Der Kapellenberg auf dem Luisenkirchhof III in Berlin
Gedächtnis und Gedenken
von: Marianne MommsenFür die Landschaftsarchitektur ist die Thematik der Zeitlichkeit allgegenwärtig, doch prägt sie den Umgang mit historischen Friedhofsanlagen in besonderer Weise. Sie sind Orte des persönlichen Erinnerns und kulturelle Zeugnisse der Geschichte und müssen zugleich auf den Wandel der Bestattungskultur reagieren. In dieses Spannungsfeld von Gestern und Heute ist die Sanierung des Kapellenbergs auf dem Luisenkirchhof III in Berlin-Charlottenburg eingebunden.
Die rasante Entwicklung Charlottenburgs zur prosperierenden Großstadt brachte die Friedhofsflächen der dortigen Luisengemeinde im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder an die Grenzen ihrer Kapazität. Obwohl die Kirchengemeinde bereits über zwei Friedhöfe verfügte, war sie in den 1880er-Jahren zur Anlage eines weiteren veranlasst. Als Standort dafür wurde ein in Gemeindebesitz befindliches ehemaliges Sandgrubengelände am Nordhang des Spandauer Berges gewählt. Damit entstand der Friedhof in einer exponierten und im Stadtraum weithin wahrnehmbaren Lage. Diese verlieh der Planung öffentliche Aufmerksamkeit und erforderte nach Ansicht der Deutschen Bauzeitung (1891), "die Anlage in ihrer Art charakteristisch und möglichst monumental zu gestalten."
Doch wurde, wie die gleiche Zeitschrift drei Jahre später kritisierte, kein Wettbewerb durchgeführt, um diese Aufgabe für die Bauten und den Freiraum im Zusammenhang zu lösen. Vielmehr wurde 1884 eine Gestaltungskommission benannt, zu der der Charlottenburger Stadtbaurat Paul Bratring (1840-1912) und der Ober- und Landschaftsgärtner Otto Vogeler (1843-1913) gehörten. Vogeler war Absolvent der Königlichen Gärtnerlehranstalt Wildpark bei Potsdam und seit 1876 selbständig in Charlottenburg tätig. Auch wenn sein Anteil an der Entscheidung, den Luisenkirchhof III als Alleequartierfriedhof zu realisieren, als unklar anzusehen ist, war er in der Folgezeit maßgeblich für die Gestaltung des Freiraums verantwortlich. Dabei wurde zuerst der Nordteil des Friedhofs angelegt und 1891 eingeweiht. Bis 1905 wurde das Gelände auf seine heutige Größe von etwa zwölf Hektar erweitert. Zur Bepflanzung der Alleen wurden Linden, Ahorne, Buchen und Ulmen verwendet.
Da die rasterförmige Friedhofsstruktur in Nord-Süd-Richtung parallel zum Hang des Spandauer Berges ausgeführt wurde, verlaufen die Erschließungen von Osten nach Westen teilweise sehr steil. Das gilt auch für die vom Hauptzugang des Friedhofs am Fürstenbrunner Weg zum Kapellenplatz führende Allee. Für die Gestaltung der dort errichteten und 1892 geweihten Kapelle war ein Wettbewerb durchgeführt worden, in dem der Entwurf der Architekten Johannes Vollmer (1845-1920) und Heinrich Jassoy (1863-1939) den ersten Platz erhielt. Sie schufen einen repräsentativen neogotischen Ziegelbau, dessen Vorhalle auf die Kronen und die Wegebreite der darauf zuführenden Allee Bezug nahm.
Den Aufstieg zu diesem Gebäude hatte Otto Vogeler bereits zuvor durch Schaffung eines Schmuckplatzes (Rondellplatz) zwischen Hauptzugang und Kapellenplatz gestalterisch besonders betont. Die Kapelle selbst wurde mit einer Rasenfläche umgeben und mit einer Pflanzung aus vorwiegend immergrünen Sträuchern und einzelnen Bäumen eingefasst.
