Ergebnisse eines Praxisversuchs
Pflanze trifft Bauwerk
von: M.Sc. Johanne BohlAn der Klima-Forschungs-Station in Würzburg wird die optimale Vernetzung von modernen Fassadentechnologien und wandgebundener Begrünung erforscht. An zwei Klimahäusern untersuchen die LWG und das ZAE Bayern, wie sich die Klimafassaden auf das städtische Mikroklima und die Energieeffizienz von Gebäuden auswirken. „Pflanze trifft Bauwerk“ hat definitiv Potential, welches es effektiv zu nutzen gilt.
Seit 2018 können die Besucher der Klima-Forschungs-Station in Würzburg live erleben, wie man mit Grün am Gebäude Klima macht. Nach rund einjähriger Planungs- und Bauzeit wurde mit Eröffnung der Landesgartenschau in Würzburg der Messbetrieb an den beiden Klimahäusern mit einem süd- und einem westexponierten Fassadenprüfstand aufgenommen. Verantwortlich dafür zeichnen die Projektpartner Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim (LWG) und das Bayerische Zentrum für Angewandte Energieforschung (ZAE), auf dessen Grundstück in Würzburg am Hubland die Versuchseinrichtungen auch verortet sind.
Fassadengrün vernetzt unterschiedliche Gewerke
Bereits bei der Projektierung des Vorhabens zeigte sich, dass eine enge Abstimmung zwischen Architekt, Bauingenieur und Grünplaner beziehungsweise Hochbau, Fassadenbau und GaLaBau unerlässlich ist, um klimatisch anpassungsfähige Fassadentechnologien mit einer standortgerechten vertikalen Begrünung in Einklang zu bringen. „Pflanze trifft Bauwerk“ ist also mehr als nur eine Absichtserklärung oder Zustandsbeschreibung, sondern ein Arbeitsprogramm, welches es bei Planung und Ausführung von Fassadenbegrünungen gewerkeübergreifend abzuarbeiten gilt, um eine nachhaltige und effiziente grüne Gebäudehülle zu erzeugen.
Analog zum Modell des Dachgärtners manifestiert sich mittlerweile in der Vertikalbegrünung eine hochspezialisierte grüne Zunft, die meist im Gärtnerischen verwurzelt ist, aber als Fassadengärtner eben auch die Belange des Hoch- und Fassadenbaus mit zu berücksichtigen weiß. Zu den bekanntesten Vertretern hierzulande zählen unter anderen Thorwald Brandwein aus Mechernich, der seit 1996 schon professionelle Fassadensysteme vertreibt und Thomas Brandmeier aus Eimeldingen, der ebenfalls schon seit über 20 Jahren mit seiner Firma in der Begrünungsszene verhaftet ist. Beide Experten waren auch in die Überarbeitung der FLL-Fassadenbegrünungsrichtlinien, die 2018 veröffentlicht wurden, involviert.
Den Spagat zwischen Grau und Grün hat auch der Architekt Sven Taraba aus Leipzig mit seinem im Jahre 2000 gegründeten Familienunternehmen geschafft, der – wie die beiden Erstgenannten – nicht nur eine professionelle Beratung als Dienstleistung anbietet, sondern auch mit einem auf die Fassadenkonstruktion abgestimmten Angebot an Bauweisen und Produkten für die Etablierung von Gerüstkletterpflanzen sorgt. Was für eine bodengebundene Begrünung mit Gerüstkletterpflanzen gilt, ist bei wandgebundener Begrünung ohnehin Pflicht: ohne Kenntnis der Fassadendetails keine Begrünung.
