Grüne Klimafassaden - Utopie und Wirklichkeit

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LWG Veitshöchheim Bauwerksbegrünung
Wohlfahrtswirkungen von Fassadengrün 1983 bereits plakativ in Szene gesetzt – Auszüge aus der Broschüre "Mut zu Grünen Wänden", des Senats für Stadtentwicklung Berlin. Foto: Jürgen Eppel

Fassadenbegrünung gab es, zeitgenössischen Darstellungen nach, schon bei den alten Ägyptern. Wie nicht anders zu erwarten in Verbindung mit Nutzpflanzen, bevorzugt Weinreben. Nachvollziehbar, dass sich eine Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in heutiger Zeit diesem Thema verpflichtet fühlt. Im Unterschied zur Antike versuchen wir unser Fassadenglück an der LWG aber (noch) nicht mit Frankenwein, sondern experimentieren seit einem Jahr mit einer Produktpalette aus Salaten, Kräutern und verschiedenen Gemüsearten. Aber nicht allein der Genussfaktor macht die Fassadenbegrünung heutzutage wieder attraktiv.

Auch dank spektakulärer Architekturprojekte ist "Grün an der Wand" mittlerweile in aller Munde. Auch die LWG hat sich davon beeindrucken lassen und sammelt seit 2013 zusammen mit dem Verein Grünclusiv und vier Systemherstellern in Nürnberg Erfahrungen im Umgang mit "Living Walls". Gut, dass es auch noch den Klimawandel gibt. Zumindest gut für die Begrünungslobby, denn Grün in der Vertikalen hat in der Regel so gut wie keinen zusätzlichen Platzbedarf und entfaltet seine Wohlfahrtswirkungen bei entsprechender Versorgungssicherheit mit Wasser und Nährstoffen auch in immer heißer werdenden Ballungszentren mit hoher Besiedlungsdichte. Grüne Fassaden scheinen also prädestiniert für einen Kampf gegen Hitze, Lufttrockenheit und Feinstaub im heißen Großstadtdschungel.

Mut zu grünen Wänden alleine reicht nicht

Ein schon im letzten Jahrtausend von Umweltverbänden, grünen Quartiersplanern und Stadtgartenämtern häufig strapazierter Animationssatz lautet: "Mut zu grünen Wänden!". Gemessen am Erfolg dieser Kampagnen in unseren Städten hat den Bürger das Thema Fassadenbegrünung aber nicht wirklich betroffen gemacht. "Mut gezeigt" im Sinne einer tatkräftigen Umsetzung haben wirklich nur wenige Gebäudeeigner und Bauherren - in der Regel eher "grün angehauchte Idealisten" oder "ökologisch gebildete Weltverbesserer" mit einem ausgeprägten Hang zu Natur- und Umweltschutz. Dass es nach wie vor Mut braucht, die Urängste des Menschen in Sachen bedrohlicher Natur an der Peripherie zur vermeintlich sicheren Behausung zu überwinden, zeigt sich leider auch an einem anderen Arbeitsfeld der Bauwerksbegrünung, dem Gründach.

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LWG Veitshöchheim Bauwerksbegrünung
Foto: Jürgen Eppel
LWG Veitshöchheim Bauwerksbegrünung
In Veitshöchheim seit 2017 in Erprobung: Fassadenbegrünung als Nahversorger für erntefrische Salate, Kräuter und Gemüse. Foto: Jürgen Eppel

Dort, wo Mutproben nicht geeignet sind die mutmaßlichen Risiken einer Bauwerksbegrünung zu überwinden, muss dann eben mit Einsichten nachgeholfen werden. Diese gründen - zusammenfassend dargestellt - auf ökologischen Vorteilen, baulichen Schutzaspekten und einer gesteigerten Aufenthaltsqualität. Übrigens auch keine Erfindung der Neuzeit, sondern bereits in den 80er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts als wissensbasiertes Kommunikationsmittel für unbedarfte beziehungsweise ungläubige Hausbesitzer und Grundstückseigener bereits im Umlauf. Leider sind diese Argumentationshilfen bei Bürgern, politischen Entscheidungsträgern und Planern bis heute immer noch nicht richtig angekommen.

