Aktueller Stand der Umsetzung in Deutschland
Begrünungen mit gebietseigenen Gehölzen und gebietseigenem Saatgut
von: Dipl.-Ing. Martin DegenbeckAb März 2020 müssen gemäß § 40(1) BNatSchG in der freien Natur, also außerhalb des Siedlungsbereichs und nicht auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen, gebietseigene Pflanzen verwendet werden. Seit 2010 ist die LWG in Arbeitsgruppen in Bayern und auf Bundesebene beteiligt, die sich um den Aufbau praxistauglicher Systeme dafür bemühen. Baumschulen und Saatgutproduzenten auf der einen sowie die Bau-, Landwirtschafts- und Naturschutzbehörden auf der anderen Seite müssen Kompromisslösungen finden, wobei man auf Zertifizierungssysteme setzt. Der folgende Beitrag gibt den aktuellen Stand des Abstimmungsprozesses wieder.
Zum 1. März 2010 hat der Deutsche Bundestag, trotz erheblichen Widerstandes aus Norddeutschland, die Pflicht zur Verwendung gebietseigener Pflanzen in der freien Natur im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) verankert (siehe Auszug). Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, unter anderem der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim (LWG), haben immer wieder die Vorzüge gebietseigener ("autochthoner") Pflanzen gegenüber Standardware beliebiger Herkunft belegt (geringere Ausfälle durch bessere Anpassung an Klima und Standort, bessere Durchwurzelung etc.), wenngleich nicht bei allen Arten.
Die Baumschulen und Saatgutproduzenten müssen nun, in Abstimmung mit den Behörden und den Abnehmern der Ware, Systeme schaffen, die gewährleisten, dass ab März 2020 nachweislich gebietseigenes Saat- und Pflanzgut für die "freie Natur" in ausreichender Menge verfügbar ist. Dabei legt die Naturschutzverwaltung Wert auf fachlich fundiert abgegrenzte Herkunftsgebiete der Pflanzen und einen zuverlässigen Herkunftsnachweis, wohingegen die Produzenten aus Wirtschaftlichkeitserwägungen heraus möglichst große Herkunftsgebiete bevorzugen und möglichst wenig Verwaltungsaufwand wünschen. Die Hauptabnehmer der Pflanzen sind die Straßenbaubehörden, die die Landschaftsbauarbeiten nach VOB/A ausschreiben. Für sie ist dabei wichtig, eine hinreichende Kontrollmöglichkeit mit geringem Aufwand im Rahmen der Vergabeverfahren zu haben.
Alle Beteiligten müssen nach vertretbaren Kompromisslösungen suchen, die praxistauglich sind, um den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Dieser Abstimmungsprozess, dessen aktueller Stand nachfolgend dargestellt wird, war und ist nach wie vor sehr mühsam.
NL-Stellenmarkt
Teil A: Gebietseigene Gehölze
Im Gegensatz zur Produktion von Forstgehölzen und Saatgut für Ansaaten, wofür mehr oder weniger umfangreiche Gesetze und Verordnungen existieren, gibt es bei den Landschaftsgehölzen, die nicht gleichzeitig Forstgehölze sind, derartige Vorgaben nicht beziehungsweise nur in Ansätzen. Deshalb konzentrierten sich die Bemühungen der zuständigen Behörden in den ersten Jahren weitestgehend darauf, für Landschaftsgehölze akzeptable Lösungen zu finden.
BMU-Leitfaden "Gebietseigene Gehölze"
Das Bundesumweltministerium (BMU) hat 2010 eine Arbeitsgruppe einberufen, die praxistaugliche und bundesweit konsensfähige Lösungen zur Umsetzung von § 40 BNatSchG erarbeiten sollte. In der Arbeitsgruppe sitzen zum einen Vertreter der Baumschulwirtschaft, zum anderen die zuständigen Bundesbehörden sowie Ländervertreter aus denjenigen Ländern, die langjährige Erfahrungen mit dem Thema "gebietseigene Pflanzen" haben (Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen), und zu guter Letzt Vertreter der wichtigsten Auftraggeber, also der Straßenbaubehörden, die den Großteil der gebietseigenen Ware abnehmen (allein in Bayern rund 700.000 Sträucher/Jahr). Ich bin Mitglied dieser Arbeitsgruppe und vertrete dort die bayerische Landwirtschaftsverwaltung.
