Einschätzungen zur Situation: Ursachen und Konsequenzen
Kappungen und Verstümmelungen an Stadt- und Straßenbäumen
von: Prof. Dr. Andreas RoloffWarum erfolgen immer noch so viele Kappungen und Baumverstümmelungen?
Einer der häufigen Gründe für die Kappung von Bäumen oder Teilkronen ist, dass die Bäume zu groß werden oder/und die Baumart zu groß für den Wuchsort ist. Dabei kann eine Rolle spielen, dass zunehmend die Sicht versperrt wird oder Fenster, PV-Anlagen, Gartenbereiche zu stark verschattet werden (Abb. 2) oder der Lichtraum über Wegen oder Straßen zuwächst. Es kann auch die Sorge über "Nebenwirkungen" der Bäume bedeutsam sein: beispielsweise über zu viele Blätter/Früchte, Belästigungen durch Tiere oder Geruchs- oder Pollenempfindlichkeit. Und natürlich geht die Angst vor der Verkehrssicherungspflicht bei Baumeigentümern um – lieber ein bisschen zu viel als zu wenig sägen, "damit mir nichts passieren kann" oder "damit ich länger ruhig schlafen kann".
Zu häufig werden Symptome bei der Baumkontrolle aus Unsicherheit oder Unkenntnis nicht abschließend interprertiert, sondern wird dafür eine eingehende Untersuchung vorgeschlagen, die erhebliche Zusatzkosten verursachen kann. Um diese Kosten zu umgehen, werden dann Bäume oft durch zu starken Schnitt "sicher gemacht".
Nicht selten ist auch das realisierte billigste Angebot für Baumschnittmaßnahmen der Grund, das nur zustande kommen kann, wenn zu grob gesägt wird und es damit schnell geht (Abb. 1). Fehlende Fachkenntnis und Erfahrung können mit dazu beitragen. Verantwortungsbewusste Baumpfleger mit mehr Feinarbeit und Rücksicht auf die Baumbesonderheiten (Abb. 3) kommen oft nicht zum Auftrag, da sie teurer sind.
Es kann auch sein, dass Baumfällungen umgangen werden sollen, da man sie nach Baumschutzsatzungen beantragen müsste und fälschlich denkt, dass für Kappungen und Verstümmelungen keine Genehmigung erforderlich sei. Bisweilen wird auch Artenschutz als Grund genannt, da zum Beispiel bestimmte Käferarten Hohlräume in stehenden Baumstämmen brauchen, was so aber nicht nachvollziehbar zur Rechtfertigung von Kappungen ist.
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Welche Formen von Kappungen und Verstümmelungen gibt es?
Folgende Variationen von Kappungen und Verstümmelungen (Abb. 1, 2), wie sie hier auch genannt werden, kommen vor (in Anlehnung an
ZTV-Baumpflege, FLL 2017):
- Stammkappung der gesamten Krone (Abb. 2): es bleibt fast nichts als ein mehrere Meter langes Stammstück vom Baum stehen, die Krone ist (fast) vollständig entfernt, mit ihr auch der größte Teil der Blätter und somit ist zunächst fast keine Photosynthese mehr möglich. Dies ist für die Folgewirkungen entscheidend. Beim Wiederaustrieb entsteht eine Sekundärkrone und baut dann eine Ersatzkrone auf. Dies kann mehrere Jahre dauern oder auch fehlschlagen. Nur bei einigen aller daraufhin untersuchten Baumarten (z. B. Eschen-Ahorn) klappt es mit einer Regeneration immer (mehr oder weniger) gut, bei vielen Baumarten trägt der Baum als Ganzes aber erhebliche Schäden davon (z. B. Elsbeere), und bei den meisten Baumarten gibt es sogar so schwere Schäden, dass der Baum sich nicht mehr vollständig davon erholt und in einen Teufelskreis gerät (z. B. Rot-Buche). Das vollständige Ranking aller untersuchten (>100) Baumarten dazu wird hier absichtlich nicht veröffentlicht, da es missbraucht werden könnte nach dem Motto: "Mit der Baumart Eschen-Ahorn darf man es doch machen, da sie nach Roloff (2024) Kappungen verträgt". Das dafür verantwortliche Regenerationspotenzial hängt natürlich maßgeblich vom Abschottungsvermögen und von der Reiterationsfreudigkeit der Bäume ab (Dujesiefken & Liese 2022, Roloff 2018).
