Park wird Parkour
von: Dipl.-Ing. Steffan RobelEine offene Gesellschaft ermöglicht die Teilhabe vieler unterschiedlicher Menschen an der Produktion der Stadt. Als Ergebnis der Beteiligung breiter Nutzergruppen zeigt der Mitmach-Park in Weinstadt ein vielfältiges Bewegungs- und Freizeitprogramm auf.
Städte werden bunter. Während die Gesellschaft angesichts von Migration und Individualisierung immer differenzierter wird, muss ein nachhaltiger, sinnvoller Umgang mit Vielfalt diese also als Ressource nutzen und sie auf sowohl institutioneller als auch baukultureller Ebene aufnehmen. In der komplexer werdenden Welt wird es immer wichtiger, die gesellschaftliche Diversität in der Architektur und Landschaftsarchitektur abzubilden, damit sich alle Bürger*innen wiedererkennen und einander mit ihren unterschiedlichen Lebensstilen anerkennen (vgl. Grau et al. 2018). Die Bevölkerung an der Entwicklung und Umsetzung der Baukultur zu beteiligen, befördert Gestaltungsreichtum und Nutzungsvielfalt (vgl. Bundesstiftung Baukultur 2015). Um der steigenden Vielfalt der Bedürfnisse und Wünsche zur Gestaltung des gebauten Raumes gerecht zu werden, gewinnt Beteiligung deshalb gesellschaftspolitisch an Bedeutung.
Die gesellschaftliche Heterogenität der Zielgruppen stand bei der Entwicklung des Mitmach-Parks in Weinstadt im Fokus. Durch Strategien für Vielfalt und Verdichtung soll der Mitmach-Park inklusive Freiräume und Ausstattungen anbieten, die alle Generationen, sozialen Segmente und Kulturen anziehen. Statt nur einzelne, isolierte räumliche Nutzungen, die von einer bestimmten Gruppe dominiert werden, ist daher ein breites Angebot mit Teilräumen zur Aneignung durch mehrere Gruppen erforderlich. Mit verschiedenen und spielerischen Aktivitäten, die miteinander verknüpft und sind sowohl auf die spontane als auch die professionellere Nutzung zielen, können Zugangsbarrieren abgebaut und bedarfsgerechte Strukturen für die diversifizierte Stadtgesellschaft geschaffen werden.
NL-Stellenmarkt
Stadt ohne Zentrum
Die Stadt Weinstadt liegt in der Metropolregion Stuttgart und ist durch die S-Bahn sowie die B 29 sehr gut an Stuttgart und das Umland angebunden. Aufgrund des bestehenden Wachstumsdrucks muss die Stadtentwicklung von Weinstadt auf wichtige Fragen des Wohnungsbaus aber auch der Freiraumentwicklung Antworten finden. Weinstadt wurde 1977 aus fünf traditionsreichen Weinbauorten zusammengeschlossen. In der räumlichen Mitte prägt ein großflächiges Gewerbegebiet und eine Bundesstraße das Gesicht der Gesamtstadt, ein identitätsstiftendes Zentrum gab es bislang nicht.
Schon in den 1980er-Jahren entstand die Idee eines Bürgerparks als gemeinsame, neue grüne Mitte der Stadt, die 2013 im Integrierten Stadtentwicklungskonzept "Weinstadt 2030" formuliert wurde und Grundlage für die 2014 ausgelobte Planungskonkurrenz war. Der siegreiche Wettbewerbsbeitrag von A24 Landschaft sah vor, einen Park neuen Typs zu gestalten, der gemeinschaftlich geplant und bewirtschaftet wird. Der Ansatz fußt auf der Strategie, gewachsene Strukturen aufzugreifen, dem Bebauungsdruck entgegenzuwirken und die Freifläche zu sichern.
Die Bürger*innen wählten den Projektvorschlag Mitmach-Park Weinstadt aus mehreren Projekten mit den meisten Stimmen. Als wichtiger Meilenstein soll der Mitmach-Park dementsprechend ein zentraler Freiraum werden, in dem die Bewohner*innen Weinstadts aktiv sein und in Austausch miteinander treten können. Für dieses ambitionierte Ziel bedarf es einer intensiven Berücksichtigung und Einbindung der lokalen Akteur*innen in den Gesamtprozess. Ein langfristiges und dauerhaftes Engagement im Mitmach-Park ist nur zu ermöglichen, wenn Partizipation in allen Phasen, also vor und während der Planung, im Zuge der Umsetzung und innerhalb des Betriebs stattfindet.
Partizipation ergibt Patchwork-Park
Mit dem Projekt sucht A24 Landschaft deshalb neue Wege der Bürgerbeteiligung hin zu Teilhabe und verstetigter Partizipation. Im Mitmach-Park erfolgt die Entwicklung, Planung und Bespielung der vielfältigen Flächen gemeinsam mit den Menschen vor Ort. Das Konzept des Patchwork-Parks ist im Ergebnis so heterogen wie die Gesellschaft selbst: Als Hybrid aus urbaner Agrikultur und klassischem Park verbindet der Mitmach-Park Freizeit, Lebensmittelproduktion und Nachbarschaft und spricht so verschiedenste Zielgruppen an. Vielfältige Gartentypologien mit zeitgenössischen Gärtnerangeboten vermischen sich mit Spiel- und Sportplätzen, Landwirtschaft, Aufenthalts- und Erholungsinfrastruktur. Personen jeden Alters sind eingeladen, selbstbestimmte Themen zu setzen.