Vorab zu klären ist zum Beispiel der konstruktive Aufbau der zu begrünenden Wand (Primärkonstruktion) und davon abgeleitet deren Tragfähigkeit und Oberflächenausbildung. Die gestiegenen Anforderungen an die Wärmedämmung führen dazu, dass Gebäudefassaden heute meist vollflächig hinter Dämmplatten aus Materialien mit geringer Wärmeleitfähigkeit verschwinden, was in Fachkreisen als Wärmedämmverbundsystem (WDVS) oder Vollwärmeschutz Eingang gefunden hat. Diese Methode wird sowohl bei Neubauten als auch bei der energetischen Sanierung von Altbauten angewendet. Als typische Dämmmaterialien gelangen mineralische Fasern (z. B. Steinwolle oder Glaswolle), Fasern aus organischen Materialien (z. B. Holzfasern, Zellstoff, Holzwolle, Hanf, Kokos oder Wolle) oder Erdöl-basierte Schäume (z.B. aus Polyethylen, Polystyrol oder Polyurethan) zum Einsatz. Diese Stoffe weisen in der Regel eine niedrige mittlere Dichte auf, leider aber auch eine geringere mechanische Stabilität, was die Verankerung von pflanzenbedingten Tragwerken (Sekundärkonstruktion) für eine angedachte Begrünung im Dämmstoff selbst nahezu unmöglich macht.
Schaltbare Wärmedämmung im Fassadenaufbau
Im Bereich moderner Dämmsysteme kann eine schaltbare Wärmedämmung zusammen mit begrünten Fassaden eine vielversprechende Verbindung eingehen. Diese Kombination wird seit dem Sommer 2018 an der Klima-Forschungs-Station untersucht. Die schaltbare Wärmedämmung wird rückseitig der Begrünung in die Fassade integriert und kann den Wärmedurchgang der Fassade zwischen einem hochwärmedämmenden Zustand wie bei einem Passivhaus und einem wärmeleitenden Zustand schalten. Somit kann die durch Pflanzenverdunstung gesenkte Lufttemperatur hinter dem Begrünungssystem zur energieeffizienten Kühlung des Innenraums hinter der Fassade genutzt werden. Im Rahmen einer Langzeitmessung am Klimahaus Süd, in dem eine schaltbare Wärmedämmung bestehend aus zwei Vakuumisolationspaneelen integriert ist, wird der energetische Vorteil der schaltbaren Wärmedämmung gegenüber einer konventionell gedämmten Gebäudewand erfasst.
Grüne Gebäudehüllen hängen nicht in der Luft
Oft findet sich zwischen dem gedämmten Gebäude und der Wetterhaut zusätzlich noch eine Luftschicht. Diese sorgt für eine ständige Hinterlüftung der Außenhaut und trennt sie im Hinblick auf Feuchte und Wärme von der gedämmten Tragstruktur. Diese als vorgehängte, hinterlüftete Fassade (VHF) bezeichnete Gebäudehülle verlängert die Distanz von der Außenhaut zur tragenden Wand und wirft im Hinblick auf die punktuelle, lineare oder flächige Befestigung pflanzenbedingter Tragwerke zusätzliche Probleme auf. Zumal die Anforderung nach immer höher gedämmten Außenwänden nicht mehr nur über den Anteil der Wärmedämmung zu erfüllen ist, sondern vor allem auf die Reduzierung von Wärmebrücken abzielt.
Das tangiert auch die Verankerung von Sekundärkonstruktionen, die je nach Begrünungsanteil eine Vielzahl von Befestigungen nach sich zieht, die am besten wärmebrückenarm auszuführen sind. Dazu eignen sich neue Befestigungselemente wie zum Beispiel Combar, ein Stab aus Glasfaserverbundstoff mit äußerst geringer Wärmeleitfähigkeit in Verbindung mit einem metrischen Anschlussgewinde (Vertrieb über Schöck Bauteile GmbH). Diese werden seit rund zwei Jahren im Fassadenbau eingesetzt, sind aber natürlich auch für die Befestigung von Rankelementen, Kletterhilfen sowie wandgebundener Begrünung geeignet.
Dadurch, dass der Fassadenanker mit einer Verankerungstiefe von 40 mm eingemörtelt wird, verringert sich zudem die Gefahr, die Bewehrung im Beton zu treffen, was bei herkömmlichen Dübeln mit mindestens 80 bis 90 mm Bohrtiefe häufiger passieren kann. Neben punktuellen Befestigungen lassen sich damit auch vertikale Unterkonstruktionssysteme über Stabwandhalter wärmebrückenarm befestigen, die bei entsprechender Statik auch für die Aufnahme von wandgebundener Begrünung als Außenhülle fungieren können.
