Stadtbäume im Klimawandel: Hauptsache „heimisch“?

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Klimabäume
Die Klimaerwärmung lässt sowohl bei heimischen (oben), als auch bei nichtheimischen Bäumen (rechts: Zierkirsche und Maulbeere) Gewinner und Verlierer zurück, je nach Gunst oder Ungunst des Standortes insgesamt. Foto: Wolfgang Borchardt

Schon immer gestört, gestresst und in ihrer Vitalität eingeschränkt, überschreiten extreme Wetterlagen und signifikante Klimaveränderungen Belastungsgrenzen der Stadtbäume. Dürresommer haben zu massiven Schäden und Ausfällen geführt, die oft nur Symptome langfristig schlechter Wuchsbedingungen für schlecht geeignete Baumarten waren. Es ist notwendig, Standortfaktoren nachdrücklicher zu verbessern und das Baumsortiment neu auszurichten. Jetzt muss der Stadtbaum die öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, die er schon immer verdient und zu oft nicht bekommen hat. Denn ohne Bäume, Grünflächen, Dach- und Fassadengrün ist die hitzeresiliente Stadt nicht zu haben.

Gern wird jeder unlängst eingegangene Baum der Klimaerwärmung in die Schuhe geschoben. Das tut dem Klima gelegentlich Unrecht. Selbst klimaresiliente Bäume versagen, wenn die Bodenbedingungen nicht stimmen:

Schicksal Stadtbaum

  • Verdichtungen an der Oberfläche und im Wurzelraum;
  • zu kleine Pflanzgruben, insbesondere in schmalen Pflanz-/Mittelstreifen;
  • Wasserstau über verdichtete Baumgrubensohlen („Badewanne“);
  • dichte, nicht versickerungsfähige, nicht atmungsaktive Bodenbeläge;
  • Ver- und Entsorgungsleitungen;
  • zu kleine Baumscheiben;
  • zu tief gepflanzte Bäume (> 95 % lt. Jahrbuch der Baumpflege 2017);
  • zu dicke Mulchschichten sorgen für (zusätzliche) Verrottungswärme.

Verlangen diese extremen Bedingungen dem Stadtbaum schon einiges ab, überschreiten Dürre und Hitze die tolerierbaren Grenzen. Blattschäden spiegeln Strahlungsschäden wider. Oft weniger beachtet, erreichte die Sonneneinstrahlung etwa im Juni 2019 Rekordwerte (http://heatresilientcity.de/heatresilientcity.de).

Zudem begünstigen steigende Temperaturen die Ausbreitung von Krankheiten und Parasiten, die bei geschwächten Bäumen leichtes Spiel haben. Beispiel ist die "Rußrindenkrankheit" beim Berg-Ahorn (USA: 1889, GB: 1945, D: 2005). Wenn nicht gepflanzt, ist der Berg-Ahorn auf kühl-feuchte, sommerkühle Bergwälder auf durchlässigen Böden beschränkt. In Trockenheit, Hitze und verdichteten Böden war der Berg-Ahorn noch nie "heimisch" und vital.

Selbst grundsätzlich standortgeeignete, klimaresiliente Baumarten können an den Bodenbedingungen scheitern. Dass es gelingen kann, bereits geschädigte Bäume in die Kur zu nehmen und ihre Vitalität wiederherzustellen - etwa durch bedarfsgerechtes Düngen, Wässern, Schneiden und pneumatische Bodenbelüftung - zeigt ein Experiment an Berliner Stadtbäumen (Borgmann, A.: Junge Bäume wieder vital - Eine Berliner Methode etabliert sich. In: ProBaum 02-2019, S. 14-21).