Die Arbeitsgruppe hat bis 2012 dreimal getagt. Dazwischen fanden auf Länderebene zahlreiche Abstimmungsgespräche statt. Als Ergebnis der ersten beiden Sitzungen hat das BMU Anfang 2012 einen "Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze" herausgegeben, der unter www.bfn.de zum Herunterladen bereitsteht. Er stellt den konsensfähigen Zwischenstand des Abstimmungsprozesses dar, der bis heute im Wesentlichen noch Bestand hat.
Vorkommensgebiete
Der Leitfaden weist bundesweit lediglich sechs Vorkommensgebiete aus, aus denen gebietseigene Gehölze stammen und nur dort auch wieder verwendet werden dürfen (siehe Abb. 1). Für Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg, den Bundesländern, die man als Pioniere bei der Verwendung gebietseigener Gehölze bezeichnen kann, war dieser unter norddeutschem Druck entstandene Kompromiss ein Rückschritt zur bisherigen Vorgehensweise. Die "Erzeugergemeinschaft für autochthone Baumschulerzeugnisse in Bayern (EAB)" hat seit 1997, die "Erzeugergemeinschaft für gebietsheimische Gehölze Baden-Württemberg (EZG)" seit 2006 und der "Verein zur Förderung gebietsheimischer Gehölze im Land Brandenburg" seit 2004 Gehölze aus bundesweit neun Herkunftsgebieten produziert und vermarktet, und das in Abstimmung mit den zuständigen Landesbehörden.
Diese sehr großen Vorkommensgebiete (das VKG 5 reicht vom Schwarzwald über Mainfranken bis nach Südthüringen) haben zwangsläufig zur Folge, dass das im ganzen Vorkommens gebiet einsetzbare Sortiment dünn geworden ist; mit Rosa canina und Rosa majalis sind nur noch zwei Rosenarten verblieben, die man laut Leitfaden "normal" als gebietseigene Ware ausschreiben kann. Eine Heckenpflanzung an der Straßenböschung nach der potentiell natürlichen Vegetation optimal zusammenzustellen und in dieser Form öffentlich auszuschreiben, ist kaum mehr möglich.
Deshalb haben diese drei Bundesländer die "Öffnungsklausel" im Leitfaden genutzt und innerhalb ihres Landes einige Vorkommensgebiete aus naturschutzfachlichen Gründen nochmals unterteilt. In Bayern erfolgte das im August 2013 durch einen Erlass der obersten Naturschutzbehörde, der in der Länderarbeitsgruppe abgestimmt war und von da an bei allen Ausschreibungen zu beachten war und ist. In Bayern liegen die VKG 3 bis 6; die VKG 4, 5 und 6 wurden nochmals unterteilt, entsprechend den ursprünglich bereits vorhandenen Grenzen (siehe Abb. 2). Baden-Württemberg schloss sich dem an.
Verwendung von Forstbaumarten
Laut Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG) in Verbindung mit der Verordnung über Herkunftsgebiete für forstliches Vermehrungsgut (FoVHgV) werden für 26 Baumarten verbindliche artspezifische Herkunftsgebiete bestimmt, aus denen das Saatgut stammen muss. Diese sind allerdings nicht nur nach ökologischen Kriterien festgelegt, sondern auch nach wirtschaftlichen.
