesondere in urbanen Räumen spürbar erhöhen. Gleichzeitig wird die Anfälligkeit von Städten gegenüber Überflutungsschäden mit der andauernden Verdichtung urbaner Siedlungsformen vor dem Leitbild der "kompakten und energieeffizienten Stadt" vermutlich sogar noch zunehmen.

Die skizzierten Umstände machen es notwendig, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um zukünftig Schäden durch seltene und außergewöhnliche Starkregen zu vermeiden. Angesichts der kritischen Situation der meisten Kommunalhaushalte stehen jedoch nur sehr begrenzte finanzielle Ressourcen für eine Anpassung zur Verfügung. Daneben lassen sich Überflutungen durch lokale Starkregenereignisse im Gegensatz zu Flusshochwassern sowohl räumlich als auch zeitlich schwieriger vorhersagen, was die Kommunen zu einem flexiblen Planen und Handeln unter großen Ungewissheiten zwingt. Die konventionelle Entwässerung über Kanäle weist jedoch aufgrund der zentralen Ausrichtung der Kanäle und ihrer Langlebigkeit naturgemäß eine nur geringe Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Beanspruchungen auf.1 Angesichts der Unsicherheiten der Niederschlagsprognosen bedarf es einer flexiblen Siedlungsentwässerung, die insbesondere auf möglichst einfache und dezentrale Lösungen fokussiert.

Die Anpassung an starkregenbedingte Überflutungen wird daher in der wasserwirtschaftlichen Fachdiskussion vermehrt als eine kommunale Gemeinschaftsaufgabe betrachtet, an der künftig neben der Stadtentwässerung auch verstärkt die Stadt- und Freiraumplanung zu beteiligen sind. Die Leistungsgrenzen der unterirdischen Kanalsysteme bei Starkregen zwingen die Städte dazu, die wasserwirtschaftlichen Anforderungen vermehrt mit städtebaulichen und stadtökologischen Ansprüchen zu kombinieren und Regenwassermanagement im Sinne einer "wassersensiblen Stadtentwicklung" frühzeitig und kontinuierlich in die Planung und den Umbau von Siedlungen einzubinden.2

Ziel einer wassersensiblen Stadtentwicklung ist es, möglichst viele Synergien der Entwässerung beziehungsweise des Überflutungsschutzes mit anderen planerischen Themenfeldern (zum Beispiel Stadtgestaltung, Ökologie, Erholung, Lokalklima) anzustreben und dabei vor allem solche Maßnahmen zu verfolgen, die einerseits in der Lage sind, ein Problem mit wenig Aufwand zu lösen beziehungsweise zu lindern, andererseits aber keine beziehungsweise kaum Nachteile mit sich bringen, falls sich ihr Anlass im Nachhinein als nicht begründet erweisen sollte ("no regret").

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Gezielte Ableitung und Rückhaltung der Oberflächenabflüsse auf Verkehrs- und Freiflächen.
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Möglichkeiten der multifunktionalen Nutzung zur Überflutungsvorsorge.

2. Lösungsansatz multifunktionale Flächennutzung

Eine Maßnahme, die in besonderem Maße den Anforderungen einer no-regret-Strategie entspricht, bildet die Idee der multifunktionalen Flächennutzung. Dabei werden Freiflächen mit einer ursprünglich anderen Nutzung (zum Beispiel Straßen, Parkplätze, Sportanlagen, Grünflächen) oder auch ungenutzte Räume in Gebäuden im Fall eines Starkregenereignisses temporär zur gezielten Retention oder zur kontrollierten Ableitung der bei Überflutungen auftretenden Oberflächenabflüsse in dafür vorbestimmte Bereiche mit geringerem Schadenspotenzial genutzt. Die betreffenden Freiflächen erfüllen die meiste Zeit des Jahres ihren Hauptzweck als Verkehrsraum oder als Aufenthaltsort für die Bevölkerung. Im seltenen Fall eines Starkregens ändert sich ihr Erscheinungsbild und sie übernehmen kurzzeitig die wasserwirtschaftliche Funktion einer Ableitungs- beziehungsweise Retentionsfläche (vgl. Abb. 2 und 3). Anschließend wird das zurückgehaltene Regenwasser gedrosselt an das Kanalsystem oder an ein Gewässer abgegeben.