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts blieb die regelmäßige Struktur der alleegesäumten Friedhofsquartiere prägend für das Erscheinungsbild des Luisenkirchhofs III. Danach ging die klare Differenzierung des Friedhofsareals in offene und räumlich geschlossene Bereiche durch die zunehmende Pflanzung von Bäumen in den Grabfeldern und die Fällung von einzelnen Alleebäumen verloren. Die pflanzliche und bauliche Ausstattung entlang der Hauptallee wurde durch zahlreiche Einzelmaßnahmen grundlegend und ohne gestalterischen Zusammenhang verändert. Zunehmend gewann dabei die Verkehrsfunktion dieser Wegeverbindung auf den Kapellenberg gegenüber ihrer repräsentativen Bedeutung und ihren Aufenthaltsqualitäten an Gewicht. 2008 wurde die Gesamtanlage des Friedhofs unter Denkmalschutz gestellt.
Weiterbauen am Denkmal
Die bestehende Friedhofsnutzung des Luisenkirchhofs III bedingt, dass die von 2013 bis 2015 in zwei Bauabschnitten realisierte Planung für den Kapellenberg nicht auf eine Konservierung oder umfassende Restaurierung zielen konnte. Gegen das Erste sprachen wahrnehmbare Defizite im Erscheinungsbild und in der Nutzbarkeit der Raumfolge der Hauptallee.
Das Zweite war durch die rudimentäre Bestandssituation und deren unzureichend dokumentierte Entwicklung, zugleich jedoch durch sich wandelnde Verständnisse in der Bestattungskultur und im Pflegemanagement ausgeschlossen. Charakter der Planung war daher ein Weiterbauen am Denkmal, das die Verkehrsfunktion der Allee mit gartendenkmalpflegerischen, baumpflegerischen und ästhetischen Ansprüchen sowie den Bedürfnissen von Fußgängern nach Ruhe und Aufenthalt in Einklang bringt. Dabei spielte es durchaus eine entscheidende Rolle, die ursprüngliche Gestaltungsintention und Organisationsstruktur des Luisenkirchhofs wieder klarer erlebbar zu machen.
Das kann ein an aktuellen Fragestellungen orientiertes Weiterbauen ebenso - und weitaus plausibler - leisten als Rekonstruktionsversuche. Diese würden nur schwächend gegenüber dem von Strukturvielfalt geprägten Denkmalbestand wirken, der gerade in seiner Nuanciertheit viel zum Erlebniswert der Anlage beiträgt.
Wiederhergestellt wurden die verlorengegangenen Konturen der historischen Raumfolge auf den Kapellenberg. Dadurch wurde die Gliederung der auf diese führende Allee in drei Stationen wieder stärker wahrnehmbar. Eingangsbereich, Rondellplatz und Kapellenplatz sollten dabei nicht nur gestalterisch aufgewertet, sondern im Sinne des ursprünglichen Friedhofskonzepts wieder zu Orten mit Aufenthaltsqualität entwickelt werden.
Hauptallee
Die Wegeverbindung auf den Kapellenberg wurde im Zuge der Sanierung in Breite und Profil denkmalgerecht wiederhergestellt. Die zuvor an die Grabstellen grenzende befestigte Wegefläche wurde auf eine Breite von 5 m reduziert und dadurch entlang der Alleereihen verlaufende Rasenstreifen geschaffen. Mit dieser Maßnahme war zudem eine allgemeine Verbesserung der Baumstandorte verbunden. Da eine Erneuerung der ehemals vorhandenen wassergebundenen Wegedecke aufgrund der Gefällestruktur (5 bis 7 %) und der erforderlichen Befahrbarkeit nicht vertretbar war, kam ein Belag aus Naturkleinsteinpflaster in Passe-Verband mit Dachgefälle zu den Längsseiten zur Ausführung. Durch diese Materialwahl wurde ein Bezug zur Materialität der vorhandenen Treppen an der Kapelle und am im Eingangsbereich gelegenen Verwaltungsgebäude hergestellt.
Die lückige Alleestruktur konnte durch Nachpflanzung fehlender Alleebäume unter Berücksichtigung der historischen Baumstandorte ergänzt werden. Ein wesentliches Anliegen war dabei die Wiedergewinnung von verkehrsbedingt beseitigten Pflanzungen im Bereich von Wegekreuzen. Die durch Überfahrung entstandenen Abrundungen zu den angrenzenden Wegen wurden zurückgebaut.