Mehrheitlich ist man zur Auffassung gelangt, dass die forstlichen Herkunftsgebiete auch bei Verwendung außerhalb des Waldes weiterzuführen sind. Soll also jetzt eine Stieleiche (9 forstliche Herkunftsgebiete) in einer Feldhecke gepflanzt werden, kann weiterhin die differenziertere artspezifische Untergliederung aus dem Forstbereich in der Ausschreibung verwendet werden. Will ich dagegen eine Hainbuche pflanzen (4 forstliche Herkunftsgebiete), kann man laut Leitfaden nach der geringer differenzierten forstlichen Gliederung ausschreiben. Das wird allerdings von Bayern nicht mitgetragen, da es aus naturschutzfachlicher Sicht einen weiteren Rückschritt gegenüber der bisherigen Praxis darstellt. Es empfiehlt sich also, im LV sowohl das VKG als auch das forstliche Herkunftsgebiet anzugeben.
Die Saatgutproduktion der Forstware wird behördlicherseits streng überwacht. Seit der Gründung des ZüF (Zertifizierungsring für überprüfbare Forstliche Herkunft Süddeutschland e. V.) 2002, der Rückstellproben und stichprobenartige genetische Analysen eingeführt hat, sind die Fehllieferungen stark zurückgegangen, bei nur moderat angestiegenen Preisen.
Erntebestände
Wenn der Staat gebietseigene Gehölze vorschreibt, muss er auch geeignete Erntebestände bereitstellen, so war die auf Bundesebene überwiegende Meinung der Beteiligten. Lange Zeit haben sich die Naturschutzbehörden darum nicht gekümmert, sondern es einfach den Produzenten überlassen. Wer Ausgangsmaterial für die Produktion gebietseigener Pflanzen ernten will, hat gemäß § 39 BNatSchG eine Erntegenehmigung zu beantragen (bei der aber nicht danach gefragt wird, ob es sich um die Produktion gebietseigener Pflanzen handelt oder nicht). Baumschulen vor allem in Bayern und Baden-Württemberg haben seit den 1990er-Jahren deshalb in Eigenregie Erntebestände ausfindig gemacht und den Bestand nach und nach weiter ausgebaut.
In puncto Erntebestände war Bayern eines der aktivsten Bundesländer. In der Länderarbeitsgruppe wurde der Aufbau eines im Internet verfügbaren Ernteregisters für gebietseigene Gehölze (GEG) beschlossen. Es wird an das Erntezulassungsregister für Forstgehölze (EZR) angegliedert, das von den Forstverwaltungen der Länder geführt wird. Da viele Anbieter von gebietseigenen Gehölzen auch Forstpflanzen produzieren, sind sie mit diesem System bereits vertraut. Das GEG wird bereits von anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen benutzt und steht weiteren offen.
Das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) hat die Kartierung geeigneter Erntebestände beauftragt, die ins GEG eingepflegt werden. Darüber hinaus wurde den Zertifizierungssystemen angeboten, ihre eigenen Erntebestände zu melden und anerkennen zu lassen, da ab 2020 zumindest in Bayern nur noch gebietseigene Pflanzen aus anerkannten Erntebeständen akzeptiert werden. Die Erntebestände der EAB und der Baumschule Köppl sind mittlerweile anerkannt, die Prüfung der EZG-Bestände läuft. Ansonsten hat dem LfU bislang kein weiteres Zertifizierungssystem für Erntebestände zur Prüfung vorgelegt. Die ZgG etwa hat in Bayern und Baden-Württemberg aktuell keine anerkannten Erntebestände!
Ausschreibungen der Bauverwaltung in Bayern
Bereits 2013 hat die Oberste Baubehörde (OBB) Hinweise für die Ausschreibung gebietseigener Gehölze mit einem OBB-Rundschreiben veröffentlicht und dabei die nachgeordneten Dienststellen aufgefordert, bereits damals nach Markterkundung gebietseigene Gehölze auszuschreiben, damit sich ein Markt entwickeln kann. In einzelnen Bundesländern ist das bis heute nicht passiert.