Verkehrs- und Freiflächen übernehmen bereits heute bei seltenen und außergewöhnlichen Starkregen faktisch eine Speicher- beziehungsweise Ableitungsfunktion. Im Bereich überlasteter Kanalsysteme werden zumindest punktuell Oberflächenabflüsse zum Beispiel im Straßenraum oder in Freiflächen aufgenommen, zwischengespeichert und nach Rückgang der Überlastungszustände - soweit vorhanden - über Straßeneinläufe wieder dem Kanalnetz zugeführt. Diese "De-facto-Funktionalität" von Verkehrs- und Freiflächen bei Starkregen eröffnet die Möglichkeit, den Fokus auf bisher nicht genutzte Synergien und Optimierungspotenziale der kommunalen Überflutungsvorsorge zu lenken.

Vor dem Hintergrund leerer kommunaler Kassen bietet der multifunktionale Ansatz zudem finanzielle Synergien, da durch eine Bündelung der Mittel Investitionen eingespart oder sinnvoller eingesetzt werden. Eine ohnehin vorgesehene Verbesserung der Aufenthaltsqualität öffentlicher Freiflächen im Zuge der Stadterneuerung oder eine aus verkehrsplanerischen Gründen notwendige Instandsetzung öffentlicher Straßen wird so mit Maßnahmen zur städtischen Regenbewirtschaftung verknüpft. Ein umfassender Ausbau des Kanalnetzes oder eine kostenintensive Errichtung von Rückhalteanlagen kann dadurch weitestgehend verhindert werden. Nicht zuletzt wird auf diese Weise großen Gebührensprüngen aufgrund hoher Kanalsanierungskosten zielgerichtet entgegengetreten und eine sozialverträgliche Gebührenentwicklung gewährleistet.

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Entwurf für die gezielte Nutzung eines Stadtplatzes zum Rückhalt von Starkregen. Foto: MUST Städtebau im Rahmen des Projektes KLAS Bremen
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Eröffnung des Wasserplatzes Bellamyplein in Rotterdam. Foto: Gemeente Rotterdam

3. Stand der Praxis

Dem Lösungsansatz der multifunktionalen Flächennutzung wird in der aktuellen wasserwirtschaftlichen Fachdiskussion ein hoher Stellenwert eingeräumt. Dabei wird insbesondere betont, dass für die besonders überflutungsrelevanten und schadensträchtigen seltenen Starkregen unterirdische Kanalsysteme nur noch eine begrenzte Wirkung haben. Zur temporären Übernahme entsprechender Funktionen des Überflutungsschutzes und der Schadensbegrenzung wird - neben Maßnahmen des lokalen Objektschutzes - die Einbeziehung von Verkehrs- und Freiflächen explizit angesprochen.3 Diese Funktionalität spiegelt sich auch in der Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten "Überstau" und "Überflutung" und den damit in Verbindung stehenden Häufigkeiten nach DIN EN 752 und DWA A 118 wieder.

Während das Kanalnetz insbesondere für solche Regen einen Grundbeitrag zum Überflutungsschutz liefert, die statistisch betrachtet alle fünf Jahre auftreten, zielt die Aktivierung von Verkehrs- und Freiflächen auf einen weitergehenden Überflutungsschutz für seltene und außergewöhnliche Starkregen ab. Allerdings fehlen bislang sowohl im technischen Regelwerk als auch in der einschlägigen Fachliteratur konkrete Vorgaben zur Realisierung multifunktionaler Retentionsräume, was zur Folge hat, dass sich in Deutschland bislang nur wenige Beispiele für derartige Lösungen finden lassen.