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Gern wird jeder unlängst eingegangene Baum der Klimaerwärmung in die Schuhe geschoben. Das tut dem Klima gelegentlich Unrecht. Selbst klimaresiliente Bäume versagen, wenn die Bodenbedingungen nicht stimmen. Foto: Wolfgang Borchardt
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Auch der falsch platzierte, später aufgrund seiner Größe die Verkehrssicherheit beeinträchtigende oder eine architektonisch wertvolle Fassade versteckende Baum oder Strauch ist nicht standortgerecht, denn auf ihn warten Verschnitt und Verstümmelung. Foto: Wolfgang Borchardt

Auch der falsch platzierte, später aufgrund seiner Größe die Verkehrssicherheit beeinträchtigende oder eine architektonisch wertvolle Fassade versteckende Baum ist nicht standortgerecht, denn auf ihn warten Verschnitt und Verstümmelung. Während der Monteur weiß: Hier ist diese Schraube ungeeignet, jener Nagel zu kurz, wird das verfügbare Baumsortiment zu häufig nicht professionell eingesetzt.

Wenngleich über der Klimadiskussion fast vergessen, sind Stadtbäume nach wie vor auch für die Bildung, Gliederung und Erlebnisqualität städtischer Freiräume unentbehrlich. Die vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten mit Solitärbäumen, Baumgruppen, Habitustypen, Farben und Texturen im Kontext zur Architektur werden selten genug ausgeschöpft (vergl. Bogaard-Bos, Theresia van Den: Farbe Grün. Baumschule Ebben NL, Cuijk, 2018).

"Heimisch": was ist das?

Wer mit der Situation der Stadtbäume wenig vertraut ist, sieht in heimischen Baumarten gern die üblichen, gar am besten geeigneten. Was ist "heimisch"? Schließlich ist alles, was draußen mehr oder weniger erfolgreich wächst, einfach da. Wie naiv diese Vorstellung ist, wird uns nach der Erläuterung der Unterschiede klar, die es zwischen "heimischen", "schon immer" dagewesenen Pflanzen und eingeführten oder zugewanderten "Neubürgern" (Neophyten) gibt. Nun bedeutet, sich heimisch zu fühlen, willkommen und geborgen zu sein. Folgerichtig wird die als "heimisch" deklarierte Pflanze mit einem guten Gefühl verbunden. Die heimische Natur wird als haltbietende Konstante idealisiert, die sie nicht ist und nie war. Im Gegensatz hierzu steht das nichtheimische und befremdliche Unbekannte, zwangsläufig nutzlos für heimische Bienen, Hummeln, Falter und Vögel, dem Klimawandel nicht gewachsen und dennoch der heimischen Flora gefährlich werdend. Schwer zu verdauen, dass die "heimische" Vegetation als die standortgerechtere, besser angepasste beschworen wird, aber gegen invasive Neophyten verteidigt werden muss. Das ist schneller geglaubt, als bewiesen und dennoch zur vermeintlichen Wahrheit und gängigen Handlungsanleitung geworden. Dabei trifft das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zur Verwendung heimischer und nichtheimischer Pflanzen nur wenige klare Aussagen. So ist die Zweiteilung unserer Flora zum Spielball von Emotionen geworden.

Für den Naturschutz gelten allgemein die Arten als "heimisch", die bereits vor der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus 1492 hierzulande vorkamen. Dieses "Amerika" war das, was wir heute geografisch als Südamerika bezeichnen. Kolumbus' Entdeckungsfahrt mag als Trennlinie zwischen Mittelalter und Neuzeit geeignet sein, einen Zusammenhang zur Pflanzenverwendung herzustellen ist deutlich schwieriger. Denn Pflanzen aus Südamerika hatten und haben mindestens im mittleren Europa in der Freilandverwendung kaum eine Bedeutung. Zu den wenigen Beispielen gehören Nothofagus (Einf. 1830), Cortaderia selloana (Einf. 1843), Verbena bonariensis (Einf. 1737). Die hier nicht heimischen Pflanzen stammen fast ausschließlich aus vergleichbaren Klimazonen Nordamerikas und Ostasiens und wurden erst Jahrhunderte später in die mitteleuropäische Gartenkultur eingeführt. Anders mediterrane, mit der Expansion des Römischen Reiches weit vor 1492 über die Alpen gelangte Arten, die als heimisch gelten dürfen, wenn sie sich ohne Zutun des Menschen vermehren, was bislang kaum vorkam. Musste die Pflanzung von Nussbäumen in der Landgüterverordnung Karls des Großen ("Capitulare de villis", um 800) noch angewiesen werden, macht er sich jetzt mit steigenden Temperaturen zunehmend selbständig.

