Landesgartenschau Kirchheim 2024
Von der Anonymität zur Gemeinschaft
von: Dipl.-Ing. Vera Hertlein-Rieder, Dipl.-Ing. (FH) Hanne RothGrundlage bildet das Entwicklungskonzept Kirchheim 2030, das 2016 bis 2018 begleitet von intensiver Bürgerbeteiligung entstand. 2018 erhielt die Stadt mit der Idee einer grünen Mitte für die Gemeinde den Zuschlag für die Bayerische Landesgartenschau 2024.
Nun verbindet ein abwechslungsreich gestalteter Ortspark die beiden Gemeindeteile und schafft, gesäumt von öffentlichen Einrichtungen und neuer Wohnbebauung, eine neue grüne Mitte und neue räumliche Verknüpfungen für die gesamte Gemeinde.
Die Verwaltung wird zentral in einem neuen Rathausbau mit Bürgersaal gebündelt. Mit diesem neuen Herz entsteht auch ein neues Selbstverständnis als Gemeinschaft. Dieses folgt dem Leitbild einer "Familiengemeinde", die alle Generationen integriert.
NL-Stellenmarkt
Fünf Sphären und ein "Achter"
Analog zum Gartenschau-Motto "Zusammen.Wachsen." trug der Wettbewerbsbeitrag von SINAI für die Daueranlagen, der zur Grundlage der weiteren Planung für den etwa 16 ha großen Park wurde, den Titel "Natur.Verbunden.". Identitätsstiftendes Element ist der große Parksee, der dem neuen Rathauskomplex als Kern der neuen Mitte einen Rahmen gibt.
Der See bildet eine von insgesamt fünf Sphären, die den Park ausgehend von der bestehenden landschaftlichen Ausstattung und den städtebaulichen Anknüpfungspunkten definieren. Die Sphären Wasser, Wildnis, Wald und Wiese im großen Ortspark erzeugen unterschiedliche Parkbilder und sind verknüpft mit langfristigen ökologischen Entwicklungsszenarien.
Es entsteht ein Park der starken sinnlichen Kontraste, aber auch ein wertvolles Gewebe vielfältiger natürlicher Lebensräume; ein ökologischer Rückzugsraum, nicht in der Landschaft, sondern mitten im Ort. Die fünfte Sphäre Garten als "Satellit" befindet sich nördlich der Staatsstraße.
Zusammengebunden werden die Parkteile durch eine starke zentrale Erschließungsschleife in Form einer verzerrten Acht ("der große Achter"). Als Fuß- und Radweg spannt er sich auf zwischen dem Rathausensemble mit Bürgerhaus im Norden und dem Generationenplatz im Süden mit einem Dreh am bestehenden Jugendzentrum. Dessen Außenbereiche wurden erweitert und mit einer kleinen Skateanlage und einer Boulderwand in den neuen Park integriert.
Die neuralgischen Stellen entlang des "Achters" werden von Plätzen flankiert. Alle öffentlichen Einrichtungen liegen am "Achter" an. Wegetraversen binden ihn in den Stadtraum ein. Von Südwesten nach Nordosten verläuft er als bis zu 5 m breite "Magistrale" zwischen Heimstetten und Kirchheim.
Das Pflanzkonzept für die Daueranlagen trägt die Atmosphären der einzelnen Bereiche mit entsprechenden charakteristischen Zusammensetzungen. Auf der Ebene der Leitarten reagiert die Idee eines "gemischten Doppels" auf den Klimawandel: Heimischen Arten mit guten Klimaprognosen werden "neue" Klimabäume an die Seite gestellt – und so eine aktuelle Lesart des "Heimischen" erzeugt.
Starke Raumgerüste für das Ausstellungskonzept
Die Ausstellungsflächen für den Gartenschau-Layer und auch das Wechselflorkonzept nehmen thematisch locker Bezug auf die Sphären und sind so über den ganzen Park verteilt.