In der Umsetzung am weitesten fortgeschritten ist derzeit die Hansestadt Hamburg. Angestoßen durch das "Kompetenznetzwerk Hamburg Wasser" und das Projekt "RegenInfrastrukturAnpassung" (RISA) werden dort derzeit mehrere Pilotprojekte (zum Beispiel Regenwasserspielplatz Neugraben Fischbek, Ohlendorffs Park, Mitte Altona) einer Mitbenutzung von bestehenden Verkehrs- und Grünflächen diskutiert beziehungsweise befinden sich teilweise in der Umsetzung [zum Beispiel4; 5]. Auch andere Städte in Deutschland arbeiten an ähnlichen Konzepten der Einbeziehung von Verkehrs- und Freiflächen zur Starkregenvorsorge wie zum Beispiel Bremen (vgl. Abb. 4). Allerdings mangelt es bislang häufig an allgemeinen Erfahrungswerten und an realisierten Positivbeispielen. Insbesondere das rechtliche Konfliktpotenzial (Sicherheit, Haftung) und ungeklärte Zuständigkeiten hemmen die Umsetzung in der Praxis.

Die überzeugendsten Beispiele für eine gelungene Umsetzung der multifunktionalen Flächennutzung finden sich vorwiegend im Ausland und insbesondere in Dänemark6 sowie in den Niederlanden.7 Im Unterschied zu Deutschland wird der Lösungsansatz in diesen Ländern als eine notwendige No-regret-Strategie angesehen, mit der - unabhängig von Bemessungsansätzen und Wiederkehrzeiten - eine zusätzliche Stufe des urbanen Überflutungsschutzes geschaffen werden kann. Durch die intensive Kooperationsbereitschaft der beteiligten Akteure, einem ausgeprägten Pragmatismus und einer hohen Flexibilität bei der Finanzierung und bei den Zuständigkeiten, ist es gelungen, die Idee der multifunktionalen Flächennutzung in Pilotprojekten erfolgreich umzusetzen. Einen der Vorreiter bei der gelungenen Umsetzung multifunktionaler Flächen zur Starkregenvorsorge bildet die Stadt Rotterdam. Aspekte der Überflutungsvorsorge und der integrierte Umgang mit Regenwasser genießen hier seit jeher einen besonderen Stellenwert.

In Zusammenarbeit der Wasserwirtschaft mit lokalen Stadt-, Freiraum- und Infrastrukturplanern wurde 2007 ein "Wasserplan" erarbeitet.8 Dieser formuliert integrierte Umsetzungsstrategien zum zukünftigen Umgang mit den sich wandelnden Niederschlagsverhältnissen und verfolgt das Ziel, die Überflutungsgefahr beziehungsweise die Anpassung daran als Chance zu nutzen, eine sichere und gleichzeitig attraktivere Stadt zu schaffen.

Der Rotterdamer Wasserplan sieht ausdrücklich vor, überschüssiges Regenwasser in Notfallsituationen temporär auf sogenannten "Wasserplätzen" und in Straßenräumen zurückzuhalten, bevor es dem Kanalsystem beziehungsweise dem Grund- oder Oberflächenwasser zugeführt wird. Mit Hilfe von Abflussanalysen wurden geeignete Standorte für eine multifunktionale Flächennutzung in der Stadt identifiziert und deren "Auffangkapazitäten" quantifiziert. Anschließend wurden die ausgewählten Bereiche hinsichtlich ihrer Eignung für eine Kombination wasserwirtschaftlicher und städtebaulicher Maßnahmen bewertet und jeweils standortgerechte städtebauliche Lösungen entwickelt.