Im Sinne einer angestrebten Verbreitung grüner Fassadentechnologie wäre die Einbindung begrünbarer Elemente als alternative Bekleidungsart in den „Fassadenbaukasten“ von Systemherstellern sicherlich ein zu bevorzugender Weg. Voraussetzung dafür ist, dass die Unterkonstruktion nicht nur die Begrünungslast tragen kann, sondern auch Schnittstellen zum Andocken gängiger Vertikalbegrünungssysteme geschaffen werden. Abgesehen vom technischen Support, den diese grüne Fassadenlösung dann erfahren würde, wäre das Grün auch bei der Variantenauswahl im Katalog mit konventionellen Fassadenbekleidungen immer auf Augenhöhe.
Wie breit ist eine optimale Hinterlüftung?
Begrünten Fassaden wird die Reduktion von Umgebungstemperaturen sowie eine leichte Erhöhung der Luftfeuchtigkeit zugeschrieben. Beides geht auf Verdunstungsprozesse zurück, welche bei einer wandgebundenen, bewässerten Fassade durch die ständige Wasserverfügbarkeit kontinuierlich ablaufen. Die Temperaturen verringern sich auch durch Verschattung von Gebäudeoberflächen, die sich entsprechend weniger stark aufheizen und dadurch weniger Wärme abstrahlen. Für die Verdunstungsprozesse ist allerdings Luftbewegung von entscheidender Bedeutung.
An der Klima-Forschungs-Station wurde dazu seit Juni 2018 der Hinterlüftungsabstand untersucht. Die beiden Fassadenprüfstände sind in Form von beweglichen Rahmengestellen vor zweigeteilten Wandaufbauten konzipiert. Die Zweiteilung ermöglicht die Erforschung innovativer Fassadenwerkstoffe mit jeweils einer klassischen Referenzfassade direkt daneben. In die Rahmengestelle können verschiedene Begrünungssysteme eingehängt und getestet werden. Bei den eingehängten Begrünungssystemen wird seit 2018 einem trogförmigen Rinnensystem ein flächiges Vliessystem gegenübergestellt (siehe Abbildung 4).
Beide Systeme haben sich in den letzten Jahren als wandgebundene Fassadenbegrünung bewährt und gute Ergebnisse erzielt – sowohl unter ästhetischen als auch unter versorgungstechnischen Aspekten. Die Fassadenprüfstände werden durch eine automatische Tropfschlauchbewässenrung mit Düngeeinspeisung versorgt. Hierbei variieren je nach eingehängtem System die Anzahl und Dauer der einzelnen Bewässerungsgänge. Derzeit wird ein dritter Systemtyp in Form einer Gabionenstruktur in die Untersuchungen integriert. Erste Ergebnisse dazu werden im Herbst 2020 vorliegen.
Die Rahmengestelle werden über Rollschienen auf ihren Fundamenten bewegt und je nach Versuchsfrage im passenden Abstand zur Gebäudefassade arretiert. Durch variierende Kombination der Faktoren Begrünungssystem, Spaltbreite und Exposition lassen sich verschiedene Versuchsfragen untersuchen. Betrachtet man die Tagesmittelwerte von Lufttemperaturen und relativer Luftfeuchte in der Fassadenumgebung, lässt sich insgesamt eine leichte Abhängigkeit des Mikroklimas von der Breite des Luftspalts beobachten. Je größer dieser gewählt wird, desto kühler ist es im unmittelbaren Umfeld der Fassadenbegrünung.
Die Vergrößerung des Luftspalts führt gleichzeitig dazu, dass der befeuchtende Effekt der Fassadenbegrünung weniger stark ausgeprägt ist, die relative Luftfeuchtigkeit nimmt also leicht ab. Im Spalt ist es außerdem weniger feucht als in der Begrünung und unmittelbar davor. Die (durchaus erwünschte) Erhöhung der Luftfeuchtigkeit wirkt sich also weniger stark auf der Begrünungsrückseite aus. Das ist eine gute Nachricht, da an der Bausubstanz natürlich keine erhöhte Feuchteausbildung gewünscht ist. Eine Hinterlüftung sorgt folglich durch die Luftbewegung für genügend starken Luftaustausch und Verdunstungsprozesse.
