Strategien zur Klimaanpassung

Dachbegrünungen als ökologische Ausgleichsmaßnahme

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Die Begrünung von Gebäuden hat sich zu einer der zentralen Maßnahmen in der ökologisch orientierten Stadtplanung etabliert. Insbesondere die Dachbegrünung ist ein wesentlicher Pfeiler in vielen Strategien zur Klimaanpassung von Städten. Man kann davon ausgehen, dass zwischen 10 und 20 Prozent der Arealflächen in Städten heute mit Flachdachbauten bestanden und potenziell begrünbar sind. Es gilt dieses raumplanerisch relevante Potenzial als Kompensationsflächen für die Biodiversität sowie als Klimapuffer durch zielgerichtete Planungen in Wert zu setzen.
Klimaanpassung Bauwerksbegrünung
Dachbegrünungen als ökologische Ausgleichsflächen sind Klimapuffer und Biodiversitätsflächen. Tramdepot Wiesenplatz in Basel. Foto: Stephan Brenneisen

Das verdunstende Regenwasser der begrünten Dachflächen kühlt zum einen die darunterliegenden Räume sowie die Umgebungsluft und damit das Mikroklima im Bereich des Gebäudes sowie in der Summe auch das Stadtklima. Dachflächen stehen aber auch im Fokus der an vielen Orten laufenden staatlichen Offensiven zur Förderung der erneuerbaren Energien. Photovoltaikanlagen (PV) auf möglichst vielen Gebäuden ist das Ziel. An vielen Orten sind behördliche Vorgaben bereits festgesetzt worden oder sind in Ausarbeitung, so, dass Solarenergienutzung auf Dächern zur Pflicht wird. Die Frage stellt sich nun, ob und wie die beiden Nutzungsformen auf Flachdächern kombiniert und arrangiert werden können.

Studien haben aufgezeigt, dass die kühlende Wirkung einer Dachbegrünung auch einen positiven Einfluss hat auf die Leistung von PV-Modulen. Mit zunehmender Erhitzung an heißen Sommertagen nimmt die Leistung der Photovoltaikmodule ab. Ab einer Betriebstemperatur von 25 °C sinkt die Leistung einer Solaranlage mit jedem Grad um 0,5 Prozent. Das Spektrum der wissenschaftlichen Messungen dieses Effektes auf das Jahr bezogen zeigt jedoch eine sehr große Bandbreite, von nahezu ohne Leistungssteigerung bis zu 8 Prozent. Hier ist sicher die Messanlage und -methode die Ursache der großen Unterschiede.

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Dachbegrünung in Kombination mit PV-Anlage auf dem Dach des Hallenbads in Muttenz. Die Biodiversität profitiert und eine einfache Regelpflege garantiert den Stromertrag. Foto: Stephan Brenneisen
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Dachbegrünung mit PV-Anlage auf dem Dach des Hallenbads in Muttenz. Foto: Stephan Brenneisen

In der aktuellen Praxis wird dieser potenzielle Mehrertrag jedoch in Verbindung gesetzt mit den möglichen Ertragseinbußen durch Verschattungen von Pflanzen auf PV-Module sowie einem Mehraufwand an Pflegearbeiten der Bewuchseindämmung in kritischen Bereichen. Ein wesentliches Argument für Dachbegrünungen, die Förderung der Biodiversität, wird in diesem Kontext untersucht. Die Kombination von Solaranlagen mit Dachbegrünungen ergibt für die Biodiversität Chancen und Risiken, welche es zu erfassen gilt.