Gut für die unverbesserliche Bauwerksbegrünungslobby, dass es jetzt den Klimawandel gibt. Schlagartig rücken damit wieder die klimamäßigenden Wohlfahrtswirkungen einer Gebäudebegrünung als Schattenspender und Luftbefeuchter für immer heißer werdende urbane Zentren in den Fokus der Stadtplanung (Dettmar et al., 2016). Mit der Vision vollflächig durchgrünter Häuserzeilen im Stadtquartier können dann vielleicht sogar Folgewirkungen der auch in unseren Breiten spürbaren Urbanisierung, die bis 2050 vermutlich über 70 Prozent der Weltbevölkerung in verdichteten Ballungsräumen leben lässt, gemildert werden.

Was ist Utopie, was ist Wirklichkeit?

Keine Utopie sondern physikalische Gesetzmäßigkeit ist, dass bei der Verdunstung von 1m³ Wasser bei einer Lufttemperatur von 45 °C alleine durch Änderung des Aggregatzustandes rund 700 kWh an Energie gebunden werden. Wären in den Stadtzentren ausreichende Wasserreservoirs vorhanden, würde dieser physikalische Effekt der Wärmebindung als natürliche Klimaanlage durchaus Wirkung zeigen. Rein rechnerisch lassen sich zum Beispiel mit einer modernen wandgebundenen Fassadenbegrünung, die nicht nur Transpiration durch die Bepflanzung bietet, sondern auch durch Wasserbevorratung in Systemkomponenten und Einsatz von Technik für eine Bewirtschaftung des Überschusswassers sorgt, in der Vegetationszeit pro Quadratmeter Begrünungsfläche bis zu 136 kWh an Verdunstungsenergie entziehen. Bei Messungen an einer wandgebundenen Begrünung des Musée du Quai Branly in Paris ergaben sich dadurch in der unmittelbaren Umgebung Temperatursenkungen von 1,3 bis 3,5 K (Pfoser, 2014). Aktuelle Untersuchungen am Neubau des Institutes für Physik der Humboldt-Universität Berlin lassen sogar den Schluss zu, dass durch Fassadenbegrünung auf der Südseite und zusätzlicher Einsatz von Regenwasser zur Verdunstungskühlung im Wärmetauscher der Zu- und Abluft bis zu einer Außentemperatur von 30 °C auf konventionell erzeugte Kälte verzichtet werden kann (König, 2017). In Wirklichkeit aber wird in unseren Städten mangels Speichermedien die Solarstrahlung statt in Verdunstung von Wasser oft nur in fühlbare langwellige Strahlung umgesetzt. Verstärkt durch die fehlende Luftbewegung in den Sommermonaten führt dies dann zu immensen inneren Wärmelasten, deren Temperaturunterschiede im Vergleich zum Umland bis zu 10 K betragen können.

Keine Utopie ist mittlerweile auch das reichhaltige Angebot an unterstützender Begrünungstechnik, vor allem wenn es um die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten geht. Während in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts fast ausschließlich die bodengebundene Fassadenbegrünung ein Thema war, unterscheidet der professionelle Anwender heute zwischen boden- und wandgebundenen Begrünungsformen. Die zwar romantisch anmutende aber bautechnisch nie ganz problemfreie Begrünung mit Selbstklimmern aus Wurzelkletterern wie zum Beispiel Hedera, Campsis und Hydrangea oder Haftscheibenrankern wie Parthenocissus tricuspidata hat dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren zunächst die Gerüstkletterer unter den Kletterpflanzen eine verstärkte technische Unterstützung Erfahrung haben. Industrie und Hersteller offerieren mittlerweile von der Gitterwand über Kletternetz bis zum Seilzugsystem unterschiedlichste Bauteilkomponenten, mit denen sich, nach statischen Vorgaben und baulich konstruktiven Anforderungen planbar, vielfältige Begrünungsoptionen realisieren lassen. Zum Ausdruck dieser "Renaissance" der Fassadenbegrünung wird die im Jahre 1995 erschienene "FLL-Richtlinie für die Planung, Ausführung und Pflege von Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen", die das Thema in die Fachöffentlichkeit bringt und damit nicht nur die Planung und Ausführung grüner Wände verbindlicher macht, sondern darüber hinaus auch als Marketinginstrument dient.