Als Beispiel für die gelungene Beteiligung konzipierten Jugendliche den Jugendspielbereich mit. Im Vorfeld zur Planungskonkurrenz wurde bereits der in Weinstadt lange etablierte Jugendgemeinderat als Vertreter der Jugend eingeladen Ideen mit zu entwickeln. Diese wurden in der Planungskonkurrenz aufgegriffen und verräumlicht. Anschließend wurde der Entwurf mit dem Jugendgemeinderat diskutiert und der Entschluss gefasst, das oben genannte stadtweite Jugendhearing durchzuführen. Denn insbesondere bei der Beteiligung von Jugendlichen ist die Erreichbarkeit oft schwer und damit das Ergebnis in der Regel nicht repräsentativ. Daher wurde mit dem Jugendreferat und schließlich mit allen Schulleiter*innen der Stadt vereinbart, dass während der Schulzeit alle Schüler*innen der Jahrgangsstufen 7 bis 12 der Weinstädter Schulen sich treffen, damit ein quantifizierbares Ergebnis errungen werden kann. So wurden 100 Prozent der Schüler*innen erreicht.
Eine überwältigende Mehrheit der jungen Menschen wollte eine Parkour- und Street-Workout-Anlage im Jugendspielbereich. Diese wurde im weiteren Verlauf zusammen mit den Jugendlichen und weiteren Akteur*innen geplant und umgesetzt. Der Gemeinderat stimmte dem Ergebnis zu, unter dem Vorbehalt es als Vorschlag wohlwollend prüfen zu wollen. Die letztliche Entscheidung lag damit weiterhin beim politisch gewählten Gemeinderat und nicht bei den Schülern. Gleichzeitig wäre es erstaunlich gewesen, wenn dieser sich über die Meinung der Jugendlichen hinweggesetzt hätte, zumal das Ergebnis des Hearings sehr deutlich war. Durch die intensive Beteiligung und Mitsprache waren die Jugendlichen im Umkehrschluss bereit Verantwortung zu übernehmen. So werden voraussichtlich nach Fertigstellung der Anlage dort ehrenamtlich Parkour- und Street-Work-out-Kurse von den Jugendlichen selbst angeboten.
In Planungswerkstätten wurden Bedürfnisse erörtert, Umsetzungsoptionen entwickelt und die Nutzungen des neuen Parks konkretisiert. Als operative Einheit agierte eine Steuerungsgruppe aus Bürgermeister, Stadtplanungsamt und Planungsbüro in Abstimmung mit dem Gemeinderat. Dass Planung und Beteiligungsprozess in einer Hand bei lag, ermöglichte verstärkt Synergien dazwischen. Während ein Kuratorium aus 24 Schlüsselakteuren der Zivilgesellschaft eine Park-Charta mit Leitlinien entwickelte und das Projekt in die breite Stadtgesellschaft kommunizierte, sicherte ein Beirat aus Fachleuten die Qualität.
Die drei Stränge des Beteiligungskonzepts, das sich durch eine akteurszentrierte Beteiligung bis in den Parkbetrieb hinein erstreckt, beinhalten: 1) Niederschwellige, breite, erlebnisorientierte Angebote wie Feste und Ideenwerkstätten. 2) Vertiefende, gestaltungsorientierte Workshops, beispielsweise Planungs- und Kooperationsworkshops zur Parkour- und Street-Work-out-Anlage. 3) Auf ein langfristig verbindliches Engagement zielende Einbindung beziehungsweise Trägerschaft/Organisationsmodell.
Multifunktional
Statt separate, monofunktionale Angebote bietet der Mitmach-Park multifunktionale Bereiche für gemischte Akteursgruppen an. Vielfältige Gartentypen, gepaart mit zeitgenössischen Gärtnerangeboten wie Gemeinschaftsgärten und Selbst-Ernte-Feldern vermischen sich mit Spiel- und Sportplätzen, Landwirtschaft, Erholungs- und Veranstaltungsinfrastruktur. Der urbane Agrikulturpark hat eine ganz eigene Atmosphäre: Das ländliche Setting mit Weinbergen, Äckern und Beerenobstfeldern wird durch artenreiche, extensive Streuobstwiesen mit lokalen Sorten ergänzt. In dieser Umgebung nisten sich neue, urbane Elemente und Nutzungen ein wie ein Wasserspielplatz mit Wolkenschaukel, ein Jugendspielbereich mit bunter Parkour- und Street-Workout-Anlage, der Gemeinschaftsgarten sowie das zentrale Parkforum mit Platzfläche für Veranstaltungen und Platzhaus für Ausschank, Workshops oder Festivitäten.