Eine im derzeit gültigen Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) nicht mehr auffindbare Definition bezeichnet eine Pflanzenart als "heimisch", die ihr Verbreitungsgebiet ganz oder teilweise im "Inland" hat oder in "geschichtlicher Zeit" hatte oder auf natürliche Weise in das Inland ausdehnt. Im neuen Bundesnaturschutzgesetz formuliert § 40 (1): "Das Ausbringen von Pflanzen in der freien Natur, deren Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur nicht oder seit mehr als hundert Jahren nicht mehr vorkommt, . . . bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde." Darf daraus geschlossen werden, dass eine schon vor hundert Jahren etablierte Pflanze als einheimisch gilt? Ist Natur mit Jahreszahlen und Ländergrenzen beizukommen?

Dass das Bundeskabinett 2019 im begrüßenswerten "Masterplan Stadtnatur" auf heimische Pflanzen pocht, stimmt mehr als nachdenklich. Das Bundesnaturschutzgesetz trifft solche Einschränkungen nicht. Und für eine nachhaltige Baumauswahl auf innerstädtischen Extremstandorten stehen nicht ausreichend heimische Arten zur Verfügung. Nur Artenvielfalt hilft, Risiken und Ausfälle zu vermeiden. Erfreulich, dass der Zentralverband Gartenbau (ZVG) diese Auffassung unterstützt: "Allerdings wird die Einschränkung auf heimische Pflanzen angesichts sich verändernder Umweltbedingungen als kontraproduktiv gesehen." (Pressemeldung vom 06.06.2019 - www.g-net.de/aktuelle_meldung/zvg-begruesst-beschluss-des-bundeskabinetts-zum-masterplan-stadtnatur.html)

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Wenngleich über der Klimadiskussion fast vergessen, sind Stadtbäume nach wie vor auch für die Bildung, Gliederung und Erlebnisqualität städtischer Freiräume unentbehrlich. Die vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten mit Solitärbäumen, formalen und freien Gruppierungen, Habitustypen, Farben und Texturen im Kontext zur Architektur werden zu oft nicht ausgeschöpft. Foto: Wolfgang Borchardt
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Die „EU-Liste“ verbietet das Pflanzen von Götterbäumen. Von der Klimaerwärmung profitierend, stört ihn das Verbot in seinem Ausbreitungsdrang nicht. Aber wir verzichten auf einen klimaresilienten, bienenfreundlichen Stadtbaum. Wer hier vorbeigeht, genießt den Erdnuss-Duft der geriebenen Blätter. Foto: Wolfgang Borchardt

Niemand zieht in Zweifel, dass Beziehungen zwischen heimischen Bäumen und heimischen Insekten etabliert und wichtig sind. Aber stadtkranke heimische Bäume fallen hierfür aus. Oft später blühend als heimische Arten, bereichern standortgeeignete fremdländische Blütenbäume den Trachtkalender wesentlich. Beispiele sind der Japanische Schnurbaum (Styphnolobium japonicum) und die aus Korea stammende Duftesche (Tetradium daniellii). Wertvolle Informationen liefert die von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau herausgegebene Empfehlungsliste "Bäume und Sträucher für Bienen und Insekten" (www.lwg.bayern.de), die nichtheimische Gehölze einbezieht.

Untersuchungen haben gezeigt, dass - über die Insekten hinaus - auch Tausendfüßer, Krebstiere und Spinnen (alle gehören zu den "Arthropoden"/Gliederfüßern) sowohl von heimischen, als auch nichtheimischen Stadtbäumen profitieren. Heimische Arthropoden traten in den Kronen beider in unerwartet hoher Individuen- und Artenzahl auf (Böll, S.; Mahsberg, D,; Albrecht, R.; Peters, M. K.: "Urbane Artenvielfalt fördern - Arthropodenvielfalt auf heimischen und gebietsfremden Stadtbäumen" In: Naturschutz und Landschaftspflege Jg. 12 51/2019: 576-583).