Eingangsbereich
Im Zuge der Sanierung wurde der Eingangsbereich zum Luisenkirchhof gestalterisch aufgewertet und mit Aufenthaltsmöglichkeiten ausgestattet. Die zuvor bestehende Schrankenanlage konnte entfernt und durch versenkbare Poller ersetzt werden. Zum Aufenthalt wurden hier - wie auf dem Rondell- und Kapellenplatz - Sitzgelegenheiten in Form von Bänken geschaffen. Verwendet wurde dafür die klassische Berliner Parkbank mit gusseisernen Füßen.
Im unmittelbar an den Eingangsbereich grenzenden Bereich der Allee existieren seitlich keine zum Weg orientierten Grabstellen. Dort wurden geschnittene Eibenhecken (Taxus baccata) in leicht geschwungenen Formen angelegt. Sie stärken den Charakter der Allee als künstlerisch gestaltete Freiraumstruktur. Diese neuerliche Inwertsetzung der Raumfolge durch gärtnerische Strukturen ist für das Konzept entscheidend. Die Vegetationsstruktur der Allee wird durch neue Elemente ergänzt, ohne dass diese konkurrierend auftreten. Dabei werden die Heckenkörper als Motiv eingesetzt, das ornamental variiert in der Gestaltung der anschließenden Platzräume wiederholt wird. Zugleich stellen die Hecken eine vegetative Grenze zu den sich anschließenden Grabreihen her.
Rondellplatz
Der Rondellplatz konnte entsprechend der ursprünglichen Gestaltung des Luisenkirchhofs III als quadratische Platzfläche in seiner Dimension denkmalgerecht wiederhergestellt werden. Seiner ursprünglichen Konzeption gemäß wurde er als offener Schmuckplatz mit Zierpflanzungen und Aufenthaltsqualität aufgefasst. Der, wie die Allee, von einem Rasenstreifen gefasste Platz erhielt einen Belag aus Naturkleinsteinpflaster in Passe-Verband.
Das Zentrum des Rondellplatzes bildeten zuvor eine Koniferenpflanzung aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und eine ebenfalls in dieser Zeit dort aufgestellte Christus-Statue. Diese Gehölzpflanzung wurde entfernt und die Statue aufgrund ihrer symbolischen Dopplung mit dem über dem Kapellenportal befindlichen Christustondo versetzt. Die neue Gestaltung des Rondells ist als Neuinterpretation mit Bezug auf die Konzeption von Schmuckplätzen auf Berliner Friedhöfen um 1900 angelegt. Ihr Zentrum bildet eine Wasserfläche mit einem Springstrahl. Diese wird von bewegten Heckenkörpern gerahmt, die als miteinander verschränkte strukturgebende Elemente der Pflanzung eingesetzt werden. Ihre Form tritt in Kontrast zu einer Staudenpflanzung mit jahreszeitlich wechselnden weißen Blühaspekten. Verwendet wurden dabei unter anderem Pfingstrosen (Paeonia 'Lauras Dessert', P. officinalis 'Alba Plena'), Herbstanemonen (Anemone Japonica-Hybride 'Honorine Jobert'), Nieswurz (Helleborus foetidus 'Wester Flisk'), Tränendes Herz (Dicentra spectabilis 'Alba') und Storchschnabel-Sorten (Geranium macrorrhizum 'White Ness', G. sanguineum 'Album'). Zusätzliche dynamische Aspekte bringen Akelei (Aquilegia Caerulea-Hybride 'Kristall'), Fingerhut (Digitalis purpurea 'Alba') und verschiedene Geophyten in die Pflanzung. Mit dem Wechselspiel und der Detailliertheit dieser pflanzlichen Aspekte gewinnt die Raumfolge der Allee neue Gestaltungs- und Nutzungsqualitäten hinzu.
Kapellenplatz
Auch der Kapellenplatz wurde in seiner ursprünglichen Dimension als quadratische Platzfläche denkmalgerecht wiederhergestellt. Der damit wiedergewonnene Rasenstreifen nimmt die Standorte der Bestandsgehölze auf dem Platz auf und wirkt sich somit positiv auf deren Erhaltung aus. Die Platzfläche erhielt einen Belag aus Naturkleinsteinpflaster in Passe-Verband. Dabei wurde ein während des Bauprozesses in situ freigelegter Pflasterbelag aus der Entstehungszeit des Friedhofs aufgenommen und gestalterisch integriert. Dabei handelt es sich um eine auf der Südseite des Gebäudes verlaufende Erschließung zu einem heute nicht mehr bestehenden Kapellenzugang, die dem An- und Abtransport der Särge mit Wagen diente.