LWG Veitshöchheim Bauwerksbegrünung
Foto: Jürgen Eppel
LWG Veitshöchheim Bauwerksbegrünung
Pflanze trifft Bauwerk: Bauphysiker des ZAE Bayern und Landespfleger der LWG Veitshöchheim entwickeln und optimieren an den Fassadenprüfstanden der "Klima-Forschungs-Station" energieeffiziente grünen Gebäudehüllen. Foto: Jürgen Eppel

Weiteren Aufschwung erfährt die Begrünungsoffensive durch Markteinführung der sogenannten "Living Walls", die nicht nur Fachleute in ihren Bann ziehen, sondern mit ihrer ungewöhnlichen, künstlerisch anmutenden Pflanzenverwendung auch die breite Öffentlichkeit faszinieren. Durch den Verzicht auf Boden als Pflanzenstandort erfährt die "abgehobene" Begrünung zwangsweise eine noch engere Verzahnung mit der Gebäudearchitektur und -infrastruktur. Dabei ist das Prinzip der grünen Wand direkt aus der Natur abgeschaut. Der wegbereitende Botaniker und Gartenkünstler Patric Blanc experimentiert bereits in den 1970er Jahren, im Nachgang einer Exkursion zu Thailands Felsenvegetation mit seinen "murs végétaux" (Pflanzenwände). Dank eines ausgeklügelten Bewässerungssystems ohne Erdanschluss gedeihen darin Pflanzen in Innen- wie Außenräumen. Inspiriert von Blancs späteren Leuchtturmprojekten in Paris und Barcelona entwickelt die Begrünungsindustrie schon bald praxisreife Modulsysteme, die zur Nachahmung anregen.

In Wirklichkeit gibt es mittlerweile auch in unseren Breiten einige gelungene Beispiele wandgebundener Begrünung. Leider sind die Herstellungs- und Unterhaltskosten für diese Art der Begrünung aber immer noch vergleichsweise hoch. Unter 400 Euro/m² ist immer noch kein System an die Wand gebracht und mit lebensnotwendiger Infrastruktur für Wasser und Strom versorgt. Zudem lässt die Betriebssicherheit vieler Anbieter immer noch zu wünschen übrig. Wie unser Tastversuch mit vier handelsüblichen Systemen in Nürnberg gezeigt hat (Eppel, 2015), mussten binnen dreier Versuchsjahre für Unterhaltung, Pflege, Wartung und Reparaturen systemabhängig jährlich durchschnittlich zwischen 64 und 89 Euro/m² investiert werden, um einen reibungslosen Betrieb sicherzustellen. Wie Tab. 1 verdeutlicht, waren die Kostenschwankungen bei den einzelnen Systemen zudem sehr ausgeprägt, was im Hinblick auf eine angestrebte konstante Bewirtschaftung keine ausreichende Planungssicherheit ermöglicht. Erfreulicherweise lässt wenigstens der Reparaturaufwand mit den Jahren nach. Dafür ist über den gesamten Versuchsverlauf, durch notwendige Pflanzenschutzmaßnahmen einhergehend mit Nachpflanzungen, mit nahezu konstant hohen Aufwendungen für die Grünpflege zu rechnen. Auch der Wartungsaufwand für die Systeme nimmt mit den Jahren eher zu, was der wachsenden Risikominimierung während der Betreuung geschuldet ist.