Innerhalb der Länderarbeitsgruppe Bayern war vereinbart worden, die "Zügel straffer zu ziehen", je näher der Stichtag 2020 rückt. Ab 2016 begann die Straßenbauverwaltung mit der Einforderung von Einzelnachweisen, sofern der Erntebestand (noch) nicht anerkannt war. Dafür wurde das Formblatt 2481 von der Bauverwaltung eingeführt, in dem sowohl der anbietende GaLaBau-Unternehmer als auch der vorgesehene Lieferant vorab schriftlich bestätigen müssen, dass sie gebietseigene Gehölze im Falle des Zuschlags liefern und das auch nachweisen können (siehe www.stmi.bayern.de/assets/stmi/buw/bauthemen).
Ausnahmeregelungen
Von der gesetzlichen Verpflichtung zur Verwendung gebietseigener Gehölze in der freien Natur sind Obstgehölze grundsätzlich ausgenommen. Weiterhin gibt es laut Leitfaden Ausnahmen "für den unmittelbaren Straßenseitenraum (z. B. Mittelstreifen, Lärmschutzwälle) bei dem den Erfordernissen der Funktionssicherung durch die Verwendung gebietseigener Gehölze nicht genügt werden kann". Somit können beispielsweise Ahornsorten als Alleebaum weiter verwendet werden, so lange keine gebietseigene Ware am Markt verfügbar ist, welche die geforderte Funktion (Lichtraumprofil etc.) in gleicher Weise erfüllen kann.
Ansonsten muss jedem GaLaBau-Unternehmen klar sein, dass ab 1. März 2020 stets eine Ausnahmegenehmigung der zuständigen Naturschutzbehörde für Ersatzherkünfte erforderlich ist, wenn die gewünschte Gehölzart aus dem im LV ausgewiesenen Vorkommens gebiet nicht geliefert werden kann.
Zertifizierung
Der Staat will es im Wesentlichen den Wirtschaftspartnern selbst überlassen, die Produktion gebietseigener Gehölze über Zertifizierungsmodelle sicherzustellen. Dennoch ist die Kontrollierbarkeit insbesondere den Straßenbaubehörden als Hauptauftraggeber ein wichtiges Anliegen. Die 1997 in Bayern gegründete EAB hat hier Pionierarbeit geleistet, an der sich die anderen Zertifizierungsmodelle messen lassen müssen. Einen Überblick über die in Deutschland existierenden Zertifizierungssysteme gibt die Tabelle 1.
Es ist Aufgabe der staatlichen Behörden, die zu erfüllenden Kriterien zur Anerkennung eines Zertifikats zu formulieren, wobei sich der Aufwand im vernünftigen Rahmen halten muss. Hierzu hat 2012 in Bonn ein Fachgespräch auch mit den sieben damals bestehenden Zertifizierungssystemen stattgefunden. Als Ergebnis hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) "Empfehlungen zu Zertifizierungsstandards im Bereich gebietseigener Gehölze" zusammengestellt, die von allen Zertifizierungsmodellen beachtet werden müssen, um am Markt bestehen zu können. Diese Mindeststandards wurden 2013 auf Bundesebene vom BMU und auf Länderebene in Bayern vom zuständigen Landwirtschaftsministerium herausgegeben.
Die Kernaussagen sind folgende:
- Die Zertifizierung wird privatwirtschaftlich organisiert und umfasst alle Stufen der Wertschöpfungskette.
- Die Rückverfolgbarkeit bis zum Erntebestand ist zu gewährleisten.
- Dazu soll eine Referenznummer verwendet werden, die auch für Abnehmer leicht nachvollziehbar ist.
- Saatgutpartien sind grundsätzlich getrennt zu halten; Mischungen sind nur dann erlaubt, wenn die Rückverfolgbarkeit gewährleistet ist.
- Die beauftragte Zertifizierungsstelle muss unabhängig sein.
- Mindestens jährlich erfolgen Kontrollen durch einen sachkundigen Auditor.