Die Koniferenpflanzung im Umfeld der Kapelle wurde durch eine Vegetationsstruktur aus Hecken (Taxus baccata) und weißblühenden Stauden ersetzt. Auch hier wird dabei ein im Laufe der Entwicklung der Friedhofsanlage verlorengegangener Detailreichtum der gärtnerischen Ausstattung wiedergewonnen. Prägend für diese Pflanzung sind unter anderem Hortensie (Hydrangea arborescens 'Annabelle'), Schaublatt (Rodgersia podophylla 'Smaragd'), Riesensegge (Carex pendula), Silberkerzen (Cimicifuga racemosa) und Astilben (A. Thunbergii-Hybride 'Elegans').
Die zuvor auf dem Rondellplatz aufgestellte Christus-Statue erhielt im Bereich einer aufgelassenen Grabstätte südwestlich der Kapelle einen neuen Standort. Sie war ursprünglich Teil einer Grabgestaltung und wurde damit wieder in ihren ursprünglichen formalen Zusammenhang eingebunden.
Auf dem Friedhof wurden vier neue Schöpfbrunnen aus Granit geschaffen. Diese tradieren den Anspruch weiter, auch für funktionale Ausstattungselemente an diesem Ort eigene gestalterische Lösungen zu entwickeln. Die Einläufe dieser Brunnen wurden nach der Vorlage eines Päonien-Fruchtstands gestaltet. In fünffacher Vergrößerung der Naturform stellt er in seiner Detailliertheit eine gestalterische Kommunikation zu den vielfältigen vegetativen Strukturen in der Umgebung her.
Mit der Sanierung des Kapellenberges auf dem Luisenkirchhof III wurde der gestalterische Zusammenhang dieser die Friedhofsanlage prägenden Raumfolge wieder gestärkt. Mit der Aufwertung der gärtnerischen Ausstattung und der Schaffung von Aufenthaltsqualitäten wird die Raumfolge der Allee neu und im ursprünglichen Sinne definiert. Die historische Friedhofsanlage wirkt dabei nicht nur als Resonanzraum der Gestaltung, sondern sie trägt auch dazu bei, den Denkmalwert und die Erinnerungsfunktion des Luisenkirchhofs zu vergegenwärtigen und zu erschließen.
- Bauherr: Kirchhofsverwaltung der ev. Luisen-Kirchengemeinde
- Freianlagen-planung: relais Landschaftsarchitekten Heck Mommsen PartGmbB, Berlin
- Bauzeit: Juni 2013-September 2015
- Fläche: 3800 m²
Literatur
Engel, Helmut: Die kirchliche Bautätigkeit in Charlottenburg, Berlin 2011.
Haspel, Jörg/Klaus von Krosigk, (Hg.): Gartendenkmale in Berlin - Friedhöfe (Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin 27), Petersberg 2008.
Jochens, Birgit/Herbert May: Die Friedhöfe in Berlin-Charlottenburg - Geschichte der Friedhofsanlagen und deren Grabmalkultur, Berlin 1994.
Kähler, Susanne/Jörg Kuhn: Erfassung/Inventarisation der Charlottenburger Friedhöfe - Luisenkirchhof II, Königin-Elisabeth-Straße 46-50 und Luisenkirchhof III, Fürstenbrunner Weg 37-67, unveröffentlicht, Berlin 2007.
Neue Kirchhofanlage in Charlottenburg, in: Deutsche Bauzeitung, Jg. 25 (1891), Nr. 1, S. 8.
Portal und Kapelle des neuen Friedhofs der Luisengemeinde in Charlottenburg, in: Deutsche Bauzeitung, Jg. 28 (1894), Nr. 34, S. 214.
Singhof, Frank/Marcus Köhler: Biographien in den Festschriften der Gärtnerlehranstalt am Wildpark bei Potsdam 1899, 1913 und 1924, Berlin o. J.
Will, Thomas: Grenzübergänge - Weiterbauen am Denkmal, in: werk, bauen + wohnen, Jg. 90 (2003), Nr. 6, S. 50-57.