Unseren bisherigen Erfahrungen nach lässt sich der finanzielle Mehraufwand einer wandgebundenen Begrünung nur dann rechtfertigen, wenn sich neben den vergleichsweise teuer erkauften und von sensibler Technik abhängigen ästhetischen Vorzügen noch weiterer Zusatznutzen generieren lässt. Dazu zählen neben der obligatorischen und platzsparenden Unterbringungsmöglichkeit für Grün am Gebäude vor allem die positiven energetischen Wechselwirkungen zwischen Vegetation und Fassadenkonstruktion, denen in Zukunft im Sinne einer bauwerksintegrierenden grünen Klimafassadentechnologie deutlich mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden muss. Zusammen mit der Bauphysik gilt es, Synergien ausfindig zu machen, Fassadenbegrünung dieser Art noch effizienter zu gestalten. Diese Verbundlösungen müssen dann, was Wasser- und Energiebedarf betrifft, weitestgehend ressourcenschonend betrieben werden. Eine Anbindung ans naturnahe Regenwassermanagement scheint ebenso zielführend wie ein geschlossener Wasserkreislauf, mit dem sich dann zum Beispiel an heißen Tagen ein klimamäßigendes Bewässerungsregime betreiben lässt. In Wirklichkeit arbeiten wir zusammen mit dem Zentrum für Angewandte Energieforschung Bayern (ZAE) schon an dieser Technik und lassen die Besucher der "Klima-Forschungs-Station" am Standort Würzburg auch live daran teilhaben. Mit den ersten Ergebnissen ist im Jahr 2019 zu rechnen.

Einen weiteren Zusatznutzen wandgebundener Begrünung stellt die Verwertbarkeit angepflanzter Produkte dar. Getreu dem Motto: "Warum in die Ferne schweifen, wo das Gute wächst so nah", kann eine wandgebundene Begrünung so zum Beispiel auch zum Nahversorger für erntefrische Kräuter- und Gemüseprodukte werden. Anbau und Kulturführung lassen sich wohnungs-, haus- oder qRuartiersbezogen organisieren. Urban Gardening ist in, warum also nicht für diese Bewegung die Vertikale unserer Städte erobern und dadurch den Selbstversorgungsgrad weiter steigern!? Die zusätzliche Nutzung von Wandflächen bietet ein ganz anderes Flächenpotenzial. Wie vergleichbare Nutzungen auf extensiv begrünten Dächern im Versuch gezeigt haben (Demling, 2014), scheint sogar auch eine professionelle Vermarktung der vor Ort an den Fassaden angebauten Nahrungsmittel möglich. Das ist aber zumindest hierzulande noch Utopie. Damit dies nicht so bleibt, experimentiert die LWG seit einem Jahr mit variabel bepflanzbaren "essbaren Fassadensystemen". Erste Erfolge in Form frischer Ernteprodukte für engagierte Versuchskräfte sind schon zu verzeichnen.

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"Living Walls", wie das 2013 für die Versuchsanlage in Nürnberg installierte System von "Optigrün" (Aufnahme vom Oktober 2016), bereichern seit mehr als 10 Jahren das Begrünungsangebot. Foto: Jürgen Eppel
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Tab.1: Jährliche Aufwendungen für den Betrieb und Unterhalt von 1 m² Vertikalbegrünung Ergebnisse eines Systemvergleichs mit jeweils 6 m² großen Testfeldern an einer südexponierten Klinkerfassade in Nürnberg.
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Tab. 2: Saisonaler Wasserverbrauch von vertikalen Begrünungssystemen bei der Nutzpflanzenerzeugung.

