Strategien und Beispiele für Biodiversität
Artenreiche Firmengelände
von: Dipl.-Ing. Tim Kaysers, Dipl.-Ing. Johann Senner
Bei der Wirtschaft und den Firmen liegt somit eine der Ursachen für die Artenkrise – jedoch gleichzeitig auch die Lösung. Die Integration der Biodiversität ist wie oben beschrieben ein Standortfaktor und essenziell für die langfristige Planung einer Firma. Dabei geht es nicht nur um das Aufhängen von Nistkästen oder dem Anlegen einer artenreichen Blühwiese. Es geht um das Aufrechterhalten der Biodiversität mit ihren verschiedenen Ökosystemleistungen wie der Bodenbildung, der Luftfilterung, der Verdunstungskühlung oder der Wasserreinigung (s. Abb. 8).
Grundsätzlich geht es um die Themen Wasser, Boden, Vegetation und natürlich um die Menschen. Letztere sind auch Teil der Biodiversität. Dieser Gedanke ist wichtig, da wir Menschen uns nach wie vor nicht als Teil der Natur sehen und auch so den Planeten behandeln. Es braucht ganzheitliche Ansätze, in denen die natürlichen Kreisläufe mit den Menschen integriert sind.
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Um die Biodiversität mit den Ökosystemleistungen zu fördern haben wir in der Planstatt Senner dazu verschiedene Leitlinien definiert. So soll kein Tropfen das Gebiet in einer Leitung verlassen und alles Regenwasser den Pflanzen zur Verfügung gestellt werden. Es soll kein Schubkarren Boden entsorgt und alle Bestandsbäume erhalten werden. Das Grundwasser soll verbessert und die Artenvielfalt erhöht werden. Alle Gebäudefassaden können begrünt werden und für die Menschen braucht es attraktive und nutzbare Freiräume mit einem lichten Schatten von 50 bis 75 Prozent. Diese Ziele versuchen wir in unseren Klima- und Baumhainkonzepten umzusetzen. Dabei spielt der Standort und dessen Analyse eine entscheidende Rolle. So setzen wir beispielsweise Drohnen mit Wärmebildkameras ein, welche den Wärmeinseleffekt analysiert und somit Maßnahmen zur Kühlung getroffen werden können. Die Kühlung ist meist das schlagende Argument, dass mehr Grün bei Projekten umgesetzt wird (Abbildung 1 und 2).
Die Argumentation in mehr Artenvielfalt zu investieren ist längst nicht so wirksam bei den Bauherrn. Doch das Problem der Hitze versteht jeder und mehr Grün ist dabei die beste Lösung. Das wiederum nützt der Artenvielfalt. Denn jeder Quadratmeter Grün zählt und ist die beste Antwort auf den Artenschwund.


Zudem gehen bei jedem Projekt unsere Biologen raus und kartieren die Flora und Fauna. Nur wer den Bestand kennt, kann ihn auch schützen und integrieren. Ebenso wichtig ist die Analyse des Regenwassers und der Geologie. Im Prinzip lässt sich bei jedem Projekt das komplette Regenwasser zurückhalten und pflanzenverfügbar machen, auch bei lehmigen oder sandigen Böden. Es kommt eben auf die verschiedenen Maßnahmen an, die in das Konzept eingebaut werden. So gibt es zunächst die Speicherung des Regenwassers auf dem Dach oder in Zisternen, im Substrat der Pflanzen oder in Oberflächengewässern. Über offene Rinnen kann es verteilt und den Pflanzen zur Verfügung gestellt werden. Alles überschüssige Regenwasser wird kaskadenförmig zurückgehalten, verdunstet oder dem Grundwasser zur Verfügung gestellt. Die Potenziale jedenfalls zu mehr Biodiversität sind die Standortauswahl, der Städtebau, die Architektur und der Freiraum. Überall können Ökosystemleistungen integriert werden.