Die optimale Breite des Luftspalts ist sincherlich systemabhängig. Je schwerer das System im voll bepflanzten, wassergesättigten Zustand ist, desto herausfordernder ist zudem die wärmebrückenarme Verankerung. Umso wichtiger, dass weiterhin in die Entwicklung stabiler, flexibler Unterkonstruktionen investiert wird.
Vitalität der Versuchspflanzenarten
Beide in den Jahren 2018/19 getesteten Begrünungssysteme wurden mit den gleichen Versuchsarten bepflanzt. Die Auswahl berücksichtigt sowohl an der Fassade bereits erprobte als auch weitere Arten, deren vertikales Potenzial bisher noch nicht getestet wurde. Besonderes Augenmerk wurde auf die zu erwartende Verdunstungsleistung gelegt. Ein üppiges Wachstum mit genügend großer Blattfläche sowie eine gewisse Robustheit gegenüber direkter Sonneneinstrahlung wurden hierbei als Voraussetzung festgesetzt.
Eine Übersicht der zwölf ausgewählten Versuchsarten inklusive Sortenbezeichnung findet sich in Tabelle 1. Die Arten wurden nach den bisherigen Erfahrungen von sehr gut bis leider ungeeignet gruppiert. Eine ausführlichere Bewertung der einzelnen Versuchsarten in den Begrünungssystemen im ersten Versuchsjahr wurde im Artikel „Grüne Klimafassaden für die Stadt der Zukunft“ (Neue Landschaft, 09/19) vorgenommen.
Passive Erdwärmenutzung im Fassadenaufbau
Während im Klimahaus Süd die schaltbare Wärmedämmung erprobt wird, wird im Klimahaus West ein innovatives Konzept zur passiven Nutzung oberflächennaher Erdwärme umgesetzt, welches die Energieeffizienz eines Gebäudes erhöhen kann. Mittels sieben Erdbohrungen mit einer Tiefe von über vier Metern konnten so genannte Wärmerohre im Erdreich versenkt werden. Ein Rohr hat eine Länge von fünf Metern und ragt mit dem oberen Ende aus dem Boden heraus. Wärmerohre dienen dem passiven, hocheffizienten Wärmetransport. Sie arbeiten nach dem Prinzip der „Heat Pipes“: Im unteren Teil wird durch die aus dem Erdreich aufgenommene Wärme eine Flüssigkeit verdampft. Diese steigt im Rohr auf und kondensiert anschließend im oberen Teil des Rohres. Dabei wird die beim Verdampfen aufgenommene Wärme wieder abgegeben.
Im Klimahaus West wird dadurch im Winter die Wärme dem vom Sommer aufgeheizten Erdreich entzogen und durch Rohre an die Oberfläche transportiert. Hierbei werden zwei unterschiedliche Anwendungen realisiert. Zum einen beheizen fünf Wärmerohre einen ganzen Raum, um diesen frostfrei zu halten. Zum anderen sind zwei Wärmerohre zwischen Fassade und vorgehängtem Begrünungssystem eingebaut, damit winterliche Transmissionswärmeverluste der Gebäudehülle reduziert werden (siehe Abbildung 5). Beide Klimahäuser sind mit sehr umfangreicher Messtechnik ausgestattet, die Temperaturen, Luftfeuchte und Wärmeströme an und in allen relevanten Bereichen/Bauteilen kontinuierlich und automatisiert erfasst. Zusätzlich werden Wetterdaten mit aufgezeichnet. Alle Daten werden in einer mySQL-Datenbank gespeichert. Dadurch können auch große Datenmengen schnell und effizient ausgewertet werden.