Die Auftraggeberseite legt Wert auf eine lückenlose Dokumentation vom Erntebestand (der ja der Naturschutzbehörde ohnehin gemeldet werden muss) bis zur verkaufsfertigen Ware. Die Kontrolle erfolgt im Wesentlichen auf der Basis der Aufzeichnungen des Betriebes und eines vorzulegenden Zertifikates. Eine genetische Kontrolle auf Kosten des Auftraggebers bleibt weiterhin möglich.
Da auf Bundesebene lange Zeit niemand willens war, die bestehenden Zertifizierungssysteme auf Einhaltung dieser Mindeststandards zu prüfen, hat das Bayern 2014 übernommen, auch um den Systemen Impulse zur Weiterentwicklung zu geben. Als Ergebnis haben zum Beispiel EAB/EZG das "Vier-Augen-Prinzip" bei der Kontrolle eingeführt, in dem das Landeskuratorium für pflanzliche Erzeugung in Bayern (LKP) als Zertifizierungsstelle gewonnen werden konnte.
2017 wurde das BMU diesbezüglich dann doch wieder aktiv und hat eine "DAkkS-Akkreditierung der Zertifizierungsstellen" ins Spiel gebracht. Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) führt Systemprüfungen für zertifizierte Produkte aller Art durch. Die Behördenvertreter in der BMU-Arbeitsgruppe waren einhellig für diese Lösung, um so einen einheitlichen Standard für die Zertifikate zu erhalten. Die Baumschulen reagierten verhalten, vor allem wegen der erheblichen Zusatzkosten, besonders EAB und EZG. 2018 wurde nun in der BMU-Arbeitsgruppe ein "Scope" zur Systemprüfung erarbeitet, also eine Art "Pflichtenheft". Im Zuge dessen wird auch eine bundeseinheitliche Referenznummernsystematik auf der Basis eines Vorschlags aus Bayern erarbeitet. Ohne diese Nummer ist eine rasche Prüfung der gebietseigenen Herkunft im Bauverfahren schwer möglich.
Teil B: Gebietseigenes Saatgut
FLL-Regelwerksausschuss "Gebietseigenes Saatgut"
Im Jahr 2011 hat die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) einen Regelwerksausschuss (RWA) unter Vorsitz von Dr. Frank Molder gegründet, der "Empfehlungen zur Begrünung mit gebietseigenem Saatgut" erarbeiten sollte. Diese liegen seit fünf Jahren vor (FLL 2014) und werden aktuell überarbeitet. Ich bin ebenfalls Mitglied im RWA.
Grundlage unserer Arbeit ist das "Regiosaatgutkonzept" von Hiller & Hacker 2001, das im Rahmen eines von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projektes der Leibniz-Universität Hannover weiter ausgefeilt worden ist (Prasse, Kunzmann, Schröder 2010). Dabei werden für Ansaaten zur Ergänzung der RSM Rasen "Regel-Saatgut-Mischungen Regiosaatgut (RSM-Regio)" in vier standörtlichen Varianten für die verschiedenen "Ursprungsgebiete" erarbeitet.
Für naturschutzfachlich höherwertige Begrünungen beziehungsweise für die Ausbringung von Arten, die wegen ihrer begrenzten Verbreitung nicht im kompletten Ursprungsgebiet verwendet werden können, enthält das Regelwerk auch Empfehlungen zu "naturraumtreuen Saatgut", welches ausgesät werden kann, häufiger aber mittels Übertragung von Druschgut, Mähgut, diasporenhaltigem Oberboden oder von Vegetationssoden ausgebracht wird.
Neben der Beschreibung der genannten Verfahren sind wie üblich Aussagen zu Abnahme, Pflege und Prüfungen sowie Musterausschreibungstexte enthalten.
2018 begann die Überarbeitung des Regelwerks, nun wieder unter Beteiligung des Verbands deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten (VWW), der bei der Erarbeitung der ersten Fassung zwischenzeitlich ausgestiegen war.
