Sachstand zum cw-Wert von Bäumen

Zugversuche zur Bestimmung der Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen wurden im Rahmen weitergehender Untersuchungen seit 1981 entwickelt und erstmalig 1984 eingesetzt. Ein hauptsächliches Element der in Fachkreisen immer weiter verbreiteten Zugversuchmethoden ist die Windlastermittlung.

Von der ermittelten Windlast des Baumes hängen ganz wesentlich die Untersuchungsergebnisse der Zugversuche ab, die sich bei den verschiedenen heute verwendeten statikintegrierten Messverfahren auf die Orkanwindlast im Zustand der vollen Belaubung beziehen. Eckpunkt jeder Windlastannahme ist der Luftwiderstandsbeiwert (cw-Wert) von Bäumen, zu dem es bislang nur wenige Untersuchungen gibt.

Der cw-Wert von Bäumen

Der Strömungswiderstandskoeffizient oder Luftwiderstandsbeiwert (cw) ist ein Maß für die "Windschlüpfrigkeit" eines Körpers.

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Er ist definiert durch cw = Fw / q*A

Dabei bezeichnet Fw die Widerstandskraft, q ist der Staudruck der Anströmung und A die angeströmte Fläche, die bei Bäumen unter Windbelastung variabel ist. Bäume sind keine starren Baukörper. Der Wind kann durch die Kronen hindurch blasen und unter Windbelastung gibt die elastische Baumkrone dem Winddruck nach. Der Baum "bückt" sich und "legt die Ohren an", Äste schwingen gleich- und/oder gegenläufig, Blätter drehen sich aus dem Wind.

Die ersten cw-Werte in der Baumstatik wurden von G. Sinn aus der sogenannten Beiwertsammlung der damaligen DIN 1055, "Lastannahmen für Bauten", Teil 45, in Anlehnung der dort dargestellten cw -Werte für verschiedene Bauwerksformen, abgeleitet. Für die Windlastermittlungen wurden damals cw-Werte von 0,6 eingesetzt (G. Sinn, 1982 b).

Die Auswertung einer Veröffentlichung über Untersuchungen zu Hausschutzhecken im Monschauer Land (R. Beckmann, 1982) ergab für Bäume cw-Werte zwischen 0,15 . . . 0,35. Danach wurde mit diesen Werten zur Windlastermittlung von Bäumen gearbeitet (G. Sinn, 1985).

Eine Bestätigung dieser Erkenntnisse ergab sich aus den Untersuchungen von Mayhead (1973). Bei seinen Versuchen mit Nadelbäumen im Windkanal wurden cw-Werte zwischen 0,1 . . . 0,4 festgestellt. Weitere cw-Wertmessungen von Bäumen erfolgten insbesondere an der Universität Stuttgart mit einer speziellen Windmessanlage während der Orkane Vivian und Wiebke im Jahr 1990. Die Messungen an einer Kiefer ergaben cw-Werte bis etwa 0,23 bei Windstärke 12. Bei gleichzeitig gemessenen Laubbäumen lag der cw-Wert deutlich darunter, vor allem da sie unbelaubt waren.

Eine ebenfalls an der Universität Stuttgart durchgeführte cw-Wertermittlung an einer 7 Meter hohen belaubten Junglinde mit einem Kronensegel von rund 12 Quadratmeter ergab bei Windstärke 5 einen cw-Wert von 0,3. Da der cw-Wert von Bäumen mit zunehmender Windgeschwindigkeit abnimmt, kann hier für den Jungbaum und für Windstärke 12 ein Widerstandsbeiwert von deutlich unter 0,2 angenommen werden.

Nach einer Veröffentlichung von Wessolly (1993) wies eine 11,3 Meter hohe immergrüne Eiche auf Korsika mit einem Kronendurchmesser von 9 Metern bei Windstärke 10 einen cw-Wert von etwa 0,28 auf. Folgt man dem Kurvenverlauf in der dargestellten Grafik ist hier bei Windstärke 12 mit einem cw-Wert um 0,2 zu rechnen.