Die Kombi-Lösung: Klimamäßigung mit Genussfaktor

Aufgrund der hohen Investitions- und Unterhaltskosten der Begrünungssysteme werden bei der Suche nach einem Zusatznutzen vor allem Pflanzen mit speziellem Nutzen interessant: Nahrungspflanzen. Die lokale Nahrungsmittelproduktion an der Wand erfährt durch den Trend des "Urban Gardening" zusätzlichen Auftrieb, weil damit in der Regel kein zusätzlicher Flächenbedarf notwendig wird. Die potenzielle CO²²-Minderung durch verkürzte Transportwege in der Stadt liefert zusätzliche ökologische Argumente. Verfügbare Anbausysteme bieten sowohl Privatverbrauchern als auch dem Einzelhandel oder Restaurants heute schon die Voraussetzungen für den Anbau eines verbrauchernahen Lebensmittelangebots. Während in Wohnanlagen auch exotisches Gemüse attraktiv ist, kann bei Restaurants vor allem auf die Frische der Produkte gesetzt werden. Die Qualität schlecht lagerbarer Pflanzenteile, wie zum Beispiel von Kräutern und Beeren, lässt sich bei lokaler Produktion deutlich steigern. Die Verwendung duftender Kräuter bietet zusätzliche Anreize für einen Aufenthalt im öffentlichen oder privaten Begrünungsraum. Obwohl aus technischer Sicht nahezu alle gängigen Begrünungssysteme aus Vlies, Gabionen oder Kunststoffformteilen für Gemüsekulturen wie Salat und Tomaten geeignet sind, ist bei Kulturfolgen mit häufig wechselndem Pflanzenbesatz eine horizontale Ausrichtung als Regal- oder Rinnensystem zu bevorzugen. Bei überwiegend vertikalen Anbausystemen ist es zum Beipiel schwierig, die Pflanzenreste und Wurzelballen der Gemüsepflanzen zu entfernen. Ein zusätzliches Pflanzen auf Erntereste und alte Presstöpfe kann zu unerwünschten Veränderungen des Substrates führen. Mehrjährige Kulturen, wie beispielsweise Erdbeeren, Kräuter und gegebenenfalls Salate können hier Abhilfe schaffen. Um nachvollziehbare Aussagen zur speziellen Kulturführung und Gemüseauswahl für unterschiedliche Bauweisen von Living Walls zu bekommen wurde an der LWG im Sommer 2017 ein Versuch mit vier verschiedenen Begrünungssystemen zu je etwa 6 m für Gemüsekulturen gestartet.

Neben drei Systemen, die bereits für Staudenpflanzungen etabliert sind, wurde von der LWG zusätzlich ein hydroponisches System entwickelt und gebaut, bei der die Jungpflanze mehrmals täglich mit einer Nährlösung umspült wird. Alle Anbausysteme werden in einem Kreislauf bewirtschaftet. Eine Pumpe, Bewässerungsleitungen, Auffangrinnen und Wasserbehälter mit Düngerzufuhr sind bei jedem System ein wichtiger Bestandteil und sollten regelmäßig kontrolliert werden (Demling, 2017). Bei ersten Anbauversuchen wurden Romana-Salate, Buschbohnen und Erdbeeren ausgebracht. Buschbohnen sind bezüglich der Düngung relativ anspruchslos und können einen Teil der Stickstoffversorgung aus der Luft erhalten. Erdbeeren sind aufgrund der mehrjährigen Kultur ein guter Stauden-Ersatz. Der Ertrag der Romana-Salate betrug zwischen 0,5 und 2 kg/m². Um eine gute Pflanzenentwicklung zu erhalten, ist eine funktionierende Überwachung der Wandbegrünung beziehungsweise der Steuereinheit zur Bewässerung und Düngung unerlässlich. Damit lässt sich auch die Wasserversorgung an die Pflanzen anpassen. Trotzdem führen die Pumpen und Tropfschläuche bei gleichgeschalteten Bewässerungsintervallen den Systemen ganz unterschiedliche Wassermengen zu. Die Ursachen liegen zum einen im Wasserverbrauch der Pflanze vor allem aber in der Verdunstungsleistung der Systeme mit unterschiedlicher Art und Menge an Substrat. Trotz gleicher Kulturführung und Bewässerungsintervalle weist die Wasserbilanz bei der Nutzpflanzenerzeugung große Unterschied auf (s.Tab. 2). Wer ressourcenschonend produzieren will, muss sich also intensiver mit den Systemkomponenten auseinandersetzen.