- Stämmlingskappung/Teilkronenentfernung (Abb. 1): es werden alle Stämmlinge und Starkäste einer Krone mit Teilkronen gekappt, mit ähnlichen Folgewirkungen wie zuvor beschrieben, aber in etwas moderaterem Ausmaß.
- Astkappungen im Internodialbereich ohne nah verfügbare ausreichend dimensionierte Versorgungsäste mit der Folge einer Zerstörung vom arttypischen Kronenhabitus.
- Entfernung aller Äste und Zweige, damit keiner mehr herunterfallen kann: es werden in jedem Frühjahr sämtliche Äste und Zweige vor dem Austrieb entfernt (Abb. 2). Der Baum ist dann ununterbrochen mit Wiederaustrieb und Reparieren beschäftigt, die Wurzeln werden nicht mehr versorgt. Resultat ist ein unbeasteter Stammtorso – einfacher wäre es dann mit einem Plastik-Baum.
Es können allerdings auch natürliche Ursachen mit kappungsähnlichen Folgen auftreten: Blitz, Sturm/Tornado, Misteln, Eschen-Triebsterben etc. Oder eine Stammfäule am Kronenansatz ("Selbstkappung") zum Beispiel durch die mangelnde Verwachsung in einer Veredlungsstelle.
Was sagen die Baumpflege-Fachanleitungen/-Regelwerke zu Kappungen?
Nach ZTV-Baumpflege (FLL 2017) sind Kappungen nicht fachgerechte Schnittmaßnahmen, bei denen die Krone bis in den Stamm- oder den Stämmlingsbereich ohne Rücksicht auf Habitus, Versorgungsäste und physiologische Erfordernisse baumzerstörend abgesetzt wird.
Kappung ist eine nicht fachgerechte, baumzerstörende Maßnahme, die zu Schadensersatzforderungen führen kann, denn im Extremfall ist das Ergebnis ein Totalschaden.
Fachgerechte Einkürzungen und Auslichtungsschnitte (Abb. 4) hingegen müssen folgende Kriterien erfüllen (ZTV S. 20/21 und S. 43):
Der Umfang der Einkürzung richtet sich nach den Anforderungen der Verkehrssicherheit gemäß den FLL-"Baumkontrollrichtlinen" und FLL-"Baumuntersuchungsrichtlinien", dem Zustand des Baumes und/oder des Baumumfeldes oder erfolgt aus Gründen des Arten- und Denkmalschutzes. Es können die gesamte Krone, Teile oder nur einzelne Äste betroffen sein. Äste bis maximal Grobaststärke sind einzukürzen beziehungsweise zu entnehmen. Es ist auf Zugast/Versorgungsast zu schneiden.
Die verbleibende Krone soll einen möglichst arttypischen Habitus behalten beziehungsweise entwickeln können.
Eine Kappung ist im Gegensatz zur Einkürzung baumzerstörend.
Bei Schnittmaßnahmen allgemein sind Versorgungsäste zu beachten, außerdem ist auch der optimale Schnittzeitpunkt entscheidend unter Berücksichtigung aller am Ort und Baum erforderlichen Kriterien (s. Folgekapitel).
Welche Folgen haben Kappungen für den Baum?
Die baumbiologischen Prozesse und Folgewirkungen von Schnittmaßnahmen und Kappungen werden detailliert, anschaulich und umfassend in Pietzarka (2023), Weiß (2023) und Klug (2021) vorgestellt. Dabei spielen Wundheilungs- und Abschottungsprozesse eine entscheidende Rolle (Pietzarka 2023, Dujesiefken & Liese 2022). Das soll, kann und braucht hier nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben zu werden, da es Baumpflegern eigentlich bekannt sein müsste (Roloff 2023a). Aber darauf aufbauend sollen nachfolgend die entscheidenden Details zu den kritischen Folgewirkungen nach Kappungen noch einmal kompakt erläutert werden.