Gebietseigene Herkünfte

Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) formuliert in § 40 (1): "Das Ausbringen von Pflanzen in der freien Natur, deren Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur nicht oder seit mehr als hundert Jahren nicht mehr vorkommt, . . . bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde." Ausgenommen sind gärtnerisch vermehrte Pflanzen mit Ursprung aus dem betreffenden Gebiet (gebietseigene Herkünfte) sowie land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen.

Auf die Definition des im § 40 BNatSchG wiederholt verwendeten Begriffes "freie Natur" wird im Gesetzestext (etwa § 7: "Begriffsbestimmungen") verzichtet. Nun unterliegen hierzulande viele Naturschutzgebiete, etwa Halbtrockenrasen, Wiesen oder Heiden, einem aufwändigen Erhaltungs- und Pflegemanagement. Und das Übrige ist ohnehin "unfreie", nämlich seit Jahrhunderten bewirtschaftete Kulturlandschaft, Landschaftsparks eingeschlossen. Insofern darf davon ausgegangen werden, dass die "freie Natur", mit Ausnahme land- und forstwirtschaftlich genutzter Flächen, alle Bereiche außerhalb von Siedlungen meint. Hieraus wird deutlich: Es gibt keine Verordnung, die die Verwendung heimischer oder gebietseigener Bäume in der Stadt vorschreibt. Das leuchtet ein, denn sowohl das Stadtklima, als auch die innerstädtischen Bodenbedingungen sind nicht nur für heimische Baumarten neu. In der Stadt gibt es gewöhnlich weder gebietseigene Böden (i. d. R. werden spezifische Substrate verwendet), noch ein Klima, dass gebietseigenen Herkünften gerecht würde. Für jeden Baum ist der Standort "Stadt" ein durch menschliches Tun geschaffener Extremstandort. Die Forstwirtschaft wählt seit Jahrzehnten geeignete Herkünfte (Provenienzen) aus, um Saatgut für standortgerechte, wüchsige und ertragreiche Aufforstungen zu gewinnen. So kann bei der Buche auf fast 30 Provenienzen mit unterschiedlichen Wuchsbedingungen zurückgegriffen werden. Nicht regionale Herkünfte, sondern wirtschaftliche Erwägungen sind dafür maßgebend und zulässig. Für die Gehölzverwendung in der Landschaft oder "freien Natur" ist das anders: Hierfür wurden sechs Herkunftsgebiete definiert, die das Vermehrungsmaterial für das von den Baumschulen bereitgestellte Pflanzgut liefern. Dass sechs Herkunftsgebiete die genetische Variabilität aller verwendungsrelevanten Gehölzsippen hinreichend widerspiegeln, darf bezweifelt und hinterfragt werden. Insbesondere Rosengewächse sind für ihre zahlreichen, befruchtungsbiologisch bedingten und genetisch fixierten Kleinarten bekannt. Bei Mehlbeeren (Sorbus aria) sind das allein in Bayern etwa 50 und Thüringen (ein weiterer Verbreitungsschwerpunkt) steht nicht nach. Spezielle Bestimmungsschlüssel unterscheiden deutschlandweit gegen 500 Kleinarten der Gewöhnlichen Brombeere (Rubus fruticosus). Würden immer nur die gleichen "gebietseigenen" Gehölztypen vermehrt, wäre das kein Beitrag zur vielfach angemahnten genetischen Vielfalt, die die gerade für das Überleben in der Landschaft so wichtige "Feldresistenz" verbessert und dafür sorgt, dass auch nach Kalamitäten etwas übrigbleibt - gegenwärtig beim Eschentriebsterben zu beobachten.

Dass die Klimaerwärmung nicht nur für uns Menschen, vielmehr ebenso für alle hier heimischen und später eingeführten Gehölze gleich neu und folgenreich ist, erfährt bisher wenig Beachtung. Selbst die heimische Flora außerhalb der Städte wird sich verändern, es wird Gewinner und Verlierer geben. Neue Pflanzengesellschaften ("novel ecosystems") entstehen: "Da einzelne Arten individuell auf klimatische Veränderungen reagieren, muss davon ausgegangen werden, dass neu zusammengesetzte Artengemeinschaften entstehen, die den Charakter derzeit vorhandener Lebensräume verändern …" (Musche, M. et. al.: Konzept für ein Monitoring der Auswirkungen des Klimawandels. In: Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen, Jg. 51 H. 2, 2014). Gegenwärtig wird im Projekt "RegioDiv" des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung an 28 häufigen Pflanzenarten untersucht, ob in Anpassung an sich verändernde Umweltfaktoren genetische Differenzierungen stattfinden (www.ufz.de/regiodiv).