Allen bislang veröffentlichten Messungen zum Luftwiderstandsbeiwert cw von belaubten Bäumen ist eines gemeinsam: Es handelte sich um Nadelbäume bzw. um kleine Laubbäume. Das bedeutet, für große und alte Laubbäume, die von den Anwendern statikintegrierter Zugmessverfahren meistens untersucht werden, sind - außer durch den Verfasser - noch keine cw-Werte gemessen worden. Insofern ist eine Veröffentlichung von Wessolly (2014) bemerkenswert, auf die in Fachkreisen beständig Bezug genommen wird. Hier werden bestimmten Baumarten bestimmte cw-Werte zugeordnet.

Der cw-Wert ist jedoch nicht baumartabhängig unterschiedlich, sondern er hängt vor allem außer von der Elastizität des Baumsystems auch vom Kronenvolumen und der Laubdichte ab. So kann der cw-Wert innerhalb einer Baumart zwischen 0,1 (Jungbaum, H/D-Wert um 100) und 0,45 (gekappter Baum in der Altersphase, H/D-Wert <15) liegen. Die Baumart spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Dies wird nachfolgend noch erläutert. Richtig heißt es daher auch in dieser Veröffentlichung "cw-Vorschlag". Für die sachverständige Beurteilung von Bäumen sind diese vorgeschlagenen Werte nicht zu gebrauchen. Cw-Wert-Messungen durch den Verfasser am 27.10.2002 im Orkan Jeanette an einer etwa 350 Jahre alten und bereits gekappten Stieleiche (Th. Sinn, 2003 und 2007) erbrachten cw-Werte um 0,36. Baumdaten der untersuchten Stieleiche: Höhe 21 Meter, Windangriffsfläche 240 Quadratmeter, Stammumfang 5,32 Meter, H/D-Wert 12. Da der Baum jahreszeitlich bedingt bereits einen Teil seines Laubes verloren hatte, kann hier realistisch ein cw-Wert > 0,40 angenommen werden. Die cw-Werte von heimischen Laubbäumen liegen tatsächlich zwischen 0,1 und 0,45 (vergl. hierzu auch die Untersuchungen von Beckmann und Mayhead). Bei Untersuchungen zur Statik des großen Drachenbaumes (bot. Dracaena draco) auf Teneriffa durch die Arbeitsstelle für Baumstatik im Jahr 1996 wurde für diesen stark versperrenden Baum mit einem cw-Wert von 0,6 gerechnet (G. Sinn, Stoehrel, Canters 1997).

Wesentlicher Einflussfaktor - die Windflucht von Bäumen

Durch das elastische Nachgeben des Sprosses unter Windbelastung reduziert sich zum einen die Windangriffsfläche, zum anderen werden die Hebelarme verkürzt. In der Praxis äußert sich das durch stark abnehmende Luftwiderstandsbeiwerte cw bei zunehmender Windbelastung.

In der Biomechanik wird bei Bäumen unterschieden in Sicherheits-Strategen und Flexibilitäts-Strategen. Die Übergänge sind fließend. Die meisten Bäume folgen in ihrer Jugend und bis zum Erreichen des Bestandesschlusses einer ausgesprochenen Flexibilitätsstrategie, da in dieser Phase äußerste Sparsamkeit beim Energie- und Materialverbrauch zugunsten maximalen Höhenwachstums erforderlich ist.