Ursprungsgebiete
Im Rahmen des DBU-Projektes wurden für Deutschland 22 "Ursprungsgebiete" (Herkunftsgebiete) abgegrenzt, aus denen das gebietseigene Saatgut stammen muss. Weiterhin wurden Positivlisten für die im jeweiligen Ursprungsgebiet verwendbaren Pflanzenarten erstellt. Eine wichtige Arbeitshilfe dazu ist die Homepage www.regionalisierte-pflanzenproduktion.de; der Kartendienst erlaubt die Zuordnung des Einsatzortes zu einem Ursprungsgebiet, der Artenfilter dient im zweiten Schritt der Auswahl geeigneter Arten.
Bis 2010 ließ das Saatgutrecht den gewerbsmäßigen Handel von gebietseigenem Saatgut bestimmter Arten (Gräser und Leguminosen) nicht zu (Degenbeck 2006). Dann wurde von der EU die Richtlinie 2010/60/EU erlassen, die mit der "Verordnung über das Inverkehrbringen von Saatgut von Erhaltungsmischungen (Erhaltungsmischungsverordnung ErMiV)" mit Wirkung vom 15.12.2011 in nationales Recht umgesetzt worden ist. In der ErMiV hat die beim DBU-Projekt erarbeitete Vorgehensweise einschließlich der Karte der 22 Ursprungsgebiete Eingang gefunden (s. Abb. 3). Die Produktion des gebietseigenen Saatgutes darf in acht zusammengefassten "Produktionsräumen" erfolgen. Die Ausbringung ist ab 1.März 2020 ohne Ausnahmegenehmigung nur noch im betreffenden Ursprungsgebiet zulässig. Lediglich noch in der Übergangsfrist des BNatSchG bis 01.03.2020 darf im Bedarfsfall auch Saatgut aus unmittelbar benachbarten Ursprungsgebieten verwendet werden.
Die ErMiV greift nur für Saatmischungen, die Saatgut von Gräsern und Leguminosen aus dem Artenverzeichnis zum SaatG enthalten, somit für die meisten in der Landschaftsbaupraxis verwendeten Mischungen. Sie macht sehr genaue Vorgaben zur Produktion des Saatgutes und verlangt die Vorlage eines anerkannten Zertifikats.
Zertifizierung
Ein Nachweis, dass Wildpflanzensaatgut wirklich aus gebietseigenen Herkünften stammt, ist nur mit arbeits- und zeitaufwändigen Verfahren möglich, damit teuer und in der Praxis kaum umsetzbar. Der Nachweis wird deshalb wie bei den Gehölzen auch über ein Zertifizierungssystem erbracht. Durch eine auch in der ErMiV geforderte lückenlose Dokumentation des Vermehrungsprozesses für gebietseigenes Saatgut, mit Rückverfolgbarkeit der käuflichen Ware bis hin zum Erntebestand, wird den Anforderungen des Naturschutzes Rechnung getragen.
In Deutschland existieren zwei Zertifikate am Markt, die beide in Vergabeverfahren nach VOB/A als gleichwertig zu betrachten sind: der VWW hat 2008 das Label "VWW-Regiosaaten" herausgebracht, der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BdP) 2009 das Label "RegioZert" (Degenbeck 2010). Die Beschreibung der Zertifizierungssysteme und weitere Details dazu sind in vorbildlicher Transparenz im Internet nachlesen (siehe www.natur-im-vww.de und www.bdp-online.de).
Hinweise für die Praxis
Die Neufassung der DIN 18917 von 2016 verweist nun explizit auf die FLL-Empfehlungen für Begrünungen mit gebietseigenem Saatgut. Sie enthalten zahlreiche praktische Hinweise, unter anderem Musterausschreibungstexte, weil im StLB damals keine vernünftigen Vorlagen für Ansaaten etwa auf Straßenböschungen existierten. Mittlerweile haben die zuständigen Stellen nachgelegt; sowohl für den Bereich Ländliche Entwicklung als auch für Wasserbau und Straßenbau wurden ausführliche Textbausteine formuliert.