So kommt es nach Kappungen baumbiologisch zwangsläufig zu einem massiven Fäulefortschritt am Stammende und im Stamm (was zunächst überwiegend im Stamminneren verborgen bleibt, Weiß 2023). Denn die Breite der zur Wasserleitung und -speicherung verwendeten Stammsplintfläche hängt maßgeblich von der vorhandenen Blattfläche ab (sog. Huber-Wert). Wenn die Blattfläche durch Kappung plötzlich für längere Zeit reduziert wird, werden daher die innersten Splint-Jahrringe aufgegeben und den Pilzen überlassen. Sie können dann nie wieder reaktiviert werden, eine Kompensation wird erst allmählich mit neuen äußeren Jahrringen möglich. Detaillierte Untersuchungen an vor 50 und 90 Jahren gekappten Linden zeigen die umfassenden Folgeprobleme danach für den gesamten Rest des Baumlebens mit ihren enormen Auswirkungen auf die Baum-Verkehrssicherheit und ihre Folgekosten (Weiß 2023)
Besondere Bedeutung für die Baumreaktionen auf Schnittmaßnahmen hat die Schnittflächengröße des Astes beziehungsweise Stämmlings. Es soll möglichst nur im Schwachastbereich (bis 5 cm Durchmesser) geschnitten werden, bei effektiven Kompartimentierern maximal im Grobastbereich bis 10 Zentimeter Durchmesser (Pietzarka 2023). Sonst sind die Folgeschäden dauerhaft und erheblich. Bei Kappungen werden diese Grenzen regelmäßig ignoriert und überschritten, die Schnittflächen sind dann oft bis 30 Zentimeter breit oder sogar darüber.
Je nach Schnittflächengröße, Jahreszeit, Baumart und Ausführungsvariation treten an den eingekürzten/gekappten Ästen und Stämmlingen Rücksterbe-Erscheinungen auf, insbesondere wenn keine Versorgungsäste beachtet wurden oder zu finden waren. Dieses Zurücksterben kann aber auch gerade beabsichtigt sein, wenn der Verursacher dem Baum einen möglichst großen Schaden zufügen möchte, um ihn kleiner zu halten.
Der Schnittzeitpunkt kann ebenfalls entscheidend sein (Pietzarka 2023): bei Winterschnitt ist das zuvor genannte Rücksterben besonders groß, vor allem, wenn nach der Schnittmaßnahme noch Frostperioden auftreten. Im Frühjahr und Sommer sind die Reaktionen am besten, da der Baum sofort reagieren kann und physiologisch voll aktiv ist (Abb. 13). Ausnahmen hiervon treten allerdings in extremen Trockenperioden ein, wenn der Baum unter Wassermangel steht oder falls bald nach der Schnittmaßnahme eine längere heiße Sonnenperiode folgt.
Bei Nichtberücksichtigung von Versorgungsästen ("Zugästen") kann an der Schnittstelle ein massives Austreiben mit Innerkronen-Konkurrenz von Ständern auftreten (Abb. 5). Diese sind dann ggf. zeitnah zu vereinzeln und einzukürzen. Sonst treten in der Folge neue Probleme der Verkehrssicherheit durch Ausbrechen von Ständern auf (nach zehn Jahren und zunehmend). Es besteht somit auch hierdurch nach Kappungen ein langfristig erhöhter Kontroll- und Pflegebedarf mit der Folge deutlich höherer Dauerkosten.
Durch Kappungen und die oben beschriebenen inneren Fäulefortschritte tritt eine deutliche Verkürzung der Lebenserwartung ein. Wenn demgegenüber gelegentlich Kappungen als "Verjüngungsschnitte" bezeichnet werden und behauptet wird, diese erhöhen die Lebenserwartung, liegt da ein großes Missverständnis vor, auch über die Bedeutung vom Baumhabitus (Verstümmelung).