Die Planstatt Senner plant derzeit einige Projekte, welche biodiverse Themen integrieren. Beispielsweise für die Sparkasse Rhein Neckar Nord in Mannheim oder die Josef-Schwarz-Schule in Heilbronn, für letztere haben wir ein umfangreiches Biodiversitätskonzept erstellt. Dieses ist sehr wichtig, denn dazu gehört eine umfangreiche Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung der näheren Umgebung und möglicher Vernetzungsmöglichkeiten sowie das Aufzeigen der verschiedenen Lebensraumanforderungen mit entsprechendem Nahrungsangebot. Dies ganz nach dem Motto: "Kein Insektenhotel ohne Frühstück". Bei der Sparkasse Rhein Neckar Nord in Mannheim, direkt am Paradeplatz, wurden über 230 verschiedene Pflanzenarten in der Innenhoffassade und auf dem Dach eingeplant. Dort gibt es ganzjährig ein Nahrungsangebot und Lebensraum inmitten der Stadt. Das gesamte Regenwasser wird gespeichert, zurückgehalten und zu den Pflanzen geführt. Bei einem einzigen Starkregenereignis können 50 m³ Regenwasser gespeichert werden. Die Begrünung bewirkt eine jährliche Kühlung, die der Kühlleistung von zehn Kühlschränken entspricht. Diese und viele weitere Leistungen werden zur Verfügung gestellt.
Bereits umgesetzte Projekte sind das Headquarter von ZF in Friedrichshafen, der Technologiepark Hess in Waiblingen, die Buchinger Klinik in Überlingen oder die Dachterrasse der Baugenossenschaft BGÜ ebenfalls in Überlingen. Beim Technologiepark Hess wurden ein See renaturiert und naturnah gestaltete Außenbereiche umgesetzt, die vielen Arten einen Lebensraum geben. Beim ZF Headquarter in Friedrichshafen wurden Bestandsbäume erhalten und viele Pflanzflächen mit artenreichen Pflanzungen angelegt.
Bei der Buchinger Klinik wurde bei der Bepflanzung besonders auf die Biozönosen eingegangen, also die Gemeinschaft von verschiedenen Lebewesen. Oft gibt es in der Natur ein sogenanntes Schlüssel-Schloss-Prinzip, bei der beispielsweise ein spezieller Lebensraum, eine spezielle Pflanze wachsen lässt, die von einer speziellen Insektenart bestäubt wird. So wächst die Weiße Fetthenne gerne in kargen Steingärten oder Trockenmauern. Gleichzeitig ist sie die einzige Futterpflanze für die Raupen des Apollofalters. Soll diese Gemeinschaft gefördert werden, braucht es alle drei Bausteine: Trockenmauer, Fetthenne und somit den Apollofalter.
Nach dem Motto "Tiere pflanzen" gibt es weitere bekannte Beispiele von Gemeinschaften wie den Wasserdost und das Tagpfauenauge, die Wilde Karde und den Stieglitz oder wer das Pfaffenhütchen pflanzt, lockt mit großer Sicherheit das Rotkehlchen an. Sehr gut ist auch die Integration von Wasserflächen. Wasser zieht Leben an. Dies gilt für den Menschen wie für die Tiere und Pflanzen. Wir müssen viel mehr in Lebensräumen, Gemeinschaften und Netzwerken in der Natur denken.
Einen Schritt weiter wollten wir beim neuen Firmensitz der Planstatt Senner in Überlingen gehen. Im sogenannten "Dschungelhaus" wurden vorrangig nachhaltige Materialien beim Bau eingesetzt und die Bauwerksbegrünung ist in verschiedenen Formen integriert. Aus einem ehemaligen Wohnhaus entsteht ein Büro. Die Bestandsbäume wurden beim Neubau erhalten, sodass an einer Ecke des Gebäudes eine Aussparung gebildet wurde, um einen alten Mirabellenbaum zu erhalten. Die Fassaden werden von Kletterpflanzen begrünt und ein Naturpool bietet den Mitarbeiterinnen Erfrischung im Sommer. Die Bewässerung der Pflanzen erfolgt über einen Wasserspeicher unter dem Gründach. Das Wasser wird ohne Pumpen, nur über die Schwerkraft, über Rinnen und Rohre zu den Pflanzen geführt. Viele naturnahe Aspekte werden intergiert.