LWG Veitshöchheim Bauwerksbegrünung
Foto: Jürgen Eppel
LWG Veitshöchheim Bauwerksbegrünung
Das begrünbare, drehbare Lamellensystem von CityLam als Versuchsobjekt: Verschiedene Trag- und Speicherschichtmaterialien in Kombination mit Vegetationsmatten und Ansaaten. Foto: Jürgen Eppel

Der Klassiker: Pflanze trifft Bauwerk, aber wie?

Neben der Nahrungsmittelproduktion fungiert Begrünung bei ausreichender Wasserversorgung als natürliche Klimaanlage, indem die Pflanzen durch Verdunstung der Umgebungsluft Wärme entziehen und somit im Sommer ein kühleres Mikroklima an der Fassade schaffen. Die Nähe der Pflanze zum Bauwerk macht es erforderlich, dass Gebäude und die Vertikalbegrünung nicht nur ein additives System bilden, sondern von Beginn an gemeinsam geplant werden, um eine vernetzte Fassadensystematik zu ermöglichen. Grüne Gebäudefassaden der Zukunft kombinieren klimatisch anpassungsfähige, neuartige Fassadentechnologien mit einer standortgerechten vertikalen Begrünung. Durch Nutzung thermischer Eigenschaften derartiger Begrünungssysteme, wie beispielsweise Kühlen durch Verdunstung, bieten sich Chancen für eine Entwicklung nachhaltiger und energieeffizienter Gebäudehüllen. Wie es funktioniert, kann auf der "Klima-Forschungs-Station" erlebt werden, die anlässlich der LGS Würzburg in Betrieb genommen wurde. Bauphysiker des ZAE Bayern und Landespfleger der LWG forschen dort die nächsten Jahre gemeinsam an der Optimierung des Wirkungsgrades von Klimafassaden als Gebäudehülle. Dort werden unter anderem ein flächiges und ein rinnenförmiges Begrünungssystem miteinander verglichen und auf ihr Zusammenwirken mit innovativen Fassadenmaterialien, wie zum Beispiel einer schaltbaren Wärmedämmung, untersucht. Zudem wird im Projekt geforscht, inwiefern die Nutzung von Erdwärme im Spalt zwischen Fassade und Begrünung die Dämmsituation und das Pflanzenwachstum beeinflusst und ob eine Hinterlüftung oder ein geschlossener Zwischenraum dem Gesamtsystem dienlicher ist. Neben der Begrünung klassischer Fassaden soll dort aber auch mit begrünbaren Lamellensystemen vor Glasflächen experimentiert werden. Damit wäre dann zusammen mit der Dachbegrünung der letzte Lückenschluss fürs begrünbare Bauwerk herbeigeführt.

Für die Realisierung grüner Klimafassaden ist eine noch engere Abstimmung zwischen Hochbau und GaLaBau angeraten, um für beide Seiten optimierte Systemlösungen zu entwickeln. Eine auf Dauer funktionierende Fassadenbegrünung ist das Ergebnis gemeinsamer Planung und Ausführung aller am Bau Beteiligten. Pflanzen einer wandgebundenen Begrünung brauchen Halt (Statik), Strom und Wasser zum Überleben.