Auch die positive mentale Bedeutung von Bäumen wird durch Verstümmelungen dauerhaft oder vorübergehend vermindert. Dies ist vor allem in Innenstädten, in Parks und in Privatgärten als sehr negativ einzustufen (Abb. 6).
Nach Kappungen werden für etliche Jahre die Wurzeln unterversorgt oder zunächst sogar zeitweise ganz vom Zuckerzustrom abgeschnitten, da der Baum zunächst alles an Assimilaten sogleich in seiner Krone verbraucht und nichts mehr für Stammzuwachs und Wurzeln übrigbleibt. Demzufolge kommt es auch zu einem (unsichtbaren) Wurzelsterben.
Durch Kappungen ist zudem die Klimawirkung der Bäume sehr stark reduziert, im Extremfall sogar für mehrere Jahre gleich oder nahe null. Da diese Wirkungen derzeit im Mittelpunkt der Baumfunktionen in Städten stehen, wiegt diese Folgewirkung besonders schwer.
Welche Folgen haben Kappungen für Baumeigentümer/-verantwortliche und Beteiligte?
Baumkappungen und -verstümmelungen sind zunächst einmal ein peinliches Armutszeugnis für fehlende Baumbiologie-Kenntnisse der Pflegefirma. Was nicht verwundert, denn die Maßnahmen werden nicht selten von Baufirmen ohne Baumerfahrung vorgenommen, da sie das billigste Angebot abgegeben hatten. Die Maßnahme ist zunächst kurzfristig scheinbar billig, aber mittel- bis langfristig teurer als fachlich fundierte und fachgerechte Einkürzungen/Entlastungen.
Kappungen sind weiter ein baumästhetisches Fiasko und können zu Depressionen führen, besonders, wenn das in Parks oder Gärten geschieht. Die Wirkung kommt einer Amputation von Gliedmaßen beim Menschen nahe, wie sie im Mittelalter bei Arm- oder Beinschäden (ebenfalls mit Sägen…) vorgenommen wurde. Im vorletzten Jahrhundert gab es außerdem eine Phase, in der Kappungen als ästhetisch chic und sogar gut für den Baum eingestuft wurden. So kann es sogar noch heute vorkommen, dass der Denkmalschutz die Kappungen verlangt, um den früher dokumentierten Zustand wiederherzustellen.
Welche "Gegenmaßnahmen" gibt es, um Kappungen zu vermeiden?
Zunächst ist eine sorgfältigere Einschätzung und Planung der Endbaumgröße bei Baumpflanzungen sehr effektiv, da sie das Problem zu großer Bäume möglichst gar nicht erst auftreten lässt: es müssten und könnten einfach mehr kleine Baumarten verwendet werden, wo es der Pflanz- und Standort im Alter erfordert (Roloff 2021). Diese wachsen allerdings in der Regel auch langsamer und entfalten ihre (zudem geringeren) Wirkungen nicht ganz so schnell wie größere Bäume. Es gibt keine Baumart, die sehr schnell wächst und zugleich klein bleibt. Dann kann man gegebenenfalls auf Sträucher umschalten, bei denen es solche Eigenschaften gibt (z. B. Weißdorn, Abb. 7) – dabei fehlt aber meist der solitäre Stamm im Habitus.
Um spätere Kappungen und Verstümmelungen zu vermeiden, kann es auch hilfreich sein, schon im frühen Baumleben moderatere Schnittmaßnahmen durchzuführen und einzelne Bäume zum Beispiel zu Kopfbäumen zu erziehen. Allerdings zeigen sich bei diesen (z. B. bei Platanen) neuerdings Probleme durch Überhitzung älterer Stämmlingsköpfe in heißen Sommerperioden, wenn die Neuaustriebe alljährlich zurückgeschnitten werden und daher die Beschattung der Köpfe vorübergehend fehlt – mit der Folge von Pilzbefall und Absterben einzelner Köpfe. Man kann aber auch den Baum beziehungsweise seine Krone miniaturisieren, indem man einige Jahre in der Jugend bis zum mittleren Alter die Wipfeltriebe und Hauptachsen wiederholt einkürzt.