Schlussfolgernd keimt die Überlegung: Wie lange wird das "Gebietseigene" unter sich verändernden Wuchsbedingungen noch als verordneter Maßstab taugen?

Klimabäume
Musste die Pflanzung von Nussbäumen in der „Landgüterverordnung Karls des Großen („Capitulare de villis“, um 800) noch angewiesen werden, macht er sich jetzt mit steigenden Temperaturen zunehmend selbständig. Foto: Wolfgang Borchardt
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Der weltweit verbreitete Adlerfarn ist auf luftfeuchten, nährstoffarmen und bodensauren Standorten gern invasiv. Dass er nicht „gebietsfremd“ ist, schützt ihn vor Verfolgung. Foto: Wolfgang Borchardt
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Niemand zieht in Zweifel, dass Beziehungen zwischen heimischen Bäumen und heimischen Insekten etabliert und wichtig sind. Aber stadtkranke heimische Bäume fallen hierfür aus. Oft später blühend als heimische Arten, bereichern standortgeeignete fremdländische Blütenbäume den Trachtkalender wesentlich: Der Japanische Schnurbaum (Styphnolobium japonicum) ist ein begehrter Hochsommer-Bienenbaum. Foto: Wolfgang Borchardt

Die Invasion vor der Haustür?

"Invasive gebietsfremde" Arten verdrängen heimische Arten und bedrohen die Biodiversität und Leistungsfähigkeit von Ökosystemen (Verordnung EU Nr. 1143/2014 (1) (2) (3)). Inzwischen hat die Mischung heimischer und überwiegend fremdländischer, damit zusätzlicher immergrüner und weiterer Nährgehölze für heimische Vögel und Insekten gerade in den Ökosystemen großer Städte zu einer Biodiversität geführt, die weit höher ist als die der Agrarlandschaften des Umlandes. Die vielschichtige Vegetation in Gärten, Parks, Friedhöfen und Straßengrün fördert eine Artenvielfalt, die sich in der vergleichsweise bequem zu beobachtenden Vogelwelt für jeden naturverbundenen Menschen unübersehbar wiederspiegelt.

Die Anzeige, Beobachtung und Bekämpfung invasiver gebietsfremder Arten ist in § 40 a, 40 b BNatSchG geregelt. Was ist "invasiv" wirklich? Die hierfür nötige Konkurrenzkraft ist weder eine allgemeine, noch deutsche oder europäische Konstante und kann sich nur auf den artspezifisch geeigneten Standorten voll entfalten. Die sind nur regional (z. B. Stadt-/Industriebrachen) oder lokal vorhanden (z. B. Flussufer in einzelnen Regionen, vergl. "Röderblume"). Auch gebietsheimische Holundergebüsche und Brennnesselfluren können sich nur dort großflächig ausbreiten, wo es einen massiven Eintrag von Nährstoffen gibt. Der weltweit verbreitete Adlerfarn ist auf luftfeuchten, bodensauren und nährstoffarmen Standorten gern "invasiv". Dass er nicht "gebietsfremd" ist, schützt ihn vor Verfolgung. Aber: Die Vergötterung des Heimischen endet meist bei Quecke, Zaungiersch und Ackerwinde. Von tausenden kultivierter Freiland-Ziergehölze haben es nur wenige bis zur Selbstverbreitung geschafft und noch sehr viel weniger dürfen als invasiv gelten. Die dazu zu rechnenden Baumarten, wie Götterbaum, Eschen-Ahorn und Späte Traubenkirsche, sind das aber nie grundsätzlich und überall. Verbreitete sich der um 1750 in Europa eingeführte ostasiatische Götterbaum ohne menschliches Zutun zunächst nicht, später nur lokal in vergleichsweise wärmeren Großstädten, ist er aufgrund weiterer Erwärmung dort noch vitaler und mittlerweile aufdringlich ("invasiv") geworden. Das EU-weite Pflanzverbot für den Götterbaum geht insofern ins Leere, als er selbst für seine Verbreitung sorgt. Aber uns ist mit dieser Verordnung ein verlässlich klimaresilienter und bienenfreundlicher Stadtbaum verlorengegangen.