Sollen die verschiedenen Ökosystemleistungen beim Bauen integriert werden, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten dazu. Alle Ökosystemleistungen können mit architektonischen oder landschaftlichen Lösungen integriert werden. Die Bodenbildung kann durch aufgeständerte Bauten und Entsiegelung integriert und die Wasserversorgung kann durch Pflanzenkläranlagen und Regenwassermanagement gesichert werden. Die genetische und Artenvielfalt kann durch heimische Pflanzen gefördert und die Ernährung der Menschen kann durch Landwirtschaft im ländlichen aber auch im urbanen Raum und an Gebäuden gewährleistet werden. Ziel ist es alle Kreisläufe zu integrieren und eine Ökosystem-Architektur umzusetzen (Abb. 8).


Bei Firmen könnte sich diese neue Architektur vor allem auf die Produktion beziehen. Rohstoffe können vor Ort angebaut werden oder benötigtes Wasser vor Ort gespeichert und genutzt werden. Die Kreisläufe sollten so klein wie möglich sein. Vorbild dabei ist ein Baum, der seine ganze Energieproduktion vor Ort durch die Photosynthese bewerkstelligt und keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt hat.
In unserer Vision können wir uns Städte mit Gewerbegebieten vorstellen, die sich in die Natur einfügen. Diese Ökosystemstadt hat aufgeständerte Gebäude, die wie Bäume in den Himmel ragen. Straßen und Wege sind ebenfalls aufgeständert und der öffentliche Nahverkehr erfolgt über Schienen, die den Boden kaum versiegeln. Durch die Aufständerung bleibt viel Platz auf dem Boden für Natur. Auch die Wirtschaft hat umgedacht und setzt ganz auf eine Bio-Ökonomie. Die Firmen produzieren ihre organischen Rohstoffe kaskadenförmig und alle Reststoffe werden vor Ort kompostiert und wiederverwendet. Fast alles lässt sich aus Pflanzenstoffen herstellen. Fasern, Öle, Dämmstoffe, Gummis und natürlich Holz. Die Energie für die Produktion kommt wie bei Pflanzen von der Sonne oder wird über Kompostwärme generiert. Die Anpflanzungen speichern das anfallende CO2 und reinigen das Wasser. Der Mensch fügt sich in die Natur ein und auch die Mitarbeiter profitieren von der grünen und gesunden Umgebung.
So fern diese Vision scheint, soll sie doch aufzeigen, dass wir viele Möglichkeiten haben, uns in die Natur besser einzufügen. Dabei kann die Natur selbst ein Vorbild sein oder wir entwickeln eigene Formen. Jedenfalls ohne die Natur geht es nicht.
Dass Biodiversität wichtig ist, daran besteht kein Zweifel. Firmen können und müssen einen Beitrag dazu leisten. Viel bewegen wird hoffentlich die neue EU-Taxonomie. Ab 2025 müssen Unternehmen ab 250 Mitarbeiter und einer Bilanzsumme größer als 20 Millionen Euro in einem Bericht nachweisen, dass deren Aktivitäten einem von sechs Umweltzielen dienen muss und keinem widersprechen darf. Die Ziele sind die Anpassung an den Klimawandel, Klimaschutz, die nachhaltige Nutzung von Meeresressourcen, die Vermeidung der Umweltverschmutzung, den Übergang zur Kreislaufwirtschaft und natürlich den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. In den nächsten Jahren werden auch kleinere Unternehmen folgen. Wir als Landschaftsarchitekten können diese Unternehmen beraten, insbesondere bei der Anpassung an den Klimawandel und zur Förderung der Biodiversität. Nur wenn wir die Natur integrieren, haben wir eine nachhaltige Zukunft.


Quellen:
- https://helmholtz-klima.de/planetare-grenzen-bio-sphaere-diversitaet-vielfalt
- Europäische Kommission (2022)
Europäischer Grüner Deal: Weniger chemische Pestizide, umfassende Renaturierung
https://germany.representation.ec.europa.eu/news/europaischer-gruner-deal-weniger-chemische-pestizide-umfassende-renaturierung-2022-06-22_de - PricewaterhouseCoopers & WWF
"Von Net Zero zu Nature Positive – warum sich der deutsche Finanzsektor mit Biodiversität beschäftigen sollte"
Seite 13.














