Analyse mit weltweit führendem Stadtklimamodell

Kühlleistung großer Vegetationsflächen in Städten reicht nicht aus

Welche kühlende Wirkung von baumbestandenen Innenhöfen und mit Bäumen gesäumten Straßen ausgeht, zeigt eine vergleichende Simulation, die der Klimatologe Prof. Dr. Dieter Scherer vom Berliner Tempelhofer Feld mit dem angrenzenden Schillerkiez an einem Sommertag und einer Sommernacht mit dem digitalen Stadtklimamodell PALM-4U erstellt hat. Seine Schlussfolgerung: Die Kühlleistung großer Vegetationsflächen in Städten allein reicht nicht aus.
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Die kühlende Wirkung der mit Bäumen bestandenen Straßen und Innenhöfe des Berliner Schillerkiezes kommt der des Tempelhofer Feldes gleich. Grafiken: Dieter Scherer/TU Berlin

"Zum einen ist deutlich zu sehen, dass Vegetationsflächen des nachts Kaltluft produzieren", sagt Scherer, Leiter des Fachgebiets Klimatologie an der TU Berlin: "Das ist in Sommernächten, wenn sich die Lufttemperatur nicht unter 20 Grad Celsius abkühlt, für das städtische Mikroklima wichtig." Zum anderen sei zu sehen, "dass eben nicht nur vom Tempelhofer Feld eine kühlende Wirkung auf das städtische Mikroklima ausgeht, sondern gerade auch von den vielen baumbestandenen Innenhöfen und Straßen". Das bedeute, dass ein innerstädtisches kleinräumiges Mosaik aus Bebauung und Vegetation das Stadtklima deutlich verbessere. "Also jeder Baum zählt", erläutert der Berliner Klimatologe.

Praxistaugliches Werkzeug

Die Simulation ist ein Ergebnis des über sechs Jahre angelegten Forschungsprojekts "Stadtklima im Wandel", das Scherer koordiniert. Es hat unter anderem zum Ziel, ein praxistaugliches Werkzeug für die klimaresiliente Stadtplanung zu entwickeln, mit dem Städte künftig so gebaut und umgebaut werden können, damit sie sowohl an die Folgen des Klimawandels angepasst sind, wie an immer häufiger auftretende Hitzewellen, als auch das Klima schützen, also weniger CO2 emittieren und die Luft reinhalten.

"Dieses Ziel wurde erreicht und PALM-4U – die Abkürzung steht für PArallel Large-Eddy-Simulation Model for Urban Applications – ist ein weltweit führendes digitales Stadtklimamodell, mit dem Stadtplanerinnen und Stadtplaner, Architektinnen und Architekten bereits im Planungsprozess am Computer sehen, wie sich ihre geplanten Klimaanpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen, also zum Beispiel Dach- und Fassadenbegrünung, die Anlage von Grün- und Wasserflächen, die Höhe und Stellung von Gebäuden und das verwendete Baumaterial auf das Mikroklima in dem jeweiligen Stadtviertel auswirken", sagt Dr. Katharina Scherber, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Stadtklima im Wandel" des TU-Fachgebiets Klimatologie. Das Projekt mit über 30 wissenschaftlichen und Praxispartnern aus ganz Deutschland wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Dachbegrünung hat positive Wirkungen

So wurde in der Stadt Solingen mit PALM-4U die Wirkung von Klimaanpassungsmaßnahmen wie die Dachbegrünung auf die thermische Belastung hin untersucht. Im Fokus standen dabei zwei Bebauungsplangebiete in der Innenstadt. "Die Ergebnisse zeigen, dass extensive Dachbegrünung als Anpassungsmaßnahme in Bezug auf die Lufttemperatur in zwei Metern Höhe am Tag keine sichtbare Auswirkung zeigt, da die begrünten Gebäude mit ihren Dachhöhen sehr hoch sind", sagt Scherber. Zwischen den extensiv begrünten und den nicht begrünten Dachflächen zeigten sich jedoch deutliche Oberflächentemperaturunterschiede. Die Vorteile der Dachbegrünung lägen in der Wärmeisolationswirkung des oberen Geschosses, der Regenrückhaltung, der Synergieeffekte mit Solaranlagen sowie ihrer positiven Auswirkungen auf die Biodiversität und die Einsparung von Heiz- und Kühlenergie. "Nachts können begrünte Dachflächen Kaltluft produzieren und somit einen Beitrag zur nächtlichen Abkühlung der Stadtatmosphäre leisten", so Scherber. "Das muss aber noch genauer erforscht werden."

Damit Städte wie Berlin besser als bisher gegen Hitzewellen gewappnet sind, ist eine kleinräumige Abwechslung von Bebauung und Vegetation im Abstand von 150 Metern vonnöten.

Schlussfolgerung aus der Simulation des Tempelhofer Feldes und des angrenzenden Schillerkiezes mit PALM-4U

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Das belegt die oberflächennahe Lufttemperatur nicht nur in der Nacht wie auf der vorherigen Grafik, sondern auch am Tag, die diese Grafik anzeigt.

Bebauungsdruck würde wachsen

Städte wie Berlin, Dresden, Hamburg, Leipzig und Stuttgart setzen PALM-4U bereits in der Stadtplanung bei der Implementierung von Klimaanpassungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Luftreinhaltung ein. "Simulationen mit PALM-4U können wir zum Beispiel dafür nutzen, um zu untersuchen, ob die gesamte Freilassung des Tempelhofer Feldes für das gesamtstädtische Klima in Berlin sinnvoll ist", sagt Prof. Scherer. "Damit zu argumentieren, dass die Nichtbebauung des Tempelhofer Feldes gut für das städtische Klima sei, weil damit eine große Grünfläche erhalten bliebe, ist nicht die ganze Wahrheit."

Zur Wahrheit gehöre auch, dass, wenn Teile des Tempelhofer Feldes nicht mit Wohnungen bebaut würden, sich der Druck auf die Bebauung noch brachliegender Flächen oder Vegetationsflächen in anderen Quartieren erhöhen würde. "Denn aufgrund des Wohnungsmangels wird weiter gebaut werden", sagt Prof. Dr. Dieter Scherer. Dadurch verschwänden aber genau jene kleinteiligen innerstädtischen Vegetationsflächen im Bestand, die in Zeiten, da sich Städte zunehmendem Hitzestress ausgesetzt sehen, das Mikroklima verbessern und des nachts Kaltluft produzieren. "Eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes müsste aber zwingend mit einem Bebauungsverbot von anderen Grünflächen einhergehen, was ein rechtliches Problem darstellt", so Scherer.

Kühlleistung großer Vegetationsflächen allein reicht nicht aus

"Damit Städte wie Berlin besser als bisher gegen Hitzewellen gewappnet sind, ist eine kleinräumige Abwechslung von Bebauung und Vegetation im Abstand von 150 Metern vonnöten – so die Schlussfolgerung aus der Simulation des Tempelhofer Feldes und des angrenzenden Schillerkiezes mit PALM-4U. Betrachtet man das städtische Klima insgesamt, reicht die Kühlleistung großer Vegetationsflächen wie des Tiergartens oder eben des Tempelhofer Feldes allein nicht aus. Denn nur die unmittelbar anliegenden Gebäude profitieren davon; weiter entfernt liegende Quartiere zum Beispiel im Wedding oder Prenzlauer Berg nicht", resümiert Prof. Scherer. Unter dem Aspekt der Hitzeresilienz sei deshalb eine teilweise Bebauung des Tempelhofer Feldes durchaus sinnvoll, wenn dadurch kleinere Grünflächen erhalten werden können.

cm/Technische Universität Berlin

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