Eine erste Auswertung der Daten aus dem Klimahaus West ergibt unter Verwendung des Vliessystems Mitte Februar 2019 signifikant erhöhte Temperaturen durch die Wärmerohre im Luftspalt zwischen Gebäudeaußenwand und Begrünung. In Spitzenzeiten ist es in der Spalthälfte mit den Wärmerohren bis zu 2°C wärmer als im Referenzspalt direkt daneben. Dass die eingekoppelte Wärme dem Erdreich entzogen wird, erkennt man durch ein gleichzeitiges Abfallen der Erdreichtemperatur am unteren Ende der Wärmerohre. Durch den Effekt der Wärmerohre wird damit im Luftspalt ohne Zufuhr von zusätzlicher Energie eine passive Frostfreihaltung erreicht. Steigt die Temperatur im Erdreich jedoch auf über circa 9 °C an, kommt der Effekt zum Erliegen. Mit den installierten zwei Wärmerohren ist die Heizleistung jedoch bisher noch nicht ausreichend, um auch im Substrat der Begrünungssysteme, sozusagen auf der anderen Seite der Begrünungsebene, einen erwärmenden Effekt zu erzielen.
Auswirkungen eines abgedichteten Luftspalts im Sommer
In der Praxis wird ein Grünfassadenaufbau nach der Fertigstellung in der Regel kaum in seiner Grundstruktur variiert. Zur optimalen Erdwärmenutzung wurde der Hinterlüftungsspalt am Klimahaus West im Winter 2018/19 durch Styrodur-Dämmmaterial abgedichtet. Auch die beiden Fassadenhälften wurden mit Dämmmaterial voneinander entkoppelt, um eine direkte Referenzmessung vornehmen zu können. Im Jahr 2019 wurde demzufolge verstärkt untersucht, wie sich ein abgedichteter Luftspalt im Vergleich zu einem offenen, luftdurchströmten Luftspalt im Sommer auf das Mikroklima an der Fassade auswirkt.
Die Messungen haben ergeben, dass der Luftstau zu einer tendenziell geringer ausgeprägten Temperaturamplitude im Spalt führt. Die Maximaltemperaturen sind etwas niedriger, die Minimaltemperaturen höher. Zudem kommt es zu einer zeitlichen Verschiebung gegenüber dem offenen Luftspalt, da das Luftpaket von der Außenluft entkoppelt ist und sich dementsprechend langsamer aufwärmt beziehungsweise abkühlt. Die relative Luftfeuchte erreicht tagsüber durch einen geschlossenen Luftspalt geringfügig höhere Werte als beim offenen Spalt. Das hängt ebenfalls mit dem abgeschlossenen Luftpaket und dem dadurch erschwerten Luftaustausch zusammen, da sich die Luft mit dem erhöhten Feuchtegehalt nicht ständig mit der Umgebung durchmischt. Nachts sinkt die Feuchtigkeit aber wieder auf Werte ab, die in der gleichen Größenordnung wie beim offenen Spalt liegen (siehe Abbildung 6).
Es lässt sich also schlussfolgern, dass ein Hinterlüftungsspalt im Sommer im Hinblick auf die relative Luftfeuchte eine gewisse Luftbewegung erfahren sollte. Es besteht aber auch beim abgedichteten Spalt keine akute Gefahr einer Überfeuchtung durch die automatisierte Bewässerung. Vorteilhaft ist die Abdichtung im Winter zur Erhöhung der Dämmwirkung, idealerweise mit einer passiven Wärmequelle kombiniert. Im Sommer ist sie für das Gesamtsystem nicht schadhaft, erbringt aber auch keinen zusätzlichen Nutzen.
Hinweise für die Praxis
Was die Statik von Fassadenbegrünungen betrifft, ist diese beispielsweise auf das Eigengewicht der ausgewachsenen Pflanze(n), gegebenenfalls Substrat mit Wassersättigung, Fruchtgewicht, Wind-, Schnee- und Eislast abzustimmen. Hinweise zum Pflanzengewicht enthält die FLL-Fassadenbegrünungsrichtlinie (FLL, 2018), die für fachgerecht gepflegte Kletterpflanzen je nach Lastklasse (1= sehr leicht bis 6 = sehr schwer) und Wuchsart (flächig, schmal) zwischen 6 und 42 kg/m² veranschlagen. Dazu kommt noch eine Windlast aufgrund verminderter Durchströmung, die lastklassen- und wuchsabhängig zusätzlich zwischen 3,3 und 29,4 kg/m² betragen kann. Für wandgebundene Begrünungen sind ob des vorzuhaltenden Substratanteils im Begrünungssystem je nach Ausführungsvariante Lastannahmen zwischen 40 und 120 kg/m² realistisch. Im Rahmen der Baugenehmigungspflicht ist dafür, wie auch für den Brandschutz, ein entsprechender Nachweis zu erbringen.