Die Ausstellungsflächen befinden sich fast ausschließlich auf zukünftigen Bauflächen, so dass für diese Bereiche eine temporäre Struktur benötigt wurde. SINAI entwickelte für die Themengartenbereiche das Konzept der "Gartenensembles", mit denen ein übergreifender Rahmen für die im Gelände verteilten Flächen einerseits und die einzelnen Aussteller innerhalb der jeweiligen Ensembles andererseits geschaffen wird.
Jedes Ensemble erhält seine räumliche Grundstruktur durch Pappelhaine und -alleen und gliedert sich um eine gemeinschaftlich nutzbare, offene Mitte. Die Pappeln werden später im Sinne einer Kurzumtriebsplantage geerntet. Die einzelnen Themengärten sind von Carpinus-Schnitthecken gefasst.
Die Gärten sind locker in die Ensembles eingewoben, manchmal getrennt verteilt auf der Fläche und manchmal aufgefädelt nebeneinander. Aber immer können die Besucher:innen von einem Garten zum nächsten schlendern.
Die Blumenschauen finden in fünf über das gesamte Gelände verteilten "Blütenräumen" statt. Diese überdachten Pavillons sind jeweils einer der fünf Sphären zugeordnet. Während sie architektonisch individuell gestaltet sind, sind sie jedoch alle so konzipiert, dass Innen und Außen miteinander verschmelzen und den Blumenschauen so einen neuen Aspekt zufügen.
Neue Ansätze für den Wechselflor
Wechselflorflächen innerhalb der Ausstellungsflächen, geplant von Hanne Roth, ergänzen die wiederkehrenden Elemente. Das Wechselflorkonzept nimmt ebenfalls Bezug auf die Sphären und das Motto "Zusammen.Wachsen.". Es setzt auf Ressourcenschonung mit wenig Kompost, wenig Substrat, wenig Wasser.
Statt dem klassischen Wechsel von Frühjahr auf Sommer verschmilzt der Frühjahrsflor, beschränkt auf wenige spätblühende Gattungen wie Papaver, Erysimum und Lychnis, kombiniert mit spät blühenden Zwiebelpflanzen, mit dem Sommerflor. Abblühende Stengel dürfen stehen bleiben, der Sommerflor wird eng an diese Mittelrippen heran gepflanzt, um diese dann schließlich zu überwachsen.
Nur auf wenigen Beeten werden eng gepflanzte Zwiebeln weggenommen und mit Sommerflor ersetzt. In den Daueranlagen wird Wechselflor nur sparsam verwendet – dort brillieren die Wiesen- und Staudenflächen.
Rundgang durch die Sphären: Natur und Urbanität am Parksee
Beginnen wir unseren Rundgang in der Sphäre Wasser am neuen Rathaus, direkt am Ufer des Parksees. Die große, nach Süden ausgerichtete Terrasse mit Wasserspiel und benachbartem Biergarten dient als urban geprägter öffentlicher Vorplatz und Begegnungsraum. Balkonartige Uferplätze und eine großzügige Freitreppe an der Südspitze des Sees machen die gut besonnten Ufer inmitten der Uferbepflanzung erlebbar.
Mit einem feinteilig gestaffelten Uferrelief, Schilfinseln und verschiedenen Wassertiefen entsteht um den See ein kleinteiliges Mosaik von wassergeprägten Lebensräumen. Auenbäume säumen das Ufer, Hochstämme begleiten die Wege und Baumgruppen als Solitäre schmücken die Wiese. Als Wechselflor wird im Bereich des Sees optisch mit Wellen und Linien gearbeitet.
Ein "Zwiebelmeer" wird am nördlichen Eingang die Besucher empfangen, ergänzt von Zierlauch, Gräsern, ein-und zweijährigen Kulturpflanzen, die später mit Sommerflor ergänzt werden. Im Ausstellungsbereich "Sonnentreff" dominieren die Farben Blau und Gelb. Die Wechselflorflächen werden bereits mit Dauerstauden kombiniert, um den Bereich später weiterentwickeln zu können.
An zwei Stellen kreuzen Stege den See, um Querverbindungen im Park selbst und – über den "Achter" – großräumigere Anbindungen zwischen den Gemeindeteilen und Quartieren herzustellen. Der bis zu 2 m tiefe See wird aus Niederschlagswasser und Grundwasser gespeist, welches zur Parkbewässerung genutzt oder über zwei Retentionsfilteranlagen gereinigt wieder dem Boden zugeführt wird.