Mittlerweile wurden die ersten multifunktionalen Flächen und Gebäude in Rotterdam umgesetzt. Urbane Räume, die aus Sicht der Stadtverwaltung ohnehin eine städtebauliche Aufwertung erfahren sollten, wurden derart umgestaltet, dass sie gleichzeitig eine Funktion zur Überflutungsvorsorge erfüllen können. Mit dem Benthemplein und dem Bellamyplein (vgl. Abb. 4) entstanden so in den letzten Jahren attraktive Stadtplätze, die einerseits die Aufenthaltsqualität in der Stadt erhöhen und gleichzeitig bei extremen Regenereignissen in der Lage sind, Abflussspitzen temporär aufzufangen. Infolge des Mangels an geeigneten Freiflächen in der Innenstadt, sucht man darüber hinaus auch nach unterirdischen Kapazitäten für die Starkregenvorsorge bei ohnehin anstehenden Bauvorhaben. So wurden in den letzten Jahren am Rotterdamer Hauptbahnhof und am Museumspark zwei neue Tiefgaragen errichtet, deren Lufträume (beispielsweise unterhalb der Zufahrtsrampen) ebenfalls als zusätzliches Retentionsvolumen für extreme Niederschläge genutzt werden.9

4. Wege zu einer erfolgreichen Umsetzung

Während die Umsetzung des multifunktionalen Ansatzes im Ausland bereits gelungen ist, scheitert sie in Deutschland bislang zumeist an rechtlichen, betrieblichen und finanziellen Bedenken. Um eine systematische Planung und Realisierung multifunktionaler Retentionsräume auch hierzulande in Gang zu setzen, ist es unerlässlich, dass ein Umdenken stattfindet und die Vorbehalte gegenüber der Lösung entkräftet werden. Im Fokus muss dabei die Frage stehen, wie Verkehrs- und Freiflächen anforderungsgerecht verändert werden können, so dass sie bei bestimmten Niederschlagsereignissen zu einem entscheidenden Faktor der Entwässerung und des urbanen Überflutungsschutzes werden.

Rechtssicherheit

Die rechtlichen Bedenken gegenüber einer multifunktionalen Flächennutzung beziehen sich zumeist auf Aspekte der Verkehrssicherheit, der Haftung und der Barrierefreiheit. Bei näherer Betrachtung erscheinen die Sicherheitsrisiken, die möglicherweise aus der Einbeziehung von Verkehrs- und Freiflächen zur Überflutungsvorsorge entstehen könnten, durchaus überschaubar beziehungsweise kontrollierbar. Die vorgesehenen Einstauhöhen (maximal Hochbord) und die Ableitgeschwindigkeiten stellen grundsätzlich keine Gefahr für Personen oder Fahrzeuge dar, da sie deutlich unterhalb der Watttiefen von Pkw und der Sturzgrenzen eines durchschnittlichen Menschen liegen.10 Besondere Anforderungen bestehen lediglich in topographisch stark bewegtem Gelände, da die Impulskräfte hier deutlich stärker wirken als in der Ebene und daher größere Sicherheitsrisiken bergen. Auch das Risiko von Aquaplaning kann sich zwar grundsätzlich durch den gezielten temporären Rückhalt oder die Ableitung von Wasser auf Verkehrsflächen kurzfristig erhöhen, allerdings können die Gefahren aufgrund der durchschnittlichen Geschwindigkeiten auf Stadtstraßen - insbesondere bei starkem Regen - ebenfalls als gering angesehen werden. Es liegt zudem generell in der Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer oder der sonstigen Nutzer der Flächen, sich den jeweiligen Witterungsverhältnissen, zum Beispiel durch eine Reduzierung der Geschwindigkeit oder die Wahl eines sicheren Weges, anzupassen. Temporäre Komforteinschränkungen (beispielsweise Spritzfahnen, eingeschränkte Zugänglichkeit von Flächen), ähnlich wie sie zum Beispiel durch winterliche Glätte, Schnee oder nasses Laub hervorgerufen werden, lassen sich dabei nicht vermeiden.

