Der Kommentar
Ist der Kunde noch König?
von: Prof. Dipl.-Ing. (FH) Martin Thieme-HackGanz im Sinne von Wilhelm von Humboldt, demzufolge Studierende und Lehrende sich gemeinsam miteinander entwickeln sollen, darf auch ich immer wieder von meinen Studierenden lernen. Anlass war der Besuch eines Landschaftsbauunternehmers aus Portland im US-Bundesstaat Oregon. Er zeigte sich interessiert an den Themen Elektromobilität/-geräte und Wasserverbrauch und hatte Fragen zum Umfang des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln, insbesondere zur Verwendung von Herbiziden. Dazu hat er im Rahmen eines Gastvortrages berichtet, wie er mit seinen 500 Mitarbeitern die Pflege macht.
Während die Themen Wasserverbrauch und Elektrogeräte doch ähnlich diskutiert werden, war es für unseren Gast kaum vorstellbar, dass wir im deutschen Landschaftsbau seit vielen Jahrzehnten praktisch ohne "Unkrautvernichter" arbeiten. So konnte er sich zumindest die vielen mit Gänseblümchen und Löwenzahn bewachenden Flächen erklären, die bei seinen US-Kunden kaum als Rasen bezeichnet werden würden. Da scheint es einen erheblichen Kulturunterschied zu geben.
Auch die Pflanzenauswahl schien aus den 1960er Jahren zu stammen. Das kann aber auch damit zu tun, haben, dass beispielsweise der bei uns eher verhasste Lebensbaum (Thuja plicata) dort eine autochthone/heimische Pflanze ist, die an bestimmten Standorten sogar streng geschützt ist.
Was meinen Studierenden jedoch sehr übel aufgestoßen ist, waren wenig bepflanzte Kiesflächen, die auf wenigen Bildern zu sehen waren. Unser Gast aus Oregon konnte die Frage kaum verstehen, schließlich hatte er doch nur die Wünsche seines Kunden umgesetzt. In der Nachbesprechung mit den Studenten wurde das Thema erneut aufgegriffen, bis hin zur der Maßgabe, dass ein solcher Auftrag abzulehnen ist. "Entweder, ich kann den Kunden überzeugen, oder ich würde es lassen." Auch das Argument, dass Kiesgärten auch eine hochwertige Bepflanzung sein können, Stichwort Beth Chatto oder Trockenrasengesellschaften, wollte hier nicht greifen. Da stellt sich mir die Frage, was in Zukunft die Aufgabe eines dienstleistenden Landschaftsgärtners sein wird.
In der Industrie wird an dieser Stelle von "profit or purpose" gesprochen: Ist das Unternehmen gewinnorientiert oder verfolgt es ein höheres Ziel? In der Regel wird so lange das höhere Ziel verfolgt, wie der Gewinn nicht beeinträchtigt wird oder diesen sogar noch erhöht. So wie die Letzte Generation doch das Flugzeug für den Kurzurlaub nach Bali nutzt, Bündnis 90/Die Grünen die höchste Nutzungsfrequenz bei den Shuttle-Fliegern hatte und nur 15 Prozent derjenigen, die behaupten Bio-Nahrungsmittel zu kaufen, es auch wirklich tun.
In der Vergangenheit waren vor allem diejenigen erfolgreich, die den Kunden in den Mittelpunkt gestellt haben. Das gilt an erster Stelle für die Großen im Silicon Valley, wie Amazon, Apple und Google. Selbst die eifrigsten Investigativ-Journalisten können hier viel Schlechtes finden, zum Nachteil des Kunden ist es meist nicht.
Aber wer weiß, vielleicht ist der Kunde doch nicht mehr König, sondern nur noch Teil eines größeren Ziels. Vielleicht ist es aber schon die gute Absicht, die zählt. Unser Unternehmer aus Oregon hat jedenfalls für sich entschieden, dass unsere Blümchenrasenflächen die Zukunft sind, auch bei seinen Kunden, wenn sie denn wollen.
Ihr Martin Thieme-Hack