Dachbegrünungen als Lebensräume

Begrünte Dächer bieten Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Während sich bei den Pflanzen nach der Erstansaat respektive Bepflanzung im Laufe der Zeit ein Gleichgewicht einstellt zwischen den aktiv aufgebrachten und den selbständig auf das Dach kommenden Arten (Spontanbegrünung), sind bei den Tieren fast ausschließlich Arten zu finden, die den Weg selber auf das Dach finden mussten. In der Regel sind es mobile Arten, die fliegen können. Aber auch Arten, welche die Hausfassaden oder begrünte Wände hoch klettern können oder passiv an Füssen oder im Gefieder von Vögeln verfrachtet werden, besiedeln die Oasen in luftigen Höhen. Lange dachte man nur hochmobile, anspruchslose Arten können begrünte Dächer besiedeln. Wissenschaftliche Untersuchungen haben belegen können, dass auch anspruchsvollere und seltene Arten, die auf Roten Listen als gefährdet eingestuft werden, die Ersatzlebensräume nutzen können. Im Detail wurde deshalb in den letzten Jahren versucht genauer zu eruieren, mit welchen Einrichtungsformen und Pflanzkonzepten anspruchsvollere Arten am besten gefördert werden können auf Dachbegrünungen. Dadurch ergibt sich auch die Forderung an den städtischen Naturschutz das Potenzial begrünter Dachflächen für den Arten- und Naturschutz adäquat zu implementieren und entsprechend in Baureglemente und weitere geeignete Instrumente einzubinden.

Der ökologische Wert des Bewuchses und der damit verbundenen faunistischen Lebensgemeinschaften als Biodiversitätswert kann leider nicht vergleichbar monetär dem Stromertrag gegenübergestellt werden. Deshalb gilt es qualitative Befunde zur Biodiversität begrünter Dachflächen zu ermitteln.

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Dachfauna: Verschiedene typische Arten, welche Dachbegrünungen als Lebensraum nutzen können. Naturnahe Einrichtungen wie im Bild dargestellt mit Totholz begünstigen die Biodiversität. Foto: Andreas Hofstetter
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Hausrotschwanz. Foto: Andreas Hofstetter
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Schmetterlinge. Foto: Andreas Hofstetter
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Springspinnen. Foto: Andreas Hofstetter
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Wildbienen. Foto: Andreas Hofstetter
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Sandschrecke. Foto: Andreas Hofstetter

Standortbedingungen auf Solar-Gründächern

Dachbegrünungen sind als Habitate sicher grundsätzlich als Extremstandorte zu bezeichnen, mit speziellen Standorteigenschaften. In der Natur würden vergleichbare Habitate auf Felsstandorten zu finden sein. Typisch ist in den Sommermonaten eine sehr geringe Wasserverfügbarkeit bis Austrocknung der Flächen aufgrund der dünnen Substratauflage (< 12 cm). Auf Bodenstandorten können Pflanzen in Trockenperioden ihre Wurzeln in der Regel entsprechend ausbilden, wie Tiefenwachstum, der Feuchtigkeit folgend. Umgekehrt sind im Winterhalbjahr mit sehr geringer Verdunstung viele Dachbegrünungen tendenziell sehr feucht, da das geringe Gefälle den Wasserabfluss stark reduzieren kann.

Es stellt sich die Frage, wie es im Detail mit der Auswirkung von Solaranlagen aussieht auf die Artenvielfalt der Lebensgemeinschaft? Welche potenziell begrünten Dachflächen werden erreicht und wo können sich Arten ansiedeln? Eine Annahme geht in die Richtung, dass unter Solarmodulen das Sonnenlicht fehlt und es deshalb kaum Pflanzen oder Tiere schaffen dort zu überleben. In die andere – eher positiv annehmende – Richtung geht die Hypothese, dass der stellenweise Schattenwurf die extrem heißen Bedingungen und Temperaturen im Sommer sogar begünstigend abmildern kann. Wie wir Menschen den Schatten suchen, können auch Tiere sich in die beschatteten, dadurch kühleren und oft auch feuchteren Bereiche auf dem Dach zurückziehen. Es stellt sich die Frage, ob sich dadurch sogar weitere Arten auf Dächern ansiedeln können, denen der Lebensraum sonst zu trocken ist.

Erste Einschätzungen der Lebensraumbedirngungen können sicher einmal nur schon bei der Betrachtung verschiedener Einrichtungsvarianten erfolgen von Kombinationen von Solaranlagen und Gründächern. Als Lebensraum ungeeignet dürften sogenannte Ost-West ausgerichtete Anlagen sein, die mehr oder weniger direkt auf der Substratoberfläche platziert wurden. Dort können sich Pflanzen nur durch kleine Lücken mit Lichteinfall entwickelt und werden dann zum technischen Problem wegen der Verschattung. In der feuchten Vegetationstragschicht unter den Modulen dürften sich sicher auch Bodenorganismen entwickeln können, die aber keinen speziellen Wert in Bezug auf die Biodiversität darstellen. Sobald jedoch mehr Licht unter die Module kommt, siedeln sich schnell Moose und andere Blütenpflanzen an und auch das Spektrum der sich ansiedelnden Tiere wird bedeutend größer.