Zur Erfüllung der gemeindlichen Verkehrssicherungspflicht und zum Ausschluss eventueller Haftungsansprüche bei der Umsetzung multifunktional genutzter Flächen, stellt die Durchführung ausreichender Vorsorgemaßnahmen und die Warnung vor eventuellen Beeinträchtigungen (zum Beispiel durch Beschilderung) eine zentrale Bedingung dar. Auch eine sachgemäße Unterhaltung und die regelmäßige Funktionskontrolle der genutzten Bereiche bilden wichtige Voraussetzungen, um den Ansprüchen der Sorgfaltspflicht gerecht zu werden. Es sollte auf jeden Fall nicht das Ziel sein, eine mehrfach genutzte Fläche aus Gründen der Verkehrssicherheit wie ein Rückhaltebecken einzuzäunen, da dies dem Grundgedanken der Multifunktionalität widersprechen würde. Die Beispiele aus Rotterdam oder Kopenhagen zeigen, dass eine Sicherheit auch über die Gewährleistung einer ausreichenden sozialen Kontrolle gelingen kann.

Die Betrachtung der rechtlichen und funktionalen Anforderungen an die Barrierefreiheit von öffentlichen Flächen verdeutlicht, dass eine flächendeckende Herstellung von auf die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Personen zugeschnittenen Straßen und Wegen mit zumutbaren Mitteln grundsätzlich nicht zu realisieren ist. Nichtsdestotrotz ergeben sich aus dem Sicherungsbedürfnis überdurchschnittlich hilfsbedürftiger Personen Anforderungen an die Umsetzung multifunktionaler Flächen. Dies gilt vor allem für den Einsatz von Hochborden mit Abweichungen von den Regelmaßen. Bei derartigen Maßnahmen muss sichergestellt werden, dass in angemessenen Abständen abgesenkte Querungsstellen und Rampen bereit stehen und dass barrierefreie Wegeketten nicht unterbrochen werden.

Auch die taktile Erkennbarkeit von Kanten sowie der Einsatz rutschfester Oberflächenmaterialien ist bei der Planung multifunktionaler Verkehrs- und Freiflächen zu berücksichtigen, um den Anforderungen an die Barrierefreiheit gerecht zu werden.

Finanzierung und Zuständigkeiten

Eine Umgestaltung von Verkehrs- oder Freiflächen aus rein entwässerungstechnischen Beweggründen ist in Zeiten knapper Mittel sehr unwahrscheinlich. Anlass für die Ertüchtigung der Flächen zum Rückhalt oder Transport von Regenwasser können daher immer nur solche städtebaulichen oder freiraumplanerischen Veränderungen sein, die ohnehin anstehen. Die Frage, ob die daraus eventuell entstehenden Mehrkosten im Sinne des bundesrechtlichen und kommunalen Abgaberechtes beitragsfähig sind, ist jedoch nicht abschließend geklärt. Angesichts der Vorteile, die durch Maßnahmen für den Überflutungsschutz der angrenzenden Grundstücke entstehen, erscheint eine finanzielle Beteiligung der nutznießenden Anlieger an der Maßnahme jedoch - ähnlich wie beim Lärmschutz - grundsätzlich nicht abwegig.

Aufgrund der erfahrungsgemäß hohen Zahl von Rechtsstreitigkeiten im Bereich desBeitragsrechtes für Infrastrukturen, sollte in Erwägung gezogen werden,Maßnahmen der oberflächigen Überflutungsvorsorge in den Katalog derausbau- und erschließungsbeitragsfähigen Anlagen ergänzend mit aufzunehmen. Dadurch könnte eine Rechtssicherheit geschaffen werden, umfür die Finanzierung der (potenziellen) Mehrkosten Ausbaubeiträge einfordern zu können.

Offen bleibt auch die Frage, ob eineRefinanzierung von Maßnahmen zur Überflutungsvorsorge im öffentlichen Raum über Abwassergebühren, wie zum Beispiel in den Niederlanden, möglich ist, und inwieweit durch veränderte Budgetzuweisungen neue Finanzierungswege für multifunktionale Flächen eröffnet werden können. Trotz der aus gesamtwirtschaftlicher Sicht offensichtlichen Vorteile des Lösungsansatzes, scheitert die Umsetzung nämlich bislang vor allem an den fehlenden Mitteln der zuständigen Stellen. Es bedarf daher der Bereitstellung eines fachübergreifenden Budgets zur Deckung der Mehrkosten für die Herstellung sowie insbesondere der Betriebskosten für die Reinigung und Instandsetzung einer multifunktional genutzten Fläche.