Die Robinie: Eine Erfolgsgeschichte

1607 von englischen Siedlern im östlichen Nordamerika entdeckt, wird die Robinie seit 1635 in Europa kultiviert. Schon 1860 hat sie sich "auf märkischem Sande mit einer Art Vorliebe eingelebt" (Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg III/Havelland: Petzow). Ein Massenvorkommen in hinreichender Qualität war erforderlich, um die damals in großen Stückzahlen benötigten Schiffsnägel aus havelländischem "Akazien"-Holz herzustellen, wie bei Fontane nachzulesen. Damit war es möglich, teure Importe aus der Heimat der Robinie abzulösen (Deutsches Schifffahrts-Archiv Jg. 22, 1999: 329-332).

Weil in den betreffenden Gebieten seit mehr als 100 Jahren "wild lebend", hat die Robinie Heimatrecht (§ 40 (1) BNatSchG) und genießt Artenschutz (§ 37 (1)/1. BNatSchG). Dieser Schutz und die damit verbundene Möglichkeit, die Robinie auch in der "freien Natur" zu pflanzen erlischt dort, wo von ihr eine Gefährdung von Ökosystemen ausgeht (§ 40 (1) BNatSchG). Wenngleich in offenen Sandböden zunächst ausbreitungsstark und in Vorwaldgebüschen (Sambuco-Salicion capreae), an sonnigen Waldkanten und Straßenrändern heimisch geworden, drängt sie nicht in jede Haustür. Auch in der 2019 erweiterten Unionsliste invasiver Arten ist die Robinie nicht aufgeführt (EU-Verordnung 1143/ 2014). Ist es zu kalt, zu nass oder zu schattig, wird man sie vergeblich suchen. Sonst anspruchslos und humusverbessernd auf ärmsten Sandböden liefert sie dauerhaftes Holz, ist stadttauglich und bienenfreundlich ("Akazienhonig"). Die im Alter bizarre Krone entschädigt für den späten Austrieb. Durch Hacken, Graben oder den Pflug verletzte Wurzeln reagieren mit üppigen, kräftig bedornten Wurzelschösslingen. Deshalb ist die Robinie dort fehl am Platz, wo regelmäßig Bodenarbeiten stattfinden. Mittlerweile ist sie als hitzeresilienter Straßenbaum bewährt und wird gern in dornenlosen Sorten mit regelmäßigem Kronenaufbau - wie 'Bessoniana' - verwendet. 2020 schließlich hat es die Robinie zum "Baum des Jahres" geschafft.

Ist es kühl und feucht genug, siegt am Ende die heimische Buche - aber nur dort. Die in irischen Wäldern zur Plage gewordenen Rhododendron ponticum sind es hierzulande nicht.

Die Akzeptanz einer sich verändernden Umwelt, verbunden mit sich neu einbürgernder Arten mag angesichts unserer Wertvorstellungen und Liebe zum Vertrauten schwierig sein, bleibt aber alternativlos. Alle Konservierungsbemühungen einschließlich der verbissenen Bekämpfungsmaßnahmen und Ausrottungsversuche von Neophyten sind von begrenzter Reichweite und teuer. Dass fremdländische Pflanzen heimische Arten verdrängt oder gar ausgelöscht haben, ist noch nicht festgestellt worden. Alle bei uns ausgestorbenen oder zurückgedrängten Pflanzenarten haben ihr Schicksal nicht Neophyten, sondern massiven menschlichen Umwelteingriffen zu "verdanken". Vor allen Bekämpfungsmaßnahmen wird fachgerecht zu prüfen sein, welche Auswirkungen Neophyten auf das betroffene Ökosystem tatsächlich haben. So stellen Naturschutzorganisationen dem aus Ostasien stammenden Spießknöterich (Fallopia cuspidata, F. x bohemica) das denkbar schlechteste Zeugnis aus. Nach BUND-Angaben werden landesweit jährlich mehr als 30 Millionen Euro für seine Bekämpfung ausgegeben und der Pflanze als Indiz ihrer "Schuld" angerechnet. Wegen der dann vermeintlich besten Erfolgsaussichten wird ihm insbesondere in den Sommermonaten zu Leibe gerückt, während unter anderem der geschützte Sumpfrohrsänger darin brütet (Hering, J.: Ein gehasster Neophyt in neuem Licht: Singvögel brüten erfolgreich in asiatischen Staudenknöterichen. Der Falke Jg. 22, H. 12-2019).