Biomonitoring

Wenn Dachbegrünungen nun in Konkurrenz zur Solarenergienutzung treten sollten, gilt es nach Möglichkeiten zu suchen, die Biodiversitätsförderung mit der Stromproduktion zu verbinden. Im Grundsatz von Interesse ist allerdings vorerst der Vergleich zwischen Dachbegrünungen mit und ohne Solarmodulbedeckung. Zur Abschätzung der Wirkung der PV-Modulen auf die Biodiversität können verschiedene Organismengruppen als Bioindikatoren verwendet werden. Neben den Pflanzenarten bieten sich vor allem die Käfer an, welche die artenreichste Gruppe der Insekten darstellen. Käfer weisen sehr vielfältige Anpassungen auf an Substrate, weitere Standortbedingungen und Nahrungsangebote. Anhand deren Vorkommen können die Lebensraumbedingungen verschiedener Habitate vergleichend beurteilt werden.

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Nur in einem extrem verdunkelten Bereich muss damit gerechnet werden, dass Flora und Fauna kaum vom Standort profitieren. Gleichwohl wird eine Regenwasserrückhaltung als ökologische Leistung erzielt. Auf den Bildern sind jeweils gut der Pflanzenwuchs unter den Solarmodulen zu erkennen und damit ergibt sich auch das Potenzial für die Dachfauna. Foto: Contec AG, Zinco AG, Verein Solarspar
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Pflanzenwuchs unter den Solarmodulen. Foto: Contec AG, Zinco AG, Verein Solarspar
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Pflanzenwuchs unter den Solarmodulen Foto: Contec AG, Zinco AG, Verein Solarspar
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Pflanzenwuchs unter den Solarmodulen Foto: Contec AG, Zinco AG, Verein Solarspar

Ergänzende Erkenntnisse können durch die Erfassung von Heuschreckenarten erfolgen. Heuschrecken sind in der Regel deutlich größer als Käfer und beanspruchen daher räumlich größere Habitate. Damit sich eine überlebensfähige Population an Heuschrecken entwickeln kann, bedarf es deshalb auch größerer Flächen von wohl über 500 m². Da Heuschrecken oft wärmeliebend sind und besonnte Standorte bevorzugen, reduziert sich die besiedelbare Fläche für sie, wenn Solarmodule auf die begrünte Dachfläche installiert werden. Auf einem untersuchten Dach eines Schulhauses, auf dem vor der nachträglichen Installation einer PV-Anlage die Blauflügelige Ödlandschrecke vorzufinden war, musste nach der Erstellung der Anlage leider ihr Verschwinden festgestellt werden.

Untersuchungsergebnisse

Im Rahmen einer Studie für das Schweizerische Bundesamt für Umwelt (BAFU) wurde ermittelt, dass die Käfervielfalt auf begrünten Dachflächen mit kombinierten PV-Modulen nicht signifikant geringer ist als auf Flächen ohne Energienutzung. Die Anzahl der erfassten Käferarten lag im Spektrum der generellen Differenzen, welche sich zwischen artenarmen Dachbegrünungen auf eher dünnschichtigen (< 10 cm), spärlich bewachsenen Flächen und solchen mit höheren Schichtdicken (> 10 cm) und gezielt eingerichteten Variationen der Schichtdicke sowie Naturförderelementen ergeben.

Als Beispiel einer sehr seltenen Käferart kann im Detail der Fund von Ablattaria laevigata bezeichnet werden. Dies Art ist in Deutschland auf der Roten Liste als stark gefährdet eingestuft (Kategorie 2). Dieser Aaskäfer gilt als wärmeliebende Art, die unter Rinden von morschen Bäumen lebt, sowie unter Moos. Die Art ernährt sich vorwiegend von Landschnecken. Dass Landschnecken auf diesem Dach überleben können, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Feuchtzone unter den Solarmodulen zu verdanken.

Die ideale Lösung . . .