Sphäre Wald: Licht und Schatten
Dem "Achter" nach Süden folgend, erreichen wir im Zentrum des Parks die Sphäre Wald, die ein bestehendes Wäldchen mit zusätzlichen Baumpflanzungen weiterentwickelt. Im zentralen Bereich locker, dem Bild eines Hutewaldes entsprechend, verdichten sich die Pflanzungen nach Westen. Helle Blütenbäume verleihen schattigen Räumen einen ganz besonderen atmosphärischen Ausdruck.
Pflanzinseln aus überwiegend einheimischen Waldstauden in Kombination mit Farnen, Gräsern und Sträuchern schaffen Vielfalt und Struktur. Auf der östlichen Ausstellungsfläche "Parkoase" gestaltet sich der Wechselflor essbar – mit Fenchel, Thymian, Origanum, Schnittlauch und Kohl als Partner von Tulpen und Zier-Laucharten. Anfang Juni kommen Mangold, Lauch, Zwiebel, Dill, Zitronenverbene, Eukalyptus, Salbei, Basilikum etc. als Außenflächen hinzu, ergänzen und ersetzen teilweise die Zwiebelflächen.
Der ebenfalls hier zugeordnete Ausstellungsbereich "Kronenland" wird im Wechselflor von einer ganz besonderen Pflanzung begleitet. In reinem Sand über der anstehenden Münchner Rotlage wurde bereits eine aparte Kombination aus heimischen Wildpflanzen, farbintensiven Trockenpflanzen, winterharten Kakteen und Yucca gesetzt – ein "mediterraner Waldsaum", wie Hanne Roth ihn bezeichnet, als Mischung zwischen den Arten des heimischen trockenen Waldsaums mit Arten, die sich zukünftig etablieren könnten.
Eingebettet unter lichten Baumkronen befindet sich der zentrale Spielplatz, dessen Gestaltung als "Keltenwelten" Bezug auf die frühe Siedlungsgeschichte nimmt – in der Tat wurden die Erdbaumaßnahmen archäologisch begleitet. Eine phantasievolle Kletter-, Hangel-, Parcours- und Balancierlandschaft gruppiert sich mit "Palisaden", einem als Keltenhaus überdachten Bereich und Weiden- und Gräserlabyrinthen um ein Wasser- und Matschspiel, das "Wasserauge".
Auf einem Wall im Süden des Wäldchens entsteht ein erhöhter Aussichtspunkt mit einer großzügigen Sitzbank unter Bäumen, von dem aus man die Sphäre Wiese überblickt.
Sphäre Wiese: Offene Vielfalt
Gefasst vom Wäldchen im Norden und beidseitigen Baumreihen, sparsam gegliedert von Einzelbäumen, ist der Parksüden offen gestaltet mit gemähten und nutzbaren Säumen und Wiesenbereichen mit unterschiedlichen Ansaaten im Zentrum. Unter anderem bieten extensive, höhengestaffelte Mischungen in Kombination mit einem gezielten, auf dauerhafte Extensivnutzung angelegten Pflegemanagement dem geschützten Idas-Bläuling ein Nahrungshabitat.
Entlang der Wege gibt ein "Rücken" aus Blütenstauden und Sträuchern, überwiegend Flieder, der Wiese einen zusätzlichen Rahmen. Bienenfreundliche Kultivare, die verwildern können, kein invasives Verhalten zeigen und nach der Gartenschau eine Symbiose mit den angesäten Wiesen eingehen können und Einjährige ergänzen als Wechselflor die Ansaaten.
Eine Kombination aus Mondviole, Muskatellersalbei, Prachtkerze, Wilder Möhre, Königskerzen und viele andere, kombiniert mit einjährigen Sommerblühern, ergeben den wiesenartigen Charakter. Zwiebelpflanzen bleiben in der gemischten Pflanzung erhalten. Die hier angesiedelten Ausstellungsflächen des "Vielfaltsraumes" werden im Wechselflor mit Kombinationen aus Zwiebel, Gehölzen, einzelnen Exoten, Wildstauden und Gräserflächen begleitet.