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Bei der Suche nach den „Klimabäumen“ hält die ökologische Gesetzmäßigkeit der „Standorttoleranz“ Überraschungen bereit: Unter den Konkurrenzbedingungen am Heimatstandort wachsen viele Gehölze nicht dort, wo sie das besser könnten. Erst in konkurrenzfreien, Abstand haltenden Pflanzungen wird deutlich, dass sie über eine Standorttoleranz verfügen, die aus dem Naturvorkommen nicht abgeleitet werden kann. Die Schirm-Magnolie Magnolia tripetala stammt aus luft- und bodenfeuchten Wäldern Nordamerikas und gilt – anders als im Bild – als wenig widerstandsfähig. (Abb. l. o.). Rechts daneben u. unten: Neben der stadtbewährten Rot-Esche Fraxinus pennsylvanica kommt auch der inzwischen häufig gepflanzte Amberbaum Liquidambar styraciflua ursprünglich aus Auenwäldern. Foto: Wolfgang Borchardt
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Zwei Platanen einer Art – Platanus x hispanica – deren Habitus nicht unterschiedlicher sein könnte. Der riesigen Ausgangsart steht ‘Tremonia‘ gegenüber, die auch ohne Form- oder Stummelschnitt nur wenig Platz beansprucht (rechts) „Die Sorte ist das Schicksal deines Gartens“ meinte schon Karl Foerster. Foto: Wolfgang Borchardt

Auf der Suche nach den Stadtbäumen mit Zukunft

Die mitteleuropäische Baumflora ist - im Gegensatz zur ostasiatischen und nordamerikanischen unter vergleichbaren klimatischen Bedingungen - auffallend artenarm. Und das Wenige ist, auch den Folgen der Klimaerwärmung geschuldet, zu großen Teilen krank (vergl. Waldschadensbericht). Wir brauchen, ob heimisch oder nicht, mehr standortgeeignete Stadtbaumarten, um das Risiko von Ausfällen zu reduzieren. Die Artenauswahl wird durch einige Planungsinstrumente unterstützt:

  • KLAM (Klimaarten-Matrix),
  • CiTree (Auswahlfilter nach standörtlichen und gestalterischen Kriterien),
  • GALK-Liste (Erfahrungen der Gartenamtsleiter-Konferenz),
  • Lebensbereiche der Gehölze (P. Kiermeier).

Bei der Suche nach den "Klimabäumen" hält die ökologische Gesetzmäßigkeit der "Standorttoleranz" Überraschungen bereit:

Unter den Konkurrenzbedingungen am Heimatstandort wachsen viele Gehölze nicht dort, wo sie das besser könnten. Erst in konkurrenzfreien, Abstand haltenden Pflanzungen wird deutlich, dass sie über eine Standorttoleranz verfügen, die aus dem Naturvorkommen nicht abgeleitet werden kann. So hat sich neben dem Amberbaum (Liquidambar styraciflua) auch die Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica) aus Auenwäldern Nordamerikas in Dürreperioden bewährt. Die heimische Traubenkirsche (Prunus padus) treffen wir in der Landschaft fast ausschließlich an Bachufern an (Lebensbereich 2.2.4.4). Die gut stammbildende Auslese 'Tiefurt' ist als Stadtbaum etabliert. Die heimische Eibe wächst langsam und findet im tiefen Schatten, den sie noch aushält, eine konkurrenzfreie Nische. In Gartenkultur wächst sie (fast) überall. Da unmöglich alles durchprobiert werden kann, sind Erfahrungen (GALK-Liste), Zufallsbeobachtungen und Versuchspflanzungen mit verheißungsvollen Sortimenten (Stadtgrün 2021 und folgende) unentbehrlich.