In der Praxis stellt sich nun oft die Frage, wie verbinde ich eine Dachbegrünung ideal mit einer PV-Anlage mit dem Anspruch eines minimalen Aufwandes der Pflege. Der Teufel schlummert oft im Detail. Bei Ausführungen mit bodennahen Lücken zwischen den Solarmodulen wachsen die Pflanzen durch die kleinen Spalten ans Licht. Oft sind diese Stellen dann schwierig und nur mit Aufwand zu pflegen. Abhilfe schaffen dort Systeme mit entsprechenden Maßnahmen wie einer Leiste, die kein Licht durchlässt. Die Pflanzen sind gezwungen den "Umweg" zu nehmen und zum Licht in den größeren Zwischenräumen zu streben. Dort ist zum einen wegen der höher liegenden Modulkanten die Beschattungsgefahr minimal – und die Pflege ist im Bedarfsfall einfach und effizient durchführbar.

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Auswahl auf begrünten Dächern Hamburgs gefundene Käferarten der Roten Liste.
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Heuschrecken als Bioindikatoren weisen auf Strukturtypen hin von Dachbegrünungen. Foto: Andreas Hofstetter
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Heuschrecke. Foto: Andreas Hofstetter
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Anzahl der erfassten Käferarten auf verschiedenen Dachbegrünungen im Zeitraum 2013 bis 2019. Die rote Linie gibt den Durchschnitt an über die Jahre. Die Untersuchungsfläche „Prodega (PV)“ ist eine mit Solarpanelen besetzte Dachfläche. Quelle: BAFU-Projekt, Vertrags-Nummer 19.0061.PJ/S273-1846 Abbildung: Stephan Brenneisen
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Leiste, die kein Licht durchlässt. Abbildung: Stephan Brenneisen
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Darstellung von möglichen Problemzonen bei der Kombination von Dachbegrünungen mit Solarmodulen. In Bereichen mit Lichteinfall können sich Pflanzen etablieren und zu Beschattungen führen. Foto: Stephan Brenneisen

Finanzielle Förderung von Kombinationslösungen

Die Installation von Photovoltaik-Anlagen wird in der Schweiz, wie auch in Deutschland durch staatliche Beiträge gefördert. Diese Förderung müsste so ausgerichtet sein, dass beispielsweise Solaranlagen auf Gründächern eine höhere Förderung bekommen können, wie Anlagen, die auf Kies- oder Nacktdächern eingerichtet werden.

Die Schweizer Stadt St. Gallen zeigt einen möglichen Weg bei der Förderung der Kombinationslösung. Die Stadt fördert Solaranlagen über eine Einmalvergütung für kleine Photovoltaikanlagen (KLEIV) sowie daneben die Dachbegrünung mit 20 Prozent des KLEIV-Beitrages. Die Festsetzung lautet:

"Wird die Photovoltaikanlage mit einer Dachbegrünung kombiniert, so wird ein Zusatzbeitrag ausgerichtet, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:

a) aufgeständerte Photovoltaikanlagen weisen einen Abstand von 20–40 cm zur Dachfläche auf und die Dachfläche ist vollflächig bepflanzt;

b) eine nicht aufgeständerte Photovoltaikanlage belegt höchstens zwei Drittel des Daches und der Rest wird im Sinne der Biodiversität begrünt; die Dienststelle Umwelt und Energie erlässt hierzu eine Weisung".

Aber auch ohne gezielte finanzielle Förderung müssten sich Behörden heute klar sein, dass eine kombinierte Ausführung von Dachbegrünungen mit Solaranlagen ein Zeichen der Zeit sind und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Die vielen Beispiele zeigen, dass es technisch und finanziell lösbar ist – und demnach auch die Verpflichtungen in Baureglementen entsprechend festgesetzt werden sollten. Die Untersuchungen wurden durch das Bundesamt für Umwelt BAFU unterstützt, Projekte: SMARTRoofs: Prüfung der Auswirkungen von Kombianlagen Solarenergienutzung und Dachbegrünungen auf die Biodiversität sowie Ökofaunistische sowie vegetationstechnische Beurteilung und Optimierung von begrünten Dachflächen im Kontext der Biodiversitätsförderung im Siedlungsraum.

Dr. Stephan Brenneisen
Autor

Leiter Forschungsgruppe Stadtökologie

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW

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