Und in höherem Alter bleiben natürlich dann noch die fachgerechten Schnittmaßnahmen mit moderaten Einkürzungen und Auslichtungsschnitt (Abb. 4, s. ZTV-Baumpflege FLL 2017, Klug 2021, Weiß 2023).
Veredelte Bäume bleiben oft kleiner, da sie zeitlebens mit dem Problem des Verwachsens beider Baumteile in der Veredlungsstelle zu kämpfen haben. Dies führt allerdings auch nur zur halben Lebenserwartung gegenüber einem unveredelten Baum derselben Baumart, und sie sterben in Trockenstresszeiten wie 2019 und 2022 daher auffällig oft als erste ab (Roloff 2021).
Welche Verantwortung haben Politik und Rechtsprechung für und bei Baumkappungen?
Von Politikern und Richtern kann man keine umfassenden baumbiologischen Kenntnisse oder Erfahrungen erwarten, von Baumsachverständigen hingegen schon, die sie beraten. Baumfreundlichere Gutachten und eine entspanntere Rechtsprechung wären hilfreich. Wenn sich Gerichtsurteile weiter so verschärfen wie in den letzten 15 Jahren, werden wir bald baumlose und noch mehr überhitzte Städte haben, da die Angst der Baumeigentümer wegen ihrer Verkehrssicherungspflicht sich schließlich gegen die (alten) Bäume richtet. Aber zum Glück gibt es dazu auch einzelne entspannende Urteile.
Wir müssen uns klarmachen: es passieren inzwischen mehr tödliche Unfälle pro Jahr bei Baumsicherungs- und -pflegearbeiten (mittlere zweistellige Anzahl) als tödliche Unfälle durch Baumumstürze und Astabbrüche (untere zweistellige Anzahl). Hierbei sind tödliche Anfahrunfälle ausdrücklich nicht mitgerechnet, da sie zu oft wegen nicht angepasster Geschwindigkeit oder nach Alkoholkonsum passieren.
Interessant ist, dass in etlichen anderen Ländern viel weniger gekappte Bäume zu sehen sind als hier in Deutschland – zum Beispiel in England, und dort werden auch erstaunlich viele Bäume deutlich älter als hierzulande. Was keine Überraschung ist, weil dort eine viel entspanntere Sicherheitserwartung zu Astabbrüchen und Baumumstürzen herrscht.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus all dem Dargestellten ableiten?
Wir brauchen dringend mehr Wertschätzung für alte Bäume und mehr Gelassenheit, wenn mal etwas aus der Krone herabfällt. Das gehört bei Natur mit dazu, und man kann Bäume nicht 120-prozentig sicher machen wie einen Lampenmast. Hilfreich wäre dafür mehr Bewusstmachen unserer Verantwortung für Natur und der vielfältigen Baumwirkungen und Funktionen. Dies gilt besonders für alte Bäume, die natürlicherweise ein höheres Unfallrisiko aufweisen, aber vierhundertmal so viel Klimawirkung zustande bringen wie ein Jungbaum (Roloff 2023b).
Mehr Sorgfalt bei der Baumartenwahl kann die Probleme mit zu großen Bäumen signifikant verringern, allerdings kommt die Wirkung davon erst in 20 bis 30 Jahren zur Geltung. So bleiben zum Beispiel fast alle Obstbäume dauerhaft kleiner und haben außerdem noch zusätzliche Nutzfunktionen (Abb. 8). Aber es können halt Früchte herunterfallen, und damit ist schon wieder unsere Empfindlichkeit und eine Belästigung gegeben.