Die Spiel- und Bewegungsflächen umfassen außer dem Jugendspielbereich einen Bolzplatz, einen Kinderspielbereich sowie eine Bewegungsroute. Letztere bietet ein altersübergreifendes Bewegungsspiel anhand einfacher, auf Wiesen verteilter Spielstationen. Diese richten sich insbesondere an Kinder, sind aber auch für Jugendliche und sportlich interessierte gedacht, da sich die Elemente unterschiedlich nutzen lassen und unterschiedliche Schwierigkeitsgrade aufweisen. Die Verteilung über die Fläche, insbesondere Platzierungen an strategischen Schnittstellen entlang von hochfrequentierten Gehwegen, zielen auf die spontane Nutzung - als wäre der ganze Park einen Parkour.
Die landwirtschaftlichen Flächen mit Obst- und Gemüseanbau sowie bestehende Nutzgärten wurden integriert und bilden als Ganzes einen produktiven, essbaren Landschaftspark. Weitere Programmpunkte sind der Naschgarten und der Gemeinschaftsgarten. Hier gibt es Kooperationen mit einer Schule und einer Kita sowie öffentliche Angebote wie Führungen zu nachhaltigem Gärtnern und besonderen Pflanzen wie essbaren Wildpflanzen. Außerdem kann man sich auf Selbst-Ernte-Feldern versorgen, mit der Unterstützung eines Landwirts, der auch vor Ort gezogenes Obst und Gemüse an einem Stand verkauft.
Zusätzlich bieten Bänke, Holzliegen, Holzdecks, Picknicktische, Holztribünen und Grillgeräte überall im Park Treffpunkte, Rückzugsorte und Erholungsmöglichkeiten an. Die Kombination aus körperlicher Betätigung und sozialen Kontaktmöglichkeiten erleichtern Übergänge vom Zuschauen zur Teilhabe am Geschehen. Das dadurch entstehende, breit gefächerte Angebot baut Zugangsbarrieren ab, schafft bedarfsgerechte Strukturen und spricht so verschiedenste Zielgruppen an. Jeder macht seins und doch kommen alle zusammen. Ziel des Beteiligungsprozesses war es auch, Bürger*innen dafür zu gewinnen, Angebote für den Park zu entwickeln und umzusetzen. So gibt es heute viele nutzergetragene Angebote und Aktivitäten die den Park mit Leben füllen.
Spiel und Sport muss die Diversität der Gesellschaft abbilden
Wichtig bei der Spiel- und Sportplatzgestaltung ist das Verständnis des unterschiedlichen Motivationsverhaltens verschiedener NutzerInnengruppen. Beispielsweise Menschen, deren Zugang zu sportlicher Betätigung erschwert ist, zu erreichen, erfordert eine niedrigschwellige Bewegungsförderung und unterschiedliche Zugangswege. Während der kindliche Spieltrieb mit klassischen Spielthemen wie Balancieren oder Schaukeln leichter aufgegriffen werden kann, muss bei anderen Zielgruppen das Bewegungsselbstbewusstsein anders stimuliert werden.
Das heißt beispielsweise, nicht nur Objekte mit Spielcharakter für Kinder, sondern mehrdeutige Objekte anzubieten. Dies fordert die Schaffung einer reichen Vielfalt von leichten Zugängen bis hin zu professionellen Angeboten. Die Steigerung der Schwierigkeitsgrade des Parkours und die fließenden Übergänge zwischen Strukturen im Mitmach-Park gewährleisten unterschiedlichste NutzerInnen und Nutzungen. Verschiedene Elemente lassen somit Platz für Interpretation und individuelle Bewegungsgestaltung.
Eine weitere diversitätsorientierte Maßnahme ist es, die Möglichkeiten für Freispiel, Aufenthalt und Erholung nebeneinander zu integrieren. Parks werden für ein breiteres Publikum attraktiv, indem sie klassische Erholung mit zeitgenössischen Freizeitaktivitäten kombinieren. Die Kombination aus körperlicher Betätigung und sozialen Kontaktmöglichkeiten kann Berührungshemmnisse abbauen. Aktivplätze im Mitmach-Park fungieren daher gleichermaßen als Orte der physischen Bewegung, sozialen Begegnung und des Rückzugs.
Projektdaten
- Titel: Mitmach-Park Weinstadt
- Maßnahmen: Park- und Landschaftsgestaltung, Partizipationsprozess
- Landschaftsarchitektur: A24 Landschaft
- Fläche: circa 7 ha
- Bearbeitungszeitraum: 2014 bis 2021
- Bauherr: Stadt Weinstadt
- Bausumme: circa 5 Millionen Euro brutto
- Förderungen: Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat; Bundesforschungsprogramm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung
- Preis: Polis Award 3. Preis Kommunikative Stadtentwicklung
Literatur
- Bundesstiftung Baukultur (Hrsg.) (2015): Baukulturbericht 2014/15. Gebaute Lebensräume der Zukunft - Fokus Stadt. Potsdam: Bundesstiftung Baukultur.
- Grau, Andreas/Spohn, Ulrike/Unzicker, Kai (2018): Kulturelle Vielfalt in Städten. Fakten - Positionen - Strategien. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
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