Für naturschutzfachlich höherwertige Begrünungen empfiehlt sich ein Blick auf die Homepage des Bayerischen Umweltministeriums (www.stmuv.bayern.de) mit ausführlichen Informationen zum Thema "Autochthones Saat- und Pflanzgut". In diesem Zusammenhang muss klargestellt werden, dass für Blühflächen auf einem Acker gebietseigenes Saatgut zwar möglich, aber nicht erforderlich ist, da der Anbau von Pflanzen in der Landwirtschaft explizit in § 40 BNatSchG ausgeschlossen ist, damit auch der Anbau von "Honigpflanzen" als Nektar- und Pollenlieferanten des Nutztieres Honigbiene. Bei sorgfältiger Pflanzenauswahl, um Florenverfälschungen in der Umgebung zu vermeiden, ergeben sich so mehr Möglichkeiten, die durch den Klimawandel entstandene Trachtlücke im Hochsommer zu schließen.
Der "Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze" bietet viele brauchbare Hilfestellungen (siehe www.bfn.de). Allerdings ist die Pflanzenlieferung nur ein kleiner Teil der Landschaftsbauarbeiten und fällt somit für die Zuschlagserteilung kaum ins Gewicht.
Die ausschreibende Stelle sollte zunächst eine Markterkundung durchführen, welche Pflanzen beziehungsweise welches Saatgut aus dem betreffenden Vorkommens- /Ursprungsgebiet in der gewünschten Menge lieferbar sind. Nur diese Pflanzen können in die öffentliche Ausschreibung aufgenommen werden. Es ist auch juristisch unbedenklich, weitere Pflanzenarten, die nur bei einzelnen Lieferanten der Region verfügbar sind oder nur kleinere Verbreitungsgebiete haben, im Rahmen einer freihändigen Vergabe zu beschaffen beziehungsweise dem Auftragnehmer den entsprechenden Produzenten anzudienen, weil es sich meist um geringfügige Beträge handelt, die für die Bieterreihenfolge ohnehin unbedeutend wären. Nur so lässt sich ein naturnaher Pflanzenbestand erreichen.
Die Baubehörden müssen nun in Abstimmung mit der Naturschutzverwaltung Handlungsanweisungen für den zu erwartenden Fall, dass nicht vollständige oder vom LV abweichende Pflanzenlieferungen (z. B. anderes Vorkommens gebiet) angeboten werden, erarbeiten. Dann besteht nämlich ab März 2020 eine Genehmigungspflicht durch die zuständige Naturschutzbehörde. Die notwendigen Entscheidungen müssen in solchen Situationen schnell fallen. Die DAkkS-Akkreditierung wird auf Bundesebene als unvermeidbarer Schritt zur Anhebung aller Zertifizierungssysteme auf den Mindeststandard gesehen, dieser Zug ist abgefahren. Es werden alle Baumschulen einsehen müssen, dass das zu Mehrkosten führt, die sich in den Angebotspreisen niederschlagen müssen. Hier sind die Auftraggeber gefordert, bei Dumpingpreisen genau hinzusehen und sich nicht nur auf die Papierform zu verlassen, sondern auch einmal genaue Kontrollen durchzuführen. Bei fehlender Kontrolle kann sich Qualität nicht durchsetzen.
Obwohl der Stichtag 1. März 2020 vor der Tür steht, ist die Umsetzung praxistauglicher Lösungen lange noch nicht so weit wie notwendig. Bayern schiebt auf Bundesebene immer wieder an, während andere Bundesländer regelmäßig durch Inaktivität bremsen. Das BMU war beispielsweise bis jetzt nicht in der Lage, alle Bundesländer dazu zu bewegen, ausreichend Erntebestände bereitzustellen.