Der "Achter" fungiert auch als Joggingparcours und im Bereich der Wiese sind kleine Fitnessinseln angedockt. So sind auch hier urbane Elemente mit ökologischen Funktionen gemischt. Das große Wiesenfenster fokussiert auf einen Abschlussplatz im Süden, den Generationenplatz. Ein skulpturaler Pavillon als geschützter Begegnungsort vor dem künftigen Senioren-Wohnheim gibt dem Platz einen Fokus.
Sphäre Wildnis: Entdeckungen in der Natur
Von hier führt uns der "Achter" wieder in den Norden, zur Sphäre Wildnis, die sich im Westen des Parks zwischen zukünftigen Baufeldern und See aufspannt. Programmatischer Ausgangspunkt war der bestehende "wilde" Aufwuchs.
Unter dessen weitgehendem Erhalt entstand ein kleinteilig strukturierter Gehölz-Lichtungskomplex naturnahen Charakters mit nutzbaren Spielzellen und Lernlichtungen, die über schlanke Stege verbunden sind. Dabei wurde die bestehende Vegetation berücksichtigt, die genaue Lage von Wegen und Inseln vor Ort festgelegt.
Die Auslichtungen wurden ökologisch begleitet, Totholz oder Stümpfe vielfach vor Ort belassen. Die fünf Lichtungen – die Felseninsel, die Yogainsel, die Fluginsel, die Schmetterlingsinsel und die Spinneninsel – sind als Orte der Bewegung, der Entspannung und des Spiels gestaltet.
Die Schmetterlingsinsel liegt nah zu einem Magerrasenbiotop, wo ebenfalls der Idas-Bläuling angesiedelt ist.
Eine freiwachsende Hecke aus Wildrosen und Beerensträuchern mit einer Unterpflanzung aus Wildstauden in Blau-Violett-, Gelb- und Weißtönen begleitet die Kante der Wildnis entlang der zukünftigen Baufelder. Während der Gartenschau zieht sich das Konzept der Lichtungen jedoch in die westlich gelegene Ausstellungsfläche der "Inselwelt" hinein.
Im Norden rdes Areals wartet ein weiteres Highlight: Die große Aussichtsplattform "Park-Kanzel", eine Stahlskelettkonstruktion mit einer Verblendung aus Cortenstahl. Sie fungiert als Landmarke der Gartenschau. Von hier, auf einer Höhe von circa 8,5 m über dem restlichen Gelände, bietet sich ein Ausblick über den gesamten Park und den See – bei gutem Wetter reicht die Sicht bis zu den Alpen.
Über eine bestehende Brücke, welche die Staatsstraße überspannt, gelangt man von hier direkt in die fünfte Sphäre Garten.
Sphäre Garten: Gemeinschaftlicher Nutzen
Dort sind die dauerhaften "Bürgergärten" entstanden. Die 45 Parzellen wurden über eine "Konzeptvergabe" an Bürger:innen oder Firmen, Vereine oder öffentliche Einrichtungen wie Kitas oder die Gemeindebücherei vergeben – Bedingung war, dass die Gärten einen praktischen oder ökologischen Nutzen haben und nicht nur als Erholungsfläche dienen.
Es wird torffrei und ohne chemische Substanzen gegärtnert. Auf den 3 x 2 m großen Beeten entstanden so seit Mai 2023 Blühgärten für Insekten, ein Naschgarten für eine Kita, ein Garten mit Teekräutern, ein Hochbeet aus Recycling-Materialien oder ein "Sinnesgarten". Turnusmäßig soll über die Weiternutzung oder Neuvergabe der Parzellen entschieden werden.
Nördlich dieses Bereichs wurde ein Zierapfelhain mit etwa hundert Exemplaren gepflanzt. Symbolisch steht dieser für die Kinder, die zwischen dem Baubeginn zur Gartenschau 2021 und ihrer Eröffnung in der Gemeinde zur Welt gekommen sind – eine sichtbare Bekräftigung des Selbstverständnisses als "Familiengemeinde".
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