Resümee
Bäume müssen uns viel mehr wert sein und werden: mit ihren Klimawirkungen, ästhetischen, mentalen und Gesundheitswirkungen und ihrer kulturellen Bedeutung. Und diese Wirkungen nehmen exponentiell zu mit dem Alter der Bäume – das sollte uns bewusster werden als es derzeit verbreitet der Fall ist.
Bäume sind der schnellste und preiswerteste Weg, die Natur wieder verstärkt in die Stadt "zurückzuholen". Dies ist auch einer der größten Wünsche der Stadtbevölkerung. Die intensive Frequentierung von Grünflächen mit Bäumen und Parkanlagen zeigt, welche große Bedeutung dies hat.
Die rechtlichen Möglichkeiten zur Ächtung und Unterbindung von Baumkappungen sollten häufiger und besser genutzt werden. Sie müssen in allen Baumschutzsatzungen ausdrücklich als unzulässig untersagt sein, was derzeit vor allem in älteren Fassungen oft noch nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite könnte man besonders gelungene und sensible Baumpflegmaßnahmen auszeichnen und in Tages- und Fachpresse mehr publik machen.
Und nicht zuletzt: Baumpflege-Zuständige und Baumverantwortliche sollten sich bewusster bemühen, den Baum möglichst schonend zu behandeln und lange zu erhalten, statt ihn zu verstümmeln. Dies müsste sich eigentlich bei der derzeit hohen Wertschätzung von Bäumen vermitteln lassen, um sich dann nicht über ihr Aussehen zu wundern oder sogar ärgern zu müssen, abgesehen von den dauerhaft höheren Folgekosten durch Fäulefortschritt im Stamm und aufwändiges Management der Wiederaustriebe.
Es wird derzeit eher zu viel als zu wenig gesägt, daher sind zu viele Bäume mit Reparieren von zu groben Eingriffen "beschäftigt". Dies hat zudem sogar Folgen für die Windbruchanfälligkeit und Kronenüberhitzung. Aufmerksame Bürgerinnen und Bürger sowie Medien sollten Kappungen mehr publik machen und ächten. Dann können wir in Deutschland vielleicht auch schon in näherer Zukunft einen höheren Anteil von alten Bäumen mit aufmunterndem Baumhabitus schaffen, wie es beispielsweise in England der Fall ist.
Literatur
Dujesiefken, D.; Liese, W. (2022): Das CODIT-Prinzip. 2. Aufl. Haymarket Media, Braunschweig.
FLL (Hrsg.) (2017): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Baumpflege, "ZTV-Baumpflege". 6. Ausgabe, Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V., Bonn.
Klug, P. (2021): Kronenschnitt an Bäumen. 4. Aufl. Arbus Verlag, Gammelshausen.
Pietzarka, U. (2023): Grundlagen eines fachgerechten Gehölzschnittes. In: A. Roloff (Hrsg.): Baumpflege. Ulmer Verlag: 133–146.
Roloff, A. (2018): Vitalitätsbeurteilung von Bäumen. Haymarket Media, Braunschweig.
Roloff, A. (2021): Kleine Baumarten – wo haben sie Vorteile und welche? In: A. Roloff (Hrsg.): Trockenstress bei Bäumen – Ursachen, Strategien, Praxis. Verlag Quelle & Meyer, Wiebelsheim: 267–275.
Roloff, A. (Hrsg.) (2023a): Baumpflege – Baumbiologische Grundlagen und ihre Anwendung für Baumkontrolle, Baumbeurteilung, Baumuntersuchung, Baumschnitt, Naturschutz, Verkehrssicherungspflicht und -maßnahmen. 4. Aufl. Ulmer Verlag, Stuttgart.
Roloff, A. (Hrsg.) (2023b): Neue Erkenntnisse über den Wert alter Bäume und ihren angemessenen Ersatz nach Fällungen. Deutsches Baum-Institut online 09.09.2023. www.nationalerbe-baeume.de [10.09.2023]
Weiß, H. (2023): Behandlung und Schnitt von ehemals gekappten Bäumen. In: A. Roloff (Hrsg.): Baumpflege. Ulmer Verlag: 147–162.