Der GaLaBau sorgt dann in der Regel für die Begrünungsgrundlage. Je nach Begrünungssystem ist statt einer Bepflanzung vor Ort auch eine Vorkultur der Pflanzen in den Modulen möglich. Sowohl die fachgerechte Montage als auch die regelmäßige technische Wartung und Pflege der Systeme können vom GaLaBau geleistet werden. Voraussetzung ist allerdings, dass dieser mit den Eigenheiten des Produktes am Einsatzort auch vertraut ist.

Zusammenfassung

Nahrungsmittelproduktion, Klimamäßigung, Energieeinsparung, Ästhetik - all das macht die Erforschung multifunktionaler Vertikalbegrünungen zu einem relevanten Zukunftsthema. Eine auf Nachhaltigkeit, Dauer und Funktionalität ausgelegte Fassadenbegrünung braucht heute mehr als nur "Mutmacher". Gefragt sind versierte Fachplaner mit "grau-grünem" Background und kompetente Ausführungsbetriebe mit Knowhow in Sachen Bewässerungs- und Lüftungstechnik, nicht zu vergessen natürlich Pflanzenkenntnissen. Eben Spezialisten für professionelles Urban Gardening und Urban Landscaping. Zum Wohle unserer Städte und ihrer Bewohner kann man nur hoffen, dass die grüne Branche die Zeichen der Zeit erkannt hat und für die Stadt der Zukunft ausreichend qualifizierte "Urban Gardener" und "Urban Landscaper" zur Verfügung stehen.

Literatur

Berliner Senat Für Stadtentwicklung (1983): "Mut zu Grünen Wänden", Broschüre, 3. aktualisierte Auflage 1983; Hrsg.: Senat Berlin.

Demling, F. (2014): "Rooftop farming", Vortrag anlässlich des 4. Fachsymposium Stadtgrün "Urbaner Gartenbau - Die Produktion kehrt in die Stadt zurück", des Julius-Kühn-Instituts am 09.12.2014 in Berlin.

Demling, F. (2017): "Dach- und Fassadenbegrünungen mit Nahrungspflanzen", Poster zur World Green Infrastructure Conference, Berlin.

Eppel, J. (2015): "Hang over!? - Vertikales Grün in Nürnberg"; in: Veitshöchheimer Berichte, S. 17-30, Hrsg.: LWG, Abteilung Landespflege, Veitshöchheim.

Eppel, J., Demling, F., Bohl, J. (2018): "Grüne Klimafassaden - Utopie und Wirklichkeit" in Veitshöchheimer Berichte, Heft 183, S. 45 -53, Hrsg.: LWG, Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau, Veitshöchheim

FLL (1995): Richtlinie für Planung, Ausführung und Pflege von Fassadenbegrünungen, 1. Aufl. 1995; Hrsg.: Forschungsgesellschaft für Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e. V., Troisdorf.

Köhler, M. (2015): "Die Gebäudebegrünung wird zum Funktionsgrün"; in: Dach und Grün 4/2015, S. 6-13.

König, K.W. (2017): "Naturnahe Prozesse sparen 90Prozent Energie - Beschattung und Kühlung von (halb-)öffentlichen Gebäuden mit Verwendung von Regenwasser"; in: fbr-Wasserspiegel, S. 10-13.

Dettmar, J., Pfoser, N., Sieber, S., (2016): Gutachten über quartiersorientierte Unterstützungsansätze von Fassadenbegrünungen für das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKUNLV) NRW, TU Darmstadt.

Pfoser, N. (2014): "Energieeffizientes Bauen mit begrünten Fassaden", in: Jahrbuch Bauwerksbegrünung 2014, S. 80-88, Hrsg.: Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e. V., Saarbrücken.

Pugh, T.A.M., Mackenzie, A.R., Whyatt, J.D., Hewitt, C.N. (2012): "Effectiveness of Green Infrastructure for Improvement of Air Quality in Urban Street Canyons"; in: Environmental Science & Technology 46, S. 7692-7699.

 Jürgen Eppel
Autor

Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau

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