Eine wandgebundene Begrünung bedingt zusätzlich noch eine Infrastruktur zur Bewässerung und Nährstoffversorgung (Versorgungskonstruktion), was neben dem Gewicht auch noch Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Primärund Sekundärkonstruktion haben kann. Von essenzieller Bedeutung ist dabei der geordnete Anschluss an die Gebäudeinfrastruktur mit Wasser, Strom und Leittechnik und die Möglichkeit zur Integration grüner Fassaden als Verbundlösung mit Photovoltaik und Verschattungselementen, je nach Exposition, Witterung oder Nutzungsanforderung.
Unabhängig vom technisch Machbaren hat sich bisher gezeigt, dass im Hinblick auf die Versorgungssicherheit der Vegetation einfach zu wartende Systemlösungen in der Gunst der Betreiber und Nutzer ganz vorne liegen. Trotzdem ist innovative Technik natürlich gefragt, gerade wenn es um den Einsatz mobiler begrünbarer Elemente zum Beispiel vor Glasfassaden geht. Auch das ist – wie man auf der Klima-Forschungs-Station erleben kann – zumindest in der Theorie keine Utopie mehr.
Kritische Bemerkungen
Damit „Pflanze trifft Bauwerk“ keine Zufallsbekanntschaft bleibt, sondern sich zu einer dauerhaft harmonischen Beziehung mit Zukunftsperspektive entwickelt gibt es noch viel zu tun, aber auch noch viel zu lernen. Das gilt übrigens für beide Seiten, also für Pflanze und Bauwerk beziehungsweise Planer und Ausführende, die sich jeweils dafür verantwortlich fühlen. Für uns Grüne gilt: Fassadenbegrünung ohne Kenntnis der Fassadensystematik und was klimatechnisch und energetisch dahintersteckt, macht in Zeiten von Energiewende und Klimawandel wirklich keinen Sinn mehr.
Wer als Fassadengärtner unterwegs ist, braucht Spezialwissen und keine Berührungsängste im Umgang mit Hoch- und Fassadenbau. Damit erweitert sich der Horizont der Landschaftsgärtner um eine weitere Facette, die hoffentlich bald auch eine adäquate Nachfrage erfahren wird. „Grün wird es immer und überall“, das gilt letztendlich auch für Fassaden, negiert aber unsere Möglichkeiten, die im Verbund mit Architektur und Fassadenbau zu einer multifunktionalen Fassadenlösung im Sinne einer atmenden Gebäudehülle entwickelt
werden können.
Genau das muss unser Ziel sein, auch um die Bedeutung von Grün am Bauwerk endlich auf eine höhere Stufe zu hieven. Die Zeit von Fassadengrün als nachträglich verabreichter Architektentrost zur Kaschierung ästhetischer oder baulicher Unzulänglichkeiten ist damit hoffentlich vorbei.
L i t e r a t u r :
- FLL (2014): Gebäude Begrünung Energie – Potenziale und Wechselwirkungen, 1. Ausgabe 2014; bearbeitet von TU Darmstadt in Kooperation mit TU Braunschweig, Hrsg.: Forschungsgesellschaft für Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e. V. Bonn
- FLL (2018): Richtlinie für Planung, Bau und Instandhaltung von Fassadenbegrünungen, 3. Überarbeitete und ergänzte Ausgabe 2018; Hrsg.: Forschungsgesellschaft für Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e. V. Bonn
- LWG (2018): Infoflyer Klima-Forschungs-Station: Pflanze trifft Bauwerk, 1. Auflage 2018; bearbeitet von LWG, Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau und ZAE Bayern e. V., Hrsg.: Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim
- Veitshöchheimer Berichte 187 (2020): J. Bohl, J. Eppel, M. Reim; Pflanze trifft Bauwerk – Ergebnisse eines Praxisversuchs, S. 47-57 (Tagungsband 52. Landespflegetage)
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