5. Fazit und Ausblick

Die gelungenen Projekte aus dem benachbarten Ausland zeigen, dass eine multifunktionale Flächennutzung möglich ist und einen Beitrag sowohl zur Überflutungsvorsorge als auch zur Aufwertung der Freiraumqualität in der Stadt liefern kann. Auch in den Niederlanden sah man sich zunächst mit denselben Bedenken konfrontiert wie in Deutschland. Allerdings herrschte bei allen Beteiligten von Beginn an ein Konsens darüber, dass die kontrollierte Einbeziehung von Verkehrs- und Freiflächen vor dem Hintergrund des Klimawandels unumgänglich sein wird und den einzigen Weg darstellt, Niederschlagsextreme zu beherrschen und Schäden zu vermeiden. Durch eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Akteuren der Wasserwirtschaft und der Stadtgestaltung sowie einem hohen Innovationspotenzial bei der Gestaltung und bei der Finanzierung der Maßnahmen, konnte es gelingen, eine breite Akzeptanz für die Lösung multifunktionaler Flächen zu schaffen und jenseits der Diskussion über deren Bemessungsansätze und über Zuständigkeiten überzeugende Pilotprojekte zu realisieren.

Um auch hierzulande eine erfolgreiche Umsetzung zu gewährleisten, gilt es zunächst, mehrfach genutzte Flächen nicht mit konventionellen Rückhalte- und Ableitungsbauwerken gleichzustellen. Anstatt sie als abwassertechnische Anlagen einzustufen und Anforderungen an ihre Bemessung zu formulieren, sollte man den multidimensionalen Ansatz - im Sinne einer no-regret-Strategie - vielmehr als eine unterstützende städtebauliche Maßnahme zur Schadensminderung bei außergewöhnlichen Regenereignissen in der Stadt betrachten. Zwar weist die Lösung Nutzungsaspekte auf, die sich mit konventionellen Rückhalte- und Ableitungsanlagen überschneiden. Allerdings erscheint es nicht zielführend, die technischen Anforderungen für diese Anlagen unmittelbar auf multifunktionale urbane Retentionsräume zu übertragen. Vielmehr sollten sich die betreffenden Flächen weitgehend außerhalb des bestehenden technischen Regelwerks bewegen.

Die rechtlichen Bedenken gegenüber einer multifunktionalen Nutzung zur Überflutungsvorsorge sind berwindbar und eine Umsetzung erscheint unter bestimmten Bedingungen möglich. Wenngleich sich nicht alle Flächen in der Stadt in gleichem Maße für eine multifunktionale Nutzung eignen, sollte immer angestrebt werden, kontrolliert mit außergewöhnlichen Abflüssen an der Oberfläche umzugehen, anstatt das Regenwasser weiter unbehindert seinen eigenen Weg suchen zu lassen. Die Tatsache, dass die überflutungsgefährdeten Bereiche in der Stadt aufgrund der sich ständig verbessernden Abflussmodelle mittlerweile vielerorts bekannt sind, verpflichtet die Kommunen im Rahmen der ihnen obliegenden Daseinsvorsorge nach Maßnahmen zu suchen, mit denen sich die Schadensrisiken vor dem Hintergrund des Klimawandels reduzieren lassen.