Im Verlauf der Ontogenese ändert sich dies bei den meisten Gattungen unserer Breiten. Ist das Höhenwachstum weitgehend abgeschlossen, folgen vor allem der Stamm und die Wurzeln der Sicherheitsstrategie. Durch das über Jahrhunderte andauernde sekundäre Dickenwachstum der verholzten Baumteile wird der Baum immer bruchsicherer (doppelter Stammdurchmesser = achtfache Bruchsicherheit), aber auch steifer und er vesperrt damit in zunehmendem Maße gegen Windströmungen. Die cw-Werte nehmen - ungeachtet der Baumart - mit zunehmendem Baumalter zu. Wird ein Baum eingekürzt oder gar gekappt, wird zwar die Windangriffsfläche reduziert, gleichzeitig aber auch die Flexibilität. Der cw-Wert nimmt zu. Einen Anhaltspunkt hierfür stellt der der H/D-Wert des Baumes dar: Je geringer er ist, umso höher ist auch der cw-Wert. So wies die untersuchte Stieleiche einen sehr geringen H/D-Wert von 12 auf, auch, da sie bereits gekappt war. Für den Praktiker bedeutet dies: Die Spanne der cw-Werte heimischer Bäume liegt zwischen 0,1 … 0,45, ungeachtet der Baumart. Ein jüngerer Baum wird in der Regel cw-Werte < 0,2 aufweisen, ein sehr alter, gekappter Baum wie die untersuchte Stieleiche cw-Werte > 0,4. Das breite Feld der "normalen" Stadtbäume liegt dazwischen.

Eine zutreffende Bestimmung des individuellen cw-Wertes kann letztendlich nur durch eine sachverständige Beurteilung auf Grundlage der wenigen bekannten Untersuchungen zum Luftwiderstandsbeiwert cw von Bäumen erfolgen.

Der Verfasser bietet schon seit vielen Jahren Seminare für Kleingruppen zum Themenkomplex Baumstatik an. Thomas Sinn

Literatur

Beckmann,

R.: Die Hausschutzhecken im Monschauer Land unter besonderer

Berücksichtigung ihrer klimatischen Auswirkungen. Arbeiten zur

Rheinischen Landeskunde, Hrsg.: Hahn, H, W. Kuls, W. Lauer, P. W.

Höllermann und W. Matzat (1982), Ferd. Dümmlers Verlag Bonn.

Mayhead,

G. J.: Some drag coefficients for british forest trees derived from

wind tunnel studies. Agric. Meteorol. 12, 1973, S. 123-130.

Sinn, G.: Standsicherheit von Bäumen. Das Gartenamt 31 (1982 a) Januar, Patzer-Verlag.

Sinn, G.: Berechnung zur Statik von Parkbäumen. Schriftenreihe Taxationspraxis, Heft G 4 (1982 b) SVK-Verlag.

Sinn, G.: Standsicherheitsuntersuchungen von Bäumen. Neue Landschaft 29, Dezember (1984), Patzer-Verlag.

Sinn,

G.: Standraumbedarf und Standsicherheit von Straßenbäumen -

Standsicherheitsberechnung und Datenauswertung. Monographie (1985),

SVK-Verlag.

Sinn,

G. und L. Wessolly: A contribution of the proper assessment of the

strength and stability of trees. Arboricultural journal, VOL. 13, NO. 1,

Februar (1989), Academic Publishers, England.

Sinn, G., Hans-Peter-Stoehrel und Rolf Canters: Zur Stabilität des großen Drachenbaumes von Teneriffa. Stadt und Grün 2 (1997).

Sinn,

G.: Baumstatik - Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen an Straßen, in

Parks und der freien Landschaft. Thalacker Medien, Braunschweig (2003).

Sinn, Th.: Belastung von Altbäumen durch den Wind. Neue Landschaft, Heft 2 (2003), Patzer-Verlag.

Sinn, Th.: Belastung von Altbäumen durch den Wind. Pro Baum, Heft 2 (2007), Patzer-Verlag.

Wessolly, L.: Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen. Das Gartenamt 8 (1993), Patzer-Verlag.

Wessolly, L.: Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle. Patzer-Verlag (2014).

Hinweis: Ein Teil der von G. Sinn aufgeführten (älteren) Aufsätze ist unter www.baumstatik.de/Fachpublikationen als Text einsehbar.

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