Weil klimatische und Bodenbedingungen regional und standörtlich sehr verschieden sind, kann die Eignung von Bäumen für Stadtstraßen nicht bundeseinheitlich beurteilt werden.

Das hat der Abschlussbericht "Stadtgrün 2021" eindrucksvoll aufgezeigt. Nur Alnus x spaethii - schon 1908 aus einer Kreuzung zweier Erlenarten entstanden und nun zu spätem Ruhm gelangt - und die Ulmen-Sorte 'Lobel' waren in drei klimatisch verschiedenen Städten gleich erfolgreich. Andere, wie Quercus cerris, Quercus frainetto oder Tilia tomentosa, versagten in höheren, kühlen Orten.

Dass es auch eine Anpassung an wiederkehrende Stress-Situationen geben kann, belegt eine Studie des Helmholtz-Zentrums München. Danach ermöglicht ein "molekulares Gedächtnis" Bäumen die Anpassung an wiederkehrende Stress-Situationen (Dürre, Hitze). In Normalsituationen wird die Fotosynthese ausgleichend gesteigert (In: "Gartenpraxis" 05-2019: 7. Ulmer, Stuttgart 2019)

"Die Sorte ist das Schicksal deines Gartens" (Karl Foerster)

"Sorten" haben eigenständige, einheitliche und konstante Merkmale, die von der Ausgangsart abweichen, spontan auftreten oder durch Kulturmaßnahmen entstehen und in den Nachkommen bei geeigneten Vermehrungsmethoden erhalten bleiben. Auch Sorten stadttauglicher Bäume sind aus funktionaler und gestalterischer Sicht oft wichtiger als die Ausgangsarten. Das bleibt in Diskussionen außerhalb der Fachwelt meist völlig unbeachtet, obwohl auch Gartenfreunde gern auf ihre Lieblingssorten bei Tomaten (wie 'Harzfeuer') oder Äpfeln (wie 'Gravensteiner') schwören und Wildäpfel nicht für schmackhafter halten. Vorzüge der Sorten im Vergleich zur Ausgangsart von Stadtbäumen können sein:

  • eine bessere Kronen-/Stammbildung;
  • weniger Platzbedarf (Säulen-/Kugelformen);
  • größere/farbintensivere/abweichende Farbmerkmale für mehr Erlebnisqualität (Blüten, Blätter);
  • bessere Widerstandsfähigkeit gegen Trockenstress, Hitze, Strahlung und Schaderreger;
  • keine herunterfallenden Früchte, die die Verkehrssicherheit, etwa durch aufsammelnde Kinder, beeinträchtigen (wie die nichtfruchtende Rosskastanien-Sorte 'Baumannii').

Weil mittlerweile im Stadtklima bewährt, sind vom heimischen Feld-Ahorn zahlreicher als je zuvor Sorten in den Handel gekommen, die sich durch einen regelmäßigen Kronenaufbau ('Elsrijk'), rote Belaubung ('Barbarossa'), schmale ('Elegant') oder kugelförmige Kronen ('Nanum') auszeichnen. Damit kann die Pflanzplanung sehr viel freier auf unterschiedliche Pflanzsituationen reagieren.

Boden, Klima, Wuchsraum, die Kompetenz der Pflanzplanung und Gesetzeswerke sind die komplexen Existenzbedingungen des Stadtbaums. Einfache Antworten gibt es selten. Das gilt auch für Diskussionen, die um das "Heimische" kreisen. Um Missverständnissen vorzubeugen und eine gemeinsame Gesprächsbasis zu haben, bitten sie Ihre Gesprächspartner, einige heimische Baumarten zu nennen. Vermutlich werden sie ihr "grünes Wunder" erleben.

Prof. Dr. Wolfgang Borchardt
Autor

Studiendekan der Fakultät Landschaftsarchitektur, Gartenbau und Forst, Fachhochschule Erfurt

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