Es bedarf einer weiteren Sensibilisierung der kommunalen Politik sowie insbesondere der Stadt- und Freiraumplanung für das Thema der urbanen Starkregenvorsorge. Im Rahmen der Projekte RISA in Hamburg und KLAS in Bremen wurden erste Planungsempfehlungen für eine wassersensiblere Gestaltung von Verkehrs- und Freiflächen entwickelt [11; 12], die in Ergänzung zum Leitfaden zur Überflutungsvorsorge der DWA/BWK13 gezielt diese Akteure ansprechen und für den "neuen" Belang der Starkregenvorsorge beziehungsweise für ein multifunktionales Denken sensibilisieren sollen. In einem durch die Deutsche Bundestiftung Umwelt (DBU) geförderten Forschungsprojekt "MURIEL - Multifunktionale urbane Retentionsflächen, von der Idee zur Realisierung"14

werden diese Empfehlungen aktuell anhand von Pilotprojekten in Köln, Karlsruhe und Wesseling hinsichtlich Ihrer Praxistauglichkeit überprüft. Dabei wird untersucht, wie die oben beschriebenen Hürden überwunden werden können, damit in naher Zukunft die ersten überzeugenden und rechtsicheren Projekte einer gezielt geplanten multifunktionalen Flächennutzung als Beitrag zur urbanen Überflutungsvorsorge in Deutschland umgesetzt werden.

Literatur

1) Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (Hg.): Klimawandel in
Stadtentwässerung und Stadtentwicklung – Methoden und Konzepte (KISS), Düsseldorf 2013.

2) Benden, J.;M. Siekmann: Wassersensible Stadtentwicklung. Anpassung von Siedlungs- und Infrastrukturen
an die Auswirkungen des Klimawandels. In: Mörsdorf et al. (Hrsg.): Anderes Klima. Andere Räume! Zum Umgang mit Erscheinungsformen des veränderten Klimas im Raum. Leipzig 2009.

3) DWA: Prüfung der Überflutungssicherheit von Entwässerungssystemen, Arbeitsbericht DWA-AG ES-2.5,
KA-Abwasser, Abfall (55), Heft 9/2008.

4) Waldhoff, A.; J. Ziegler; G. Bischoff; S. Rabe: Stormwater Management – an Approach for the City of Hamburg, Germany. In: gwf-Wasser/Abwasser. International Issue 2012. S. 84–88. München 2012.

5) Krieger, K.; K. Fröbe: Innovatives Entwässerungskonzept – das Projekt Regenspielplatz in Hamburg.
In: bbr Heft 01–2014. S. 26–29, Bonn 2014.

6) Read, J./C. N. Nielsen: Wolkenbruch in Kopenhagen. Aus Hochwasser-Risikovorsorge wird eine Zukunftsvision entwickelt. In: Stadt+Grün, Heft 8–2013. Berlin–Hannover 2013.

7) Benden, J.: Wassersensibler Stadtumbau im Zeichen des Klimawandels – Lernen von den Niederlanden?
In: Stadt Region Land, Heft 86, Aachen 2009.

8) Gemeente Rotterdam et al.: Waterplan Rotterdam 2 – Werken aan water voor een aantrekelijke stad, Rotterdam 2007.

9) Rotterdam.Climate.Initiative: Ondergrondse Waterberging Museumpark. www.rotterdamclimateinitiative.
nl/water-en-klimaatadaptatie/projecten, Zugriff am 17.10.2014.

10) Benden, J.: Möglichkeiten und Grenzen der Mitbenutzung von Verkehrsflächen zum Überflutungsschutz
bei Starkregenereignissen. Dissertation an der RWTH Aachen, 2014 (http://darwin.bth.rwth-aachen.de/opus3/volltexte/2014/5248/).

11) Senator für Umwelt, Bau und Verkehr (SUBV): Merkblatt für eine wassersensible Stadt- und Freiraumplanung in Bremen (bislang unveröffentlicht).

12) Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI): Hamburger
Regelwerkes für die Straßenplanung (ReStra), Hinweise für eine wassersensible Straßenraumgestaltung.
Hamburg 2015.

13) DWA: Starkregen und urbane Sturzfluten. Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge, DWA-Themen T1/2013, August 2013.

14) www.must.nl/de/projecten/muriel-multifunktionale-flachen-in-der-stadt

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MUST Städtebau GmbH

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