Ein Grundproblem ist die zersplitterte Zuständigkeit für das Thema bei verschiedenen Behörden, die immer wieder Sand ins Getriebe bringt. So dürfen die bayerischen Forstbeamten, welche die Produktion der Forstgehölze in den Baumschulen kontrollieren, mangels gesetzlicher Grundlage nicht gleichzeitig die Produktion der Landschaftsgehölze kontrollieren, obwohl es vielfach die gleichen Baumschulen sind. Nächstes Beispiel: die Naturschutzverwaltung auf Bundes- und Länderebene sieht sich aktuell nicht in der Lage, die ohnehin erforderliche Sammelgenehmigung nach § 39 BNatSchG so zu gestalten, dass sie für Kontrollzwecke bei Bauverfahren herangezogen werden kann. Dafür wäre ein internetbasiertes Datenbanksystem erforderlich, das letztendlich allen Beteiligten und vor allem den Naturschutzbehörden die Arbeit erleichtern würde.
Die fachlich sehr sinnvollen Anzuchtverträge für gebietseigene Gehölze, die gerade für Pflanzenarten mit kleinen Vorkommensgebieten unabdingbar sind, lassen sich gegenüber den Baujuristen nicht durchsetzen, die die Pflanze behandeln wie einen Pflasterstein.
So stehen wir vor der Situation, dass 2020 gerade in Norddeutschland gebietseigene Pflanzen nicht flächendeckend verfügbar sein werden und die Naturschutzbehörden eine Ausnahmegenehmigung nach der anderen ausstellen müssen. Es gibt noch viel zu tun.
§ 40 (1) BNatSchG
"Das Ausbringen von Pflanzen in der freien Natur, deren Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur nicht oder seit mehr als 100 Jahren nicht mehr vorkommt, sowie von Tieren bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde. Dies gilt nicht für künstlich vermehrte Pflanzen, wenn sie ihren genetischen Ursprung in dem betreffenden Gebiet haben. ( . . .) Von dem Erfordernis einer Genehmigung sind ausgenommen:
1. Der Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft ( . . .)
4. das Ausbringen von Gehölzen und Saatgut außerhalb ihrer Vorkommensgebiete bis einschließlich 1. März 2020; bis zu diesem Zeitpunkt sollen in der freien Natur Gehölze und Saatgut vorzugsweise nur innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden."
Literatur
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2012): Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze. Broschüre, 32 S. (siehe www.bfn.de).
Degenbeck, M. (2006): Begrünungen mit gebietsheimischen Pflanzen - Vereinbar mit den Wettbewerbs- und Vergabebestimmungen? - Neue Landschaft 5/2006, S. 35-40.
Degenbeck, M. (2010): Zertifizierung von Wildpflanzensaatgut - Chance für mehr Naturschutz im Landschaftsbau - Naturschutz und Landschaftsplanung 3/2010, S. 90-91.
Degenbeck, M. (2012): Gebietseigene Gehölze: Der aktuelle Stand - Neue Landschaft 8/2012, S. 49-51.
Degenbeck, M. (2013a): Gebietseigenes Saat- und Pflanzgut für den GaLaBau - Neue Landschaft 11/2013, S. 31-34.
Degenbeck, M. (2013b): Ausschreibung von Begrünungen mit gebietseigenem Saatgut - European Journal of Turfgrass Science 03/2013, S. 33-36.
Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (2014): Empfehlungen für Begrünungen mit gebietseigenem Saatgut - Bonn, 128 S.
Hiller, A., Hacker, E. (2001): Ingenieurbiologie und die Vermeidung von Florenverfälschungen - Lösungsansätze zur Entwicklung von Regiosaatgut - Mitteilungen der Gesellschaft für Ingenieurbiologie 18, S. 16-42.
Prasse, R., Kunzmann, D., Schröder, R. (2010): Entwicklung und praktische Umsetzung naturschutzfachlicher Mindestanforderungen an einen Herkunftsnachweis für gebietseigenes Wildpflanzensaatgut krautiger Pflanzen - Unveröffentlichter Abschlussbericht eines DBU-Projektes der Leibniz-Universität Hannover, 166 S.